Christian Lindner vor der Bundestagswahl: Der Angezählte
FDP-Chef Christian Lindner will seine Leute auf Kurs bringen. Zuletzt wurden die Risse in der Partei größer.
Führende Mitglieder der FDP-Fraktion haben dem Parteichef die Gefolgschaft verweigert. Bei der Abstimmung zu dem restriktiveren Migrationsgesetz, das die Union am vergangenen Freitag auch mit den Stimmen der AfD durchbringen wollte, waren etwa ein Viertel FDP-Abgeordnete nicht auf Linie mit der Ansage Lindners, dem Vorhaben zuzustimmen. Unter denjenigen, die keine Stimme abgaben, waren auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Johannes Vogel, und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle. Beide gehören zum sozialliberalen Lager der Partei und gelten als mögliche Anwärter für Lindners Nachfolge.
Sollte die FDP den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen, könnte dieser Fall schneller eintreten als gedacht. Denn Lindner führt einen riskanten Wahlkampf, in dem er sich und die FDP an die Union gekettet hat. Schon Anfang des Jahres hatte der Parteichef die CDU aufgefordert, für ein schwarz-gelbes Bündnis einzustehen und den Wahlkampf gemeinsam zu bestreiten. Doch Friedrich Merz fährt einen anderen Kurs. Der CDU-Chef gönnt der FDP nicht einmal das schlechteste Umfrageergebnis: „Vier Prozent sind vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent zu wenig für die Union“, sagte Merz zuletzt den Funke-Medien.
Die Union steht, nachdem sie die AfD für die gewünschte „Zustrombegrenzung“ zwar gewonnen, die Abstimmung zum Gesetz jedoch verloren hatte, selbst mit dem Rücken zur Wand. Merz ist, mit seinen Worten, „all in“ gegangen und hat verloren – nun schielt er auch nach den Pokerchips der Liberalen. Keine gute Ausgangslage für den FDP-Chef.
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Zumal sich Lindner auch in die andere Richtung die Handlungsoptionen verbaut. Auf dem Parteitag möchte er den Beschluss durchsetzen, dass die FDP nach den Bundestagswahlen – für Lindner ist der Einzug ins Parlament keine hypothetische Frage – nicht mit den Grünen koaliert. In den letzten Tagen des Wahlkampfs will Lindner alles loswerden, was noch an die zerbrochene Regierung erinnern könnte. Doch die Strategie führt in einen engen Korridor: Neben der größtmöglichen Distanz zu den Grünen auf der einen Seite und einer Anbiederung an die wirtschaftsliberale CDU von Merz bleibt nicht viel Raum für ein pures FDP-Programm, mit dem sich der Parteichef so gerne rühmt.
Wer in dem uneindeutigen Abstimmungsergebnis der FDP zum „Zustrombegrenzungsgesetz“ bei dem Parteitag auf einen inhaltlichen Streit der FDP zu Migrationsfragen hofft, dürfte enttäuscht werden. Die Liberalen wollen das Zeichen setzen, dass man die Einwanderung nach Deutschland begrenzen muss.
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Als am vergangenen Mittwoch der inhaltlich deutlich schärfere Antrag mit den Stimmen der AfD den Bundestag passierte, mit dem die Union Asylsuchende pauschal an den Grenzen zurückweisen wollte, stimmte die FDP wie von Lindner angekündigt fast geschlossen zu. Unter den neun FDPlern, die keine Stimme abgaben oder sich enthielten, war jedoch erneut Fraktionsvize Kuhle.
Anfang der Woche wurden dann interne Chats von Wolfgang Kubicki bekannt, in denen er ironisch ankündigte, unter anderem Kuhle und Vogel könnten nun die Führung des Wahlkampfs übernehmen. Er räume schon mal sein Büro auf, schrieb der Parteivize in Anspielung auf die Bundestagswahl, die dann wohl verloren gehen würde.
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In der FDP-Fraktion will man diese Einlassung nicht zu hoch hängen. Kubicki habe seinem Ärger kurz Luft gemacht, heißt es. „Man muss bei den Probeabstimmungen in den Fraktionssitzungen auch mitzählen“, sagte eine Abgeordnete der taz. So hätte auch Kubicki das Ergebnis eigentlich voraussehen können, sagte sie. Der Vizechef wird am Sonntag den Parteitag eröffnen, Überraschungen sind da nicht ausgeschlossen.
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