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Debatte G20-Gewalt und die LinkeGewaltanwendung kann links sein

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Diskussionen, wer links ist und wer nicht, bringen nichts. Klar ist aber: Die Gewaltfrage gehört zur Linken – und zwar schon immer.

Szene aus dem Schanzenviertel vom 7. Juli 2017 Foto: dpa

S ie kamen in die Stadt und waren wütend. Irgendwann warfen Vermummte Steine, Autoreifen brannten, Feuerwerkskörper explodierten, Polizisten wurden verletzt. Trotzdem hielt sich die öffentliche Empörung in Grenzen. Distanzierungen der SPD, der Grünen oder der Linkspartei sind nicht bekannt. Als einem der mutmaßlichen „Rädelsführer“ zwei Jahre später unter anderem wegen Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beihilfe zur Nötigung der Prozess gemacht werden sollte, erklärte die IG Metall, Gewalt sei zwar keine Lösung, das Verfahren sollte aber trotzdem eingestellt werden: „Polizei und Staatsanwalt werden in einem vereinigten Europa lernen müssen, konstruktiv und verständnisvoll mit den unterschiedlichen Protestkulturen umzugehen.“

Der für deutsche Verhältnisse gewöhnungsbedürftige Aktionismus der rund 170 Gewerkschafter aus Belgien, die 2012 vor der Europazentrale von Ford in Köln gegen den drohenden Verlust ihrer Arbeitsplätze protestierten, lässt sich nicht mit dem Vandalismus randalierender Hohlköpfe während des G20-Gipfels vergleichen. Das Beispiel der belgischen Malocher zeigt jedoch, dass die Gewaltfrage nicht immer ganz so leicht zu beantworten ist – selbst für jene, die sich nicht zur radikalen Linken zählen.

Die Krawallinskis von der Schanze seien „bescheuert, aber nicht links“, hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz verkündet. Da ist was dran. Allerdings ließe sich darüber streiten, ob das nicht auch für Befürworter der Agenda 2010 oder von deutschen Kriegseinsätzen im Ausland gilt – zumal das eine wie das andere sicher weit gravierendere Verwüstungen mit sich gebracht hat.

Apodiktische Aussage von Martin Schulz

Doch Diskussionen, wer nun links ist und wer nicht, sind wenig hilfreich. Interessanter ist die apodiktische Aussage von Schulz, Linkssein und Gewaltanwendung schlössen sich gegenseitig aus. Ähnliches ist dieser Tage auch aus den Reihen der Grünen und der Linkspartei zu hören. Die Behauptung ist aber falsch. Selbstverständlich kann Gewaltanwendung links sein – und zwar nicht nur in einer demokratiebedrohenden gesellschaftlichen Ausnahmesituation, für die im Grundgesetz ein Widerstandsrecht festgeschrieben ist.

Als 2016 in Frankreich aus Protest gegen die Arbeitsrechtsreform des damaligen Präsidenten François Hollande Barrikaden vor Raffinerien und Häfen brannten, war diese Militanz französischer Gewerkschafter selbstverständlich links. Ob sie angemessen und sinnvoll war, ist eine andere Frage, die traditionell dies- und jenseits des Rheins unterschiedlich beantwortet wird.

Die Gewaltfrage gehört von jeher zur Linken – auch in Deutschland. Selbst in der Sozialdemokratie über sie einst leidenschaftlich disputiert. Etwa in der legendären „Revisionismusdebatte“, in der Eduard Bernstein, Karl Kautsky und Rosa Luxemburg Ende des 19. Jahrhunderts darüber stritten, auf welchem Weg die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu erreichen ist.

Angesichts des Wegs des Kaiserreichs in den Ersten Weltkrieg dürfte es wohl eher als historisches Unglück gesehen werden, dass sich Luxemburg mit ihrer revolutionären Position nicht durchgesetzt hat. Gleiches gilt für das Agieren der SPD-Parteiführung am Ende der Weimarer Republik, die nicht dazu aufrief, mit der Waffe in der Hand die Demokratie gegen den Faschismus zu verteidigen.

