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Corona und der deutsche FöderalismusEinheitlichkeit als Fetisch

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Dass nicht alle Bundesländer alles gleichzeitig beschließen, ist nicht so schlimm. Denn das gestaffelte Vorgehen bringt mentale Vorteile.

Testlauf: Wenn sich Ausgangssperren in Bayern durchsetzen lassen, können andere sich vorbereiten Foto: dpa

D eutschland ringt um den Gleichschritt bei der Eindämmung der Coronavirus-Epidemie. Am Sonntag ab 14 Uhr verhandelt die Kanzlerin mit 16 MinisterpräsidentInnen, ob man bundesweite Ausgangsbeschränkungen braucht. Bayern und das Saarland sind mit strengen Regelungen bereits vorgeprescht. Andere Bundesländer wie Baden-Württemberg haben zumindest verboten, in Gruppen herumzustehen und zu sitzen. Dabei hatte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) doch eindringlich vor Alleingängen gewarnt. Die Telefonkonferenz gilt deshalb als Bewährungsprobe für den deutschen Föderalismus. Denn der Bund kann nichts anweisen. Für die Anwendung des Infektionsschutzgesetzes sind die Länder zuständig. Sie müssten sich freiwillig auf gemeinsames Vorgehen einigen.

Vorweg: Der deutsche Föderalismus ist historisch überholt. Er ist überflüssig und macht das Leben nur unnötig kompliziert. Die meisten Bundesländer sind selbst Patchwork-Gebilde ohne ausreichende eigene Identität. Die Zukunft gehört dem europäischen Föderalismus, aufgebaut aus den europäischen Nationalstaaten, die echte Diskursräume mit eigenen Regulierungstraditionen bieten. Föderalismus ist gut, aber ein europäischer Förderalismus genügt.

Dennoch ist die aktuelle Föderalismus-Kritik oberflächlich und überzogen. Es wird festgestellt, dass es bei der Corona-Bekämpfung einen Flickenteppich gibt, weil die Länder nicht simultan agieren. Schulschließungen, Veranstaltungsverbote, Ausgangsbeschränkungen – nichts wurde am gleichen Tag umgesetzt. Immer preschten einzelne Länder vor und andere zogen erst ein paar Tage später nach. Aber ist diese Ungleichzeitigkeit wirklich ein großes Problem?

Viele Kommentatoren in den Medien glauben, dass die Politik so Vertrauen verspielt. Von den Bürgern werden harte Opfer erbracht, aber die Politik sei unfähig, mit den Bürgern geordnet zu kommunizieren. Vielleicht ist es aber eine etwas zu schematische Vorstellung, dass Vertrauen nur entstehen kann, wenn alle exakt dasselbe sagen. Es sind doch eher die Politik-Kommentatoren, die Vertrauen gefährden, indem sie die Einheitlichkeit wie einen Fetisch behandeln und Scheinprobleme zum großen Politiktest hochschreiben.

Natürlich suchen alle nach dem richtigen Weg, wie man möglichst wenig Todesfälle zulässt und gleichzeitig Wirtschaft und Gesellschaft vor dem Crash bewahrt

Die Leute sind ja nicht blöd. Wenn ein völlig neues, gefährliches Virus auftaucht, ist doch klar, dass niemand ein Patentrezept in der Tasche hat, das man jetzt einfach Punkt um Punkt umsetzen muss. Natürlich suchen alle nach dem richtigen Weg, wie man möglichst wenig Todesfälle zulässt und gleichzeitig Wirtschaft und Gesellschaft vor dem Crash bewahrt.

Dabei ziehen in Deutschland sogar alle an einem Strang und verfolgen eine gemeinsame Grundlinie. Die Ausbreitung des Virus soll möglichst verlangsamt werden, damit sich nicht zu viele Menschen gleichzeitig infizieren und das Gesundheitssystem überfordern. Dass es in Deutschland diesen Grundkonsens gibt, ist beruhigend und schafft wirklich Vertrauen. Man denke nur an Staaten wie Großbritannien und die Niederlande, die zunächst einen ganz anderen Weg verfolgten und möglichst schnell eine möglichst hohe Ansteckungsrate mit darauf folgender, erhoffter, Immunität erreichen wollten. Ganz zu schweigen von der zeitweisen Verharmlosung der Pandemie in Staaten wie Iran oder den USA.

