Coronaleugner in Baden-Württemberg: Schlechte Nachbarschaft
Proteste, Schmierereien und eine „Corona-Schule“: Im Schwarzwaldkreis Rottweil sorgen Impfgegner für gereizte Stimmung. Was ist da los?
D ie heimliche „Corona-Schule“ von Waldmössingen liegt nur ein paar Meter zwischen der Grundschule und dem Rathaus. Ein Haus mit einem ehemaligen Ladengeschäft, vor dem die Gardinen zugezogen sind. Ein Kind huscht in Hauslatschen über den Hof in einen abgestellten Wohnwagen. Wenig später läuft der Junge wieder zurück.
Ja, sagt Julia Trenkle (Name von der Redaktion geändert), als sie die Haustür mit dem Willkommen-Schild öffnet, sie lasse ihre Kinder schon seit September nicht mehr in die Schule. Zusammen mit vier weiteren Familien organisieren sie den Unterricht jetzt selbst hier im Haus. Aus Angst vor einer Corona-Infektion? „Nein, wegen der Tests“. Was ist mit den Tests, möchte man wissen. Sie schüttelt den Kopf: „Ich glaube, das würden Sie sowieso nicht verstehen.“
Die Schulleiterin der Waldmössinger Grundschule schaut verschreckt aus ihrem kleinen Büro, gleich am Eingang. Es ist Hofpause, die Kinder wirbeln über den Schulhof. Ja, ihr sind in den letzten Monaten Kinder abhanden gegangen, sagt Vanessa Franz. Auch sie ist jung, über dem Gesicht trägt sie eine OP-Maske. Warum die Kinder nicht in der Schule sind, könne sie nur vermuten. Es hänge wohl mit der Masken- und Testpflicht im Unterricht zusammen. Mehr könne sie leider nicht sagen. Das Schulamt sei zuständig. Sie müsse jetzt auch leider in den Unterricht. Dabei hat es noch gar nicht gegongt.
Der Ortsvorsteher Reiner Ulrich lacht verlegen auf, wenn man ihn auf den Corona-Hilfsunterricht gleich hinter seinem Rathaus anspricht. Wenn es eine private Schule in Waldmössingen gäbe, dann müsse er davon wissen, erklärt er die Rechtslage. Die müsste bei ihm als Schulträger angemeldet werden. Wenn Eltern ihre Kinder aber ohne Grund vom Unterricht fernhalten und sie vielleicht zu Hause unterrichten, dann verstoße das wohl gegen die Schulpflicht. Aber das wäre dann Sache der Schulbehörden im fernen Freiburg.
Inzidenz Die Sieben-Tages-Inzidenz in Baden-Württemberg betrug am Dienstag nach Angaben des Robert-Koch-Instituts 511,5. Das ist nach Sachsen, Bayern, Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt die sechsthöchste im Bund.
Maßnahmen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kündigte verschärfte Maßnahmen an, wollte aber die Beratungen von Bundesländern mit Noch-Kanzlerin Angela Merkel und Bald-Kanzler Olaf Scholz abwarten. Kretschmann forderte die Wiederausrufung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Fußballspiele sollen künftig in Baden-Württemberg nur noch ohne Publikum stattfinden. Auch Weihnachtsmärkte, Diskotheken und Klubs könnten geschlossen und ein Alkoholverbot im öffentlichen Raum verhängt werden.
Kliniken Wegen der Überlastung von Intensivstationen plant Baden-Württemberg die Verlegung von Patienten in weniger betroffene Bundesländer und ins Ausland. Zuletzt befanden sich dort 622 Coronapatienten in intensivmedizinischer Behandlung, davon wurden 334 künstlich beatmet. Etwa 28 Prozent der Intensivbetten waren mit Coronapatienten belegt. (taz)
Ulrich klingt erleichtert, dass er diese Auskunft geben kann. Eine Anfrage beim zuständigen Regierungspräsidium ergibt: Die Behörde weiß nichts von der „Corona-Schule“ im Ort. Aber man wolle der Sache jetzt nachgehen.
140.000 Einwohner, Inzidenz 753
Das Hochinzidenzgebiet Rottweil im schwäbischen Teil des Schwarzwalds, zwischen Freiburg und Stuttgart gelegen, auf dem Weg in den zweiten Coronawinter. 140.000 Menschen wohnen im Kreis. Die Sieben-Tage-Inzidenz beträgt an diesem Dienstag, dem letzten Novembertag, exakt 753,4.
