Debatte über Biden-Kandidatur: „Ich gehe nicht“
Bleibt Joe Biden der demokratische Kandidat fürs Weiße Haus? Nach dem desaströsem Auftritt des Präsidenten im TV-Duell rumort es in der Partei.
Beispiel Mittwoch dieser Woche. Die New York Times berichtet unter Berufung auf Aussagen namentlich nicht genannter Biden-Verbündeter, dem Präsidenten sei klar, dass seine Kandidatur auf der Kippe stehe, er erwäge einen Rückzug und die kommenden Tage seien entscheidend. Das Dementi des Weißen Hauses und des Biden-Wahlkampfteams kommt sofort: Totale Fake News!
Das reicht aber nicht aus, um die Gerüchte in den Griff zu bekommen, und so beruft Karine Jean-Pierre, Bidens Pressesprecherin, für den frühen Nachmittag noch ein Pressebriefing ein – das zweite innerhalb von 24 Stunden, nachdem zuvor über drei Wochen ohne Fragemöglichkeit der White-House-Korrespondent*innen vergangen waren. Es sei „absolut falsch“, was die New York Times – und zu dem Zeitpunkt dann auch CNN – berichtet hatten, so Jean-Pierre. Biden sei sich bewusst, dass seine Performance nicht gut war, aber er denke überhaupt nicht daran, seine Kandidatur aufzugeben.
Am Vorabend hatte Biden selbst vor Journalist*innen in Viginia am Rande eines Wahlkampfauftritts eine weitere Erklärung für seine Blackouts bei der Debatte veröffentlicht: Jetlag. Schließlich sei er zuvor gleich zweimal um die Welt geflogen und einfach müde gewesen.
Biden schaltet sich überraschend zu
Dass die Reisen – erst zum Gedenken an den D-Day in der Normandie und anschließend zum G7-Gipfel in Bari – zum Zeitpunkt der Debatte bereits 12 Tage zurücklagen und Biden sich fast ohne weitere Termine eine ganze Woche lang auf dem Landsitz Camp David nur auf die Debatte vorbereitet hatte, dass insofern wirklich niemand das Jetlag-Argument abkauft, dass es Biden sogar schaden würde, wenn Leute tatsächlich glaubten, ein Präsident, der einmal eine Reise unternimmt, sei danach zwei Wochen nicht mehr zurechnungsfähig – all das kommt bei Biden und seinem rund 15-köpfigen internen Beraterkreis offenbar nicht mehr an.
Nächster Schritt am Mittwoch: Videokonferenz von Mitarbeitern des Democratic National Committee, einer Art erweitertem Parteivorstand, und des Biden-Wahlkampfteams. Biden selbst schaltet sich überraschend dazu und hat folgende Message: „Lasst es mich so klar, so einfach und so geradeheraus sagen, wie ich kann: Niemand drängt mich raus. Ich gehe nicht. Ich bin in diesem Wahlkampf bis zum Ende und wir werden gewinnen.“
Erzeugt das nun Kopfschütteln über den Starrsinn eines alten Mannes, der nicht merkt, wann es vorbei ist oder Zuversicht in seine doch vorhandene Stärke? Unterschiedliche Medien berichten von unterschiedlichen Reaktionen, stets unter Berufung auf anonyme, gut informierte Quellen. Was davon stimmt, bleibt Kaffeesatzleserei.
Ein paar Stunden später: Biden trifft sich im Weißen Haus mit 20 demokratischen Gouverneur*innen. Zwölf von ihnen sind angereist, der Rest per Video zugeschaltet. Was wirklich gesprochen wurde? Anonyme Quellen, Medienberichte, Gerüchte. Offiziell treten mehrere Gouverneur*innen im Anschluss vor die Presse und versichern Joe Biden ihre volle Unterstützung.
Gleichzeitig gibt auf mehreren Fernsehsendern Adam Frisch in Interviews zu verstehen, Biden müsse unbedingt Platz machen. Frisch ist ein moderater Demokrat, Kandidat fürs Repräsentantenhaus in Colorados 3. Wahlbezirk, der zurzeit von der extrem rechten Lauren Boebert gehalten wird. Die gewann 2022 allerdings nur mit wenigen hundert Stimmen Vorsprung, kandidiert im November in einem anderen Wahlbezirk mit mehr Chancen.
Biden fällt in Umfragen hinter Trump zurück
Und so ist Frisch einer derjenigen, auf denen die Hoffnung der Demokrat*innen beruht, im November die Kontrolle übers Repräsentantenhaus zurückzugewinnen. Und die jetzt fürchten, Bidens scheiternde Kampagne ziehe auch sie in den Abgrund. Davon muss es viele geben, berichten die US-Medien – wieder unter Berufung auf anonyme Quellen.
Am Vortag war der Abgeordnete Lloyd Doggett aus Texas der erste gewählte Amtsträger, der Biden offen zum Abtritt aufforderte. Er blieb allein. Kolumnist Walter Shapiro schreibt dazu in The New Republic: „In Begriffen des Zweiten Weltkriegs ausgedrückt: Führende Demokraten signalisieren, dass sie natürlich gern die Strände der Normandie erstürmen wollen, aber sie sind geneigt, die sechste Welle der Landungsboote abzuwarten, wenn alles ein bisschen ruhiger ist und nicht mehr so viele Kugeln fliegen.“
Auch Shapiros Text, beschämend für die Demokraten, erscheint am Mittwoch. Praktisch sämtliche Meinungsbeiträge in der New York Times, im New Yorker, im Atlantic, bei Slate, Politico oder Salon.com legen Biden energisch den Rücktritt nahe. Das Editorial Board der Washington Post schreibt Biden sogar eine Rede zum US-amerikanischen Nationalfeiertag, dem 4. Juli, in der er in würdevollen, patriotischen Worten seinen Rückzug erklärt.
Am Mittwochabend erscheint eine neue Sienna/New York Times-Umfrage: Demnach liegt Biden jetzt landesweit unter Wahlwilligen („likely voters“) mit 43 zu 49 Prozent hinter Trump, drei Prozentpunkte schlechter als vor der TV-Debatte, die Biden einen Aufschwung hatte geben sollen. Unter registrierten Wähler*innen beträgt die Lücke sogar 41 zu 49. Schaffen es Biden und sein Inner Circle wirklich, all das nicht zur Kenntnis zu nehmen?
Zunächst gilt es, noch einmal zu testen – und den Nato-Jubiläumsgipfel in der kommenden Woche in Washington zu überstehen. In den vergangenen Tagen ging das öffentlich nur mit Teleprompter. Und nun? TV-Interview mit George Stephanopolus von ABC am Freitag. Einige Wahlkampfauftritte übers Wochenende, dann Pressekonferenz beim Nato-Gipfel. Was dann passiert, ist offen. Oder vielleicht längst entschieden. Von anonymen Quellen.
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