Debatte #Aufstehen: Kennt man von der AfD
Wenn das Geschreibsel des Soziologen Streeck für „Aufstehen“ steht, dann möchte man lieber liegenbleiben. Es ist ebenso peinlich wie faktenfern.
Z wischen Rechtsrückern und Sorglingen fallen die Hemmungen, und alles darf sich äußern, was Rang und eine Meinung hat. Anders kann man kaum erklären, warum die ZEIT dem Soziologen Wolfgang Streeck eine ganze Seite verfügt, um – ja, was eigentlich? Laut Überschrift soll es um eine linke Bewegung gehen: Streeck ist einer der parteilosen Vordenker von #Aufstehen. Aber statt vorzudenken, gar ein Ideengebäude zu zimmern, schlägt er um sich alles in Trümmer: Gerichte und Medien, Unternehmen und Parteien, Einwanderung. Wenn das #Aufstehen ist, dann bleibt man besser liegen.
„Ist Fremdenfeind, wer Einwanderer als Konkurrenten um Arbeits-, Kita- und Wohnplätze erlebt und deshalb Einwanderung begrenzt sehen will?“, wirbt Streeck zu Anfang um Verständnis. Mit links hat das nichts zu tun. Migranten und Flüchtlinge sind nicht schuld an der Knappheit bei Kitas und Wohnraum. Die war schon lange da. Nicht-fremdenfeindlich wäre: Wir brauchen mehr Sozialwohnungen, mehr Kitabetreuung, mehr Lehrpersonal. Nicht-fremdenfeindlich wäre, davon abzusehen, Menschen, die zu uns kommen, als Sündenbock für altbekannte heimatliche Probleme auf Zeitungsseiten zu zerren.
Aber das reicht noch nicht. Streeck fährt fort, wegen der Einwanderung lohne es sich weniger, in berufliche Bildung zu investieren: Qualifizierte Kräfte würden durch gering Qualifizierte ersetzt. Da möchte man ihn, den emeritierten Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, dringend an die Fachliteratur seines Fachs erinnern. Sie legt klar dar, dass neu Zugewanderte sich auf das Lohnniveau der Mitte wenig bis gar nicht auswirken. Sie konkurrieren langfristig vor allem mit bereits im Land lebenden Zugewanderten.
Wäre gerade das nicht eine linke Baustelle? Initiativen unterstützen, sich für Sprachkurse stark machen und dafür, dass jedes Kind maximal gefördert wird, egal aus welcher Familie es kommt? Millionen deutscher Haushalte würden profitieren, gemeinsam mit den Zugewanderten. Stattdessen schreibt sich Streeck in Zeiten von Fachkräftemangel und Digitalisierung eine Mär zurecht, in der Fachkräfte großflächig durch Minderqualifizierte abgelöst würden. Es ist ja bekannt: All die Pflegestätten und Kitas, MINT-Unternehmen und Handwerksbetriebe, Schulen, Staatsanwaltschaften und Gerichte in Deutschland warten seit Jahren auf geringqualifizierten Zulauf, halten tausende Stellen unbesetzt, nur um endlich die Löhne zu drücken.
Streeck weiß genau, was mit der AfD los ist
Aber die Zugewanderten sind nicht die einzigen Schelme, nein: Die Gesellschaft mischt mit! „Jedes“ von der AfD aufgegriffene Thema würde sofort zum Tabu. Oder, auf Streeckisch: „für beschweigungspflichtig“ erklärt. Na bitte: Endlich wissen wir, warum nicht-stattfindender sozialer Wohnungsbau und Ghettobildung, stetig steigende Kinderarmut, eine halbe Million Obdachlose, hunderttausende Menschen ohne Krankenversicherung und der Umstand, dass sozialer Aufstieg hier durchschnittlich 180 Jahre dauern kann, in der öffentlichen Debatte untergehen. Na klar, das sind typische AfD-Themen: Die werden tabuisiert! Und ersatzweise darf man wöchentlich wählen zwischen unzähligen Talkshows über Asyl und Fluchtursachen. Überhaupt, Streeck weiß genau, was mit der AfD los ist – und wer sie groß gemacht hat.
