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Bundesweite Corona-AusnahmeregelungDie epidemische Lage abschaffen

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Eine Entscheidung des Bundestags über die epidemische Lage ist für die Länder nicht bindend. Für eine Maskenpflicht bleibt sie Voraussetzung.

Gesundheitsminister Spahn würde die „Epi-Lage“ gern auslaufen lassen Foto: Ina Fassbender/reuters

E s ist eine vor allem symbolische Diskussion: Soll der Bundestag die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ verlängern oder nicht? Die Verlängerung würde Verantwortungsbewusstsein und Vorsicht signalisieren. Das Ende der „Epi-Lage“ wäre ein Symbol für die Rückkehr zu Freiheit und Normalität. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat dafür plädiert, die „Epi-Lage“ auslaufen zu lassen. Die Entscheidung muss aber der Bundestag treffen, also die neue Ampelkoalition.

Man könnte meinen, Spahn wollte die Ampel gleich einem Härtetest aussetzen: Nachdem Spahn für das Freiheitssignal plädierte, muss die FDP als liberale Partei dem nun folgen. Gleichzeitig hat aber Karl Lauterbach (SPD) als Ober-Präventiv-Politiker natürlich sofort vor den Gefahren gewarnt. Das Signal mag politisch wichtig sein, in der Praxis ist die Weichenstellung aber eher schwach. Selbst wenn die „Epi-Lage“ verlängert wird, kann jedes Bundesland auf Corona-Einschränkungen verzichten; es gibt keinen Automatismus.

Und falls der Bundestag die nationale „Epi-Lage“ auslaufen lässt, können die Landtage eben eine epidemische Lage auf Landesebene feststellen. Das würden die meisten Landtage wohl auch tun, solange sie sogar für den Basisschutz, wie die Maskenpflicht in Zügen und im Einzelhandel, Voraussetzung ist. Besser wäre es jedoch, die Feststellung einer epidemischen Lage als Bedingung für staatliche Maßnahmen gleich ganz abzuschaffen.

Stattdessen sollten die Parlamente in den Bundesländern die Verantwortung für die konkreten Einschränkungen übernehmen. So könnten die Coronaverordnungen der Landesregierungen an die Zustimmung des jeweiligen Landtags gebunden werden, wie es etwa in Baden-Württemberg praktiziert wird.

Der Bundestag trüge dabei weiterhin die Gesamtverantwortung für die Coronapolitik. Denn er kann jederzeit das Infektionsschutzgesetz ändern, wenn er mit den Maßnahmen der Länder nicht einverstanden ist. Mit Einführung der Bundesnotbremse, die von April bis Juni galt, hat er das bereits ausreichend bewiesen.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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11 Kommentare

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  • "Das Parlament, die Volksvertreter, die eigentlich die Regierung kontrollieren sollten, haben sich seit 19 Monaten von der Pandemiebekämpfung verabschiedet."

    Kleiner Tipp: die Regierung hat auch im Parlament eine Mehrheit. Na, was heist das wohl?

  • Das größte Problem beim epidemiologischen Ausnahmenzustand ist Breite der Ermächtigungen, die der Bundestag der Regierung überträgt: Das Parlament, die Volksvertreter, die eigentlich die Regierung kontrollieren sollten, haben sich seit 19 Monaten von der Pandemiebekämpfung verabschiedet. Und die Regierung ermächtigt, Zwangsmassnahmen ein zu führen bis zum Verbot für Ungeimpfte, im Supermarkt Lebensmittel ein zu kauften (2G in Hessen). Bis hin zur Maskenpflicht in Freien, die nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen gestützt ist. Aber von Polizei und Behörden gerne als Begründung missbraucht, unerwünschte Demonstrationen zu verbieten und auf zu lösen.

    Im Frühjahr 2020 musste schnell gehandelt werden, notfalls auch ohne wissenschaftliche Grundlage, da war ein Ausnahmezustand gerechtfertigt. Jetzt nicht mehr. Im Gegenteil: Die Regierung hat sich bequem, zu bequem, eingerichtet in einem Ausnahmezustand, in dem sie ohne wissenschaftliche Grundlage, ohne gerichtliche Überprüfung und ohne kritische Debatten in Bundes- und Landtagen machen kann, was sie will. Das ist falsch.

