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Debatte auf der BuchmesseDie Anerkennung des absolut Bösen

Bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse sorgte Slavoj Žižek mit seiner Rede für Tumulte. Tags darauf wurden die Verbrechen der Hamas diskutiert.

Slavoj Žižek bei seiner Rede zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse Foto: Arne Dedert/dpa

Hamas ist eine islamistische Organisation. Wer das nicht wahrhaben will, versteht nicht, was vor knapp zwei Wochen im Süden Israels geschehen ist. „Kämpfer“ ist als Bezeichnung für diese Leute ein schändlicher Euphemismus. Aber selbst sie als Terroristen zu bezeichnen, ist noch dazu angetan, den Charakter ihres Verbrechens gegen die Menschheit, ihre genozidale Kampagne gegen jüdisches Leben zu vernebeln. Die Hamas-Einsatzgruppen haben ganze Familien, Junge und Alte, Großmütter und Babys ermordet, sie haben sie erschossen und bei lebendigem Leib verbrannt.

Wer meint, hier zeige sich blinder Hass, geboren aus der Unterdrückung, lügt sich in die Tasche. Und wem nichts Dümmeres einfällt, als von „Befreiungskampf“ und „Dekolonisierung“ zu reden, macht sich mit dem Verbrechen gemein.

Der Islamismus ist eine totalitäre Ideologie, parallel zum Faschismus entstanden, mit dem er wesentliche Elemente teilt. Seine Theoretiker und Anhänger hassen die Moderne, sie hassen die Emanzipation der Frauen, sie hassen Homosexuelle, sie hassen die freie Gesellschaft. Die Verkörperung und gleichzeitig Chiffre für die verhasste Moderne sind die Juden, die vernichtet werden sollen. Das Verbrechen der Hamas folgte diesem Programm.

Man darf annehmen, dass auch Slavoj Žižek das weiß, auch wenn er es in seiner Rede anlässlich der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse am Dienstag nicht erwähnt hat. Israel habe jedes Recht, sich gegen einen solchen Angriff zu verteidigen, sagte Žižek und ordnete den Massenmord in das Hamas-Programm ein, Israel zu vernichten, aber es ging ihm um etwas anderes: Wer zu analysieren und zu kontextualisieren versuche, werde dieser Tage kritisiert. Die Palästinenser seien am Eröffnungsabend der Messe nur einmal erwähnt worden.

Falsche Behauptung

Dann sagte der Theoretiker viel Richtiges, aber nichts, was nicht schon oft gesagt worden wäre über die Besatzung palästinensischer Gebiete, über das ethnonationalistische Programm der derzeitigen israelischen Regierung, die – nebenbei bemerkt – längst den Rückhalt der Mehrheit der Israelis verloren hat. Weswegen Žižeks Behauptung, nun habe die brutale und mitleidlose Attacke von Hamas innerisraelisch die Reihen geschlossen, falsch ist.

Am Mittwoch trafen sich im Veranstaltungszelt der Buchmesse auf Einladung von PEN Berlin der österreichische Schriftsteller Doron Rabonivici, der israelische, in Deutschland lebende Autor Tomer Dotan-Dreyfus und der in einem Kibbuz im Süden Israels geborene Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel zusammen, um über das Grauen des antisemitischen Pogroms zu sprechen, wie Moderatorin Esther Schapira es formulierte.

Meron Mendel hat einen Jugendfreund verloren, Kinder von Freunden wurden ermordet. Es sei vermutlich richtig, dass das Massaker kontextualisiert werden müsse, sagte Mendel. Es falle ihm aber schwer zu kontextualisieren, wenn er an den Freund denke, mit dem er früher Basketball gespielt habe. Ihn treibe etwas anderes um: „Mir fehlt gerade die Anerkennung des absolut Bösen – ohne Wenn und Aber.“

Symbole absoluter Unmenschlichkeit

Die drei Kibbuzim, die im Süden Israels zerstört worden sind, seien Symbole der absoluten Unmenschlichkeit. Deren Namen, Kfar Aza, Be’eri oder Nahal Oz, müssten für sich stehen – „ohne dass Žižek mir erklären muss, dass ich kontextualisieren soll: Über Kfar Aza, Be’eri und Nahal Oz gibt es nichts zu diskutieren.“ Doron Rabinovici bekräftigte, Hamas sei es nicht darum gegangen, die Besatzung zu beenden oder einen Kompromiss zu erzwingen. Teile der Linken hätten einen „merkwürdigen Reflex, wenn es um jüdisches Leben geht“.