Es ist reichlich absurd, in einer Demokratie über revolutionäre Gewalt zu schwadronieren

Mit den Verhältnissen in der Bundesrepublik hat das alles allerdings nichts zu tun. Es ist reichlich absurd, in einer Demokratie über revolutionäre Gewalt zu schwadronieren. Auch von einer Situation, die gewaltförmigen Widerstand im Sinne des Grundgesetzes rechtfertigen würde, ist dieses Land weit entfernt. Doch das bedeutet keineswegs, dass Diskussionen über Protestformen keine Berechtigung mehr hätten.

Die Einhaltung der Straßenverkehrsordnung ist nicht zwingend, wenn es darum geht, Unbehagen über Missstände zu artikulieren. Mag so mancher Politiker, Journalist oder Staatsanwalt eine Sitzblockade immer noch für Gewalt halten, bleibt sie doch ein legitimes Mittel zivilen Ungehorsams.

Seit „68“ gehört die begrenzte Regelverletzung zum linken Protest­repertoire in der BRD. Wie weit sie gehen darf, war damals schon innerhalb der APO heftig umstritten. Die Formel, dass „Gewalt gegen Sachen“ zulässig sei, „Gewalt gegen Personen“ jedoch nicht, wurde in weiten Teilen der Studentenbewegung zum Common Sense.

Herumliegende Pflastersteine

Nach dem von der Springer-Presse herbeigeschriebenen Mordanschlag auf Rudi Dutschke flogen die ersten Molotowcocktails, die Bewegung wurde immer militanter. Höhe- und Wendepunkt war die „Schlacht am Tegeler Weg“ am 4. November 1968 in Westberlin, bei der mehr als tausend behelmte Studenten gemeinsam mit einer Rockergruppe die Polizei angriffen. Die Bilanz: 130 verletzte Polizisten, 22 verletzte Demonstranten und, ein Journalist hat sie gezählt, 2.371 herumliegende Pflastersteine. An diesem Tag sei der „Mythos der Militanz“ geboren worden, konstatiert der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar.

Der damalige SDS-Aktivist und Dutschke-Freund Christian Semler, der kräftig mitgeworfen hatte, resümierte 40 Jahre später selbstkritisch, die APO-Gruppen seien einer fatalen Selbsttäuschung aufgesessen und hätten sich in ein „Gewaltdilemma“ manövriert. Die „Schlacht am Tegeler Weg“ habe der „prekären Unterscheidung von Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen ihre ethische Komponente“ entzogen. Denn sie habe gezeigt, dass diese differenzierte Definition von Gewalt nicht durchzuhalten sei. Es war das Ende der anti­autoritären Bewegung.

Die Fetischisierung von Gewalt innerhalb eines – wenn auch nur kleinen – Teils der Linken war damit jedoch keineswegs beendet. Ein zivilisatorischer Gewinn ist das allerdings nicht. Der Militanzkult hat die Republik nicht zu einer besseren, gerechteren gemacht, sondern soziale Bewegungen geschwächt. Darüber zu diskutieren ist nicht erst seit Hamburg notwendig – jenseits irgendwelcher Distanzierungsrituale.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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45 Kommentare

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  • "Der Militanzkult hat die Republik nicht zu einer besseren, gerechteren gemacht, sondern soziale Bewegungen geschwächt."

     

    Wenn Herr Beucker unter "Militanz" die allgegenwärtige nahezu ausschliesslich gegen Linke gerichtete Polizeigewalt verstehen, stimme ich zu. Auch läßt sich "Militanz" in der Gleichgültigkeit erkennen, mit der die Behörden die stetig steigenden Zahlen ertrunkener Flüchtlinge zur Kenntnis nehmen oder die stetig steigende Zahl derer, die in diesem Land unter die "Armutsgrenze" rutschen, dann aber aus den Socken fahren und den ultimativen Notstand ausrufen, wenn irgendwo in der Republik ein paar Autos qualmen oder ein paar Scheiben klirren. "Militanz" ist letztlich nur eine Frage der Definition.