Wenn anderswo noch November ist, ist hier oben schon Dezember. Der Raureif liegt weiß auf den Tannen, dichter Nebel bleibt den ganzen Tag zwischen den Häusern hängen. Man muss vorsichtig auf Sicht fahren. Schwer zu sagen, ob in dieser Gegend, die einerseits so abgelegen erscheint, wo es aber andererseits mittelständische Weltmarktführer wie auch die Waffenschmiede Heckler & Koch den Menschen Arbeit geben, Verschwörungsglaube und Impfskepsis stärker wabern als in anderen Gegenden.
Aber es gibt ein paar Auffälligkeiten: Neben der geheimen Parallelschule in Waldmössingen zum Beispiel die Tatsache, dass der ungeimpfte und inzwischen auch an Corona infizierte Fußballnationalspieler Joshua Kimmich aus der Gegend kommt.
Der Landkreis Rottweil hat eine Impfquote von 62 Prozent. Das ist schlechter Durchschnitt in Baden-Württemberg, aber viel besser als manch andere Regionen in Sachsen oder Bayern. Der ganze Kreis ist auf der Coronakarte tief rot gefärbt, aber Bösingen ist mit einer Inzidenz von zeitweise 92 Personen bei 3.200 Einwohnern ein Hotspot der Corona-Infektionen. Bösingen ist das Heimatdorf von Kimmich.
Hochzeitsfeier mit Folgen in der „Sonne“
Zumindest ein Spreader-Ereignis in dem Ort lässt sich wohl nachvollziehen. Bei einer Hochzeitsfeier im Oktober im Gasthaus „Sonne“ mit 90 Anwesenden, darunter wohl vielen Ungeimpften, sollen sich etliche Menschen angesteckt haben. Gerüchte, dass bei der Feier die Schlagersängerin Andrea Berg aufgetreten sein soll, entkräften Recherchen der örtlichen Zeitung. Aber da Bergs Ehemann der Spielerberater von Joshua Kimmich ist, liegt nahe, welche Familie da gefeiert haben könnte.
Das Gasthaus „Sonne“ jedenfalls schließt wenige Tage nach der Hochzeit und produziert nur noch von Donnerstag bis zum Sonntag Wurstsalat zum Abholen. Angeblich geschieht die Maßnahme freiwillig, wie die Betreiber in einer langen Stellungnahme auf Facebook klarmachen: aus Protest gegen die 2G-Regel, die die Gesunden ausschließe.
Der Post findet viel Zustimmung, die Likes kommen aus der Region, aber auch aus allen Teilen der Republik. Keiner fragt, wie viele der auf dieser Hochzeit Erkrankten Mitarbeiter des Gasthauses sind und ob der Wirt vielleicht deswegen gezwungen gewesen sein könnte, sein Lokal zu schließen.
Anfang Oktober dann protestieren Eltern der Waldorfschule Rottweil gegen die Schulleitung ihrer selbstverwalteten Bildungseinrichtung. Und zwar deshalb, weil der Direktor das macht, was er gesetzlich machen muss: Masken- und Testpflicht an der Schule durchsetzen. Etwa fünfzehn Eltern stehen am Einschulungstag der Fünftklässler mit ihren Kindern und Transparenten vor der eigenen Schule. Es kommt zu unschönen Szenen vor den Kindern, die Schulleitung beklagt sich, sie sei „unflätigen Beschimpfungen“ ausgesetzt worden. Die Eltern bestreiten das.
Seit den Protesten fehlen auch an dieser Schule einzelne Kinder unentschuldigt. Die Eltern erwarten, dass man ihre Sprösslinge, denen sie die Coronamaßnahmen ersparen wollen, mit Fernunterricht versorgt.
Nazi-Vergleiche an der Schule
In den Herbstferien trifft der Anti-Corna-Protest eine andere Schule. In der Werkrealschule Villingendorf soll in der Ferienwoche ein Pop-up-Impfzentrum eingerichtet werden. Am Tag vor der Impfaktion beschmieren Unbekannte die Schulfassade mit einem roten Totenkopf. Darüber steht „Kinder-Todesspritze“ und in Anspielung auf den zynischen Nazi-Spruch am Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz „Impfen macht frei“.
Der Schulleiter ist sicher, dass das kein idiotischer Streich war. Die bewussten Anspielungen auf den Nationalsozialismus traut er seinen Schülern nicht zu. Aber er ist stolz auf die Reaktion der Schulgemeinschaft. Achtzig Eltern und Schüler streichen und putzen, damit die Sprüche verschwunden sind, bevor die Impfwilligen kommen.
