Bundeswehr in Mali: Im Wüstensumpf
Der bisher schwerste Anschlag auf deutsche Soldaten in Mali hat nicht nur mit Islamisten zu tun. Malis Staat wird insgesamt immer instabiler.
Der Anschlag ereignete sich tief in Malis Saharawüste, laut UN-Mission „nahe des Dorfes Ichagara in der Gemeinde Tarkint, Region Gao“. Lokale Berichte nennen auch das Dorf al-Moustarat. Die Gegend liegt 180 Kilometer nördlich der Regionalhauptstadt Gao, wo das deutsche UN-Kontingent stationiert ist.
Was suchten deutsche Blauhelmsoldaten mitten in Malis Kriegsgebiet? Die Gemeinde Tarkint – sie ist fast 30.000 Quadratkilometer groß, zählt aber weniger als 20.000 Menschen – hat in vergangenen Jahren schwere Schlachten zwischen französischen Elitetruppen und islamistischen Terrorgruppen erlebt. Sie ist eine Geburtsstätte des bewaffneten islamistischen Untergrunds der Sahelzone. Erst im März 2020 starben 30 Soldaten der malischen Armee bei einem Angriff auf die Militärbasis von Tarkint.
Schon viele Jahre vorher galt der Bürgermeister von Tarkint, Baba Ould Cheikh, als einer der prominentesten Schmuggler Nordmalis – die alten Transsahararouten können sehr lukrativ sein für den grenzüberschreitenden Handel mit Menschen, Waffen, Drogen und anderen offiziell unerwünschten Waren. Die Welt wurde darauf 2009 aufmerksam, als in Tarkint ein Flugzeug aus Venezuela mit 10 Tonnen Kokain an Bord landete, sicherlich nicht ohne Wissen staatlicher Stellen, und dort ausgebrannt vorgefunden wurde. Gerüchten zufolge wurden zwei Tonnen Kokain damals in der Wüste vergraben.
Die Schmuggler der Region bauten sich damals prächtige Villen in Gao und der Regionalhauptstadt Kidal weiter nördlich, geduldet von Malis damaliger Regierung und in bestem Einvernehmen mit Libyens Gaddafi-Regime. Mit ihren Geschäften finanzierten sich Rebellenführer der Tuareg-Volksgruppe sowie flüchtige Islamisten aus Algerien, teils in Konkurrenz zueinander, zuweilen taktisch verbündet. Aus der algerischen AQMI (Al-Qaida im Islamischen Maghreb) entstand unter anderem die „Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika“ (Mujao), die 2012–2013 zusammen mit anderen bewaffneten Gruppen den Norden Malis beherrschte, bis Frankreich mit Tausenden Soldaten intervenierte.
Das Dorf al-Moustarat, das jetzt in Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Bundeswehr genannt wird, bezeichnen EU-Sanktionsbeschlüsse als Heimat des Mujao-Gründers Abderrahmane Ould el-Amar. In al-Moustarat verübte auch Malis aktuell wichtigste islamistische Terrorgruppe JNIM (Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime) 2017 ihren ersten Selbstmordanschlag auf Malis Armee. Und der Sohn des Bürgermeisters von Tarkint, Mimi Ould Bana Oujld Cheikh, ist einer der prominentesten islamistischen Terrorhäftlinge Malis – er wird für blutige Anschläge in Burkina Faso und der Elfenbeinküste verantwortlich gemacht.
Gefährdetes Friedensabkommen mit den Tuareg
Die 2013 nach Frankreichs Militärintervention gegründete UN-Mission Minusma ist im Aktionsgebiet dieser Islamisten aktiv und hat mehr Tote zu beklagen als jede andere UN-Mission der Welt. Aber der Kampf gegen Terrorgruppen gehört nicht zu ihren Aufgaben – das ist der französischen Antiterroroperation „Barkhane“ vorbehalten. Die zentrale UN-Aufgabe in Mali besteht darin, im Windschatten der Terrorbekämpfung das Friedensabkommen von Algier umzusetzen, das 2015 den Krieg zwischen Malis Regierung und den Tuareg-Rebellen Nordmalis beendete. Diese international wenig beachtete zweite Front der Konflikte Malis ist der Hintergrund der Operation, die zum Angriff auf die Bundeswehr führte.
Bis heute werden Teile Nordmalis nicht von der Regierung verwaltet, sondern von den Tuareg-Rebellen, die dort 2012 die Macht übernahmen, ihren kurzlebigen eigenen Staat „Azawad“ ausriefen und auch nach Frankreichs Militärintervention gegen Islamisten 2013 die Oberhand behielten. Dies gilt vor allem für die Regionalhauptstadt Kidal nördlich von Gao nahe der algerischen Grenze. Das Friedensabkommen von Algier sieht nun eine Autonomieregelung vor, mit gemeinsamen Armeeeinheiten aus Regierungssoldaten, Tuareg-Rebellen und regierungstreuen Milizen. Zu diesem Zweck bildet Malis Armee seit einigen Jahren sogenannte rekonstituierte Bataillone aus, die in den drei nordmalischen Regionalhauptstädten Timbuktu, Gao und Kidal stationiert werden sollen.