Gäbe es bei uns Bundesländer, die so verführen, dann müsste man sich wirklich Sorgen machen. Doch die deutschen Bundesländer nehmen das Problem gleichermaßen ernst, sie beschließen die gleichen Maßnahmen – nur nicht am gleichen Tag.

Das ist zwar kein Wettbewerbsföderalismus, bei dem sich am Ende das beste Modell durchsetzt. Denn es wartet ja niemand auf Ergebnisse, um diese zu vergleichen. Die nächste Verschärfung kommt meist schon, bevor sich die Wirkung der vorherigen auch nur abschätzen lässt.

Das gestaffelten Vorgehen der Länder bringt aber mentale Vorteile. Wenn Bundesländer vorpreschen, bei denen es eine hohe Akzeptanz für harte Maßnahmen gibt, etwa in Bayern, können sich die Einwohner der anderen Bundesländer gedanklich und praktisch schon einmal auf das vorbereiten, was bald auch bei ihnen kommt. So erhöht die Ungleichzeitigkeit der Länder unter dem Strich eher die Akzeptanz der Maßnahmen, als dass es sie gefährdet. Bayern ist sozusagen das Preview-Programm für Deutschland.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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16 Kommentare

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  • "Es sind doch eher die Politik-Kommentatoren, die Vertrauen gefährden, indem sie die Einheitlichkeit wie einen Fetisch behandeln und Scheinprobleme zum großen Politiktest hochschreiben."

    Angenommen, diese Bewertung stimmt. Was sollen dann Sätze wie:

    "Der deutsche Föderalismus ist historisch überholt. Er ist überflüssig und macht das Leben nur unnötig kompliziert." ?

    Richtig. Sie beweisen, dass die contradictio in adiecto fröhlich weiterlebt. :-))

  • Jetzt dürfen alle die Versäumnisse der Politiker ausbaden, das Kaputtsparen der Kliniken, Pflegenotstand, um nur einiges zu nennen, zu spät die EU-Grenzen geschlossen, etc.



    Natürlich ist es in aller Interesse, z.B. Abstand zu halten, aber man kommt jetzt an einem Punkt, z.B. mit dem neuen Kontakverbot, wo es problematisch wird. Es gibt nicht nur eine medizinische, psychologische, wirtschaftliche, sondern auch eine rechtsstaatliche Seite. Die Gefahr besteht zuviel Grundrechte einzuschränken und dies teils ohne gesetzliche durch Gerichte überprüfte Legitimation.

    Diese Holzhammermethoden müssen abgelöst werden durch differenziertes Vorgehen, z.B. zwischen Land und Stadt, zwischen Hotspots und kaum betroffenen Gegenden, sowie durch Schnelltests, die jeder morgens machen kann. Es braucht eine Klarstellung durch Karlsruhe, was möglich ist und die Beteiligung von Parlamenten. Es ist keine Option, zu warten, bis es eine Impfung oder Medikamente gibt, Medikamente soll es ja evtl. bereits geben, und alle monatelang in den Häusern einzusperren. Da muß die Politik z.B. festlegen, das neue Gesetze befristet sind, wie lange es dauern soll und sich differenzierte Lösungen einfallen lassen. Ein Beispiel, irgendwann wird es zehntausende, hunderttausende und mehr Menschen geben die den Virus überstanden haben, sollen die dann auch zuhause bleiben? Die Politik sollte jetzt die Zeit nutzen um die Ausbreitung zu stoppen, was getan wird, aber bis Ostern auch andere Lösungen finden, schon aus ökonomischen Gründen.

  • was den europ. Förderalismus angeht, da hilft ein Blick nach Italien.



    Das Lagarde gerade sinngemäß verkündet hat, es sei nicht die Aufgabe der EZB den Spread zu schließen, wird sich bitter rächen. Wenn die Krise vorbei ist wird es viele offene Rechnungen geben, die Stimmung in Italien dreht sich gegen die EU und besonders D.

