Chronologie einer Polizeikontrolle: Überforderung in Dresden
Seit einer Woche wird über eine Polizeikontrolle von Journalisten diskutiert. Die taz konnte das gesamte Bildmaterial sichten. Ein Protokoll.
Arndt Ginzel und die Redaktion von Frontal 21, in deren Auftrag die Aufnahmen entstanden, haben es der taz am wochenende ermöglicht, das Filmmaterial in voller Länge zu sichten. Die Aufnahmen zeigen eine überforderte Polizei, die die aktuelle Rechtsprechung offenbar nicht kennt, Journalisten bei ihrer Arbeit behindert und streitsüchtigen Pegida-Demonstranten weit entgegenkommt.
Weil hier grundsätzliche Fragen der Pressfreiheit berührt werden, hat die taz am wochenende entschieden, als erste Zeitung ein möglichst genaues Protokoll der Ereignisse zu veröffentlichen. Redundante Passagen wurden für die bessere Lesbarkeit zusammengefasst. Das Filmmaterial wurde mit der Darstellung der sächsischen Polizei abgeglichen, dabei zeigten sich einige Widersprüche.
Von der Kontrolle existieren im Rohmaterial elf gefilmte Minuten. Allerdings wird die Kamera häufig an- und abgeschaltet, auch auf Verlangen der Polizisten. Die tatsächliche Länge der Polizeikontrolle kann daher aus den Filmaufnahmen nicht exakt rekonstruiert werden. Ginzel spricht von etwa 45 Minuten. Die Polizei bestätigt das.
***
Donnerstag, 16. August, 17.40 Uhr. Der Kameramann Gerald Gerber filmt Pegida-Demonstranten, die gegen den Besuch von Angela Merkel in Dresden protestieren. Sie kommen vom Sächsischen Landtag und sind auf dem Weg Richtung Messegelände. Dort soll die Kundgebung laut Polizeibericht fünfzig Minuten später fortgesetzt werden.
Gerald Gerber hat schon 34 Minuten Filmmaterial auf Band, als er seine Kamera einschaltet und die Menge filmt, die mit erhobenen Schildern eine Straße entlangläuft und „Lügenpresse“ skandiert. „Mach die Kamera aus“, hört man aus dem Off.
Nach zwanzig Sekunden sieht man zum ersten Mal, wie ein Mann und eine Frau, beide mit schwarz-rot-goldenen Deutschlandhütchen, durchs Bild laufen. „Du dicker Mann bist nicht unser Volk“, sagt ein Mann mit Basecap, der am Rand steht. „Nie im Leben seid ihr unser Volk.“ Er deutet auf einen Mann im schlammfarbenen T-Shirt. Es ist nach taz-Informationen René Seyfried aus Freital, der dort die Proteste gegen das Asylbewerberheim mitorganisiert hat.
Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamts
Seyfried schimpft zurück. Neben ihm steht der Mann mit Deutschlandhut, er zeigt mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Kameramann und skandiert: „Lügenpresse!“ Später wird sich herausstellen: Er ist ein Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamts. Er heißt Maik G., ist 43 Jahre alt, aus Dresden und im Ermittlungsdezernat für Wirtschaftskriminalität tätig.
Plötzlich löst er sich aus der Menge und geht auf den Kameramann zu. Er stellt sich vor die Kamera und sagt: „Hören Sie auf, mich zu filmen. Sie halten die Kamera direkt auf mich zu. Sie begehen eine Straftat.“ Die Sätze wiederholt er mehrere Male.
„Gehen Sie doch weiter“, sagt der Kameramann.
„Sie haben mich ins Gesicht gefilmt, das dürfen Sie nicht“, sagt der LKA-Mann mit dem Deutschlandhütchen. „Frontalaufnahme. Sie haben eine Straftat begangen. Wir klären das jetzt polizeilich.“
Die Frau, die mit ihm unterwegs ist, hält die Kamera zu. Der Mann sagt: „Wir warten jetzt, bis die Polizei kommt oder ich setze Sie vorläufig fest; das Recht habe ich als Bürger.“ „Wollen Sie mich festnehmen oder was?“, fragt der Kameramann. „Nein, nicht festnehmen. Ich setze Sie vorläufig fest. Weil wir jetzt die Polizei holen. Und die Polizei, der Einsatzleiter, schaut sich an, was Sie für Aufnahmen gemacht haben. Ich untersage Ihnen hier öffentlich, mich zu filmen. Wenn eine Aufnahme irgendwo auftaucht, im Netz oder in den Medien, werde ich Sie verklagen.“
Schnitt. Als die Kamera wieder angeht, hört man den Kameramann, wie er mit dem Journalisten Arndt Ginzel telefoniert. Er hat sich dazu ein Stück von den Demonstranten entfernt. Ginzel ist noch nicht vor Ort. Er fährt gerade im Auto zur Veranstaltung und hat die Diskussion über seine Freisprechanlage verfolgt.