     

    OHNE die "Militanz" der Umweltbewegung der späten siebziger und achtziger Jahre, zu der auch das Niederreissen von Bauzäunen, Besetzen von Bauplätzen, und die Störaktionen an der WAA-Baustelle und den Castortransporten zählen, würden heute hundert oder mehr AKW in Deutschland laufen und NIEMAND würde einen Ausstieg ernsthaft in Erwägung ziehen! Und tun wir mal nicht so, als wäre das Ganze genauso gewalttätig abgegangen, hätte die "Staatsmacht" und die Konzerne, denen sie vorranigig zu dienen scheint, nicht sämtliche Register gezogen, um die Mitglieder der Anti-AKW-Bewegung auf jede nur erdenkliche Art und Weise zu kriminalisieren.

     

    Das gleiche Schema läßt sich mühelos auf die Gegenwart übertragen. Protestcamps sind plötzlich "Brutstätten terroristischer Gewalt" und werden rigoros und ohne Rechtsgrundlage "verhindert". Das Tragen von Sonnenbrillen gilt plötzlich als "Vermummung" und "Vorbereitung schwerer Straftaten", eine kleine Gruppe inmitten tausender Demonstranten eicht aus, allen Teilnehmern ihre Grundrechte abzuerkennen und die Versammlung aufzulösen. Aber nur, wenn es sich um eine linke Versammlung handelt. Bei rechtsextremen Aufmärschen werden Sonnenbrillenträger von der Polizei hordenweise "übersehen".

  • En passant & by the way.

     

    Waten Larm inne Buod!

    Ein schöner Aufriß & wunderbar kontroverse Beiträge - & Auch klar -

    Den Stein der Weisen hett niemands

    Inne Däsch.

    Etwas kurz kommt in der tour d' horizont - der deutsche Sonderweg -

    Sozialpartnerschaft als Folie der Eineertung. In diese unreflektierte

    Falle tappt auch Pascal Beuker hie&da.

    &

    Für SPezialDemokraten ala

    Mr. Helmet van Würselen aka Schulz -

    Sei ergänzt - Es war kein Geringerer als Willy Brandt - doch doch -

    (Foto grad Martin Strahlemann händeringend mit Willy sidekick!;)

    Ja. Daß Willy mal gegen die

    Vereinigten Reaktionäre -

    "Dann wird auch mal Geholzt" setzte!

    Der Sturm im FAZ/WELT/LÜGT- et al. Blätterwald - herrlich verlogen!

     

    &Schlicht - Peinlich!

     

    "@RAINER B. Nun ja, nicht jedem ist es gegeben, den Sinn eines Textes zu erfassen. Belassen wir es also dabei. Schönen Tag noch."

     

    Sorry - Aber bei aller Wertschätzung! Wenn ich bedenke - schonn -

    Was Sie hier manchmal so verzapfen -

    "Desch ist under Ihrem Niveauoo!"

    kurz - Geht gar nicht! & -

    Schönen Tag auch!

    • @Lowandorder:

      Ich kann mich da leider nur selbst zitieren:

      „Nicht jeder Text transportiert einen Sinn und nicht jeder Text transportiert den Sinn, den sein Autor vielleicht mal im Sinn hatte.“

      Gerade Ihnen müsste das doch eigentlich längst schon mal aufgefallen sein.

      • @Rainer B.:

        ???

         

        (Danke wg erneute Erinnerung Lichtenberg - "seine Kinder aber sagten

        Vater du wirst alt!;) ~>schon ming Ohl

  • Herzlichen Dank, lieber Herr Beucker, für diesen sachlichen Kommentar. Ich hatte es fast schon nicht mehr für möglich gehalten, dass dies Thema ohne rein emotionale Reflexe in Ruhe zur Sprache gebracht wird.

    Sieht man sich die Leserkommentare an, dann fällt auf, dass viele Leute hier noch nicht mal den Artikel zu Ende lesen und stattdessen auf emotional besetzte Stichworte spontan und heftig reagieren.

