Corona macht depressiv: Die Stimmung ist gekippt

Nach einem Jahr Pandemie merken viele psychische Beeinträchtigungen. Vielleicht steckt dahinter die Erfahrung der eigenen Machtlosigkeit.

Einsamer Mensch vor bewölktem Himmel

Die Pandemie fühlt sich manchmal an wie ewig bewölktes Wetter Foto: dpa

BREMEN taz | Am Karfreitag, meinem ersten Urlaubstag, wachte ich auf – und hatte eine Coron­a­depression. Erst dachte ich, ich sei überarbeitet. Schließlich hatte ich noch am Vorabend dafür gesorgt, dass mir meine beruflichen Mails im Urlaub nicht zugestellt würden. Zwei Tage machte ich den Computer gar nicht an, auch das Handy blieb aus.

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Bis dahin hatte ich meine Arbeit als Journalistin in der Pandemie als so befriedigend erlebt, dass ich nach Feierabend regelmäßig weitergearbeitet hatte, das Homeoffice machte es möglich. Kein Wunder, dass mein Wunsch nach einer Pause so groß war wie lange nicht.

Doch zu meiner Verwunderung löste sich dieses Grundgefühl von Traurigkeit nicht nach einigen Tagen Erholung auf. Und auch meine Lust, etwas anderes zu machen als essen und herumliegen, blieb gering. Ich bin keine Anfängerin. Ich weiß, wie sich eine Krise anfühlt und auch, was ich tun muss, um nicht tiefer hineinzurutschen.

Also tat ich alles, von dem ich weiß, dass ich mich dann besser fühle. Ging raus, beobachtete Vögel, aß gut und regelmäßig, duschte lang. Aber ich tanzte weniger in der Wohnung herum und auch Yoga machte ich kaum noch – auch weil ich keine Lust mehr hatte, meinen Yoga­lehrer nur auf dem Monitor zu sehen.

Irgendwann dämmerte mir: Das hat etwas Depressives. Für mich eine neue Erfahrung. Das Wort geht auf das lateinische „depressio“ zurück, was „Niederdrücken“ oder „-senken“ bedeutet. Was im Körper bei Depressionen genau geschieht, ist nicht hinreichend klar, weswegen die medikamentöse Behandlung längst nicht so einfach ist, wie es oft dargestellt wird. Bekannt ist dafür, was Depressionen auslösen kann. Überlastung gehört dazu, Urlaubsbeginn.

Corona macht etwas mit mir

Auch das klinische Bild ist ausführlich beschrieben. Meine Symptome könnte man nach dem international gültigen Code für Krankheiten als „F32.0“ als „leichte depressive Episode“ klassifizieren. Es passt nicht so ganz, dafür habe ich zu viel Freude am Leben, aber trotzdem: Corona macht etwas mit mir.

Und nach allem, was ich höre und lese, bin ich nicht die einzige, der es so geht. Ein paar Freundinnen und Bekannte hatten schon vor Monaten von Müdigkeit und Erschöpfung erzählt. In den letzten Wochen hatte ich den Eindruck, diese Berichte häuften sich.

Auch die Meldungen von Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen­kam­mern und Kassen bestätigen den Eindruck. Der Bedarf an Psychotherapie unter anderem wegen höhergradigen und damit behandlungsbedürftigen Depressionen ist danach stetig gestiegen. Ende März teilte die Stiftung Deutsche Depressionshilfe mit, selbst „für die Allgemeinbevölkerung ohne psychische Erkrankung“ sei die Situation „aktuell deutlich belastender als im ersten Lockdown“. Und jetzt war es mir auch passiert.

Aber warum? Was ist gekippt und wann? Klar, witzig fand ich das letzte Jahr auch nicht. Mein jüngster Neffe ist im Januar ein Jahr alt geworden, ich kenne ihn nicht. Meine drei Geschwister und ihre Familien hatte ich Weihnachten 2019 das letzte Mal gesehen. Als mich eine meiner Schwestern Ostern besuchte, haben wir uns nicht umarmt, obwohl mir die körperlichen Kontakte sehr fehlen.