Der Hütchen-Mann kommt nun wieder direkt auf den Kameramann zu. „Sie filmen frontal ins Gesicht“, sagt er. „Das ist eine Straftat. Bitte gehen Sie mit zur Polizei, ich habe Sie offiziell aufgefordert.“ Er zeigt auf die Polizisten, die wenige Meter entfernt stehen.
Ein jüngerer Mann in einem grünen T-Shirt kommt dazu, er macht eine aggressive Bewegung Richtung Kamera. „Mach die Kamera weg“, ruft er. „Lassen Sie mich in Ruhe“, sagt der Kameramann.
„Es wurde Ihnen untersagt und Sie kommen jetzt mit zur Polizei. Ich habe Sie mehrmals aufgefordert“, sagt der Hütchen-Mann.
Der Kameramann nähert sich der Polizei. Schnitt.
In der nächsten Aufnahme sieht man, wie ein blonder Polizist auf den Kameramann zugeht. „Gehen Sie mal her“, sagt er und deutet nach rechts. Drei Polizisten gehen mit dem Kameramann ein Stück zur Seite. „Haben Sie den Presseausweis mit?“ „Ja, hab ich“, sagt der Kameramann. Der Polizist nickt auffordernd. „Geben Sie den.“ Ein Mann in kariertem Hemd kommt und filmt den Kameramann mit seinem Smartphone. „Ich will doch mal wissen, wer das ist hier.“ Die Polizei schiebt den Mann im Hemd zur Seite.
Der Kameramann zeigt seinen Ausweis
Die Aufnahme bricht ab. Als es weitergeht, hört man den Kameramann, wie er sagt: „Wir können auch rübergehen, dann zeige ich Ihnen meine Papiere, da ist mein Auto.“ Der Kameramann filmt den Mann im Hemd, der zwischen zwei Polizeifahrzeuge geführt wird. Jemand hält seine Linse zu. „Lassen Sie mich doch jetzt mal arbeiten, bitte“, sagt der Kameramann. „Solange die Papiere nicht da sind, bleibt die Kamera aus“, sagt der Polizist.
Die Aufnahme bricht wieder ab. Der Kameramann geht nun mit den Polizisten zu seinem Auto und zeigt seinen Ausweis – davon gibt es keine Bildaufnahme. In der nächsten Einstellung ist der Journalist Arndt Ginzel zu sehen, wie er neben dem Kameramann auf dem Parkplatz steht. „Personalausweis zurück“, sagt einer der Polizisten, der eine Sonnenbrille trägt. „Presseausweis behalte ich noch.“ Er hält ihn locker in der Hand.
Der Dresdner Polizeipräsident Horst Kretzschmar hat sich nach Angaben des ZDF für das umstrittene Vorgehen von Polizisten gegen ein Team des Senders entschuldigt. Die Polizei habe eingeräumt, dass „Frontal 21“-Team viel zu lange festgehalten wurde, teilte das ZDF am Freitag nach einem Gespräch mit Kretzschmar in Dresden mit. Der Vorgang solle nach Darstellung der Polizei gründlich nachgearbeitet werden und die bisherige Darstellung entsprechend korrigiert werden.
An dem knapp zweistündigen Treffen nahmen für das ZDF die „Frontal 21“-Moderatorin Ilka Brecht, der Reporter Arndt Ginzel und ein Justiziar teil. Eine gemeinsame mündliche Stellungnahme nach dem Gespräch lehnte ein Polizeisprecher ab, verwies aber auf eine spätere schriftliche Pressemitteilung. (epd)
„Ich möchte gerne, dass Sie ihm den Presseausweis wieder zurückgeben“, sagt Ginzel. „Ja, der wird noch überprüft“, sagt der Polizist. „Warum müssen Sie ’nen Presseausweis überprüfen?“, fragt Ginzel. Der Polizist schweigt. „Steh ich auf der Fahndung oder was?“, fragt der Kameramann. Der Polizist nickt und schaut weg. Er schweigt.
