Debatte um Lohnfortzahlungen: Dem Impfmuffel ans Portemonnaie
Die Gesundheitsminister:innen wollen mit einem kontroversen Vorstoß das Impftempo beschleunigen. Die Gewerkschaften haben eine andere Idee.
Wie lässt sich die maue Impfbereitschaft in der bundesdeutschen Bevölkerung steigern? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und etliche seiner Amtskollgeg:innen in den Ländern wollen jetzt auf schwarze Pädagogik setzen. Nachdem bereits ausgemacht ist, dass ab Oktober die Kosten für Coronatests in der Regel nicht mehr vom Staat bezahlt werden, soll es nun abhängig beschäftigten Impfmuffeln noch weitaus heftiger ans Portemonnaie gehen: Sie sollen keinen Anspruch mehr auf eine Erstattung ihres Verdienstausfalls haben, wenn sie sich auf behördliche Anweisung in Coronaquarantäne begeben müssen. Die Gewerkschaften reagieren empört.
Bisher gilt für alle Arbeitnehmer:innen, dass sie Anspruch auf eine staatlich finanzierte Lohnfortzahlung haben, wenn sie aufgrund einer eigenen Infektion oder eines Kontakts zu Infizierten in häusliche Isolation müssen und dadurch nicht arbeiten können. So schreibt es das Infektionsschutzgesetz vor. Allerdings enthält dieses Gesetz auch einen Passus, der davon jene ausschließt, die „durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist“, ihre „Absonderung“ hätten vermeiden können.
Nun wollen die Gesundheitsminister:innen von Bund und Ländern diesen Passus nutzen. In einer Videoschalte wollen sie sich am kommenden Mittwoch darauf verständigen, Ungeimpften keine Entschädigung mehr zuzugestehen. Es sei „unfair“ gegenüber der Solidargemeinschaft, wenn sie für deren Verdienstausfall aufkommen müsse, obwohl es Impfmöglichkeiten gebe, sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums.
Noch ist allerdings unklar, ob es eine bundesweit einheitliche Regelung geben wird. Bereits am Mittwoch preschte Baden-Württemberg vor. „Es ist ausreichend informiert und Angebote zur Impfung gemacht worden und jetzt entscheiden alle, die sich leider bis jetzt nicht impfen lassen, auch darüber, dass sie über diese staatliche Solidarität nicht mehr verfügen können“, begründete der grüne Gesundheitsminister Manfred Lucha im Deutschlandfunk das Vorgehen der grün-schwarzen Landesregierung. In Rheinland-Pfalz und Bremen soll die Verdienstausfallentschädigung am 1. Oktober auslaufen, in Nordrhein-Westfalen am 11. Oktober. Weitere Länder wollen folgen.
Kritik von Gewerkschaften
Umstritten ist noch die Frage nach einer möglichen Übergangsfrist. So halten Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen eine solche Frist nicht für nötig, während das Sozialministerium in Mecklenburg-Vorpommern gegenüber dem Handelsblatt erklärte, dass eine Übergangsfrist von sechs Wochen angestrebt werde. In Bremen soll es eine Übergangsfrist von rund zwei Wochen geben, damit jede und jeder noch die Möglichkeit erhält, sich vollständig zu immunisieren.
Bei den Gewerkschaften stößt das Vorgehen der Gesundheitsminister:innen auf Unverständnis. Damit werde eine „Impfpflicht durch die Hintertür“ eingeführt, kritisierte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann im Deutschlandfunk. „Mit einem solchen Zwang werden wir die Impfquote nicht deutlich erhöhen“, sagte er. Zudem bemängelte er, dass die arbeitsrechtlichen Konsequenzen des Schritts nicht durchdacht seien.
„Die Politik steht im Wort, dass Impfen freiwillig bleiben soll“, sagte Verdi-Chef Frank Werneke den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Debatte zur Streichung des Entgeltersatzes sei kontraproduktiv und sorge für Verunsicherung. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften leisteten seit Monaten einen aktiven Anteil daran, das Impftempo in Deutschland zu beschleunigen. „Arbeitgeber sind nun gefordert, nachdrücklich für Impfungen zu werben und sie in der Arbeitszeit zu ermöglichen“, forderte Werneke.
Unter dem Radar der Gesundheitsbehörden
„Die Streichung der Lohnfortzahlung kann schlimmstenfalls dazu führen, dass betroffene Beschäftigte die Quarantäne ignorieren, um Lohneinbußen zu vermeiden“, warnte die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Susanne Ferschl. „Damit erweist man dem Infektionsschutz einen Bärendienst.“
Tatsächlich könnte Wegfall der Lohnfortzahlung im Quarantänefall dazu führen, dass Ungeimpfte versuchen, nicht von den Gesundheitsbehörden erfasst zu werden – beispielsweise durch den Verzicht auf Coronatests.
Keine ökonomische Angst müssen sie übrigens haben, wenn sie sich nicht nur mit dem Coronavirus infizieren, sondern tatsächlich daran erkranken. Denn die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall soll unangetastet bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist