piwik no script img

CDU klagt über Neubauer-Essay im AbiturVolksverarschung im Sonderangebot

In Niedersachsen wurde ein klimapolitischer Essay von Luisa Neubauer bei einer Abiprüfung verwandt. Nun raunt die CDU von Indoktrination. Geht's noch?

Ein große Sache, diese Jahr auch für die CDU: die Reifeprüfung, hier in Wernigerode Foto: Matthias Bein/dpa

E rinnern Sie sich an Ihre Abi-Aufgaben? Ich mich ehrlich gesagt nicht, aber das heißt natürlich gar nichts. Mit Schaudern und Staunen habe ich in der vergangenen Woche beobachtet, wie das niedersächsische Abitur für Aufregung sorgte.

Für die, die es nicht mitbekommen haben: Im Fach Politik-Wirtschaft wurde ein Essay von Fridays-for-Future-Frontfrau Luisa Neubauer behandelt, der im vergangenen Jahr in der Zeit abgedruckt wurde und sich kritisch mit den klimapolitischen Erwartungen an die neugewählte Ampelregierung befasst.

So what?, fragt sich diese besorgte Bürgerin, ein aktuelles Thema, noch dazu eines, das viele junge Menschen auf die ein oder andere Art beschäftigt, eine kritische Erörterung, prima Stoff für den Politik-Unterricht. Herausgekommen ist das übrigens, weil begeisterte Ab­itu­ri­en­t*in­nen es Luisa Neubauer auf Instagram geschrieben haben, die sich freute und viel Glück wünschte.

Aber Bild und CDU stellen sich an dieser Stelle natürlich ganz andere Fragen. Ob da etwa Kultusministerin Julia Willie Hamburg ihre Finger im Spiel hat, will der CDU-Abgeordnete Christian Fühner allen Ernstes wissen.

Als Ex-Lehrer müsste er es eigentlich besser wissen

Was den Sprecher des Kultusministeriums Sebastian Schumacher dazu nötig, in der Landespressekonferenz erst einmal das Verfahren zu erläutern, in dem Abi-Aufgaben ausgewählt werden. Das ist – und das kann jemanden, der schon einmal mit dem deutschen Bildungssystem zu tun hatte, eigentlich nicht verwundern – länger als die fünf Monate, die Julia Willie Hamburg im Amt ist.

Glaubt wirklich jemand, eine der ersten Amtshandlungen einer frisch gebackenen Kultusministerin ist es, Einfluss auf die Abi-Aufgaben zu nehmen? Macht man das in der CDU so? Sollten wir uns vielleicht die Abi-Aufgaben genauer ansehen, die unter dem CDU-Kultusminister Althusmann entstanden sind? Und zu welchem Zweck? Glaubt wirklich jemand, dass sich Schü­le­r*in­nen durch Klausurthemen indoktrinieren lassen?

Ich habe keine wahnwitzig hohe Meinung von unserem Bildungssystem, aber selbst mir erscheint es absurd anzunehmen, Leh­re­r*in­nen seien durchweg rückgratlose Speichellecker*innen, die ihr Korrekturverhalten umgehend der aktuellen Regierungslinie anpassen. Was müssen an der Berufsschule, an der Herr Fühner früher unterrichtet hat, für Zustände herrschen, dass der so was glaubt?

Er habe Rückmeldungen von besorgten Schü­le­r*in­nen und Leh­re­r*in­nen erhalten, die Angst vor schlechten Bewertungen haben, behauptet Fühner. Das ist natürlich schon sehr traurig, wenn man den eigenen Leh­re­r*in­nen beziehungsweise Kol­le­g*in­nen so wenig Professionalität zutraut.

Aber vielleicht wäre es dann klug, einfach die andere Aufgabe zu nehmen? Es gibt davon ja normalerweise zwei. Wenn man sich ernsthaft ungerecht bewertet fühlt, bliebe da natürlich auch noch der Beschwerde- und Klageweg, von dem sonst gern behauptet wird, dass reiche Helikoptereltern ihn gern beschreiten.

Und die blöde Medienmeute spielt mit

Aber in Wirklichkeit geht es natürlich nicht ernsthaft um irgendjemandes Abiturnoten. Es geht einfach darum, ein bisschen in AfD-Gewässern zu fischen, egal wie oft der Fraktionsvorsitzende betont, man wolle da Abstand halten. Am Ende können sie bei der CDU der Versuchung halt doch nicht widerstehen.

Einfach rumraunen und so tun, als wäre da etwas dran, an dieser großen Verschwörung von „denen da oben“, die alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um Kinder mit ihren verwerflichen Klimawandel und Gender-Ideen zu indoktrinieren.