„Warum kontrollieren Sie hier in Sachsen einen Presseausweis eines Journalisten, der sich ausgewiesen hat beziehungsweise der sich gar nicht ausweisen muss?“, fragt Ginzel.
„Äh“, sagt der Polizist. Es klingt wie ein Stöhnen.
„Bitte?“, fragt Ginzel.
„120 von 151 kommen“, sagt der Polizist in sein Funkgerät.
Ginzel sagt zum Kameramann: „Ist doch so, dass sie letzten Endes den Willen des Pegida-Demonstranten exekutieren.“
Ginzel sagt zum Polizisten: „Also, die Polizei in Sachsen lässt sich Presseausweise auf Anforderung von Pegidanten auf der Straße zeigen. Sympathisieren Sie mit denen?“
Der Kameramann zoomt auf das Gesicht des Polizisten: Es ist ausdruckslos, er hat immer noch seine Sonnenbrille auf. „Warten Sie mal ganz kurz“, sagt er.
„Warum weisen Sie sich nicht aus uns gegenüber?“, fragt der Kameramann.
„Ja“, sagt der Polizist. Er dreht langsam den Kopf zum Kameramann.
„Was ja?“, fragt der Kameramann.
„Nach welchem Gesetz, aus welchem Grund beschlagnahmen Sie hier einen Presseausweis?“, fragt Ginzel.
„Sie bekommen ihn gleich wieder, er wird nur überprüft“, sagt der Polizist.
„Was wollen Sie denn da überprüfen?“, fragt Ginzel. „Wollen Sie beim Deutschen Journalistenverband nachfragen?“
„Die Tatsache war ja jetzt – Sie hatten keinen bei sich, als Sie gefilmt haben“, sagt der Polizist. „Und die Person, die Sie gefilmt haben, hat auch gesagt, dass sie nicht gefilmt werden möchte.“
„Niemand muss seinen Presseausweis in Sachsen auf Demonstrationen zeigen“, sagt Ginzel. „Warum hier?“
„Ich frag gerade ab“, sagt der Polizist. „Aber es ist alles voll. Ich komm nicht raus.“
Es geht hin und her. Der Polizist bleibt einsilbig. Ginzel sagt zum Kameramann: „Was Schönes für ,Zapp' (das Medienmagazin des NDR, Anmerkung der Redaktion). Das wird lustig.“
„Die Presseausweise hab ich überprüft“, sagt der Polizist in sein Funkgerät. „Sehen richtig aus. Würde ich jetzt wieder zurückgeben, Presseausweis, und zurückkommen.“
Der Polizist gibt dem Kameramann seinen Presseausweis zurück. „Ihr Presseausweis. Alles in Ordnung.“
Laut dem Sprecher der sächsischen Polizei, Thomas Geithner, dauerte dieser Teil 15 Minuten und lief unter „Gefahrenabwehr“ – wegen der verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Mann mit dem Deutschlandhut und den Journalisten. „Dass das etwas länger gedauert hat, lag auch daran, dass einer der Journalisten seinen Presseausweis nicht bei sich trug, sondern ihn erst aus dem Auto holen musste. Aber mehr als 15 Minuten ist schon lang, eigentlich geht so etwas schneller“, sagt Geithner.
Arbeitsrechtliche Schritte
Allerdings musste Geithner einräumen, dass nur die Journalisten kontrolliert wurden, nicht der Hütchen-Mann vom LKA. „Um die Situation zu deeskalieren, haben die Kollegen ihn gebeten, einfach weiterzugehen“, sagte er der taz.
Da die Personalien nicht festgestellt wurden, bekam das LKA dann auch erst am Montag einen Tipp, dass es sich bei dem Mann um einen LKA-Mitarbeiter handelte. Es dauerte etwas, bis sie ihn ans Telefon bekamen, da der Mann im Urlaub war. Er habe sich nicht strafbar gemacht und es liege auch keine Anzeige gegen ihn vor, betont Tom Bernhardt, Sprecher des LKA.