    Eine sehr aufgeheizte Atmosphäre in der es kaum machbar scheint Andere zum Lesen und Nachdenken zu animieren. Kein Wunder.

    Schönen Gruß noch von den Hündchen eines gewissen Herrn Pavlow, soll ich ausrichten.

    • @LittleRedRooster:

      Na Mahlzeit

       

      "…Schönen Gruß noch von den Hündchen eines gewissen Herrn Pavlow, soll ich ausrichten."

      Schön passend - dieses immer wieder wohlfeil&hier bemühte Hündchen -

      Stockholm hin oder her -

      Ist längst widerlegt &

      Wie Heinz von Foerster dazu spöttisch

      Angemerkt hat - ohne Popelpreis!;))

      kurz - Immer schön - wenn frauman seine eigenen Vorurteile bedienen kann.

      &nochend -

      "Wenn ein Buch gegen einen Kopf -

      Stößt & es klingt hohl -

      Muß nicht am Kopf liegen!"

      Hat Kurt Tucholsky klug mal angemerkt.

      Das gilt für das hier verhackstückte Elaborat des Herrn Beuker wie die Kommentare gleichermaßen!

      Soweit mal in aller Bescheidenheit - gell!

      • @Lowandorder:

        Nur so am Rande: Auch dieses Tucholsky Zitat stammt ursprünglich von Georg Christoph Lichtenberg. Der lebte von 1742 bis 1792 und kann deshalb von Tucholsky gar nicht abgeschrieben haben.

  • Das Problem ist, dass "links" kein geschützter Begriff ist.

     

    Jeder kann sich selbst einen Reim darauf machen, was er für "links" hält, und es gibt auch keinen gesellschaftlichen Konsens, auf den sich eine (gefühlte) Mehrheit innerhalb des linken Lagers stützen könnte. Dazu sind die Linken zu heterogen. Wenn Einer meint, das "Schweinesystem" durch körperliche Attacken auf seine "Schergen", "Profiteure" und deren Statussymbole zu "bekämpfen", sei "links", dann ist das halt so.

     

    Die Meinung dieses einen Chaoten mag man teilen oder nicht, aber sie zählt genau so viel wie die anderslautende Einschätzung besonnenerer Zeitgenossen. Das ist das Wesen von Demokratie und Meinungsfreiheit (es gibt natürlich auch Menschen, die mit nicht ganz schlechten Argumenten die Meinung vertreten, dass Demokratie und Meinungsfreiheit sich mit kollektivistischen linken Gesellschaftsmodellen eigentlich nicht vertragen...).

     

    Es gibt kein linkes Äquivalent zum Papst oder zum Verfassungsgericht, dass für sein Gebiet Deutungshoheit beanspruchen kann. Das letzte Wort, was links ist und was nicht, hat daher immer das Individuum.

  • Ich hab den Artikel nicht zu Ende gelesen. Wenn der so anfängt:

     

    "Der für deutsche Verhältnisse gewöhnungsbedürftige Aktionismus der rund 170 Gewerkschafter aus Belgien, die 2012 vor der Europazentrale von Ford in Köln gegen den drohenden Verlust ihrer Arbeitsplätze protestierten, lässt sich nicht mit dem Vandalismus randalierender Hohlköpfe während des G20-Gipfels vergleichen."

     

    Steineschmeissende Gewerkschaftler = ok. Nichtorgansierte Steineschmeisser = schlecht. Hä?

  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    Gewalt kann nicht links sein, zumindest nicht, wenn mensch einer kantianischen Logik folgt:

     

    Wer Gewalt zu seinem Mittel macht, gesteht auch allen anderen Menschen Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Forderungen zu.

     

    Das führt zu einer Gesellschaft, in der das "Recht des Stärkeren" herrscht und Schwache dementsprechend nichts zu sagen haben. Das kann nicht links sein!

     

    Natürlich muss in Diktaturen über diese Frage anders diskutiert werden.