Und schon merkt keiner mehr, dass einem politisch sonst nicht viel einfällt. Und wir von der blöden Medienmeute spielen das Spiel wie immer gern mit. So viel bundesweite Aufmerksamkeit hatte der Herr Fühner jedenfalls noch nie. Herrje. Vielleicht sollten wir alle mal nachsitzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Frau Neubauers Texte als Abituraufgabe zu verwenden finde ich völlig unproblematisch. Diskutieren kann man allerdings die damit verbundene Aufgabenstellung für die Abiturienten. Wie wäre es mit einem Alternativvorschlag: 1. In welchem Verhältnis stehen Frau Neubauers Aussagen zur Gewaltenteilung in Deutschland und zur freiheitlich demokratischen Grundordnung? 2. Inwieweit werden Weltuntergangszenarien postuliert. Welche politische Agenda wird mit den Weltuntergangsszenarien verfolgt? Meinungen dazu lese ich auch gerne hier im Forum.

  • "Es ist einfach viel zu frisch und zu viele Schüler sind emotional/ subjektiv viel zu nahe dran um sich objektiv damit auseinander zu setzen. Gleiches gilt im Übrigen spiegelbildlich auch für die Lehrer.

    Es wäre daher sehr problematisch, wenn sich eine gewisse politische Nähe zu FFF (oder deren Ablehnung) in der Note widerspiegeln würde."

    Ich kann mir eigentlich nichts besseres vorstellen, als aktuelle Themen in den Politikunterricht einzubeziehen und damit natürlich auch abiturrelevant zu machen.

    Entgegen der populistisch-unkundigen Meinung geht es im gymnasialen gesellschaftswissenschaftlichen Oberstufenunterricht und im Abitur nicht um die "richtige Meinung", sondern um theoriebasierte Analyse und differenzierte (!) Stellungnahme.

  • "Er habe Rückmeldungen von besorgten Schü­le­r*in­nen und Leh­re­r*in­nen erhalten, die Angst vor schlechten Bewertungen haben, behauptet Fühner."



    Die Lüge ist die, einen Zusammenhang herzustellen zwischen einem politischen Urteil eines Textinhalts und der Bewertung einer Schulleistung mit Noten.



    Schlechte Noten bekommen für Widerspruch, das ist reine AfD-Opferfantasie.



    Mit solchen Texten wird das Erörtern mit Argumenten geübt.



    Diese CDUler wissen genau, dass es keine Noten nach Gesinnung gibt. Oder wollen sie selbst es so machen wie in russischen Schulen?



    Möglicherweise setzen ältere Texte mehr zeitgeschichtliches Kontextwissen voraus.

    • 6G
      652797 (Profil gelöscht)
      @Land of plenty:

      Der Aussage würde ich nicht zustimmen. Lehrer bewerten häufig nach Gesicht, warum sollten sie dann nicht auch nach Gesinnung bewerten?

      • @652797 (Profil gelöscht):

        Unsinn.

        • 6G
          652797 (Profil gelöscht)
          @Bussard:

          Ok

  • Was Fühner & co. da betreiben ist klassisch rechtspopulistische Stimmungsmache mit Phantasien, die "Klimareligion werde nun im Unterricht indoktriniert"



    Das hatte ich eher bei der AfD vermutet - aber genau so funktioniert der Türöffner-Mechanismus: Rechtspopulismus sammelt Stimmungen und Ängste, um rechtsradikale Inhalte in die Mitte zu bringen. So wandert der Inhalt der AfD in die CDU-



    Oder gehört es umgekehrt zur Auffassung der CDU-Niedersachsen, dass die industrieerzeugte Erderhitzung nicht existiert und ihre Thematisierung eine Verschwörung sein muss?

  • Also.

    Frau Neubauer kann jedenfalls besser schreiben als so einige bei der CDU. Besser als die BILD allemal.

    Eieiei. CDU klagt über Indoktrination. Ausgerechnet.

  • Wenn solche, bereits von der indoktrinierten Mehrheit abgenickten Themen in Prüfungen zugelassen oder gefragt sind, man brav pro-argumentierend wiederkäut und das Kontra als böses Gegenüber darstellt und mit Klischees untermauert, muss man sich schon sehr grammatikalisch und im Satzbau vergreifen, um weniger als 10 Punkte abzugreifen. Verkehrt ist es, dagegen zu sein. Dann wird nur eine 3- und weniger daraus außer man wird als Schüler♥in vom Lehrkörper vergöttert. Was soll also schon schiefgehen beim Klimawandelthema? Die CDU meckert doch pauschal gegen alles, was vom politischen Gegner kommt und schreit gleichzeitig am lautesten: stimmt gar nicht. Es sollte ja langsam auffallen, dass 'die' 30 Minuten durchlabern können ohne etwas zu sagen. Abitur mit Bierchen, ähhm, Bienchen.

  • Ich teile die Argumente der CDU (Indoktrination) nicht, halte das Essay ungeachtet dessen für vollkommen ungeeignet als Thema für eine Abiturprüfung. Es ist einfach viel zu frisch und zu viele Schüler sind emotional/ subjektiv viel zu nahe dran um sich objektiv damit auseinander zu setzen. Gleiches gilt im Übrigen spiegelbildlich auch für die Lehrer.