Man prüfe arbeitsrechtliche Schritte. „Möglicherweise greift die Wohlverhaltenspflicht aus dem Arbeitsrecht.“ Weitere Angaben wollte er nicht machen. „Was die Angestellten des LKA in ihrer Freizeit tun, habe ich überhaupt nicht zu bewerten.“
Auf dem Videomaterial ist zu sehen, wie die Journalisten zu ihrem Auto laufen. Plötzlich kommt wieder der blonde Polizist auf die Journalisten zu, der den Kameramann ganz am Anfang angesprochen hatte. „Ich bräuchte noch mal Ihre Personalien“, sagt er. „Wieso?“, fragt Ginzel. „Ich soll sie mir notieren“, sagt der blonde Polizist. „Warum?“, fragt Ginzel. Der blonde Polizist macht eine unbestimmte Geste und schweigt. Zwei weitere Polizisten kommen dazu.
„Das ist jetzt eine polizeiliche Maßnahme“, sagt ein Polizist mit Bart. „Die sich gegen einen Kameramann richtet, ja?“, sagt Ginzel. „Das ist ja erst mal vollkommen egal“, sagt der Polizist mit Bart. „Wir machen hier kein Interview. Sie packen das Mikrofon weg.“ „Entschuldigung, ich bin Journalist“, sagt Ginzel. „Sie sind ja zu uns gekommen“, sagt der Kameramann. Ein dritter Polizist setzt sich eine Sonnenbrille auf und packt seine Videokamera aus. Er stellt sie auf ein Stativ und filmt die Szene.
Polizeiliche Maßnahmen
„Wir gehen nicht gegen die Presse vor“, sagt der Polizist mit Bart. „Doch, Sie gehen gerade gegen einen Kameramann vor, ohne dass es irgendeinen belastenden Grund gibt“, sagt Ginzel. „Das stimmt doch gar nicht“, sagt der Polizist mit Bart. „Na ja, was ist denn der Grund?“, fragt Ginzel. „Was ist denn der Verdacht?“ Der Polizist mit Bart macht eine Geste mit der Hand, er stammelt, schaut zu Boden, sagt nichts, aber der Ton läuft weiter. „Wollen Sie uns verprügeln oder verhaften?“, fragt Ginzel. „Filmen einstellen“, sagt der Polizist mit der Kamera. Die Aufnahme bricht ab.
In der nächsten Aufnahme sagt der blonde Polizist: „Ich bräuchte mal Ihren Presseausweis.“ „Den habe ich gerade eben doch schon gezeigt“, sagt der Kameramann. „Wollen Sie mich veralbern oder was?“ Ginzel trägt seinen Ausweis um den Hals, er hält ihn dem blonden Polizisten hin. „Und was ist denn jetzt die polizeiliche Maßnahme?“, fragt Ginzel. „Wir kontrollieren den Presseausweis“, sagt der Polizist mit Bart. „Und mit welcher Berechtigung?“, fragt Ginzel. „Dass Sie Leute abfilmen“, sagt der Polizist mit Bart. „Wir filmen Leute ab auf einer Demonstration. Das ist verboten?“, fragt Ginzel. „Da drüben ist keine Demonstration“, sagt der Polizist mit Bart. „Das waren aber Demonstrationsgänger“, sagt Ginzel. „Aber die Demonstration wurde doch beendet, die wurde doch aufgelöst“, sagt der Polizist mit Bart. „Die sind gerade da rübergegangen“, sagt Ginzel, „um dann weiter zu demonstrieren, falls Ihnen das entgangen ist. Und das wollen Sie verhindern, ja? Sie wollen uns unsere Arbeit schwermachen, dass wir nicht rechtzeitig dort sind.“
Auftritt René Seyfried, es ist inzwischen 18 Uhr. „Ich würde gerne gegen den Mann Anzeige erstatten. Der hat uns als Hartz-IV-Empfänger beschimpft.“ René Seyfried ist ein Transportunternehmer aus einem Nachbarort von Freital, ehemaliger Bürgermeisterkandidat der Bürgerinitiative „Freital steht auf“ und führte im Jahr 2015 die Proteste vor der Asylbewerberunterkunft an. Aus diesen Protesten heraus gründete sich die Terrorzelle „Gruppe Freital“, deren Mitglieder Anfang dieses Jahres wegen Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und linke Politiker zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Mit Leuten aus der Gruppe Freital war Seyfried zumindest bekannt, erzählen Beobachter der Szene. Anfang 2016 gedachte er der Verhafteten bei einer öffentlichen Kundgebung: Er wünschte sich, dass „sie bald wieder unter uns sind und mit uns kämpfen“.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Nun steht er in Dresden und zeigt einen Journalisten wegen Beleidigung an. „Alles gut“, sagt ein Polizist zu Seyfried. „Kommen Sie erst mal mit.“ Der blonde Polizist nimmt immer noch die Personalien der Journalisten auf. „Dann können Sie gleich mal meine Strafanzeige aufnehmen“, sagt Ginzel. „Gegen den Herrn. Dass der ’ne üble Nachrede, Verleumdung durchführt.“