Der schrille, maßlose Protest und das stille Nichtmitmachen, beides kommt offenbar immer häufiger aus der vermeintlich bürgerlichen Mitte. Gespeist aus dem Empfinden, dass man schon selbst ganz gut weiß, was gut ist für einen selbst. Dafür braucht man nicht den Staat. Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung hat dieser Tage versucht, die Milieus besser zu fassen, aus denen sich Coronaleugner, Impfgegner und all jene, die sich abwenden, speisen. Die Wissenschaftler bestätigen, dass in Baden-Württemberg die Widerborstigen eher aus linksliberalen Milieus kommen, anders als etwa in Ostdeutschland,. Menschen also, die vielleicht früher einmal gegen Atomkraft protestiert haben.
Heute gehen sie immer noch lieber zum Heilpraktiker als zum Schulmediziner, auf W-LAN und Allradfahrzeug wollen sie aber nicht verzichten. Es seien Menschen, die ihren „Widerstand gegen Regeln richten, die ihre individuelle Freiheit einschränken“, heißt es in der Studie. Sie inszenierten sich als Eingeweihte, die auch gegen Widerstand, Stigmatisierung und Repression an ihrer vermeintlichen Expertise festhalten. Es scheint, als käme nach dem unverbesserlichen Wutbürger nun der unbelehrbare Egobürger.
Querdenker Lasota will nicht rechts sein
Anruf bei Roman Lasota, einem der profilierten Redner auf „Querdenker“-Demonstrationen im Landkreis, vor allem im gut 20.000 Einwohner zählenden Schramberg. Lasota war früher Zeitsoldat bei der Luftwaffe und arbeitet als gelernter Kaufmann in der Photovoltaikbranche, seine Frau ist Künstlerin. Mit den Coronaverordnungen hat er sein Freiheitsthema gefunden, sagt Lasota. Er ist schon beim ersten Stichwort voll im Thema, vergleicht Corona mit einer Grippe, bezweifelt die Zahlen des Robert-Koch-Instituts und die Übersterblichkeitsrate im ersten Coronajahr. Er fragt, warum man alle seine Experten, wie den Lungenarzt Wolfgang Wodarg oder den Mikrobiologen Sucharit Bhakti, plötzlich als Verschwörungstheoretiker hinstelle. Als weiteren Kronzeugen gibt er den Verschwörungsanhänger Anselm Lenz an, „dem er sehr nahesteht“.
Aber in die rechte Ecke will sich das frühere FDP-Mitglied nicht stellen lassen. Es wird ein langes Telefonat mit ihm, bei dem man nur mit Mühe ein paar Zweifel an seine Theorien streuen kann. Die Neue Rottweiler Zeitung wagte im August ein Experiment und gab Lasota in ihrer digitalen Ausgabe viel Platz, um seine Sicht auf die Pandemie darzustellen. In der Woche darauf reagierte die Redaktion und setzte dem Gastautor die Fakten der bekannten Experten entgegen. „Nein, davon hat mich nichts überzeugt“, sagt Lasota jetzt am Telefon. Da hätte man einfach die Zahlen von Drosten und Co zusammengeschrieben und sich nicht mit den eigentlichen Zusammenhängen beschäftigt. Lasota höhnt: „Das kann ich auch.“
„Die Mehrheit der Leute ist eigentlich ganz vernünftig, aber es gibt in der Gegend eben eine laute Minderheit“, sagt einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Das geht vielen hier so, schließlich muss man, egal, wie man zu Corona steht, weiter mit seinen Nachbarn zusammenleben.
Elias Schmider organisiert Gegenprotest
Elias Schmider hat kein Problem damit, dass sein Name genannt wird. Er will etwas tun gegen die Unvernunft und die Aggression. In der Nacht zum 1. Mai hatten Unbekannte in Waldmössingen ein Dixi-Klo zur Impfstation umgewidmet, und sie hängen ein Transparent an die Apotheke, das die Homosexualität von Jens Spahn thematisierte. Elias Schmider ärgert sich über diesen Blödsinn, vor allem aber empört ihn der homophobe Ton. Der 20-Jährige ist in Waldmössingen groß geworden und studiert seit zwei Semestern Politik und Englisch in Freiburg. Er möchte Lehrer werden.