    Es wäre daher sehr problematisch, wenn sich eine gewisse politische Nähe zu FFF (oder deren Ablehnung) in der Note widerspiegeln würde.

    Daher ist das Verhalten der Bildungsverwaltung zu Recht kritikwürdig.

  • Recht schäbig, liebe CDU Niedersachsen, und wirklich peinlich für eine Partei, die selber über lange Jahre das Kultusministerium innehatte. Wie war das noch mit der Abgrenzung zur AFD? Oder versucht Ihr jetzt, Ron DeSantis zu imitieren und unsere Schulen zum Schlachtfeld eurer Ideologie zu machen?

    Die CDU hat eben immer noch nicht den Schuss gehört in Sachen Klimakatastrophe und sollte sich noch einmal an die eigenen Forderungen bezüglich eines demokratischen Diskurses erinnern.

    Hoffentlich erinnern sich die Grünen mal an diese Posse, wenn es wieder mal um politische Bündnisse geht.

  • Wäre es nicht so abgrundtief traurig, könnte ich sehr, sehr heftig in Gelächter ausbrechen. . . . . . . . . . . . 12:04 h

  • Natürlich gehören in Politik-Prüfungen politische Texte. Die können aktuell oder auch älter sein.

    Ich würde jedoch bei Schul-Prüfungen (im Gegensatz zur Uni) erwarten, dass eine direkte Erwiderung Teil derselben Aufgabe ist - also entweder eine Gegenrede zu Neubauers Artikel oder umgekehrt, ihre Erwiderung auf einen anderen Text.

    Leider geht aus den vielen Berichten nicht hervor, wie die Aufgabe konkret lautete.

  • In diesem Beitrag ist aber auch sehr viel rosarote Brille zum Einsatz gekommen, nicht wahr?

    • 8G
      81283 (Profil gelöscht)
      @Pia Mansfeld:

      Inwiefern? Einfach mal in den Raum stellen ist immer hübsch oder? Dann muss man ja auch nicht argumentieren.

      • @81283 (Profil gelöscht):

        Einfach lesen, staunen, verstehen. Das ist hier keine Textinterpretation wie in der Schule, da kann man mit etwas Einsatz schon selbst drauf kommen.

  • Mal wieder eine klasse Provinzposse der CDU/CSU, welche das wahre politische Kernverständnis offenlegt.

    Ein spitze Kommentar. Schön das Sie veröffentlichten, sonst wäre das an mir vorüber gegangen.

  • Gibt es eigentlich auch Freudsche Verleser? Wie Freudsche Versprecher, nur dass man sich ver-liest? Ich habe jedenfalls tatsächlich ein r statt eines n im Namen des Herrn Fühner gelesen ...







    An meine Abitur-Aufgaben erinnere ich mich auch nicht mehr, sogar bei den Fächern muss ich etwas überlegen. Ich glaube allerdings, dass ich in Politik unter einer SPD-Regierung tatsächlich über Rechte der Arbeitnehmer geprüft worden bin. Und wirklich bin ich nicht Arbeitgeber geworden! Da sehen Sie mal, welche Auswirkungen das haben kann, wenn man nur ganz genau hinschaut!







    Man vergebe mir bitte meinen Sarkasmus, aber anders kann ich mit solchem Unfug, den uns die Klimabeschmutzer immer wieder zumuten, nicht mehr umgehen.

  • Abiturienten sollen beweisen, dass sie etwas mit Texten anfangen können. Das kann auch bedeuten, den Text kritisch zu hinterfragen und Argumente als Scheinargumente oder als platte Propaganda zu entlarven.

    Die spannende Frage ist doch: Was war eigentlich die Aufgabenstellung? Was sollten die Prüflinge mit dem Text anfangen? Vielleicht wäre Luisa Neubauer weniger begeistert, wenn sie dazu Details erfährt...

    • @Winnetaz:

      Uns interessiert vielleicht die Aufgabenstellung...den Kombattanten kam es einfach nur gerade recht.

      Es ist in DE wie im Ausland doch seit Jahren die Methode, Kulturkrieg vom Zaun zu brechen.



      a. Emotionalisierung der Rezipienten, Provokation von Trotzreaktion und Missbill



      b. Umlenkung von den Ursachen auf ideologische Felder



      c. Systematische Störung der Diskussion von Zentralthematik (Armut, Ungleichheit, Unfreiheit, Chancenlosigkeit) durch Provokation von Ängsten (vor Abstieg, Bevormundung, usw.)

      Das betreibt die rechte Politik im Schulterschluss mit Medienmogulen doch schon seit Jahren: Republikaner/Murdoch; Tories/Murdoch, usw.



      Das haben die sich in Harvard Business School (oder wahlweise Yale, think tanks, etc.) in teuer verkauften Lehrgängen zäh antrainiert und mühsam eingeübt.

      Die Berichterstattung darüber finde ich ja richtig, mit so etwas wie Überraschung darauf zu reagieren wirkt dagegen immer etwas hilflos.