Es ist ein umstrittenes Konzept. Manche Tuareg-Rebellen fürchten eine Infiltration ihrer Feinde in ihre Hochburgen. Manche Politiker in Malis ferner Hauptstadt Bamako geißeln einen Ausverkauf des malischen Staatsgebiets an Separatisten. Und die radikalen Islamisten haben kein Interesse an Frieden. In Gao antworteten sie Anfang 2017 auf die Einrichtung der ersten rekonstituierten Einheiten mit dem bis dahin blutigsten Selbstmordanschlag der malischen Geschichte – rund 60 Soldaten starben.
Kidal, wo anders als in Gao und Timbuktu die in der „Koordination der Azawad-Bewegungen“ (CMA) zusammengeschlossenen Tuareg-Rebellen bis heute faktisch regieren, erweist sich als besonders problematisch – vor allem, weil der Ort tief im islamistischen Feindesland liegt. Die erste rekonstituierte Armeekompanie für Kidal erreichte den Ort am 13. Februar 2020, nach drei Tagen Fahrt aus Gao durch die Wüste, mit einer Eskorte von 200 UN-Blauhelmsoldaten. Die zweite Kompanie musste im Mai 2020 zeitweilig umkehren.
Jetzt ist die dritte Kompanie an der Reihe, zum Schutz ihrer Verlegung war die deutsche UN-Einheit unterwegs. Die vom Selbstmordattentäter getroffene Operationsbasis, erläutert Minusma, „war eingerichtet worden, um den Durchzug der dritten Kompanie des rekonstituierten Bataillons der malischen Armee nach Kidal abzusichern, die am Vortag Ziel eines Sprengstoffanschlags geworden war“. Näheres über diesen Anschlag ist nicht bekannt – aber am Tag danach zur Absicherung Blauhelme hinzuschicken, die ansonsten nicht zur Terrorbekämpfung dienen, ist zumindest riskant.
Zwei Putsche und viel Unmut
Malis explosive Innenpolitik macht solche Operationen noch gewagter. Im August 2020 und erneut im Mai 2021 putschten unzufriedene Soldaten in Malis Hauptstadt Bamako – erst gegen die gewählte Regierung, dann gegen die aus dem ersten Putsch hervorgegangene Übergangsregierung. Der Drahtzieher des ersten Putsches, der unter anderem in Deutschland ausgebildete Oberst der malischen Spezialkräfte Assimi Goïta, ist seit dem zweiten Putsch Malis Präsident. Und sein neuer Premierminsiter Choguel Maïga ist Malis prominentester Kritiker des Friedensabkommens von 2015 mit den Tuareg.
Maïga fordert als Premier zwar offiziell bloß eine „kritische Korrekturlektüre“ des Abkommens. Aber das genügt, um die Tuareg-Rebellen auf die Palme zu bringen. Prominente Vertreter des Rebellendachverbandes CMA nutzten den sechsten Jahrestag der Unterzeichnung am 20. Juni für eine klare Warnung. „Bei einer Korrekturlektüre des Abkommens können wir auch wieder auf den Tisch legen, was wir damals nicht durchsetzen konnten“, sagte CMA-Führungsmitglied Tilla Ag Zaini auf einer Pressekonferenz in Bamako. „Niemand ist mit dem Abkommen zufrieden. Uns hat die internationale Gemeinschaft gezwungen, es zu unterschreiben. Wir wollten nicht.“ Die CMA traut der Militärregierung in Bamako noch weniger als deren Vorgängern. Am 13. April wurde mitten in Bamako CMA-Präsident Sidi Brahim Ould Sidatt vor seinem Haus erschossen.
Das alles ist ein denkbar ungünstiger Kontext für jeden Versuch, jetzt in der Tuareg-Hochburg Kidal Regierungssoldaten zu stationieren, und sei es zusammen mit Rebellen. Frankreich, das 2013 den Vormarsch der Islamisten in Mali stoppte, hat aus Protest gegen Malis zweiten Putsch seine militärische Zusammenarbeit mit Malis Armee aufgekündigt und will seine Antiterroroperation „Barkhane“ herunterfahren. Die bewaffneten Islamisten wittern Morgenluft, die Tuareg und andere Ethnien bereiten sich darauf vor, sich zukünftig alleine schützen zu müssen.
Nach UN-Angaben sind im gesamten Norden Malis derzeit nur 14 von 131 staatlichen Verwaltungschefs tatsächlich vor Ort präsent. Der jüngste Mali-Bericht des UN-Sicherheitsrats führt aus: „Die Abwesenheit staatlicher Amtsträger hat ein Sicherheitsvakuum geschaffen und bewaffnete Gruppen agieren weiterhin als einzige Gewährleister von Sicherheit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis