Chinesischer Spionageballon: Mehr als nur heiße Luft

Schuld haben immer die anderen: Pekings Reaktion auf den Ballon-Vorfall legt Chinas diplomatisches Unvermögen offen – mit gravierenden Folgen.

Außenpolitiker an einem Tisch vor US- und China-Flaggen

Manieren gefragt: Chinas Außenminister Wang Yi und US-Kollege Blinken samt Stab bei Treffen im Juli Foto: Stefani Reynolds/rtr

PEKING taz | Ganz gleich, wie man die Fakten dreht und wendet: Für Chinas Regierung ist die Spionageballon-Causa nicht nur unangenehm, sondern das größte außenpolitische Eigentor seit Langem. Hinter den Kulissen wird die Affäre sicherlich einige Ministerialbeamte und Militärs die Karriere kosten. Nach außen hingegen lässt Peking keinerlei Reue durchschimmern: „Einige amerikanische Politiker und Medien nutzen die Situation nur aus, um China zu verleumden“, hieß es in einer ersten Stellungnahme des Außenministeriums.

Der vor dem US-Bundesstaat South Carolina abgeschossene Ballon hat die Beziehung zwischen den zwei Weltmächten weiter vergiftet. Vor allem aber hat der Vorfall offengelegt, wie sehr sich die chinesische Regierung mit ihrer mit Nationalstolz aufgeladenen Rhetorik eine konstruktive Gesprächsgrundlage verbaut.

Fakt ist: Sowohl China als auch die USA spionieren sich auf allen erdenklichen Ebenen gegenseitig aus, und zwar meist mit ausgeklügelteren Mitteln als einem Überwachungsballon. Insofern wäre es wohl durchaus möglich gewesen, die Affäre gesichtswahrend für beide Seiten ad acta zu legen – vorausgesetzt, die chinesische Regierung hätte aufrichtig Reue gezeigt und transparent kommuniziert. Stattdessen jedoch wendete sie ihr altbekanntes Muster an: sämtliches Fehlverhalten abstreiten, die Schuld beim Gegenüber suchen und umgehend in den Angriffsmodus wechseln.

Chinas erste Reaktion, bei dem Flugobjekt handele es sich lediglich um eine Art meteorologischen Forschungsballon, der aufgrund von starken Westwinden von seiner geplanten Route abgekommen sei, wertete Washington als dreiste Lüge. „Wir wissen, dass es ein Überwachungsballon ist“, entgegnete unbeirrt ein Sprecher des Pentagons. Tatsächlich spricht viel dafür: Es müsste schon ein großer Zufall gewesen sein, dass der Ballon im dünn besiedelten Bundesstaat Montana ausgerechnet über einen US-Luftwaffenstützpunkt flog, wo 150 mit Atomsprengköpfen bestückte Interkontinentalraketen gelagert sind. Zudem hat Washington in den letzten Jahren mindestens drei ähnliche Spionagefälle aus China registriert, diese jedoch zuvor nicht öffentlich gemacht.

Augenscheinliche Fakten ignoriert

Doch selbst augenscheinliche Fakten hat die chinesische Seite zuletzt ignoriert. Als US-Außenminister Anthony Blinken seinen geplanten China-Besuch am Freitag absagte, stritt Peking kurzerhand in einer schriftlichen Aussendung ab, dass es überhaupt einen „offiziell geplanten Besuch“ gegeben habe. Auch Wang Yi, immerhin der führende Außenpolitiker der Volksrepublik, ließ bei seinem am Samstag erfolgten Telefonat mit Blinken keinerlei Selbstkritik erkennen: „Wir akzeptieren keine grundlosen Spekulationen und Stimmungsmache.“

Und nachdem US-Präsident Joe Biden den Überwachungsballon in der Nacht auf Sonntag abschießen ließ, protestierte die chinesische Regierung erneut lauthals: Man sprach von einer „Überreaktion“ und einem „Verstoß gegen internationale Praxis“. Die Doppelmoral ist offensichtlich: Man stelle sich nur einmal vor, es flöge ein Spionageballon von der Größe dreier Autobusse über die chinesischen Nuklearsilos in der Wüste Gobi.

Doch wer ausschließlich die Berichte der chinesischen Staatsmedien liest, bekommt ganz unweigerlich den Eindruck einer Täter-Opfer-Umkehr: Angesichts der rüden Schuldzuweisungen gegenüber den USA liest es sich fast so, als ob am Wochenende ein US-amerikanisches Flugobjekt in den chinesischen Luftraum eingedrungen wäre.

Die Folgen einer solchen Kommunikation – sowohl auf der internationalen Bühne als auch gegenüber dem eigenen Volk – sind angesichts der Fallhöhe des US-China-Konflikts zunehmend gefährlich. Derzeit steht es um die bilateralen Beziehungen so schlecht wie seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr. Hinzu kommt, dass China nach der Entsendung von Qin Gang als Außenminister momentan noch nicht einmal einen Ersatz für die Stelle als Botschafter in Washington gefunden hat.

Und das bislang größte Damoklesschwert, welches über den zwei Staaten kreist, ist bereits am diplomatischen Horizont zu erkennen: Kevin McCarthy, der neue Sprecher des US-Repräsentantenhauses, dürfte sich durch den Ballon-Vorfall wohl erst recht ermutigt fühlen, seinen geplanten Taiwan-Besuch in die Tat umzusetzen – nicht zuletzt, um damit bei seiner Kernwählerschaft auf Sympathiefang zu gehen. Als seine Vorgängerin Nancy Pelosi im vergangenen Sommer Taipeh besuchte, reagierte Peking mit einer simulierten Inselblockade und wüsten Drohungen.

Im Wiederholungsfall dürfte Chinas Replik wohl noch eine Spur martialischer ausfallen. Und zweifelsohne wird die Botschaft der Regierung lauten: Die USA müssen ihre „falschen Ansichten berichtigen“ und zu einem „korrekten Kurs“ zurückkehren.

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