     

    Ansonsten gilt: " Es ist reichlich absurd, in einer Demokratie über revolutionäre Gewalt zu schwadronieren. Auch von einer Situation, die gewaltförmigen Widerstand im Sinne des Grundgesetzes rechtfertigen würde, ist dieses Land weit entfernt.

  • Definition Links ist so vielfältig und oft grundsätzlich verschieden, dass es eigentlich nicht lohnt, sich darüber Gedanken zu machen, was Links darf und was nicht.

    Mein Verständnis: Ich möchte in keiner Gesellschaft leben, die mit linker Gewalt gegen alles vorgeht, was sich der Errichtung einer "gerechteren Welt" in den Weg stellt. Das Jakobinertum ist auch ein Bekenntnis zu allem was dann folgt. Genauso wenig möchte ich in einer Welt leben, wo sich Links nur noch mit der Farbe Rot schmückt, wie eben jetzt. Das ist aber nur meine persönliche Ansicht und Links eben nur ein Wort, eine Hure.

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @lions:

      "Links eben nur ein Wort, eine Hure"

       

      Gleiches gilt für das Wort "Gerechtigkeit"! :)

      • @74450 (Profil gelöscht):

        Steht doch schon in Anführungszeichen.

  • Wenn sich die Gewaltfrage in einer Demokratie grundsätzlich gar nicht stellt, wieso wird sie dann ständig gestellt?

     

    Und wenn die Schwelle zum Widerstandsrecht momentan gar nicht überschritten ist, mit wem bitteschön und zu welchem Zweck soll man dann hier eigentlich noch über die Gewaltfrage diskutieren?

     

    Also was sollte das werden? Luftgitarrenkurs für Linkshänder?

    • @Rainer B.:

      "Wenn sich die Gewaltfrage in einer Demokratie grundsätzlich gar nicht stellt, wieso wird sie dann ständig gestellt?"

       

      Diese Frage wird doch gar nicht ständig gestellt.

       

      Auch 'Welcome to Hell' in Hamburg hatte doch nicht die 'Schwelle zum Widerstandsrecht' - wie Sie sagen - überschritten. Es war eine militante Antifa Show - sonst nichts.

      • @Klaus Bloemker:

        Darüber ließe sich durchaus ernsthaft diskutieren, wenn man das Ergebnis so einer Diskussion nicht ständig vorwegnehmen würde.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Der Artikel ist weit differenzierter als die meisten zu diesem Thema, dafür erst einmal danke.

    Aber ich halte den Gewaltbegriff immer noch für verkürzt. Wenn es linke Parteien gibt, dann gibt es auch linke Gewalt. Die Polizei bittet schließlich nicht um die Einhaltung von Gesetzen.

    Wer sich als demokratisch versteht und wählen geht, legitimiert damit dann auch die angemessene Gewaltanwendung durch die Exekutive. Das selbst dann, wenn das Gesetz nicht der eigenen Erwartung von Gerechtigkeit entspricht. Relevant ist der demokratische Prozess. Zumindest, wenn man Habermas-Anhänger ist.

    Gewalt wird allerdings nicht gewaltlos, nur weil vorher darüber beraten wurde. Wenn es linke Politik gibt, dann gibt es auch linke Staatsgewalt.

    Sitzblockaden sind passive Gewalt, genauso wie ein Schloss passive Gewalt ist oder eine Mauer (bzw ein Zaun mit Nato-Draht).

    Ich halte die Beschönigung der "gewaltlosen" Demokraten für strategisch-ideologisch, aber nicht für ehrlich.

    "Niemand ist unschuldig" (Derrida) passt auch in diesem Zusammenhang.

     

    Anmerkung: Das ist keine Absage an die Demokratie.

    • @85198 (Profil gelöscht):

      Nur kleiner Einwurf: Demokratie ist NICHT zwingend mit Gewaltenteilung, Gewaltmonopol und Legitimation fürs Delegieren von allem möglichen an "den Staat" verbunden.

      Art. 20 (2) GG lautet "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.". Der stillschweigend in manchen oder vielen Politiker- und Bürgerköpfen angehängte Nachsatz "und sonst durch gar nichts" findet sich nicht im GG, ebenso keine Verpflichtung, Bahnsteigkarten zu lösen, Lampen zu putzen oder eine Marktwirtschaft zu haben.

