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Debatte Politik im BundestagDie Mini-Opposition

Stephan Bröchler
Kommentar von Stephan Bröchler

Linkspartei und Grünen fällt es schwer, sich als Alternative zur Regierung zu beweisen. Schuld ist nicht allein die Große Koalition.

Sitzung des Bundestages am 30. Juni. Die Ehe für alle wird beschlossen Foto: reuters

O pposition ist das Rückgrat der Demokratie. Ohne eine leistungsfähige Opposition im Parlament, die Kritik äußert, die Regierung kontrolliert und politische Alternativen aufzeigt, ist die parlamentarische Demokratie zum aufrechten Gang nicht fähig. Zu Beginn der 18. Wahlperiode 2013 startete die Opposition unter denkbar schlechten Bedingungen. Linkspartei und Grüne stellen gemeinsam lediglich 20 Prozent der Abgeordneten im Bundestag. Eine solche Mini-Opposition hätte kaum Rechte besessen.

Doch durch die Änderung der Geschäftsordnung des Bundestags ist die Opposition wieder weitgehend in der Lage, ihre Aufgaben wahrzunehmen: Gemeinsam können beide Fraktionen etwa einen Untersuchungsausschuss einsetzen, eine Sondersitzung des Bundestags einberufen, eine Enquetekommission einrichten oder eine Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union – nicht jedoch Verfassungsklage in Karlsruhe – führen. Dennoch ist es während der gesamten Wahlperiode den Parteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen schwergefallen, sich als starke Alternative zur Regierung zu beweisen.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Aus Sicht der Oppositionsforschung führen vor allem zwei strukturelle Gründe dazu, die Linkspartei und Grünen die Arbeit erschweren. Erstens raubt Turboregieren der Mini-Opposition den erforderlichen Raum für sachverständige Kritik, nachprüfende Kontrolle und mobilisierende politische Alternativen.

In Zeiten von schnell aufeinanderfolgenden Krisen wie Bankenkrise, Eurorettung, Migrations- und Flüchtlingskrise sowie Terroranschlägen unterliegt Regieren einem extrem hohen Problem- und Handlungsdruck. Es handelt sich um Kipppunkte des Regierens, in denen besonders schnell unter mangelhafter Wissensbasis von einem kleinen Kreis politischer Entscheider gravierende Weichenstellungen mit unklaren Folgen, oft aus einem Bauchgefühl heraus getroffen werden, um Katastrophen im letzten Moment abzuwenden.

Turboregieren suggeriert Alternativlosigkeit. Es reduziert die Entscheidungsmöglichkeiten vermeintlich auf Zustimmung oder Unregierbarkeit: Sicherheit der Bankeinlangen von Mil­lio­nen Bürgerinnen und Bürgern oder Bank Run, Finanztransfers für Griechenland oder Ende des Euro, Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge oder humanitäre Katastrophe.

Kaum Zeit für Willensbildung

Turboregieren ist aus Sicht des parlamentarischen Regierungssystems ein großes Problem. Der Opposition bleibt angesichts des Entscheidungsdrucks kaum Zeit für die notwendige Willensbildung im Parlament.

Zweitens erfährt die parlamentarische Opposition im Bundestag einen politischen Einflussverlust durch die Komplexität der Entscheidungswege im europäisierten Regierungssystem Deutschlands. Fleißige Mitarbeit der Opposition im Bundestag reicht nicht mehr aus. Denn der Bundestag ist nicht alleiniger Gesetzgeber. Regieren und damit notwendigerweise auch Opponieren geschieht vielerorts in einem unübersichtlichen verflochtenen föderalen Mehrebenensystem aus Regierungen und Parlamenten in der Europäischen Union, im Bund, in den Ländern und den Kommunen.

Doch nicht nur veränderte strukturelle Probleme erschweren die effektive Opposition. Die Bilanz der Mini-Opposition zeigt, dass hausgemachte Gründe ebenso schwer wiegen. Erstens nutzen Linkspartei und Grüne ihre Handlungsinstrumente im Bundestag zu wenig. Zwar können beide Parteien auf eine Erfolgsbilanz im Bereich Kritik und Kontrolle verweisen. In dieser Wahlperiode wurden bisher etwa 11.500 schriftliche Einzelfragen, ungefähr 3.050 mündliche Fragen und circa 3.700 Kleine Anfragen initiiert. Hinzu kommt die vergleichsweise hohe Zahl von fünf parlamentarischen Untersuchungsausschüssen.

