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Sven Giegold über die Grünen und Protest„Das ist politische Feigheit“

Der Grünen-Europaabgeordnete und Attac-Mitgründer Sven Giegold übt scharfe Kritik an seiner eigenen Partei: Es fehle Widerstand gegen Camp-Verbote.

Ist das noch Demokratie oder kann das weg? Foto: dpa
Malte Kreutzfeldt
Interview von Malte Kreutzfeldt

taz: Herr Giegold, ausgerechnet im rot-grün regierten Hamburg gibt es eine riesige Demo-Verbotszone, Schikane gegen politische Camps und Wasserwerfer-Einsätze gegen Straßenpartys. Wie kann das sein?

Sven Giegold: Ich habe dafür kein Verständnis. Eine demokratiefreie Zone von 38 Quadratkilometern ist eines demokratischen Staates unwürdig. Friedlicher Protest muss erlaubt sein. Eine wehrhafte Demokratie muss gegen Gewalt vorgehen, aber genauso konsequent die Bürgerrechte achten und zivilgesellschaftliches Engagement fördern. Weniger vermögende Demonstranten, die auf Camps angewiesen sind, gehören genauso zum Gipfel wie die Staatschefs, die in den Luxushotels residieren.

Von prominenten Grünen ist bisher aber kaum Kritik zu vernehmen.

Das stimmt leider. Von den Grünen auf Bundesebene und in Hamburg kommt hier viel zu wenig. Aber auch die sonst so laute Spitze der Linkspartei ist erstaunlich still. Während sonst zu allem und jedem getwittert wird und Pressemitteilungen verschickt werden, fehlt bisher wirklich laute Kritik an den Camp-Verboten und der Demonstrationsverbotszone. Die Parteien versagen kollektiv bei diesem Stresstest für unsere Demokratie. Ich vermisse demokratische Haltung. Gerichte müssen im Eiltempo Entscheidungen treffen, während sich die Politik ihrer Verantwortung entzieht. Es ist die Aufgabe von Parteien für eine lebendige Demokratie zu sorgen, nicht sich hinter Gerichten zu verstecken.

Was hätten die Hamburger Grünen denn Ihrer Meinung nach tun sollen? Die Koalition verlassen?

reuters
Im Interview: Sven Giegold

gehörte im Jahr 2000 zu den Attac-Mitbegründern. 2008 trat er den Grünen bei und sitzt seit 2009 für seine Partei im Europaparlament. Der Ökonom gilt als Wirtschafts- und Finanzexperte der Grünen-Fraktion im EU-Parlament.

Natürlich nicht, damit würden ja die vielen grünen Erfolge in Hamburg gefährdet. Aber sie könnten Druck auf die SPD ausüben und einen Kompromiss im Streit um die Protestcamps aushandeln. Die Entscheidung der Hamburger Grünen die Messehallen als Tagungszentrum abzulehnen ist richtig, aber kommt leider viel zu spät. Das hat nun nur noch symbolischen Wert.

Woran liegt die Zurückhaltung?

Die Stille der Parteispitzen ist politische Feigheit. Offenbar fürchten alle, für mögliche Gewalttaten mitverantwortlich gemacht zu werden. Demokratie lebt aber nicht von Feigheit, sondern von Mut. Man kann nicht wegen möglicher illegaler Handlungen, alle friedlichen Aktionen gleich mit verbieten. Es ist zum Beispiel nicht hinnehmbar, dass alle drei von Attac angemeldeten Aktionen nicht genehmigt werden. Attac steht für eine kritische, aber friedliche Auseinandersetzung mit der Politik der G20. Zum Glück gibt es aber auch hoffnungsvolle Zeichen.

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G20 in Hamburg

Am 7. und 8. Juli treffen sich in Hamburg die Staatschefs der größten Industrie- und Schwellenstaaten zum G20-Gipfel. Die taz berichtet dazu in einem laufend aktualisierten Schwerpunkt und ab dem 1. Juli mit täglich 8 Sonderseiten.