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @Da Hias:

        Hab das ehrlich gesagt nicht verstanden.

         

        "Demokratie ist NICHT zwingend mit Gewaltenteilung, Gewaltmonopol und Legitimation fürs Delegieren von allem möglichen an "den Staat" verbunden."

         

        Hab ich nirgendwo auch nur im Ansatz behauptet, sondern nur konstatiert, dass Gesetze durchgesetzt werden.

         

        Das GG definiert auch nicht, was Demokratie ist (wenn Demokratie "ist"). Das ist zuerst eine theoretische Frage, deren Beantwortung auch ohne (z.B.) den Volksbegriff geschehen kann.

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      In diesem Sinne stand in Hamburg rot-grüne Polizeigewalt gegen die rot-braune Gewalt der Hooligans.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Gewalt kann von allen Empörten auf jeder ideologischen Basis ausgehen. Bei den Nazis und sonstigen per se menschenfeindlichen Ideologien ist sie allerdings Programm, bei den anderen hingegen allenfalls Begleiterscheinung oder vermeintliches Mittel zum Zweck.

    • @849 (Profil gelöscht):

      Da irren Sie.

      Alle Politikvorstellungen haben immer das Paradies als Ziel (auch die Nazis). Gewalt ist immer nur ein Mittel - und dies umso mehr als die Anhänger einer Politik von sich glauben sie wären die Guten und die anderen böse (=wollen die Erreichung des Paradieses verhindern) .

       

      Im übrigen ist es völlig irrelevant ob Gewalt nun Mittel oder Ziel ist. Sie ist in jedem Fall abzulehnen und eine Ideologie, die für die Erreichung ihrer Ziele Gewalt benötigt ist damit schon mal disqualifiziert bzw. abzulehnen.

      Genau wie die Methoden Stalins oder Maos ist auch der Nationalsozialismus abzulehnen, weil die jeweiligen Ziele nur um den Preis von Millionen Toten zu erreichen sind. Ob diese Ziele überhaupt sinnvoll, vernünftig, nachvollziehbar oder überhaupt nur erreichbar sind, ist damit dann völlig egal.

       

      Ob die Steinewerfer von Hamburg überhaupt eine demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaft anstreben ist ja mehr als zweifelhaft. Wenn man die angewandten Mittel sieht ist die Diskussion darüber auch schon zu Ende - weil überflüssig.

      • 8G
        849 (Profil gelöscht)
        @Werner W.:

        "Alle Politikvorstellungen haben immer das Paradies als Ziel (auch die Nazis)."

         

        Da irren Sie. Die Nazis haben eine Utopie, zu deren Umsetzung es erforderlich ist, angeblich "nichtarische" umzubringen oder sich gefügig zu machen. Von Paradies kann ich da nichts erkennen.

         

        Gewalt ist zudem bekanntlich nicht allein brachial. Es gibt sie in vielerlei Form, u.a. strukturelle Gewalt. Es ist auch eine Art Gewalt, nämlich Staatsgewalt, wenn Reiche mehr Steuern zahlen müssen. Das bekommt der Staat nicht dadurch hin, dass er recht herzlich bittet, sondern indem er sein "Gewaltmonopol" anwendet.

  • Ein Artikel, der wegen seiner Bodenhaftung besonders gut und differenziert ist.

     

    Redakteure, die den Austausch mit den Kommentatoren suchen, haben übrigens immer meine besondere Hochachtung.

    • @rero:

      Sind das jetzt etwa auch „Helden“?

  • Kommentar gelöscht

     

    Bitte bleiben Sie sachlich.

    • @Rainer B.:

      Ach guck mal an! Das ich das noch erleben darf.

      • @Rainer B.:

        Ein Ritterschlag?

        • @lions:

          Eine Heldentat.

