Debatte Engagement für Europa: Laut gehasst und still geliebt
Die EU hat ein Problem: Ihre jungen BürgerInnen machen das Politische zum Privaten. Dabei ist niemand so europäisch wie sie.
J etzt also auch Slowenien. Noch nicht einmal halb verdaut sind die italienischen Parlamentswahlen, nach der sich alte und neue EU-Gegner eine Mehrheit zusammengebastelt haben, die rechtsextreme Lega und die einstmals links anmutende Fünf-Sterne-Bewegung, nun legte an diesem Wochenende auch in Ljubljana die einwanderungsfeindliche SDS einen Wahlsieg hin, Fähnchen schwenkend unterstützt vom ungarischen Nationalisten par excellence: Viktor Orbán. Am Sonntag antwortete Angela Merkel in einem Interview in der FAS auf Emmanuel Macrons europapolitische Grundsatzrede aus dem vergangenen Jahr, lang erwartet, Zugeständnisse machend, und doch wirkte es ein bisschen, als wolle man einen liegengebliebenen Pkw noch mal durch den TÜV hieven.
Die EU, war das nicht auch mal ein Versprechen, eines von Prosperität und Frieden, Demokratie und Freiheit? Im Moment allerdings scheint der Nationalismus wieder das so viel größere Versprechen zu sein, auch und gerade in Ländern, die vor einer Generation noch jene Grenzdurchlässigkeit entbehren mussten, die jetzt solche Angst macht. Fähnchen, TÜV und Abgesang, soll es das gewesen sein? Dabei gibt es doch auch jene, die zwar nicht ein politisches Spitzenamt bekleiden, aber sehr wohl innigst mit der EU verbunden sind, allein schon deshalb, weil sie zur jungen europäischen Generation gehören, die noch, sofern die EU so lange wird fortbestehen können, ein gutes halbes Jahrhundert mit ihr zu tun haben wird? Jene, die zudem gern mit ihr zu tun haben wollen, allen Mängeln und Unzulänglichkeiten zum Trotz?
Manchmal scheint mir, dass uns gar nicht klar ist, was derzeit auf dem Spiel steht, dass es um nicht weniger als unsere europäische Zukunft geht, die einfach und ganz real kippen kann. Manchmal scheint mir, wir hätten den positiven Fatalismus (wird schon noch gut gehen), den es bis zum Brexit so oft, wohl zu oft gab, eingetauscht gegen einen negativen Fatalismus (seit Trump kann eh alles passieren). Und die Idee, dass die EU etwas mit unserem Handeln zu tun hat und nicht bloß unser Handeln mit der EU, wird nach wie vor nicht wirklich ernst genommen.
Zwar raffen wir uns wieder auf und verlagern unsere demokratische Partizipation vom Social-Media-Klick auf die Straße, gehen auf Demos, wie vorletzten Sonntag fröhlich und bunt in Berlin geschehen, wir treffen uns in proeuropäischen Diskussionsrunden, die Veranstaltungen zur Zukunft der Demokratie scheinen seit Brexit und Trump, zumindest in Berlin, so zahlreich wie noch nie. Aber es sind oft einmalige, unverbindliche Events, Zeichen, aber noch keine Linien, Proteste und Slogans, aber noch keine tragenden Ideen. Etwas Vergleichbares wie den „Marsch durch die Institutionen“ kann ich nirgends sehen. Das Wort Institution klingt vermutlich schon so abturnend und verkrustet, dass man lieber einen Bogen darum macht. Doch damit vergibt man sich möglicherweise eine Chance, die so laut gehasste, so still geliebte EU konkret zu gestalten.
Staubtrockene Realpolitik
Dabei ist die Voraussetzung für Engagement ja da: So viele junge und mitteljunge Leute verstehen sich als Europäer und Europäerinnen, reden über Europa, es liegt ihnen am Herzen. Meine Generation ist viel und vermutlich auch vielfältiger als noch die Generation unserer Eltern durch Europa gereist, nach Norden und Süden, nach Westen und auch in den Osten. Wir haben im Ausland studiert, ein Praktikum gemacht oder gekellnert. Heute ist man eben Europäer, Europäerin, und die spanischen, italienischen, slowenischen Angelegenheiten sind tatsächlich unsere europäischen Angelegenheiten, und mir scheint, dass es meine Generation oft schon so lebt. Und doch, was folgt daraus? Warum bringen wir unsere Verständnisversuche für die unterschiedlichen Problemlagen in Europa, das über nationale Partikularinteressen Hinausgehende so wenig ein? Das Interesse, ja auch das Bemühen um Verständnis ist doch immer wieder da. Nur ist es eben kein kleiner Schritt vom Bekenntnis zur Übernahme von Verantwortung, vom Lebensstil zur politischen, auch staubtrocken realpolitischen Mitgestaltung, zum langfristigen verbindlichen Engagement.
Das Private ist politisch, hieß es einmal. Wenn als Neuauflage dieses Slogans das Politische einfach nur privat würde, liefen wir nicht nur in ein großes Missverständnis hinein, wir verspielten auch das, was nichts weniger als unsere Zukunft ist. Dass das Private politisch ist, das gelingt womöglich bis heute besser, oder sagen wir: Debatten, die von der Verflechtung von Intimität und Machtstrukturen erzählen, sind bis heute wichtig und noch nicht zu Ende ausgefochten. Debatten, die von Brüsseler Verwaltungsausgaben, vom deutschen Exportüberschuss und europäischen Strukturfonds erzählen, sind allerdings nicht minder wichtig – allerdings sind sie deutlich weniger sexy. Schaffen wir es deshalb nicht, mit eben solcher Wucht, mit der etwa #MeToo nicht nur etwas sichtbar gemacht, sondern auch verändert hat, über Europa zu sprechen?
Das Neue und das Einreißen des Alten haben immer den größeren Reiz als die Wahrung und Fortentwicklung von etwas, das schon da ist und so ganz ideal eben noch nicht funktioniert. Ein eindeutiges Dagegen ist leichter in Schlagworten formulierbar als ein zwiespältiges Dafür, Revolutionen verfügen über den größeren Showeffekt als Reformen und die Wut stürmt leichter die Brüsseler Bastille als es der widerstreitenden Zustimmung gelingt zu erklären, dass die Brüsseler EU-Behörde gar keine Bastille ist. Aber eben das müssen wir erklären. Es kann sein, dass es kein reines Freizeitvergnügen, kein buntes Event mit Goldfolie und Sonnenschein ist. Es kann sein, dass wir um Institutionen nicht herumkommen, es sei denn, wir überlassen sie jenen, die an der Demontage des europäischen Einigungsprozesses arbeiten. Um den TÜV müssen wir uns dann keine Sorgen mehr machen. Ihre Gegner haben auf dem Schrottplatz schon eine Ecke freigeräumt für eine zu schlecht gewartete EU.
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