Effektive Opposition bedeutet, die Bandbreite der Handlungsmöglichkeiten auszuschöpfen

Doch die Messlatte für eine starke Opposition liegt höher. Denn effektive parlamentarische Opposition bedeutet auch, dass die Bandbreite der Handlungsmöglichkeiten ausgeschöpft wird, um politische Alternativen zur Regierungspolitik zu entwickeln. Doch die Zahl der eingebrachten Gesetzesinitiativen im Bundestag sank.

Große Anfragen zu umfangreicheren Themenbereichen sind deutlich rückläufig. Hinzu kommt, dass in den vergangenen vier Jahren vom wichtigen Oppositionsrecht auf Einsetzung einer Enquetekommission in keinem einzigen Fall Gebrauch gemacht wurde. Schwer verständlich, denn Enquetekommissionen erschließen Handlungsspielräume für den Umgang mit bedeutsamen Zukunftsproblemen. Warum initiierten Linkspartei und Grüne angesichts der enormen Herausforderungen der Flüchtlingskrise für die kommenden Jahrzehnte keine Enquetekommission „Gestaltung der Integration“?

Macht im Bundesrat ungenutzt

Zu den selbst verursachten Problemen zählt zweitens, dass es der Linkspartei und den Grünen kaum gelang, ihre Parteibeschlüsse mithilfe des Bundesrats durchzusetzen.

CDU/CSU und SPD verfügen dort nur über 16 von 35 erforderlichen Stimmen für die Mehrheit. Aufgrund der umgekehrten parteipolitischen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat haben Landesregierungen, in denen Grüne beziehungsweise Linkspartei regieren oder mitregieren, hohe Blockademacht. Doch erstaunlicherweise findet die Blockade nicht statt. Der Vermittlungsausschuss tagte so selten wie kaum zuvor.

Im künftigen Bundestag darf sich eine Opposition nicht erneut in erster Linie auf fleißige Kritik und Kon­trolle der Regierung beschränken. Eine kraftvolle Opposition – gerade in der Auseinandersetzung mit der AfD – muss ein starkes Gewicht auf die Entwicklung politischer Alternativen, im Unterschied zu rechtspopulistischen Scheinlösungen, legen. Dafür muss sie dem Turboregieren den souveränen Umgang mit der Zeit entgegensetzen. Denn parlamentarische Opposition hat ihre eigene Taktung, die es ermöglicht, längerfristige Politiklösungen zu formulieren und programmatische Debatten als Kontrapunkt zum Turboregieren zu führen.

Zudem kann ein besseres Oppositionsmanagement helfen, Strategien und Instrumente zu entwickeln, um der Stimme der Opposition in den Parlamenten wieder mehr politischen Einfluss zu verschaffen.

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7 Kommentare

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  • "Schuld ist nicht allein die Große Koalition."

     

    Ja aber nicht nur, denn die Grünen haben sich in den letzten Jahren der CDU/CSU geradezu angedient, doch sie als Koalitionspartner mal wahrzunehmen, der Ministerpräsident Baden-Württembergs lobte Merkel und und - die Grünen eiern bei der Oppositionsarbeit selber rum und vielen Grünen geht es auch gar nicht um eine Fundamentalopposition, die eigentlich zwingend notwendig gewesen wäre, denn 80 Prozent Bundestagsmehrheit ist eigentlich das Ende von Demokratie, Debatte, Auseinandersetzung und parlamentarischem Verfahren. Aber die Grünen haben sich zu einer Partei entwickelt, die ähnliche Strukturen und Hierarchien aufweist, wie die anderen Parteien auch. Das ist bei den Linken auch so: Obwohl sie in Parlamenten sich viel abreiben, ohne Reibungsenergie zu erzeugen. Auch die Linke ist eine hierarchische und bider wirkende Truppe mit exzentrischen Leuten zum Teil, aber die Linke organisiert eben auch nicht den Aufschrei gegen eine demokratische Regierung, die kein Parlament mehr nötig hat. Man kann nur beten, dass diese Koalition jetzt vorbei ist und so schnell keine neue entsteht. Und Grüne und Linken müssen in so einem politischen Klima sich wirklich extrem mobilisieren, um die alten Ergebnisse zu halten.

  • Ich würde die formalen Gründe nicht so hoch ansetzen wie diese Studie.