    • Pascal Beucker , Autor des Artikels, Inlandsredakteur
      @Rainer B.:

      Wäre es nicht sinnvoll, erst meinen Text zu lesen und ihn dann zu kommentieren? ;)

      • @Pascal Beucker:

        Hab ich. Sie schreiben:

        „Irgendwann warfen Vermummte Steine, Autoreifen brannten, Feuerwerkskörper explodierten, Polizisten wurden verletzt. Trotzdem hielt sich die öffentliche Empörung in Grenzen. Distanzierungen der SPD, der Grünen oder der Linkspartei sind nicht bekannt.“

        Das ist schlicht Unsinn und Cansu Özdemir von der Linkspartei hat in ihrer Rede in der Hamburger Bürgerschaft dazu alles gesagt, was dazu zu sagen ist. Hören Sie ihr doch einfach mal aufmerksam zu.

        • 1G
          164 (Profil gelöscht)
          @Rainer B.:

          " 170 Gewerkschafter aus Belgien, die 2012 vor der Europazentrale von Ford in Köln gegen den drohenden Verlust ihrer Arbeitsplätze protestierten" sind nicht 2017 in Hamburg auf der Schanze zu finden ;)

          • @164 (Profil gelöscht):

            Eben!

        • Pascal Beucker , Autor des Artikels, Inlandsredakteur
          @Rainer B.:

          Sorry, aber Sie sollten von einem Text wirklich mehr als den ersten Absatz lesen. Dann wüssten Sie, dass es sich bei der Stelle, die Sie zitieren, nicht um eine Beschreibung des Geschehens in Hamburg handelt. Weswegen Cansu Özdemir auch ganz bestimmt nicht "dazu alles gesagt" hat, "was dazu zu sagen ist". :)

          • @Pascal Beucker:

            Selber Sorry - Sie stellen über Ihren Text ein Bild aus dem Schanzenviertel vom 07.07.2017 und schwadronieren darunter mehr oder weniger in einer Rückschau über die Gewaltfrage der Linken. Kommen zwischendurch auf Äußerungen von Martin Schulz über die „Krawallinskis von der Schanze“ zu sprechen, um dann nach noch die 68er und die APO anzureißen, bevor Sie am Schluß wieder in Hamburg landen.

            Geht gar nicht - finde ich. Ist einfach mieser Bild-Stil. Obwohl sicher auch manch Richtiges dabei ist, bleibt einfach nur „Linke“, „Hamburg“ und „Krawall“ hängen.

            Das ist alles wenig hilfreich und wenig zukunftsweisend und zumindest für Hamburg hat Cansu Özdemir dazu doch eine klare Antwort gegeben.

            • Pascal Beucker , Autor des Artikels, Inlandsredakteur
              @Rainer B.:

              Nun ja, nicht jedem ist es gegeben, den Sinn eines Textes zu erfassen. Belassen wir es also dabei. Schönen Tag noch.

              • @Pascal Beucker:

                Nur mal ein Beispiel zum „Sinn eines Textes“:

                 

                Jemand macht eine Zahncreme-Werbung als medizinischen Laborbericht auf, in der stillen Hoffnung, niemand möge die Werbung als solche dahinter erkennen.

                Jemand anderes macht umgekehrt einen medizinischen Laborbericht als Zahncreme-Werbung auf, in der stillen Hoffnung, dass selbst Leute, die sich gewöhnlich überhaupt nicht mit Laborberichten befassen, dies bei dieser Gelegenheit dann auch mal tun.

                 

                Denjenigen, denen das alles spanisch vorkommt, läßt sich dann wahlweise vorhalten, sie würden nichts von Laborberichten verstehen, oder sie würden nichts von Werbung verstehn.

                 

                In beiden Fällen wird man diese Texte aber als Zahncreme-Werbung einordnen müssen.

              • @Pascal Beucker:

                Kommentar gelöscht

                 

                Bitte bleiben Sie sachlich.

                • @Rainer B.:

                  Mensch bleiben, Leute!

                  Was ist denn schon „sachlich“?

