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Debatte um WehrpflichtAntreten zum Widerspruch

Johannes Drosdowski
Kommentar von Johannes Drosdowski

Unser Autor hat Soldaten aus der Nähe erlebt, sein Vater war Sanitäter. Gedanken zur Diskussion um die Wehrpflicht aus dem Innersten der Armee.

Nachts knallen die Stiefel schlapp auf die Steinstufen im Treppenhaus des Bundeswehrblocks Foto: Sebastian Gollnow/dpa

N achts knallen die Stiefel schlapp auf die Steinstufen im Treppenhaus. Der Tritt hallt bis hinter die Wohnungs- und Kinderzimmertür. Und ich sitze froh und aufrecht im Bett: Mein Papa ist zurück. Alles ist gut. Auch der Rest des Hauses dürfte es wissen: Bis heute bin ich fest davon überzeugt, dass unser Bundeswehrblock so gebaut wurde, dass alle alles hören, dass wir uns gegenseitig kontrollieren. Der Schall verrät, wenn die Sol­da­t*in­nen wieder zu Hause sind, und auch alles andere.

Mein Vater gehörte – das hoffe ich zumindest – zu den Sol­da­t*in­nen, die nicht immer nur gefürchtet wurden. Er war bei den ABC-Truppen als Sanitäter. Hat im Ausland Menschen versorgt, die der Krieg töten wollte. Manche von ihnen beim Sterben begleitet. Denn gar nicht weit von den schweren, pflegenden Schritten meines Vaters, da marschiert der Tod.

Mein Vater war Anfang der 1990er in der iranischen Grenzregion zum Irak. Als er ankam, erzählt er, habe es in der Region noch keine Zelte, keine Verpflegung, aber ein Minenfeld gegeben. Was Armeen bringen, lange bevor die Sa­ni­tä­te­r*in­nen helfen, ist die Gewalt.

Heute wirkt es auf viele, als stünde der Krieg wieder vor „unserer“, der deutschen Tür. Gebracht durch Wladimir Putin. Po­li­ti­ke­r*in­nen sprechen darüber, die Wehrpflicht wieder zu aktivieren. Ich dachte eine Zeit lang, ich will die Wehrpflicht. Sehen, was mein Vater so erlebt hat, lernen, was er kann. Ich selbst kenne den Bund nur von Sommerfesten mit Tour durch die Kaserne und von Konserven im Keller. Und von den Stimmen der Männer aus unserem Block. Zum Glück wurde ich ausgemustert. Die Bundeswehr ist – gegeben durch äußere Faktoren, die nicht geändert werden können – ein System der Zwänge, der Hierarchie und allein dadurch für viele schon ein System der Gewalt. Ich wäre daran zerbrochen.

Wir sind gefragt

Aber es bleibt: der Wunsch, ich hätte eben doch gelernt, wie ich mich verteidige, meine Familie, meine Wahlfamilie, die Menschen in meinem Haus, in meiner Community, in meiner Stadt. Nicht nur vor oder in einem Krieg, sondern vor ganz vielen anderen Dingen, bei denen die Bundeswehr nicht helfen kann, nicht helfen darf. Die drängendste Gefahr für dieses Land und all die Menschen, die darin leben, sind nicht Bomben. Es sind die Rechts­extremen, es sind die Ausbeuter, die Lügner, die Demagogen. Es sind die Menschenhasser. Und natürlich auch der Klimawandel.

Die Bundeswehr kann, soll Menschen verteidigen, wenn sie mit Waffengewalt angegriffen werden. Für all das andere aber sind wir gefragt, nicht die Soldat*innen. Die haben oft genug Probleme mit rechten und rechtsextremen Kamerad*innen. Ich habe die Sprüche durchs Treppenhaus hallen gehört. Die Bundeswehr zu reformieren hat nicht funktioniert. Junge Erwachsene per Wehrpflicht in so ein System zu ziehen, das sich, trotz all der korrekten Sol­da­t*in­nen, nicht gegen rechts wehren kann, ist ein Fehler, wenn man diese Menschen nicht vorher gestärkt hat, damit sie dagegen angehen können.

Die Bundeswehr komplett abschaffen? Auch nicht möglich. Besonders jetzt. Denn auch wenn Putins Waffen nicht bis nach Deutschland kommen, müsste die Bundeswehr bereits jetzt – so habe ich den Job meines Vaters immer verstanden – jene Menschen schützen, die seit Jahren Schmerz und Tod erfahren, Krieg eben.

Wir anderen aber müssen uns um andere Formen des Schutzes kümmern. Wir müssen lernen, uns und unsere Mitmenschen zu schützen, wie wir Sandsäcke schleppen bei Fluten, wie wir helfen können, wenn wieder gefühlt ganz Brandenburg brennt. Wir können in queeren Vereinen Karate lernen, um uns und unsere Community auf dem Nachhauseweg vor Gewalt zu bewahren. Wir können hacken. Wir können einfach mal dem Nazi in der U-Bahn widersprechen, wenn er einen Mitmenschen angreift, uns dazwischen stellen und dann mit der* Betroffenen sprechen, damit sie weiß, dass sie nicht allein ist.