    Es fehlen auch klares Denken, radikale Forderungen und die entsprechenden Persönlichkeiten, die Opposition glaubhaft vorbringen könnten. Vorschläge ohne ideologische Scheuklappen, z.B. allgemeiner Mietenstopp, die Vergesellschaftung des Eigentums von Spekulanten, die Einbürgerung von Snowden, den Rausschmiss von Ungarn, eine internationale Kampagne für Freiheit und Menschenrechte in Russland mit weit über 50 getöteten Journalisten.

    Der Handel mit der Diktatur in der Türkei muss gestoppt werden.

    Allein die entfernte Möglichkeit, dass

    die Grünen mit Lindner zusammengehen könnten, einem Mann, der gerade seine ukrainische Großmutter verkauft hat, dreht einem den Magen um.

    Leute drängen sich in den Parteien vor, die profillos und langweilig sind. Verglichen mit den starken grünen und sozialdemokratischen Frauen und Männern der Vergangenheit hat man das Gefühl, sich bei einer geschwätzigen Denkfabrik und labernden Technokraten verirrt zu haben.

    Wir haben eine stark alternde Bevölkerung, die im Parlament keine Vertreter hat; die Geizkragen hatten Schäubele, aber wen haben solidarische Menschen? Sollen sie alle an ihrem Spätzle ersticken, wir haben damit nichts zu tun.

  • Danke, Stephan Bröchler, dass Sie der deutschen Sprache ein neues Wort geschenkt habe: Den Begriff „Turboregieren“ habe ich nämlich weder im Duden, noch bei Wikipedia gefunden.

     

    Danke deshalb besonders für Ihre mitgelieferten Begriffsdefinitionen:

    1. „Erstens raubt Turboregieren der Mini-Opposition den erforderlichen Raum für sachverständige Kritik“, 2. „Turboregieren suggeriert Alternativlosigkeit“, 3. „Turboregieren ist aus Sicht des parlamentarischen Regierungssystems ein großes Problem“, 4. „Dafür muss sie (=die Opposition) dem Turboregieren den souveränen Umgang mit der Zeit entgegensetzen“, 5. „…und programmatische Debatten als Kontrapunkt zum Turboregieren zu führen“.

     

    Von „Turboregieren“ spüre ich bei der GroKo nichts. Im Gegenteil: Wird der Regierung nicht viel häufiger „Verschleppungstaktik“ vorgeworfen? Wäre es nicht Pflicht der Opposition, dem ein „Turbo-Opponieren“ entgegenzusetzen?

    Und überhaupt ist zu bedenken: All die Rechte, die eine Opposition hat, werden demnächst schlimmstenfalls auch der AfD zur Verfügung stehen! Oder aber RRG kommt an die Regierung und die CDU/CSU entfaltet eine „effektive Opposition“: Was dann?

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Problem der Linkspartei sind die alten Zöpfe und das Wagenknechtsche Phrasieren. Dennoch ist diese Partei die einzige verbliebene Opposition gegen die neoliberale Ideologie der Mitte. Von Corbyn könnte man da lernen, wie ein Kompromiss ausfällt, der breitenwirksam wäre. Die Linkspartei hat sich immer noch nicht als Besitzstandwahrer der Sozialdemokratie begriffen und so kann auch der Wähler sie nicht als solchen begreifen. Kritische Medien könnten ja bei der Analyse & Reflexion helfen, aber wo sind die jenseits von nd, WOZ et al.?

  • Die Grünen sind doch keine Opposition. Kretschmann betet für Merkel. Dieselgate oder sichere Herkunftsländer, die Grünen stimmen in ihrer Mehrheit doch für die Regierung! Grüne Mandatsträger laufen zur CDU über.

    • @Reinhard Muth:

      Seit wann werden Die Grünen, vor allem jene im Bundestag, durch Kretschmann personifiziert? Die Bundestagsfraktion der Grünen hat sich durchaus oft und lautstark in und außerhalb des Parlaments als Oppositionspartei zu Wort gemeldet, vor allem Anton Hofreiter. Aber statt zu differenzieren, ist es natürlich einfacher alles auf "Die Grünen wollen mit der CDU regieren" zuzuspitzen.

  • Opposition ist nix, wenn sie nicht auch in den Medien stattfindet. Deutsche Medienlandschaft ist eine einzige Gro-Ko mit nahtlosem Übergang zu Schwarz-Gelb (z.B. faz), Schwarz-Grün (z.B. taz) oder Jamaika (ebenfalls taz).

     

    BTW, die Grünen sind keine Opposition - sie befinden sich seit Jahren in der Bewerbungsphase um eine Regierungsbeteiligung an der Seite der Union.