Debatte Flüchtlinge als Wirtschaftsfaktor: Sie steigern das Bruttosozialprodukt!
Deutsche Firmenchefs freuen sich über eine neue Humanressource: Flüchtlinge. Doch der Ökonomisierung von Menschen sind Grenzen gesetzt.
D er Weltgeist hat gerade ein gutes Timing, was die Solidarität der Völker angeht. Zumindest in Deutschland: Flüchtende treffen auf volle Kassen und offene Stellen, einen Exportweltmeister, dem die Sonne aus dem Hintern scheint. Dann eben ein paar Milliarden weniger Haushaltsüberschuss – selten konnte ein Land so viel Menschlichkeit aus der Portokasse zahlen.
Und selten hat sich unsere globalisierte Industrie so positiv in einer politischen Debatte ausgewirkt: Firmenchefs heißen Flüchtende willkommen, Konzerne suchen unter ihnen nach Fachkräften und Ingenieuren. Das führt zu einem glücklichen Zusammentreffen von ökonomischem Kalkül und Hilfsbereitschaft.
Für die Lenker von Weltkonzernen wirken Landesgrenzen heute ohnehin wie seltsame Relikte aus einer archaischen Vorzeit. Die Industrie fordert seit Jahren ein Einwanderungsgesetz, das diesen Namen verdient hat, mit dem sich Spitzenkräfte auch außerhalb der EU ohne Probleme anwerben lassen könnten.
Die deutsche Wirtschaft mag hier verwurzelt sein, aber längst hat das Label „Made in Germany“ nichts Nationalstolzes mehr. Es ist schlicht ein nützliches Klischee, mit dem PR-Abteilungen weltweit Qualität anpreisen. Das Mantra der Chefetagen lautet: Der ökonomische Erfolg Deutschlands hängt von seiner Weltoffenheit ab.
Deshalb sind Multikulti-Paranoiker gerade auf ihren xenophoben Kern reduziert: die Angst vor dem Fremden, Antiislamismus. Ihr ewiges Argument, dass „die“ uns die Arbeitsplätze wegnehmen, ist schnell widerlegt. Die Wirtschaft will Flüchtlinge in die Wertschöpfungsketten der Industrie einbetten (BDI-Chef Ulrich Grillo) und macht Druck auf die Politik, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Sekundiert von den Soziologen, die auf die Überalterung der Gesellschaft verweisen: Flüchtende als künftige Rentenzahler.
Trotzdem bleibt bei dieser Ökonomisierung der Flüchtenden ein seltsamer Beigeschmack. Niemand sollte die offenen Arme der Industrie mit offenen Herzen verwechseln. Sicherlich werden die Bilder entkräfteter syrischer Familien an überfüllten Bahnhöfen auch Spitzenkräfte der deutschen Wirtschaft berühren, die sind privat ja auch Menschen. Aber das System, in dem sie sich bewegen, ist eines der permanenten Verwertung von, um im Sprech der Bilanzen zu bleiben: Humanressourcen. Davon gibt es künftig mehr. Man muss die Flüchtenden noch ein wenig aufarbeiten wie Eisenerz oder verschlacktes Öl, dann lassen sie sich prima verwerten.
Profit mit Fluchtursachen
Ja, viele Konzerne spenden für Flüchtende, manche schicken gar Hilfskonvois in die Türkei, andere werden Lehrer einstellen, um neuen Deutschen Sprachkurse zu geben. Aber welcher Konzern wird seine Geschäftsbeziehungen überdenken und künftig verhindern, dass sich seine Motoren in Panzern wiederfinden, mit denen in Bürgerkriegen auf Wohngebiete geschossen wird? Wie konsequent werden Lieferketten auf sklavenähnliche Arbeitsbedingungen durchforstet?
Welche Großbank hört auf, Waffen zu finanzieren oder Fonds zu unterstützen, die einfachen Bauern ihre Ländereien in Entwicklungsländern wegkaufen? Die globale und damit die deutsche Wirtschaft ist auch Ursache von Flucht. Und profitiert gleichzeitig daheim vom Braindrain in den Ländern, die leer zurückbleiben. Das System ist so komplex, dass sich Verantwortung entweder nicht mehr zuordnen lässt oder Unverantwortung in heiligen Firmengeheimnissen versteckt wird.
Zu Ende gedacht, hat die deutsche Hilfsbereitschaft etwas latent Heuchlerisches an sich. Nicht die von freiwilligen Helfern an Bahnhöfen. Aber wir sollten nicht so tun, als würden wir wie der Heilige Martin unseren letzten Mantel teilen: Wir leben von einem Überfluss auf Kosten anderer, wir gehören global gesehen zur vollgefressenen, dekadenten Aristokratie des Planeten. Von diesem Wohlstand abzugeben, sollte niemand das Gefühl vermitteln, wir Deutschen seien auf einmal die barmherzigen Samariter dieser Welt. Die deutsche Wirtschaft wiederum befindet sich in der angenehmen Situation, sich die besten, fleißigsten und motivierten Neubürger herauspicken zu können. Eben die, die ökonomisch verwertbar sind.
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