Alle dürfen mitmachen

Dafür ist es aber notwendig, dass der Staat einer ganz anderen Verantwortung nachkommt als der Instandhaltung einer Armee. Die Wehrpflicht? Absoluter Humbug, solange der Staat Gelder in der politischen Bildung kürzt und so dafür sorgt, dass immer weniger Menschen antifaschistisch und ­demokratisch geprägt werden und so nicht ausreichend in den gesellschaftlichen Kampf für Freiheit und Gleichheit ­einbezogen werden.

Für den muss man keine Musterung durchlaufen. Unsere Gelenke, Organe, Neuro­divergenzen, Allergien und Geschlechter sind dafür egal. Alle dürfen mitmachen, sie müssen Skills bekommen. Der Staat baut hier ab. Will per Wehrpflicht tödliche Waffen in die Hand von Menschen drücken, die eigentlich mit Argumenten und Menschenliebe siegen sollten.

Mein Vater ist nicht mehr beim Bund. Der Block, in dem ich aufgewachsen bin, ist schon lange kein Bundeswehrblock mehr. Heute leben darin vor allem viele andere Menschen, nur noch ein paar alte Bundeswehrler. Es hallt trotzdem im Treppenhaus, alle bekommen alles mit. Auch den Rassismus von manchen, die früher Uniform getragen haben. Was hier zu selten hallt: der Widerspruch.

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Johannes Drosdowski
Redakteur Medien/Digitales
Redakteur für Medien und Digitales. Ansonsten freier Journalist und Teamer zum Thema Verschwörungserzählungen und Fake News. Steht auf Comics, Zombies und das Internet. Mastodon: @drosdowski@social.anoxinon.de
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10 Kommentare

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  • So mancher Naivist fragt, wer dieses Land im Ernstfall eigentlich verteidigen solle. Na, viele Menschen mit Migrationshintergrund (zu denen ich mit meinen Balkan-Gains übrigens auch zähle) wären bestimmt bereit dazu. Und doch, genauso vielen wird im Ernstfall (V-Fall) der ewige Rassismus in den Sinn und dessen Spätfolgen zum Vorschein kommen. Innerlich kaputt und zerrissen, zwei Beine auf zwei unterschiedlichen Seiten. Freiheit, Ungleichheit und Andersheit. Dennoch genauso all die Menschen, weswegen mensch angekommen ist und für die es sich lohnen täte. Oder gleich die Koffer packen und weg? Die Wahl zwischen Generation Krieg oder Generation Flucht.



    Und was werde ich getan haben, wenn der Einberufungsbescheid im Briefkasten lag. Vermutlich den Weg ins nicht mal 69km weite „Karrierecenter“ eingeschlagen haben, um nochmal gemustert worden zu sein. Dieses Mal ohne vorzeitigen Ausweg. Und warum? Weil ich bin, was ich am meisten verachte: Ein naiver Patriot, für ein Land, welches mich nicht mal als naiven Patrioten haben will.

  • Ich widerspreche!



    Wie schon in einem anderen Artikel kommentiert, bin ich für die Wiedereinführung einer Pflicht.



    Das hat ursächlich nicht nur mit Putins Krieg gegen die Ukraine zu tun.



    Es ist schon ein guter Schritt ins Erwachsenenleben, mal ein Jahr für die Gesellschaft zu arbeiten.



    Das kann in der Bundeswehr sein, aber natürlich genauso in einer sozialen Einrichtung oder im Klimaschutz.



    Mir hat der Zivildienst Perspektiven eröffnet.



    Man kam mit Menschen zusammen, denen man sonst vielleicht nie begegnet wäre und Zusammenarbeit hilft Vorurteile zu überwinden.



    So kann ein solcher Dienst geradezu gesellschaftsstiftend sein.



    Junge Menschen mit Migrationshintergrund sind ja heute noch stärker vertreten als damals und wären präsent. Auch für diese Gruppe würde sich das "deutsch sein" neu definieren, oft wird ja im Gegenteil über das anders sein definiert.



    "Ohne Zivis ist Deutschland am Ende" trugen wir damals auf den T-Shirts .



    Das hat sich in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen als wahre Prophezeiung erwiesen.



    Dass ein solcher Dienst vielleicht der Einstieg in einen artverwandten Beruf sein kann, ist Geschichte und könnte wieder eine Erfolgsgeschichte werden.



    Das gilt natürlich auch für die Bundeswehr.



    Wer eine Parlamentsarmee will, sollte dafür sorgen, dass die Soldaten auch aus allen Schichten und diversen Gruppen kommen.



    Der momentan bestimmenden Egozentrik würde so auch ein Miteinander entgegen gestellt.



