Claudia Kemfert über Klimapolitik: „Das hätte nicht passieren dürfen“

Claudia Kemfert will Vertreter fossiler Energie nicht bei der Klimakonferenz in Dubai dabei haben. Die Ökonomin prangert dringenden Reformbedarf an.

Sultan Ahmed al-Dschaber hält die Hände zu einer Raute

Hält die Hände wie Merkel und an den Fossilen fest: Sultan Ahmed al-Dschaber Foto: A. Perez Meca/Getty Images

taz: Frau Kemfert, bald beginnt die UN-Klimakonferenz in Dubai, die COP28. Der Vorsitzende ist dieses Jahr Sultan Ahmed al-Dschaber, der gleichzeitig Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate und Chef der staatlichen Ölgesellschaft Abu Dhabi National Oil Company ist. Konterkariert das nicht die gesamte Veranstaltung?

Claudia Kemfert ist Expertin für Energie- und Klimafragen und leitet seit 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Claudia Kemfert: Eindeutig, diese Personalie beschädigt die Glaubwürdigkeit der UN-Klimakonferenz, da ein Interessenkonflikt besteht. Das hätte nicht zugelassen werden dürfen. Al-Dschaber sagt unverhohlen, dass nicht in Erneuerbaren, sondern in emissionsfreien Energien die Zukunft liege. Er will weiterhin fossile Energiequellen nutzen, und das CO2 soll offenbar auf wundersame Weise irgendwo gespeichert werden. Das wird so nicht möglich sein.

Ist das Format der UN-­Klima­konferenz nicht ohnehin aus der Zeit gefallen?

Im Gegenteil. Das Format an sich hat sich bewährt. Es ist sogar zeitgemäßer denn je und braucht einen höheren Stellenwert. Die UN-Klimakonferenz muss aber reformiert werden.

Was schlagen Sie vor?

Es sollte reguliert werden, welche Lobbygruppen Zugang zur Konferenz bekommen. Es muss möglich sein, ohne Interessenvertreter der fossilen Industrien transparent und demokratisch über Klimaschutzmaßnahmen zu verhandeln. Deshalb sollte die Konferenz nur an Orten ausgetragen werden, an denen das garantiert ist.

Auch muss hinterfragt werden, ob wirklich eine derart große Anzahl Teilnehmender nötig ist. Allein die Emissionen der Anreise sind riesig. Da könnte vieles reduziert und auf den Kern der Verhandlungen konzentriert werden. Es ist gut, dass die UN das Mandat haben. Aber die einzelnen Länder müssen stärker in die Pflicht genommen werden, ihre Ziele auch umzusetzen. Die klimaschädlichen Subventionen in den reichen Industrienationen müssen unbedingt abgeschafft werden. Dann könnte man einen Teil dieser Gelder dafür verwenden, die Klimaschäden im Globalen Süden zu bezahlen. Diese Frage drängt nämlich.

Die Staatengemeinschaft wird sich bei der Konferenz wahrscheinlich nicht darauf verständigen, aus der fossilen Energie auszusteigen. Wird das in absehbarer Zeit kommen?

Jedenfalls ist das dringend notwendig. Wir wissen das seit 40 Jahren. Es dürften heute keine Investitionen mehr in fossile, sondern nur noch in erneuerbare Energien fließen, und zwar weltweit, auch in Deutschland. Aber selbst wir halten uns nicht dran, sondern machen neue Gaslieferverträge mit afrikanischen Staaten und bauen neue, völlig überdimensionierte LNG-Terminals. Das ist unehrlich und falsch.

Wie zufrieden sind Sie klimapolitisch nach zwei Jahren mit der Ampelkoalition?

Ich schwanke zwischen Jauchzen und Seufzen. Einerseits gibt es viel Tatendrang beim Ausbau der Erneuerbaren. Die Bundesregierung hat viele Barrieren abgebaut. Dadurch sind die Ausbauziele für 2030 endlich erreichbar geworden. Andererseits gibt es eine lange Liste von Zielen, insbesondere im Verkehrssektor und im Gebäudebereich, die sehr wahrscheinlich nicht erreicht werden.

Die Erneuerbaren machen derzeit ungefähr ein Fünftel des gesamten Energieverbrauchs aus. Ist damit Klima­neutralität bis 2045 überhaupt möglich?

Zuallererst: 2045 ist zu spät! Wir müssen bis 2038 klimaneu­tral sein, um kompatibel mit den Zielen des Klimaabkommens von Paris zu sein. Grundsätzlich ist das möglich, wenn man denn will. Allerdings brauchen wir dafür in Sachen Klimaschutzmaßnahmen dringend einen Turbo. Beim Energiesektor tut sich einiges, der Kohleausstieg ist beschlossen und kommt vermutlich früher, weil sich Kohlekraftwerke wegen hoher CO2-Preise kaum mehr rechnen. Im höchsten Maße problematisch ist aber, dass im Verkehrs- und Gebäudesektor viel zu wenig passiert.

Wird die Bundesregierung ihre eigenen Klimaziele für 2030 verfehlen?

Das ist leider hochwahrscheinlich. Einzig beim Ausbau der Erneuerbaren sind die Ziele erreichbar. Bei anderen Zielen, etwa beim Wasserstoff-Ausbau oder der Anzahl von Wärmepumpen oder Elektrofahrzeugen samt Ladepunkten, sieht es nicht gut aus. Diese Ziele werden aller Voraussicht nach nicht erreicht.

Im Zuge der Debatte über das Heizungsgesetz gab es in Bezug auf die Klimapolitik einen massiven Stimmungsumschwung. Ist die eingeschlagene Energiewende umkehrbar?

Nein, dafür ist der Markt viel zu weit fortgeschritten. Beim Ausbau der Erneuerbaren, der Elektromobilität oder den Wärmepumpen etwa ist die Gewinnschwelle schon erreicht. Es ist schlicht billiger, sich eine Wärmepumpe einzubauen zu lassen als eine Gas- oder gar Ölheizung. Auch Elektroautos werden preiswerter und attraktiver. Andere Länder investieren massiv in Zukunftstechnologien.

Aber mittlerweile wird in der Gesellschaft Klimaschutz immer mehr als Bedrohung angesehen.

Das ist nicht neu. Seit über 40 Jahren wird uns anhand von Fake News der Mythos eingeredet, dass Klimaschutz eine Bedrohung sei. Dabei ist die wahre Bedrohung die immer schneller wachsende Klimakrise! Durch diese interessengeleitete Manipulation der Öffentlichkeit wird echter Klimaschutz effektiv aufgehalten. Umso wichtiger ist es, Klimaschutz als eine gemeinschaftliche und demo­kratische Aufgabe anzunehmen und entsprechend zu handeln. Statt polarisierende, aggressive Des­in­for­ma­tionskampagnen brauchen wir wissenschaftliche Fakten und klare Informationen, um wieder Ruhe in die Debatte zu bringen.

Gehört dazu nicht auch, ehrlich zu sagen, dass es echten Klimaschutz ohne Verzicht nicht geben kann? Oder ist grünes Wachstum ein Versprechen, das eingehalten werden kann?

Die „Verzicht“-Debatte stammt auch aus dem Drehbuch der fossilen Lobby. Ist es Verzicht, wertvolle Rohstoffe zu vergeuden oder teure Heiz­wär­me aus ungedichteten Häusern verpuffen zu lassen? Es geht um die Vermeidung von Verschwendung. Emissionsintensive Privilegien weniger müssen aufgegeben werden, die unsere Welt in eine Schieflage bringen. Fakt ist: Emissionsintensive Lebens- und Wirtschaftsweisen sind nicht zukunftsfähig. Grünes Wachstum wird nicht reichen. Wir brauchen eine Welt der vorsorge­orien­tier­ten Postwachstumsökonomie.

Was heißt das?

Klima- und umweltschädliche Bereiche schrumpfen. Bereiche, die zum Erreichen der Klimaziele wichtig sind, wachsen. Soziale Bedürfnisse der Gesellschaft, wie Pflege, Gesundheit, Bildung und Kultur, gewinnen an Bedeutung. Hier wäre Verzicht der völlig falsche Ansatz.

Inwiefern?

Ein Beispiel: Im Energiebereich gibt es furchtbar viel Verschwendung. Die ist verzichtbar. Enorme Mengen verschwendeter Energie lassen sich allein schon – ohne Komfortverlust – durch die Nutzung von Wärmepumpen einsparen. Und beim Verbrennungsmotor geht unproduktiv bis zu 80 Prozent der Energie verloren, wohingegen ein Elektrofahrzeug den eingesetzten Strom fast ohne jeden Verlust nutzt. Im gesamten Energiesystem kann auf diese Weise fast die Hälfte der Primärenergie eingespart werden. Hier macht „Verzicht“ – im Sinne von „Verschwendung vermeiden“ – total Sinn.

Aber schauen Sie: 90 Prozent aller Autos stehen 23 Stunden am Tag herum und vergeuden Platz und Ressourcen, die wir anderweitig besser verwenden könnten. Und hier beginnt das Gegenteil von Verzicht, nämlich der Gewinn an Lebensqualität: Moderne Städte, also nicht die Auto- und Betonwüsten der Vergangenheit, sondern Städte des 21. Jahrhunderts bieten saubere Luft, Ruhe statt Lärm und ­Grünanlagen als Orte der Be­gegnung. Kopenhagen, Paris und Barcelona machen es gerade vor.

Wird durch die Transformation die industrielle Basis in Deutschland verloren gehen?

Nein, absolut nicht. Emis­sions­intensive Bereiche schrumpfen, emissionsfreie wachsen. Genau darum geht es beim Strukturwandel zur Klimaneutralität. Die Warnungen vor einer angeblichen Deindustrialisierung sind erstens nicht neu und zweitens überwiegend faktenbefreites Lobbygetöse. So wurde sehr lange und leider sehr erfolgreich verhindert, dass wir nicht schon jetzt in einer klimagerechten Wirtschaftswelt leben. Es geht nicht um De-, sondern Re-Industrialisierung. Die wirtschaftlichen Chancen sind riesig. Wir müssen nur endlich loslegen!

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