    Wenn wir eine Impfpflicht brauchen, soll die der Bundestag offen und transparent beschließen, statt Bundes- und Landesregierungen zu ermächtigen, mit allerlei Mobbingmassnahmen die Bürger indirekt zu etwas zu zwingen, was eigentlich nicht vorgeschrieben ist. Wenn eine Maskenpflicht in Bus und Bahn und beim Einkaufen sinnvoll ist, möge der Bundestag die auch so beschließen.



    Der Bundestag wurde gewählt, um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu vertreten. Das soll er gefälligst auch tun.

    • @Peter_:

      Sehr viel Zustimmung. Aber kurz zu Hessen: Es gab lediglich die Ermöglichung einer 2G-Regelung für Supermärkte. Mir ist nicht bekannt, ob das irgendein Supermarkt auch umgesetzt hat. Es gab da in dem Sinne kein Verbot seitens der Regierung.

      Aber ja: Sich um eine Impfpflicht zu drücken, dann aber sich beschweren, wenn sich "nur" 86% der hauptsächlich vulnerablen Ü60-Gruppe bzw. ca. 80% aller Erwachsenen impfen lassen (laut offizieller Zählung, die ja bekanntlich zu niedrig ist). Was hat man denn bitte erwartet?

  • Die Maßnahmen müssen an die Epi-Lage gebunden bleiben. Sie sollte nsogar in dieser Lage von den Parlamenten zu beschließen sein. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Regierung jeweils eine stabile Mehrheit haben wird.

  • Just wenn die Sache in Belgien gerade wieder abgeht. Just wenn Dänemark bei ihrer "Freiheit" wieder ans Zurückrudern denkt. Just wenn alles in Osteuropa gerade explodiert.

    Dieser Mann hat ein feines Gespür für antizyklisches Verhalten. Bänker halt.

    Im Ernst: ich denke, das ist schmutzige Parteistrategie: pfui deibel.

    • @tomás zerolo:

      "Just wenn Dänemark bei ihrer "Freiheit" wieder ans Zurückrudern denkt." Was ist mir da entgangen?

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      „Im Ernst: ich denke, das ist schmutzige Parteistrategie: pfui deibel.“ (hsqmip)



      oder:



      Spahn tanzt mit uns den Inzidenz-Jens-Twist



      Und hofft wohl, dass das Wahlvolk bald vergisst,



      dass es für seine großen Fehler büßt…



      und trotzdem spendet wie zuvor…



      www.youtube.com/watch?v=KDDHQMJARxQ

    • @tomás zerolo:

      Klar, man will vor der Abwahl noch mal gut aussehen und hat die Chance das die Nachfolger schlecht aussehen.

      Win-Win-Win!!!

      • @danny schneider:

        Klar. Und in vier Jahren fällt uns das wieder ein und wir wählen alle den Kanzlerkandidaten Jens Spahn. Richtig so?

        • @Lars B.:

          In seiner Welt schon...

  • "Es ist eine vor allem symbolische Diskussion"

    Äh nein!

    So wie ich es verstehe würde das beenden der bundesweiten Pandemielage folgendes verursachen:



    * noch länger und damit krass verspätete Entscheidungen - schon bisher wurde in der ganzen Pandemie NICHT EIN MAL proaktiv gehandelt.



    * Egal was heute gesagt wird, kann man davon ausgehen das wir einen Flickenteppich von nicht handeln bis handeln bekommen werden.

    wer glaubt das Monologe, vorgetragen in Parlamenten, irgendwas besser oder demokratischer machen, hat noch nicht kapiert wie bei uns Politik gemacht wird. Bei regierenden Mehrheitskoalitionen wird IMMER gemacht was diese Koalition beschließt. Vollkommen egal was die Opposition will. Das einzige was passiert: Es dauert LÄNGER!