In diesem Zusammenhang sagte Rabinovici einen Satz, der einigen in den Ohren klingeln müsste: „Es gibt Momente, da ist es klüger, nicht so klug zu sein.“

Einen so klugen wie leider nicht selbstverständlichen Satz hatte Žižek tags zuvor formuliert: „Wer sagt, man könne nicht für beide Seite gleichzeitig kämpfen, hat seine Seele verloren.“ Möglicherweise als Antwort darauf machte Rabinovici das Dilemma, dem sich der jüdische Staat gegenübersieht, am Beispiel von Shakespeares Shylock deutlich: „Ja, der Jude soll sein Recht bekommen. Soll ein Pfund Fleisch herausreißen, aber ohne einen Tropfen Blut zu vergießen. Wir sind gegen Kriegsverbrechen, aber ich bin froh, dass ich Schriftsteller in Wien und kein General bin.“ Sein Berliner Kollege Tomer Dotan-Dreyfus sprach von existenzieller Angst. Israel als sicherer Hafen für Juden habe es ihm erlaubt, in Berlin zu leben. Diese Gewissheit sei zerstört worden.

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14 Kommentare

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  • Können wir kontextualisieren ohne zu relativieren? Also das Schlimme und das darauf folgende Entsetzen stehen lassen in voller Größe - und zugleich anschauen, was vorher war und drum herum geschehen ist?

  • Vorab: Ich halte die Hamas für eine Art NSDAP, nur eben im lokalen kulturellen Kontext (einschließlich der Methode über Soziale Hilfen Anhängerschaft zu gewinnen). Ihr bewaffneter Arm ist für mich nur mit der Waffen-SS zu vergleichen. Genau derselbe fanatische Hasse auf die Juden, genau die gleiche Brutalität.



    Wer die Hamas schwächen will, ihre Herrschaft in Gaza beenden will, muss NEBEN militärischen Schlägen auch politische Lösungen anstreben, die der Saat der Hamas den Boden entzieht. Und da gilt es, ziviles Leid der Palästinenser so gut es geht zu vermeiden. Da muss die PLO, die eben mittlerweile ein FREIES PALÄSTINA NEBEN ISRAEL anstrebt und Feind der Hamas ist, gestärkt werden. Da muss zumindest das Westjordanland ein "Staat Palästina" werden, dem sich Gaza anschließen kann, wenn die Hamas weg ist.



    Und das, meine ich, ist im besten Interesse Israels.

  • Was mir die 'Analyse', die Zizek mit Recht fordert, so schwer macht ist die Lage der Demokraten in Israel vor diesem terroristischen Angriff der Hamas am 7.Oktober. Dass eine Regierung Netanjahu, die aus eigener Überlebensstrategie die unabhängige Gerichtsbarkeit abschaffen wollte, eben keine souveräne Vertretung des jüdischen Volks sein kann. Da kommen mitunter Zweifel, ob hier von Regierungsseite sogar eine Einladung in Richtung Hamas erfolgte, um mehr Handlungsfreiheit mit Hilfe der Armee zu bekommen. Eigentlich müsste es doch allen Strategen -auch des 'Westens'- klar dass eine Hamas allein mit einem Plattmachen der Westbank nicht ausgerottet werden kann, eher im Gegenteil, weil die Drahtzieher in Qatar und dem Iran die Lage in den Nachbarstaaten Israels weiter destabilisieren, in dem sie die Hamas als Opfer und Freiheitskämpfer für die Sache der Palästinerser aufbauen, was sie nun wirklich nicht sind.

  • Offensichtlich hat Herr Zizek Primo Levis "Und das ist ein Mensch" gelesen und verstanden.

  • Herr Gutmair, woher nehmen sie die Gewißheit, dass Zizek nicht Recht hat, wenn er von den in Israel geschlossenen Reihen spricht? Hier steht Aussage gegen Aussage.