Dass die AfD im Zuge des drohenden Grexits entstanden und herangewachsen ist: Egal. Merkel und die SPD, so Streeck, hätten mit ihrer Ansage, „dass man heutzutage nationale Grenzen eben nicht kontrollieren […] dürfe“ uns die AfD als „festen Bestandteil des deutschen Parteiensystems beschert“. Dass der Europäische Gerichtshof urteilte, systematische Grenzkontrollen im Inneren würden gegen europäisches Recht verstoßen: Egal. Dass die AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber erklärte, Merkel habe die Grenzen nicht geöffnet, „wir als Funktionäre in der AfD-Jugendorganisation haben uns das ausgedacht“: Egal! Merkel und die SPD sind schuld. Man muss es nur oft genug sagen, dann glaubt man’s.
Nach selbigem Prinzip geht es gegen die Europäische Union (EU). Erst grantelt Streeck, man dürfe den Nationalstaat nicht „um seiner Internationalisierung willen abschalten“, und müsse aufhören, von Europa Lösungen zu verlangen. Dann jammert er, warum die EU denn nichts unternommen habe gegen den „Absturz der britischen politischen Ökonomie seit Thatcher“. Was denn nun? Hat man die Hilferufe der Briten, sich in nationale Angelegenheiten einzumischen, kollektiv ignoriert? Seit Thatchers Antritt 1979, als es die EU in ihrer heutigen Form noch gar nicht gab? Streeck hätte Raum gehabt für Wissenschaft, Raum für Für und Wieder, Raum für offene Fragen und gemeinsame Ziele. Stattdessen schleudert er Feindbilder, von „Marktkräften“ über „gutmenschliche Bessertuer“ bis hin zu „Gerichtshöfen“.
Ja, der Text ist peinlich für Streeck
Um seine Abschottungsliebe zu begründen, zitiert Streeck die Harvard-Wissenschaftler Dani Rodrik und Lawrence Summers – und zwar entgegen ihrer Theorien. Beide fragten „heute“, so Streeck, ob „die Globalisierung zu weit gegangen sei“ (Rodrik) und forderten einen „verantwortungsvollen Nationalismus“ (Summers). Dazu sagt er nicht, dass Rodriks Buch, „Ist die Globalisierung zu weit gegangen?“ 1997 erschien (wenn das heute ist, was wär dann morgen?) und vor allem davon handelt, wie Unternehmen die Arbeiterschaften verschiedener Länder gegeneinander ausspielten.
Nicht dazu sagt er auch, dass Summers – einst Chefökonom der Weltbank – generell wider dem Nationalismus argumentiert. Summers ruft dazu auf, die Errungenschaften der Globalisierung zu schützen und schreibt Sätze wie: „Zäune, Mauern und Barrieren sind kein effektiver Ansatz, um sich gegen ungewollte Ströme von Menschen zu wehren.“ Dass einer wie Streeck, der dauernd über die fatale „No-Border-Linke“ mimosert, jemanden wie Summers als Nationalisten tituliert – wen wundert es bei dieser Kenntnistiefe, die dazu führt, dass er Merkel Machiavellistin bezeichnet?
Ja, der Text ist peinlich für Streeck. Peinlich ist er auch für das Max-Planck-Institut, mit dessen Namen Streeck sich schmücken darf. Und peinlich ist er für die ZEIT. Ist Faktencheck verstorben, hat man ihn betrauert, gab es Nelken? Wie kann es sein, dass die große Wochenzeitung der Mitte einen Text druckt, an dessen Ende es heißt, „das deutsche Parteiensystem und seine öffentlich-rechtlichen wie privaten medialen Metastasen“ (wobei die ZEIT nicht ausgeschlossen wird) könnten „die entscheidenden Fragen der Politik nicht einmal ernsthaft zur Diskussion stellen“? Nur eine neue Kraft, so Streeck, könne das ändern. Welche meint er? #Aufstehen kann es nicht sein, denn was Streeck von sich gibt, und wie viel davon stimmt – das ist nicht neu. Man kennt es von der AfD.
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