Videomaterial und Polizeibericht stimmen nicht überein
Hier brechen die Aufnahmen ab. Ginzel erzählt, dass der Kameramann einen Schritt in Richtung Seyfried macht und sagt: „Ich kann das aufklären.“ Immerhin hat er den Mann mit dem roten Basecap auf Band, der Seyfried tatsächlich beschimpft hat. Das scheint die Polizisten aber nicht zu interessieren. Ein Polizist nimmt Ginzel beiseite, um mit ihm unter vier Augen zu sprechen – so erzählt es Ginzel. Er sagt ihm, dass er einer Straftat verdächtig ist. Da die Polizisten daran zweifeln, dass die Journalisten fürs ZDF arbeiten, ruft Ginzel schließlich die Redaktion an. Der Pressesprecher der Polizei kommt und telefoniert mit dem Redaktionsleiter. Durch seinen Anruf in der Redaktion ist keine Verzögerung entstanden, sagt Ginzel. Während des Gesprächs mit dem Pressesprecher wurde die Anzeige noch aufgenommen.
Die Polizei stellt das anders dar: Das Gespräch zwischen dem Pressesprecher und den Journalisten soll 15 Minuten gedauert haben. „Die eigentliche polizeiliche Maßnahme war da aber schon beendet“, sagt der Sprecher Geithner.
Er gibt außerdem an, dass der Grund für die zweite Kontrolle die Anzeige von Seyfried war. Allerdings geht aus dem Videomaterial hervor, dass Seyfried erst nach der zweiten Kontrolle dazukam. Auch auf Nachfrage bleibt die Polizei bei ihrer Version. Als die Polizisten die Anzeige von Seyfried aufgenommen haben und die Journalisten gehen dürfen, bleibt für Ginzels Anzeige wegen Verleumdung keine Zeit mehr, erzählt er: Wenn sie an diesem Tag noch drehen wollen, müssen sie schleunigst los. Auch vor diesem Hintergrund erscheint es unplausibel, dass sie 15 Minuten mit dem Pressesprecher geplaudert haben.
Einige Tage später zieht Seyfried seine Anzeige gegen Ginzel zurück. Am Mittwoch entschuldigt er sich öffentlich bei Facebook auf der Seite der „Bürgerinitiative Freital“. Er habe den Mann mit dem Basecap fälschlicherweise für Ginzel gehalten. Ob es wirklich eine Verwechslung gab oder ob er absichtlich vor der Polizei gelogen hat, um die Journalisten zu behindern, bleibt unklar.
Das Video der Journalisten hat in dieser Woche weite Kreise gezogen und in Sachsen eine Regierungskrise ausgelöst. Sachsens SPD-Chef und stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig warf dem Koalitionspartner CDU nach Kretschmers Äußerungen eine Verharmlosung rechter Tendenzen vor. An diesem Donnerstag hat das Video den Innenausschuss des Landtags beschäftigt – vor allem wegen des LKA-Mitarbeiters. Seither wollen alle mit Ginzel sprechen. Seyfried will es; das Polizeipräsidium hat die Journalisten ebenfalls eingeladen.
Ginzel hat das Angebot von Seyfried ignoriert. „Soll ich mich mit dem an einen Tisch setzen und sagen: Alles ist dufte?“ Er ist am Donnerstag schon wieder auf Recherche gefahren und war den ganzen Tag unterwegs. Er will mehr über den Mann mit Deutschlandhut herausfinden, der beim Landeskriminalamt angestellt ist.
Dass Menschen aus der rechten Szene Polizisten auffordern, die Personalien von „angeblichen Journalisten“ zu überprüfen, hat Ginzel jetzt schon öfter gehört und auch erlebt. Und auch, dass Polizisten sich instrumentalisieren lassen. Er fürchtet, dass sich das pressefeindliche Klima weiter aufheizt. Deshalb, sagt er, war es wichtig, dass sie an die Öffentlichkeit gegangen sind.
Bleibt die Frage: Was wäre gewesen, wenn niemand die Polizeikontrolle gefilmt hätte? Ob man Ginzel geglaubt hätte?
Mitarbeit: Konrad Litschko
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