    Es ist zweitens - ich lese seit Tagen verschiedene Onlinemedien in der BRD - vollkommen zutreffend, dass die Bevölkerung in Gaza und was diese seit Jahrzehnten im "Normalzustand" und jetzt wieder einmal im asymmetrischen Krieg durchmacht, praktisch keine Rolle spielt. Daran ist sehr viel sehr falsch. Zizek ist jemand, der auch jetzt daran erinnert, wenn alle Medien für Israel und sein Recht eintreten.

    Die toten Palästinenser haben in unserer Medienwelt weder Namen, noch Gesichter noch Geschichte. Sie sind Zahlen. Angezweifelte Zahlen. Es ist eine krasse Asymmetrie, Opferklassen die medial gar nichts miteinander gemein haben. Was sie aber in Wirklichkeit gemein haben: Es sind Menschen.



    Viele davon haben im übrigen mit Hamas nichts zu tun.

    Das muss man den medial geschlossenen Reihen deutlich entgegenhalten.

  • Am Ende eines Krieges zählt man immer die Toten. Es mehr mehr Tote auf Seite Palästinas. Dass sowohl die Hamas, als auch Hizbollah Terroristen sind, dürfte auch allgemein anerkannt sein. Dass Israel unter der Regierung Netanyahu keineswegs westliche Werte vertritt, auch das sollte klar sein. Gute Rede von Zizek.

  • Gute Analyse.

  • Es ist unstrittig, dass die Hamas eine Terror -Organisation ist und unmenschlich agiert. Aber es kann nun mal nicht negiert werden, dass die Hamas substantiell profitiert von dem jahrzehntelangen und nach wie vor ungelösten Konflikt mit den Palästinensern. Jetzt einzig und allein die israelische Sichtweise anzunehmen hieße, die Augen davor zu verschließen und islamistische Tendenzen befeuern.

    • @DaBa:

      Es gibt gerade keine Sichtweisen.

      Es gibt in ihrem Schlafzimmer ermordete Familien.

      Es gibt wahllos auf der Straße erschossene Kinder, Babys, Greise.

      Es gibt niedergemetzelte Konzertbesucher.

      Es gibt vergewaltigte und anschließend entführte Frauen.

      Da hört es auf mit Sichtweisen und Tendenzen.

      • @rero:

        Und es gibt viele Opfer durch israelische Luftangriffe. Dies auszublenden verrät eben doch eine verengte Sichtweise.

      • @rero:

        Aber Kontextualisierung hört trotzdem nicht auf. Und darauf insistiert Zizek. Manche Leute scheinen kontextuelle Analyse mit Rechtfertigung zu verwechseln. Aber wenn ich z.B. männliche Gewalt mit patrarchalen Strukturen erkläre heisst das doch nicht, dass ich damit den individuellen Gewalttäter entschuldige.

    • @DaBa:

      Auch:

      "Seine Theoretiker und Anhänger hassen die Moderne, sie hassen die Emanzipation der Frauen, sie hassen Homosexuelle, sie hassen die freie Gesellschaft."

      Exakt *null* Unterschiede zur Lehava zu Kardinal Woelki, zu den völkisch-evangelikalen Sekten in Schwaben, zur Hindutva-Bewegung, oder zu den burmesischen Buddhisten. Ja, die wollen den Staat nicht gewaltsam umstürzen, sondern durch Unterwanderung unter ihre Kontrolle bringen (bzw haben das schon). So what? Das Endziel ist die Eliminierung der "Sündigen", bei den einen wie den anderen. Jyoti Singhs Dickdarm (search at your own risk) war es nun wirklich komplett egal, ob die BJP mit Terrorismus oder durch Wahlen an die Macht gekommen war.

      Nicht nur der Islam, sondern die *Menschheit* hat ein dickes Fundamentalismusproblem.

  • Im Moment läuft alles nach dem Szenario der Hamas. Erst der barbarische Überfall, purer Terror. Nun die Antwort der Israelis. Und darauf die Reaktion der arabischen Welt. Whats next? Geht diese Spirale endlos weiter?

    Israel hat natürlich das Recht auf Selbstverteidigung. Aber, wie von der UNO angemahnt, im Rahmen des Völkerrechts.

    Am Ende ist nur eins entscheidend: Wie löst und befriedet man langfristig die Situation vor Ort? Wie schafft man dauerhaft Frieden? Die Hamas will ihn nicht. Und will auch die Annäherung zwischen Israel und der arabischen Welt nicht. Und doch folgen alle momentan dem Drehbuch der Hamas.