    Arbeiten und Rücksicht zu erlernen, ist als Vorbereitung, auf welchen Beruf auch immer, ein guter Einstieg.



    Dass wir uns, im Übrigen, sicherheitspolitisch nicht mehr hinter den USA verstecken können, sollte sich herum gesprochen haben.



    Schweden hat bereits 2017 die Wehrpflicht wieder eingeführt.

    • @Philippo1000:

      Das sehe ich genau so.



      Ich hatte das große Glück, meine Bundeswehrzeit ohne sinnloses Warten auf das Ende verbringen zu können, ohne hochfrequente Besäufnisse, ohne blaune Verfärbungen, sondern mit interessanten und sinnvollen Tätigkeiten.



      Das Problem sehe ich in der gravierenden Veränderung der Gesellschaft in Richtung Wohlstandsverwahrlosung.

  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Das Thema rechtsextremer Tendenzen in und außerhalb der Bundeswehr ist eher ein Argument für die Wehrpflicht. Erst mit der zunehmenden Zahl an Wehrdienstverweigerern und schließlich der Abschaffung des Wehrdienstes blieben bei der Bundeswehr zunehmend jene unter sich, die einen Hang zum militärischen und vaterländischem haben. Und solche Leute sind tendenziell auch rechtsextremem Gedankengut zugänglicher. Wenn man noch dazu fortdauernd predigt, beim Bund seien alle rechts, dann braucht man sich auch nicht zu wundern, dass nur die dorthin gehen, die kein Problem damit haben, als rechts zu gelten – was im Übrigen auch für die Polizei gilt.

    Das Thema politischer Bildung war zumindest zu Wehrdienstzeiten auch Bestandteil der Grundausbildung von Soldaten und erfasste somit alle Gesellschaftsschichten. Ein Schönheitsfehler bei der Förderung von Projekten der politischen Bildung, wie sie beispielsweise das Demokratieförderungsgesetz vorsieht, ist ja, dass sie oft nur jene erreichen, die es gar nicht nötig haben von deren Botschaften überzeugt zu werden. Ein anderer, dass sich diese Botschaften schwer überprüfen lassen.

    Die Erfassung aller Gesellschaftsschichten ist letztlich auch der wertvollste Effekt einer Wehrpflicht. Die deutsche Gesellschaft wird immer heterogener und fragmentierter. Es gibt praktisch keinen Bereich mehr, der gewährleistet, dass eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung, unabhängig von Herkunft und Weltanschauung, über einen gemeinsamen Erfahrungshorizont verfügt. Selbst die Schule leistet dies nicht mehr. Es ist heutzutage ohne weiteres möglich, sein ganzes Leben in der eigenen Meinungsblase zu verharren, ohne jemals direkt mit Menschen konfrontiert zu werden, die gänzlich anders geartete Meinungen, Erfahrungen und Interessen haben, was geradezu der Nährboden für Vorurteile uns Feindseligkeiten ist. Darin liegt die wirkliche Gefahr für Demokratie. Denn Demokratie lebt nicht von Meinungsbildung sondern vom Meinungsaustausch.

    • @14231 (Profil gelöscht):

      Völlig richtig.

      In den 1990ern war der Bund vor allem im Osten ein Sammelbecken für rechtsgerichtete Zivilversager, weil man es sich nicht leisten konnte, sie nicht zu nehmen - es gab ja kaum noch andere Leute, die zum Bund gingen. Wer dagegen auch mal mit einem Mitglied der Grünen Jugend die Kaserne teilen muss, könnte ja mal dazu angeregt werden, nachzudenken - das passiert natürlich nicht, wenn man nur von rechtsrockhörenden Maiks umgeben ist.

  • "Der Staat baut hier ab. Will per Wehrpflicht tödliche Waffen in die Hand von Menschen drücken, die eigentlich mit Argumenten und Menschenliebe siegen sollten."

    Ich bin zwar gegen die Wehrpflicht, aber "mit Argumenten und Menschenliebe" kann man Despoten (wie z. B. Putin) nicht besiegen. Es reicht nicht mal, um sie auf Distanz zu halten.

    • @Al Dente:

      Entschuldigen Sie, aber das ist an der Stelle gar nicht gesagt worden. Lesen Sie den Artikel bitte aufmerksam und vollständig, bevor Sie mit solchen Unterstellungen um die Ecke kommen!

      • @HorstHeiner:

        Das Zitat findet man am Ende des vorletzten Absatzes.

        Den letzten Absatz habe ich übrigens auch noch gelesen.

        • @Al Dente:

          Ergänzung:

          Ich hätte auch sagen können: Das, was sich der Autor wünscht, ist nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen.

          • @Al Dente:

            Daher sollten auch nur willige "Profis" zur Bundeswehr gehen und keine Wehrpflichtigen.



            Der Westen braucht kein "Kanonenfutter" so wie Putin, denn westlichen Waffen sind nur mit Wochen- und monatelangen Schulungen einsatztauglich; siehe Ukraine-Taurus.