Hamburger Kirchengemeinden, Theater und Vereine retten gerade den weltoffenen Charakter der Stadt, indem sie die Demonstranten auf ihrem Gelände übernachten lassen. Während die Sperrzone für Demonstranten ein demokratisches Armutszeugnis ist, zeigen die Kirchen und Theater, wie lebendige Demokratie geht.

Lohnt sich der ganze Aufwand denn wenigstens? Bringt der Gipfel etwas?

Ich finde gut, dass die Staatschefs der G20 überhaupt miteinander reden. In diesen unsicheren Zeiten ist das dringend nötig. Aber die Politik der G-20 macht wenig Hoffnung auf die notwendige demokratische Kontrolle der Globalisierung. Der EU-Japan-Handelsvertrag ist ein Fehlstart für den G20-Gipfel, denn er wiederholt die gleichen sozialen und ökologischen Fehler, die den Freihandel als Ganzes in Bedrängnis gebracht haben. Das darf nicht die Handelspolitik sein, für die Europa beim G20-Gipfel eintritt. Auch beim Klimaschutz müssen die übrigen Staaten Härte gegenüber Trump beweisen. Innerhalb der G20 sollte gelten: Ohne Klimaabkommen kein Handelsabkommen.

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9 Kommentare

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  • Schlafentzug

    als Waffe des Rechtsstaats.

    ...

  • "Natürlich nicht, damit würden ja die vielen grünen Erfolge in Hamburg gefährdet."

     

    Frage mich gerade, welche er damit meint.

  • Schön, dass wenigstens ein Grüner die Wahrheiten benennt.

    Die HH Grünen sind vollkommen in der Versenkung verschwunden, aber das kennt man ja bei den Oberrealos von der Elbe.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Wie war noch mal das Grüne Wahlkampfmotto? Zukunft wird aus Mut gemacht! Aber nicht, wenn dadurch etwa die Hardliner der CDSU erschreckt werden, gell Cem?

  • Die Spitzen der Linkspartei haben übrigens direkt und klar Stellung bezogen gegen das Campverbot. (Siehe z.B. hier: https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Grote-Keine-Uebernachtungen-in-G20-Protestcamps,gipfeltreffen498.html). Die Grünen versuchen sich wohl eher bei der Bundestagswahl über die 5%-Hürde zu schweigen. Lieber die Klappe halten und es sich nicht mit den eigenen konservativen Wählermilieaus verscherzen...

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @Malte Malte:

      Wenn die nicht bald gerisen wird, die Hürde. Wer seine Kernkompetenzen leichtfertig verspielt, verprellt die Kernwähler ...

  • Demokratiefreie Zone? Gibt es nun auch eine Tendenz zum Niedrigenergiehirn?

  • Hamburg ist Rot-Grün regiert und zickt mit den Camps so rum. Man stelle sich vor CDU oder Erdogan hätten sich das geleistet, was die Hanseaten-Grünen und Sozialdemokraten da mittragen. Dann wäre das Geschrei groß und alle vereint würden die Faust erheben und mit den Demonstranten rumposen.

     

    Das gleiche bei Friedel54, in Berlin mit R2g Senat, und die Polizei greift gegen den Kiez-Laden durch.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Danke, Herr Giegold für den Verscuh einer Kritik. Es gibt allerdings deutlich weniger ausreichende Gründe eine Koalition zu verlassen, als das Beharren auf die Einhaltung von grundrechtlichen Mindeststandards. Dies gerade auch im Angesichts von Verbrechern und Demokratieverächtern, wie Putin, Erdogan oder Trump. Und man muss nicht über jedes Hölzchen springen, das einem eine offenbar von der eigenen Bedeutung machtberauschte und durchgeknallte SPD hinhält.

    Um es klar zu sagen: Dieser Gipfel genannte Potentatenstammtisch hätte niemals in Hamburg stattfinden / genehmigt werden dürfen. Schon um der Bürger willen, die zu 70-80% dagegen sind, deren Stadt es ist und in deren Interesse die SPD oder auch die Grünen vorgeben, Politik zu machen. Hoffentlich kriegen vor allem auch letztgenannte für diese Demokratieverächtung die Quittung.