Debatte um AfD und Verfassungsschutz: Das rechte Auge blinzelt
Nach Protesten mit Pegida mehren sich die Rufe nach einer Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz. Die Bundesregierung winkt ab.
Linke schikanieren die arme AfD? Dieser Fokus des Verfassungsschutzes könnte sich ändern. Nach den Vorfällen in Chemnitz fordern Politiker mehrerer Parteien, zumindest Teile der AfD vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen.
„Die AfD bewegt sich rasend schnell in Richtung Rechtsextremismus, Politiker der Partei stellen immer öfter den Rechtsstaat infrage“, sagte Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, der taz am Montag. „Mich wundert daher, dass sich diese Erkenntnis noch nicht an der Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz durchgesetzt hat.“ Andere wichtige SPD-Politiker, etwa Generalsekretär Lars Klingbeil, äußerten sich ähnlich.
Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz erinnerte an die Weimarer Republik, in der die Feinde der Demokratie den Weg über die Wahlurne gewählt hätten, um ebendiese Demokratie abzuschaffen. Der Verfassungsschutz müsse um die „maximale Bösartigkeit“ der Agenda Rechtsextremer wissen und durch das Sammeln von Informationen zur Wehrhaftigkeit des Rechtsstaats beitragen, sagte von Notz der taz. „Wenn der Verfassungsschutz diese Aufgaben ignoriert oder sogar hintertreibt und sich stattdessen mit Punkrockbands und abgehalfterten SED-Politikern beschäftigt, stellt er sich selbst in Frage.“
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner forderte ebenfalls eine teilweise Beobachtung. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass sich die Parteien mithilfe des Verfassungsschutzes lästiger Konkurrenz entledigen wollten, schrieb er auf Twitter. Wenn aber Teile der AfD oder Mandatsträger die „liberale Ordnung offen bekämpfen, muss man sie beobachten“.
Linkspartei-Chef Bernd Riexinger hingegen ist gegen eine Beobachtung: Um zu wissen, dass Leute, die den Hitler-Gruß zeigten, kriminell seien, brauche man keinen Verfassungsschutz. Die Linkspartei möchte die Behörde abschaffen.
Symbolträchtige Bilder
Grund für die Rufe nach einem härteren Durchgreifen ist das Wochenende in Chemnitz: Dort demonstrierten am Samstag AfD-Funktionäre Seite an Seite mit Pegida und dem rechtspopulistischen Bündnis Pro Chemnitz, dazu Identitäre und Neonazi-Kameradschafter. AfD-Rechtsaußen Björn Höcke marschierte in der ersten Reihe. Es waren symbolträchtige Bilder: Nie zuvor war die Nähe der AfD zu Rechtsextremen so offensichtlich.
Die Bundesregierung, deren Teil die SPD bekanntlich ist, dämpfte am Montag die Erwartungen: Derzeit lägen die Voraussetzungen einer Beobachtung der Partei als Ganzes nicht vor, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. So hatte zuvor auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) argumentiert. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, so Seehofer, hätten zuletzt im März gemeinsam erklärt, dass es nicht genug Anhaltspunkte gäbe, die eine Beobachtung begründen würden.
Die Voraussetzungen für eine Beobachtung sind gesetzlich geregelt. Doch auch der politische Wille zählt; und hier findet ein Umdenken statt. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) teilte am Montag mit, dass der niedersächsische und der Bremer Verfassungsschutz die Nachwuchsorganisation der AfD ins Visier nähmen. Bei der Jungen Alternative handele es sich um eine verfassungsfeindliche Organisation. In Bayern beobachtet der Landesverfassungsschutz einzelne Mitglieder der AfD.
Auch in der Union gibt es Stimmen, die eine härtere Gangart wollen. Thomas Strobl, CDU-Bundesvize und Innenminister in Baden-Württemberg, hatte das bereits am Freitag angedeutet. Die AfD entwickele sich in Richtung Rechtsextremismus, sagte er. „Die Beteiligung der AfD an den Vorgängen in Chemnitz schafft neue Fakten.“ Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder sagte in der Welt am Sonntag: „Die AfD will unseren Staat angreifen.“ Sie sei eine Partei, aus der heraus Beihilfe zum Rechtsradikalismus geleistet werde.
Umfassende Politikberatung
Durch die Forderungen steigt der Druck auf Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen. Der geriet neulich schon mal wegen der AfD in die Schlagzeilen: Maaßen traf sich 2015 zweimal mit der damaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry. Zudem gab es ein persönliches Gespräch mit dem jetzigen Parteichef Alexander Gauland. Im Raum steht der Vorwurf, Maaßen habe Petry Ratschläge gegeben, wie sie eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz vermeiden könne. Maaßen weist dies zurück.
Der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner berichtete in der taz von einem Treffen mit Maaßen Mitte Juni. Brandner ist Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag. Die FDP lästerte danach, es entstehe der Eindruck einer umfassenden Politikberatung der AfD durch den Verfassungsschutz-Chef.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind