Cybersicherheitsexperte zu Taurus-Leak: „Einen Keil in die Nato treiben“
Zur Diskreditierung Deutschlands sei Russland jedes Mittel recht, sagt Matthias Schulze. Und erklärt, was passieren muss, um solche Leaks künftig zu verhindern.
![Im Vordergrund ein Mann mit Stift an einem Pult sitzend. Den Kopf hat er nach hinten gedreht. Im Hintergrund auf zwei Bildschirmen ist Putin zu sehen. Im Vordergrund ein Mann mit Stift an einem Pult sitzend. Den Kopf hat er nach hinten gedreht. Im Hintergrund auf zwei Bildschirmen ist Putin zu sehen.](https://taz.de/picture/6865296/14/34812459-1.jpeg)
taz: Russland veröffentlichte ein Gespräch deutscher Bundeswehrspitzen, die sich über den umstrittenen Einsatz des Marschflugkörpers Taurus in der Ukraine unterhielten. Was bezweckt der russische Präsident Wladimir Putin mit diesem Leak?
leitet den Forschungsschwerpunkt „Internationale Cybersicherheit“ am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).
Matthias Schulze: Den russischen Geheimdiensten muss der Gewinn des Leaks höher erschienen sein als die Kosten, die damit verbunden sind, nämlich dass man möglicherweise einen nachrichtendienstlichen Zugang verliert. Jetzt gibt es verschiedene Interpretationen: Ziel Nummer eins ist, dass Russland die Lieferung der Taurus-Rakete verhindert. Der zweite Punkt ist, Deutschland nach außen hin zu diskreditieren. Dies ist im Kontext der Diskussionen der letzten Woche um den Einsatz von Bodentruppen zu sehen, die der französische Präsident Emmanuel Macron angestoßen hat und in der der deutsche Kanzler Olaf Scholz gleich zurückgerudert ist, und auch in der Diskussion darüber, ob es britisches oder französisches Personal in der Ukraine gibt, was die Briten verneint haben. All dies hat eine ganze Menge diplomatischer Verstimmung in der letzten Woche produziert zwischen Berlin, London und Paris.
Also ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Taurus-Leaks genau geplant?
Das Gespräch der Bundeswehr hat scheinbar am 19. Februar stattgefunden. Das Leak fand jetzt am Freitag statt, also zwei Wochen später. In der Zeit wurde das Material von den Diensten ausgewertet. Und dann wurde das Ganze an Medienkanäle kommuniziert. Das ist eine orchestrierte Informationskampagne. Alle Welt redet darüber, das ist der Effekt.
Ist Deutschland ein besonderes Ziel russischer Spionage?
Wir sind natürlich wichtig, weil wir einen Großteil der Waffen an die Ukraine liefern. Und wir haben in diesem Jahr Landtagswahlen und das Europäische Parlament wird neu gewählt. Zudem gibt es den innerrussischen Diskurs, dass wir auch Kriegspartei wären, beziehungsweise Russland mit dem Westen im Krieg ist. All dies macht uns interessant.
Wie funktioniert eine solche Kampagne?
Der russische Terminus technicus ist Informationskrieg und dazu sind alle Mittel von Interesse: soziale Medien, traditionelle Medienpropaganda, Hacks, aber auch Spionage – in diesem Fall geht es darum, dass der Taurus verhindert wird. Das Playbook, nach dem das abläuft, ist aber nicht neu. Wir haben dies bei den US-Wahlen 2016 und bei den Wahlen in Frankreich 2017 schon gesehen.
Über zwei Jahre läuft der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Werden Spionage, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe nach wie vor unterschätzt?
Von den Sicherheitsbehörden und den Geheimdiensten sicher nicht. Es gibt verschiedene Taskforces und Lagebilder, um sich entsprechend vorzubereiten. Ohnehin überrascht im Kriegskontext so ein Vorgehen aber nicht.
Dennoch: Sind Bundeswehr und Geheimdienste schlichtweg schlecht vorbereitet auf solche digitalen Angriffe?
Laut Medienberichten hat sich jemand in den WebEx-Call eingewählt. Wenn das stimmen sollte, hätte das bemerkt werden können. Es kann aber auch sein, dass jemand im Nachbarzimmer des Hotels sich in das WLAN eingewählt hat und mitgehört hat oder ein Endgerät gehackt wurde. Verschiedene Varianten sind möglich, daher müssen wir abwarten, was die Untersuchung ergibt.
Wen sehen Sie in der Verantwortung?
Sicherheit ist eine vielschichtige Aufgabe. Es gibt Richtlinien, wie militärische Kommunikation abgesichert werden muss. Da sind die Behörden gefragt.
Die Union fordert bereits einen Untersuchungsausschuss zu den Taurus-Leaks. Spielt die Union damit Putins Spiel?
Es ist natürlich die Rolle der Opposition, einen Untersuchungsausschuss zu fordern, aber russische Informationsoperationen nutzen gezielt solche Mechanismen westlicher Demokratien aus. Denn damit kann das Vertrauen in die Regierung beschädigt werden.
Wie groß ist der außenpolitische Schaden aus Ihrer Sicht?
Noch ist das schwer zu sagen. Die Bundesregierung sollte sich aber jetzt um Schadensbegrenzung bemühen und versuchen, sich gut mit den europäischen Partnerstaaten zu koordinieren.
Das Taurus-Leak kam zur Unzeit, in einer Woche, in der der Kanzler Informationen, zum Beispiel zum Einsatz der britischen Storm-Shadow-Marschflugkörper in der Ukraine, ausplauderte. Der ehemalige britische Verteidigungsminister Ben Wallace übt scharfe Kritik an Kanzler Scholz und bezeichnet ihn bei Sicherheitsfragen als falschen Mann im falschen Job. Berechtigt?
Die Diskreditierung Deutschlands ist Teil des russischen Playbooks. Es geht darum, einen Keil in die Nato zu treiben. Und dazu ist jedes Mittel recht, wenn es nicht dieser Fall ist, dann wird es der nächste.
Welche Forderungen haben Sie ganz konkret an die politisch Verantwortlichen zum verbesserten Schutz der digitalen Sicherheitsarchitektur?
Man muss Personal schulen und einfach nutzbare und zugleich sichere Technologien bereitstellen. Aber es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, dass es nicht mehr zu solchen Fällen kommt. Zum anderen braucht es gute, proaktive Krisenkommunikations-Teams, um solche Fälle zu entlarven und Desinformationskampagnen nicht auf den Leim zu gehen. Das hat in anderen Ländern Schaden begrenzen können.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören