Das heikle Amt der Verteidigung: Die To-do-Liste des Boris Pistorius
Das Verteidigungsministerium gilt als unregierbar. Der Aufgabenzettel des neuen Chefs steckt voller schwieriger Aufgaben.
Zeit zur Einarbeitung hat er nicht. Direkt nach seiner Vereidigung im Bundestag eilt Boris Pistorius in sein neues Ministerium. Bei Eiseskälte steht der neue Verteidigungsminister nun neben seiner Vorgängerin Christine Lambrecht im Hof des Bendlerblocks, wo ihn das Wachbataillon der Bundeswehr mit militärischen Ehren empfängt.
Ein Händedruck, Lambrecht rauscht ab und Pistorius stellt sich an ein Mikrofon. „Es sind keine normalen Zeiten“, sagt er, „es ist Krieg in Europa.“ Die Streitkräfte seien die letzten Jahrzehnte vernachlässigt worden. Es komme jetzt darauf an, die Bundeswehr „schnell stark zu machen“.
Kurz darauf muss er auch schon seinen amerikanischen Amtskollegen in Empfang nehmen. In passablem Englisch begrüßt Pistorius den US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Der Amerikaner witzelt, er sei nicht überrascht, der erste Gast zu sein – Pistorius sei ja erst eine Stunde im Amt. Die Zeitenwende wirft Pistorius von Niedersachsen gleich auf das internationale Parkett. Die Aufgaben, die auf ihn warten, sind enorm.
Die Unterstützung für die Ukraine
Gleich an seinem zweiten Arbeitstag reiste Pistorius zum US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz weiter, wo die Unterstützerstaaten der Ukraine über weitere Waffenlieferungen verhandelten. Schon vor Beginn der Konferenz hatte er auf der Air Base Nato-Chef Jens Stoltenberg und den ukrainischen Verteidigungsminister Oleksij Resnikow zu Einzelgesprächen getroffen.
Die Bundesregierung werde prüfen, ob Deutschland jetzt doch Leopard-2-Kampfpanzer liefere oder zumindest anderen EU-Staaten erlaube, die Fahrzeuge aus deutscher Produktion abzugeben – so ließ Pistorius es am Freitag in Ramstein verlauten. „Wir bereiten uns vor für den Fall der Fälle“, sagte er kurz vor Redaktionsschluss, die Entscheidungen würden „so bald wie möglich“ getroffen. Wie auch immer das letztlich ausgeht: Bei Waffenlieferungen wurden die Grundsatzfragen bislang direkt im Kanzleramt geklärt.
Je länger der Krieg dauert, je mehr Kampfgerät sich abnutzt oder zerstört wird, desto dringlicher wird die Frage nach Nachschub. Pistorius muss klären, ob die Bundeswehr aus ihren dünnen Beständen noch mehr entbehren kann, muss mit Gegenwind aus der Truppe rechnen und mit der Industrie darüber sprechen, was sie noch eingelagert hat und wie lange die Instandsetzung dauert – von Munition, Ersatzteilen und Wartungspersonal ganz zu schweigen.
Die Beschaffung von Material
Weniger dringlich, aber nicht weniger relevant: der Kauf neuer Waffen für die Bundeswehr. 100 Milliarden Euro aus dem 2022 beschlossenen Sondervermögen liegen bereit. Das Geld sinnvoll auszugeben, ist aber schwierig (siehe Interview).
Pistorius’ Vorgängerin Lambrecht stand auch innerhalb der Ampel in der Kritik, dass sie neue Beschaffungsvorhaben nicht schnell genug angeschoben habe. Die Kritik ist verständlich, zum Beispiel mit Blick auf die geringen Munitionsvorräte der Bundeswehr. Einige Partnerstaaten haben schon im vergangenen Jahr Nachschub bestellt. Allerdings ist Schnelligkeit nicht alles. Gründliche Ausschreibungen und Vertragsverhandlungen brauchen Zeit – zumal die Strukturen im Beschaffungswesen in der Vergangenheit schon damit überfordert waren, weit geringere Summen auszugeben.
Erste Änderungen hat Lambrecht im letzten Sommer umgesetzt. Kurz vor ihrem Rücktritt legte sie weitere Reformvorschläge vor, eine „kritische Bestandsaufnahme“, die die Ampel schon im Koalitionsvertrag vereinbart hatte. Die Umsetzung liegt jetzt bei Pistorius.
Der schwierige Einsatz in Mali
Um die Auslandseinsätze der Bundeswehr ist es ruhig geworden. Nach dem Abzug aus Afghanistan verbleibt als letzter großer Einsatz der in Mali. Und auch dieser neigt sich dem Ende zu: Die Ampel will ihn bis Mai 2024 beenden. Mit der Lage in dem westafrikanischen Land sollte sich Pistorius trotzdem schnell vertraut machen, ein Verteidigungsminister steht schnell im Fokus, wenn es in einem Einsatzland knallt. In Mali ist das nicht ausgeschlossen.
Seit Monaten gibt es Reibereien zwischen der Bundeswehr und der malischen Militärregierung, die mit Russland kooperiert und Kämpfer der Söldnertruppe Wagner ins Land geholt hat. Aktuell sind den Deutschen erneut Drohnenflüge verboten, sodass sie eine ihrer Hauptaufgaben – Aufklärung für die UN-Mission Minusma – kaum erfüllen können. Wie ein Bundeswehrsprecher der taz sagte, warte man seit Weihnachten auf eine neue Fluggenehmigung.
Wenn die Schikanen anhalten, wenn sich die Sicherheitslage verschärft oder wenn die malische Regierung, anders als von Deutschland gefordert, keine Wahlen vorbereitet, könnte die Frage nach einem schnelleren Abzug wieder auf die Tagesordnung kommen. Die Bundesregierung hat die Entscheidung nicht zwingend selbst in der Hand: Auch die UN könnten das vorzeitige Ende der internationalen Mission beschließen. Und selbst wenn alles nach Plan läuft und in diesem Sommer ein schrittweiser Abzug beginnt: Ein Selbstläufer wird selbst das nicht werden.
Welche Rolle sollen Auslandseinsätze noch spielen – und was können sie bewirken? In Malis Nachbarland Niger will Deutschland weiterhin an einer EU-Ausbildungsmission teilnehmen. Die Bundeswehr soll die Sahelzone nicht komplett verlassen, alleine schon, um die Region nicht Russland zu überlassen. Komplett auf die Bündnisverteidigung in Europa wird sich das deutsche Militär also nicht konzentrieren können.
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Der Umgang mit Ortskräften
Amir Azizi* ist einer der Afghanen, die sich von der Bundesregierung im Stich gelassen fühlen. Im Jahr 2010 war er kurzzeitig für die Bundeswehr als Übersetzer tätig. Da ihn die Taliban wegen seines Jobs bedrohten, kündigte er. Im Visier hatten sie ihn weiterhin, auch noch nach dem Fall Kabuls im Sommer 2021. Er hat schriftliche Belege dafür und würde gerne nach Deutschland evakuiert werden – bekommt von der Bundesregierung aber keine Hilfe. Afghanische Ortskräfte werden nur aufgenommen, wenn sie nach 2013 für deutsche Stellen gearbeitet haben. So sind die Regeln.
Betroffene, NGOs und manche Ampel-Abgeordnete machen Druck, dass sich das ändert. Sie fordern die Reform des Ortskräfteverfahrens, das im Koalitionsvertrag vereinbart war. Relevant ist die Frage auch mit Blick auf den Mali-Abzug und die dortigen Mitarbeiter*innen.
Als Landesinnenminister hatte Pistorius sich nach der Machtübernahme durch die Taliban dafür ausgesprochen, den Ortskräften schnell zu helfen. Als Verteidigungsminister ist sein Spielraum nicht grenzenlos, auf eine Reform müsste sich die Regierung gemeinsam einigen. Vor allem das Innenministerium bremst dabei.
* Name aus Sicherheitsgründen geändert
Rechtsextreme in der Truppe
In der Bundeswehr sind 17 Extremisten unterwegs, 1.452 sind Verdachtsfälle, die meisten mutmaßlich rechtsextrem. Das ist die offizielle Zahl für das Jahr 2021, die Dunkelziffer ist wohl deutlich größer, viele Skandale wurden erst nach journalistischen Recherchen bekannt und ernst genommen. Pistorius erbt also auch hier ein altbekanntes Problem. Das Ausmaß der Gefahr wurde jüngst bei der Reichsbürgerrazzia deutlich.
Ein paar Dinge wurden in den vergangenen Jahren verbessert: Reservist:innen marschieren nicht mehr so weit unter dem Radar, weil sich der Verfassungsschutz und der Bundeswehrgeheimdienst MAD nun über Verdachtspersonen austauschen. Auch neue Sicherheitsüberprüfungen wurden eingeführt. Allerdings: Extremismusfälle werden vor Truppendienstgerichten verhandelt – und diese sind so überlastet, dass die Verfahren größtenteils Jahre dauern, auch wegen vakanter Richterstellen.
Die Ampel hat in ihrem Koalitionsvertrag immerhin schon mal festgehalten, die Gesetzeslage zu ändern, „um Extremistinnen und Extremisten umgehend aus dem Dienst entlassen zu können“. Alle Soldat:innen sollen demnach per Verwaltungsakt entlassen werden können, wenn sie nicht für die Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung eintreten. Erst danach würde die Entlassung gegebenenfalls gerichtlich überprüft. Das ließe sich durch eine Änderung im Soldatengesetz regeln.
Der Entwurf „wird aktuell finalisiert“, wie eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums auf taz-Anfrage sagte. Parallel dazu hat auch Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) ein Gesetz auf den Weg gebracht, mit dem extremistische Beamte schneller aus dem Dienst entfernt werden können. Aber dafür müssten sie erst einmal erkannt werden.
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