Zurückgezogen in kleine Blasen

Ich treffe zwar draußen regelmäßig Freund*innen, aber nur die, die in Bremen leben, und die seltener, als es möglich wäre. Es ist, als ob wir uns in sehr kleine Blasen zurückgezogen hätten und nicht wissen, wie wir wieder hinauskommen. Das tut weh. Als ich mit einer Handvoll Freun­d*in­nen im Januar meinen Geburtstag im Freien feiern wollte und alle bis auf eine wegen Corona absagten, war ich so enttäuscht, dass mir heute noch die Tränen kommen, wenn ich daran denke.

Aber vieles von dem, was gerade nicht möglich ist oder schlicht hirnrissig wäre, vermisse ich so gar nicht. Shoppingtouren, Flugreisen. Kulturangebote habe ich auch vor Corona in einem überschaubaren Maß genutzt, und dass ich nicht in vollen Restaurants auf teures Essen warten muss: so what. Auch der Wechsel ins Homeoffice hat nicht nur Nachteile. Es riecht dort besser als in der Redaktion, die Umgebung ist schöner, und die Laune kann ich mir zu Hause nur selbst vermiesen.

Ich hätte noch nicht mal auf hohem Niveau jammern können. Worüber denn? Immerhin kann ich Urlaub machen. Anders als etwa viele Po­li­ti­ke­r*in­nen oder Pflegekräfte und Ärzt*innen, die seit einem Jahr in Dauerbereitschaft sind. In meinem Freundeskreis und in der Familie sind alle gesund geblieben, niemand hat den Job verloren, diejenigen mit hohem Risiko für schwere Krankheitsverläufe sind geimpft, und weil in Bremen Grundschulen und Kindertagesstätten fast durchgängig geöffnet waren, ist uns der Homeschooling-Stress weitgehend erspart geblieben.

Die Kinder konnten die meisten ihrer Freun­d*in­nen treffen, weil sie ohnehin mit ihnen den halben Tag in engen Räumen verbringen. Als Journalistin kritisiere ich, dass in Bremen so wenig für den Schutz von Kindern und Erwachsenen in Kita und Schule getan wurde und bis heute die Grundschulklassen in voller Gruppenstärke unterrichtet werden. Als Privatperson nehme ich die Vorteile dieser Politik dankend an, schalte mein Gehirn aus, insbesondere die Angstzentrale, und hoffe, dass es gut geht.

Vieles war wirklich schön

Diese Strategie, mich nicht lange mit dem zu beschäftigen, was mich niederdrücken könnte, ging lange auf. Dazu musste ich mir die Situation nicht einmal schön reden: Vieles war wirklich schön – und das in einer kleinen Wohnung ohne Garten. Wir entzündeten mitten im Winter Lagerfeuer und ich bekam so viel von meinen Kindern mit, wie lange nicht.

Ohne die Pandemie hätte auch meine Freundinnengang aus der Schulzeit nicht wieder zusammengefunden, zunächst nur online, aber das ist immer noch mehr Kontakt als in den letzten zehn Jahren.

Und schließlich hatte ich meine Arbeit. Noch nie habe ich sie als so sinnhaft erlebt wie in dieser Krise. Sogar ganz offiziell war mir im vergangenen Frühjahr meine Systemrelevanz bescheinigt worden. Als Journalistin bin ich so wichtig wie Er­zie­he­r*in­nen und Verkäufer*innen, aber anders als diese stand ich eben nie an der Front, wie es der Weser Kurier am 16. März 2020 in einem Editorial suggerierte: „Unsere Mitarbeiter sind nervenstark“.