In der Coronazeit hat er wieder viel Zeit bei seinen Eltern in Waldmössingen verbracht. Einer „Querdenker“-Menschenkette, die für den 5. Mai angekündigt war, wollte er etwas entgegensetzen. Schmider trommelte Freunde und Bekannte zur Gegendemonstration zusammen. Zwei Hand voll Menschen standen dann unter dem Motto „Nachdenken statt Querdenken“ den 80 Corona-Protestierenden gegenüber.
Die meisten der „Querdenker“ in der Menschenkette kamen wohl nicht aus dem Ort. Organisiert wurde die Menschenkette vom gleichen Kreis, der auch die Kundgebungen in Schramberg mit Roman Lasota anmeldet.
Für die Aktion in Waldmössingen hatten die Organisatoren Vereine vor Ort dazu aufgerufen, mit zu demonstrieren und dabei das Fußballtrikot oder die Vereinstracht zu tragen. Das sorgte für Diskussionen im Dorf. Die Vorstände von Blasmusik und Narrenzunft und den meisten anderen Vereinen baten ihre Mitglieder, falls sie zu der Demonstration gehen wollten, keine Vereinszeichen zu tragen. So kam es dann auch. Nur wenige Waldmössinger trauten sich überhaupt am Demonstrationstag aus der Deckung, keiner trug Vereinskleidung.
Auffällig ist, dass sich ausgerechnet der Sportverein 1921 Waldmössingen, bei dem fast jeder Junge am Ort mal gekickt hat, wegen der Demonstration nicht an seine Mitglieder wandte. Das sagt ein Vereinsmitglied, der lange in der Jugendarbeit tätig war. Auch er will nicht namentlich genannt werden, weil er sonst den Frieden für sich und seine Familie gefährdet sieht. Er liest immer noch mit, was in den Whatsapp-Gruppen des Vereins so gesprochen wird. Und er registriert, dass der Vereinsvorstand seit Beginn der Coronapandemie nichts unternommen habe, um dem ganzen Geschwurbel von Unfruchtbarkeit und sonstigen angeblichen Impffolgen etwas entgegenzusetzen. Es habe vom Verein keine Aufrufe gegeben, sich Impfen zu lassen, sagt er – und sei es auch nur, um den Spielbetrieb aufrechterhalten zu können. Schon gar nicht habe der Verein eine eigene Impfaktionen gestartet. Aber es wundere ihn nicht.
So nimmt es schon weniger wunder, dass jenes Haus zwischen Rathaus und Schule, in dem seit September fünf Grundschulkinder ihren alternativen Unterricht erhalten, im Besitz des Vereinsvorsitzenden Michael Trenkle (Name geändert) ist. Die Trenkles wohnen nicht nur mitten im Ort, sie gehören zum Establishment in Waldmössingen. Michael Trenkle führt ein großes Möbelhaus in der näheren Umgebung, seine Frau Julia firmiert bei Facebook als Spezialistin in Corporate Design und Markenbildung. Auftraggeber ist neben dem eigenen Familienbetrieb das Kleingewerbe am Ort. Auch die Webseite des Vereins hat sie entworfen. Jetzt hat sie ihr Büro zur „Corona-Schule“ umgebaut.
„Die sind voll in ihrem Verschwörungswahn drinnen“, sagt jemand, der einmal versucht hat, mit den Trenkles über Impfen und Maskenpflicht zu diskutieren. Auch er sagt das nur hinter vorgehaltener Hand.
Julia Trenkle aus Waldmössingen, die dort Kinder in einer „Corona-Schule“ privat unterrichtet
Julia Trenkle, die nicht erklären will, was sie bei den Coronatests für ihre Kinder befürchtet, steht in Hausschuhen und Pulli auf der Treppe. Die glatten blonden Haare nach hinten gefasst, sie trägt eine schwarz geränderte Brille. An der Garderobe liegen Schulbücher, aus denen gelbe Post-it-Zettel schauen. Oben schaut ein Junge kurz um die Ecke. Eigentlich wolle sie nicht mit der Presse reden, sagt die junge Frau. Sie sieht müde und ein bisschen traurig aus, ist sich aber sicher, das einzig Richtige zu tun. „Sie glauben gar nicht, was wir im Ort erleben“, sagt sie. Sie habe immer gedacht, „wir leben hier in einer Gemeinschaft“. Aber jetzt „werden wir durchs Dorf gehetzt“. Julia Trenkle sagt, sie könne das nicht verstehen: „Dabei schaden wir doch keinem.“
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