  • Bayern und das Saarland haben zuvor schon gesehen, was die unmittelbaren Nachbarn machen. Österreich ist und war dem Freistaat mit Maßnahmen schon voraus. Daher war auch klar, was kommen wird.

  • "Wenn ein völlig neues, gefährliches Virus auftaucht, ist doch klar, dass niemand ein Patentrezept in der Tasche hat, das man jetzt einfach Punkt um Punkt umsetzen muss."

    Es gab einige Länder außerhalb Deutschlands, die haben das hinbekommen, nicht nur das autoritäre China. Es ist einfach eine Mär man müsse sich vortasten und niemand wußte was passiert, die grobe Richtung ließ sich in anderen Ländern ansehen.



    Auch das späte Reagieren ist allein dem Föderalismus geschuldet zusätzlich zu das D nicht über den Tellerrand sieht.



    Es geht doch nicht um einen Zentralstaat, es braucht ein zentrales Krisenmanagement, das nur in solchen Krisen anzuwenden ist, in normalen Zeiten kann der Förderalismus bestehen, wie er ist.

    • @nutzer:

      Frankreich (zentral) hat auch nicht früher reagiert. China (zentral) hat auch sehr spät reagiert: „Paar Kranke in der Provinz, was soll schon sein“, eine unabhängigere Regierung in Wuhan hätte vielleicht früher reagiert, hätte sie nicht erst auf Peking warten müssen. Die Massnahmen in Deutschland haben doch zeitlich zwischen den Ländern immer nur um Stunden bis 1-2 Tage differiert. Wer sagt denn, dass bei zentraler Entscheidung nicht jeweils die Entscheidung eben diese Stunden bis 1-2 Tage nach dem ersten Bundesland gekommen wären und vielleicht nicht noch später überall umgesetzt worden wären.



      Ausserdem sind deutsche Bundesländer so gross oder grösser als viele Nationalstaaten ringsherum, wobei diese teilweise wiederum auch noch eine förderale Unterteilung haben. Mit dem Argument Flickenteppich könnte man kleine Länder generell verbieten.

  • Naja, dass sich Söder gern profiliert, das ist ja bekannt. Dass es zumindest kritikwürdig ist, erst einen ConfCall mit den anderenMPs zu haben und dann unabgestimmt loszulegen, das sollte klar sein.

    Im Artikel sehe ich jedoch einen anderen Kritikpunkt: Ein föderalesEuropa sollte regional organisiert sein. Die Nationalstaaten mit ihren Politfürsten sind in einem vereinigten Europa obsolet.

  • Langsam fangen verschiedenste Lobbyisten an, im Rahmen der Krisenbekämpfung ihre Sowieso-Ziele als Notfallmaßnahmen einzubringen.



    Und die sofortige Umsetzung zu fordern.



    Langsam ist erhöhte Aufmerksamkeit geboten!

  • Der Förderalismus soll überholt sein?



    Das sehe ich ganz anders!



    D hat 80 Mio Einwohner. Da ist eine Untergliederung absolut sinnvoll - auch im Sinne einer Gewaltenteilung zwischen den Teilstaaten, weil die klassische Trennung der Gewalten leider nicht so belastbar ist, wie bei unseren Nachbarn zu besichtigen ist.



    Außerdem erlaubt uns das parallel unterschiedliche Gesetzgebung, die als Life-Versuch viele Erkenntnisse über den Nutzen bringen kann.



    Und die Nachteile?



    Nun, ok - höherer Aufwand für Funktionsträger.



    Aber sonst?



    Die Bevölkerung ist weit überwiegen nur in einem Land aktiv, also nicht betroffen.



    Die Wirtschaft auch - bis auf die Großkonzerne, die am lautesten trommeln.



    Aber wollen wir die zulasten der lokalen Ökonomie, z.B. im Bausektor fördern? Oder ist nicht eher lokaler Bezug förderungswürdig?



    Die Bundesländer sind übrigens vielfach größer als andere EU-Staaten, man kann also nicht sagen, dass D zu kleinteilig sei.



    Bitte mal nachdenken!

  • Dieser Kritikpunkt, das manche Länder jetzt vorpreschen, ist einfach riesiger Unsinn. Wer will es denn Bayern, wo das Virus zuerst aufgeschlagen ist und die Fallzahlen mit am höchsten sind, verübeln, wenn sie nicht noch ein paar Tage warten und lieber gleich handeln möchten? Die Lage in den verschiedenen Bundesländern ist unterschiedlich stark ausgeprägt und dann macht es auch nur Sinn, wenn manche früher oder stärker reagieren als andere.

  • "eine hohe Akzeptanz für harte Maßnahmen gibt, etwa in Bayern," da muss ich entschieden etwas verpasst haben, obwohl ich genügend connections dahin habe. Söder war sich lange genug nicht zu schade, auf die Grünen als Verbotspartei einzudreschen, das hätte man ihm eigentlich gerichtlich verbieten müssen; dann übernimmt er ihre Positionen und jetzt prescht er mit Verboten vor. Mehr Wendehalsigkeit geht nicht mehr. Und die meisten Schreibenden merken es nicht, das ist eigentlich noch viel schlimmer. Söder ist der geborene Opportunist, mit einem starken Hang zur Macht. Knackpunkt: Scheuer und eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 130 km/h. fff und Klimadebatte wird gerade überlagert, da das Virus im Handumdrehen teilweise das erreicht, was fff nur mühsam erreichten und Söder und Entourage regelmäßig boykottierten, von publikumswirksamen Maßnahmen zur Täuschung der Schreibenden abgesehen. Nur so nebenbei: Zwei Premiumwerke sind in Bayern, Freude am Fahren, bei mir Freude am Auffahren und Vorsprung durch Technik, genauer: durch Betrug. Und etwa die Hälfte der Waffenexporte, z.B. in die Türkei, geht von Bayern aus.

    • @Sarg Kuss Möder:

      In ihrem Hass auf Markus Söder werfen Sie die Sachlagen ein bisschen wirr durcheinander.



      Bayern, in Person des Ministerpräsidenten waren die ersten mit den Maßnahmen, dann sind alle vernünftigen Bundesländer nachgezogen. Es geht hier um eine Krankheit, und es wurde Reagiert.



      Die Grünen wollen Verbote, um der Verbote wegen. Sie wollen allen Menschen ihre, teilweise sehr verschrobenen, Ansichten und Meinungen über Gesetze diktieren. Da die Grünen die Welt aus ihrem Elfenbeinturm herab betrachten, sind sie der Meinung, wer die Welt nicht so sieht wie sie ist rückständig, und muss zu seinem " Glück " gezwungen werden.



      Wann haben Sie in der Corona Krise mal was von den Lichtgestalten der Grünen gehört ? eine Ansammlung von omnipotenter Menschen hat nicht die Lösung ? Logisches Handeln und utopische Weltanschauungen, sind anscheinend doch zwei Paar Schuhe.

  • "Viele Kommentatoren in den Medien glauben, dass die Politik so Vertrauen verspielt"

    Ja, diese Fixierung darauf hat mich tatsächlich irritiert. Sind doch die Massnahmen allenthalben inhaltlich recht ähnlich und im Korridor dessen, wass die Epidemiologie empfiehlt.

    Da ist dieses Gequake wirklich ein wenig überflüssig und lenkt von wichtigeren Dingen ab.

  • Das bayerische Modell wird ab heute abend bundesweit gelten. Eventuell noch erweitert um die Schließung aller nicht wirklich systemrelevanten Betriebe, denn in der jetzigen Situation ist die Produktion sehr vieler Produkte absolut verzichtbar und die Ansteckungsgefahr während der Arbeit vor allem in der Produktion unverantwortbar hoch.

    • @boidsen:

      Kommentar entfernt. Bitte bleiben Sie sachlich.

      Die Moderation

  • Das Wort Fetisch in eiem pejorativen Sinn zu verwenden, ist auch nicht besser, als wenn man das zum Beispiel mit dem Wort schwul macht.