Die gefährlichsten Situationen für Bremer Lo­kal­jour­na­lis­t*in­nen waren die Senatspressekonferenzen in einem riesigen Saal im Rathaus. Ich konnte stets selbst entscheiden, wann ich mein Home­office verließ, um mit Maske und Abstand Leute zu treffen.

Dieses Gefühl, nicht hilflos ausgeliefert zu sein, sondern mitgestalten zu können, muss mich lange getragen haben. Selbstwirksamkeit heißt das – ein Schlüssel zu psychischer Gesundheit. Doch im Laufe der vergangenen paar Monate habe ich wohl die Gewissheit verloren, dass ich Einflussmöglichkeiten auf das Geschehen habe, sowohl privat als auch beruflich.

Das Belohnungssystem versagt

Ich halte mich an die Empfehlungen zum Infektionsschutz. Aber spätestens jetzt, in der dritten Welle, ist klar, dass ich keinen Gewinn daraus ziehe, mich so extrem einzuschränken. Die Zahlen steigen, egal wie ich mich verhalte. Das Belohnungssystem, das nicht nur in der Erziehung von Hunden eine elementare Rolle spielt, versagt fast komplett.

Als Journalistin habe ich mich natürlich schon vor der Pandemie manches Mal gefragt, wie viele Artikel ich zu einem Thema eigentlich noch ­schreiben muss, bevor sich etwas ändert. Aber normalerweise weiß ich, welche Haltung ich habe und was richtig und falsch ist. Auch im vergangenen Jahr war das so. Momentan fehlt mir oft der Kompass.

Mehrmals habe ich aus vollem Hals gelacht, wenn ich desaströse Nachrichten über den Verlauf der Pandemie und politische Entscheidungen gelesen habe. Lachen befreit. Vielleicht bin ich die Letzte, aber ich habe erst bei der Nummer mit der Osterruhe wirklich begriffen, dass nicht die Details der Bremer/deutschen/europäischen Coronastrategie problematisch sind – sondern dass das Problem in einer fehlenden Strategie besteht.

Auch vor der Pandemie habe ich immer wieder mal mit meiner Branche gehadert. Deren Ver­tre­te­r – die Vertreter*in­nen schon eher – neigen nicht zum Selbstzweifel und wenn doch, dann sprechen sie nicht drüber. Wir müssen ja auch nie Verantwortung übernehmen und uns selten für Fehler rechtfertigen.

Noch stärker als in normalen Zeiten kommt es mir vor, als stünden Jour­na­lis­t*in­nen wie lauter Co-Trainer*innen pöbelnd am Spielfeld­rand und brüllten den Spie­le­r*in­nen Taktiken zu, die todsicher zum Erfolg führen. Dabei sind sie ausgesprochen flexibel im Denken. Wenn alle gerade noch unisono eine defensive Spielweise gefordert haben, sind sie zehn Minuten später überzeugt davon, dass nur ein Sturm aufs Tor helfen kann, weil sie das aus einer neuen Studie herausgelesen haben wollen.

So will ich nicht sein. Aber ich will auch nicht wie viele Lokalmedien aus Überforderung und Unsicherheit politische Entscheidungen nur noch erklären und nicht mehr hinterfragen.

Das auszuhalten, ist anstrengend. Und das ist das einzige Fazit, das ich am Ende dieses Textes ziehen kann. Es gibt keinen Ausblick, keine versöhnlichen Sätze zum Ausklang. Ein anderer Schluss will mir nicht einfallen.

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Hilfe im Krisenfall: Wenn Sie Ängste haben oder vielleicht sogar an Suizid denken, versuchen Sie, mit anderen darüber zu sprechen. Unter anderem die Telefon­seelsorge bietet rund um die Uhr kostenlose Beratung: 0800­1110111 oder per Chat via telefonseelsorge.de. In Notfällen wenden Sie sich bitte an die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter der Telefonnummer 112. Weitere Hilfsadressen und Informationen zu Depressionen gibt es außerdem bei deutsche-depressionshilfe.de

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