  • "Revolutionäre Gewalt" ist halt immer eine Herausforderung und hat zwei mögliche Ergebnisse: Die Revolution gelingt oder sie misslingt. Damit sie gelingen kann, braucht sie breite Unterstützung in der Bevölkerung und klare Ziele und glaubwürdige Alternativen zu den kritisierten Verhältnissen. Wenn das fehlt, werden die Revoltierenden geschlagen und ihre Ideen mit ihnen.

     

    Anders gesagt: Man sollte nur aus Spass oder Empörung nicht versuchen, eine Revolution vom Zaun brechen. Gewalt gegen das staatliche Gewaltmonopol stellt den Staat in Frage und kein Staat der Welt wird das einfach so hinnehmen. So etwas sollte man nur dann tun, wenn man tatsächliche realistische Chancen hat, diese Auseinandersetzung auch zu gewinnen. Wenn man es tut ohne diese Aussicht, befeuert man nur die Reaktion.

  • Vielen Dank für diesen Artikel.

     

    Zusammengefasst: In einem Land wie Deutschland (1) in dem man wählen kann, Parteien gründen, Blogs schreiben etc ist so was unangebracht und schwächt soziale Bewegungen.(2)

     

    Ich frage mich warum so ein Beitrag nicht früher kam, sei es aus der Presse oder aus der Politik.

     

    Ich vermute fast die sind zu solchen Gedanken und Analysen nicht (mehr) fähig - schlichtweg zu doof, wahrscheinlich können die da gar nichts dafür, aber angenehm oder ermutigend ist diese Erkenntnis nicht.

     

    Und damit sind wir wohl auch beim Problem angelangt, es fehlen gute Leute (egal aus der Presse, Politik, Kunst, Wirtschaft) die klare Analysen liefern, die auch bei den Menschen ankommen. Mangelnde Qualität hat zu einer gewissen Sprachlosigkeit geführt.

     

    Das ist ein Teil der Wahrheit warum Quasi-Eliten-Rattenfänger es momentan einfach haben Wut einzusammeln.

     

    Auch da kann man drauf kommen.

     

    (1) "Es ist reichlich absurd, in einer Demokratie über revolutionäre Gewalt zu schwadronieren."

     

    (2) "Der Militanzkult hat die Republik nicht zu einer besseren, gerechteren gemacht, sondern soziale Bewegungen geschwächt."

    • @taz_comment:

      (2) "Der Militanzkult hat die Republik nicht zu einer besseren, gerechteren gemacht, sondern soziale Bewegungen geschwächt."

       

      Diese Aussage hätte ich mir auch schon vor dem Gipfel gewünscht.

      Stattdessen ständig Interviews und Gastkommentare mit diversen gewaltbereiten ProtagonistInnen, deren Honorare ich durch meine Abogebühren auch noch mitbezahlen darf.

  • Danke für den Artikel, aus dem ich einiges mitnehme.

    Der vorletzte Satz ist mir aber zu einseitig: "Der Militanzkult hat die Republik nicht zu einer besseren, gerechteren gemacht, sondern soziale Bewegungen geschwächt."

    Militante Linke haben Deutschland in einigen Punkten tatsächlich Dinge erreicht, von denen nicht nur gewaltfreie Linke, sondern auch große Teile der Bevölkerung profitieren konnten und können. Ich denke da bspw. an Antifa-Arbeit oder auch an die Hausbesetzerszene. Sicher, ich gehöre auch zu denen, die keine politische Gewalt anwenden, aber ich fände es bigott, nicht auch zugeben zu können, dass ich Nutznießer dieser Gewalt bin.

    Ausserdem bin ich mir nicht sicher, ob der Topos des Antagonismus von militanter Linker und gewaltfreier Linker im Bezug auf die Wirksamkeit immer so gegeben ist. Ich kann mir da auch gut eine sich verstärkende Wirkung vorstellen.

    Ausserdem

  • Gewaltanwendung kann auch rechts sein. Oder staatlich...

    Oder überhaupt nicht politisch.

    Gewalt ist nur ethisch legitimiert alks Notwehr. Wann setzt diese ein?

    Eine alte Frage.

    ...