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Bundesverfassungsgericht zum WahlrechtTeilweise verfassungswidrig

Am Montag war das Urteil zur Wahlrechtsreform laut Medienberichten kurz abrufbar. Demnach erklärt Karlsruhe die Reform teils für verfassungswidrig.

Offiziell wird das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über das neue Bundestagswahlrecht am Dienstag verkünden Foto: IMAGO/Christian Spicker

Karlsruhe Reuters | Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition teilweise für verfassungswidrig. In dem Urteil, das Medienberichten zufolge am Montag zeitweise auf der Webseite des Gerichts abrufbar war, erachten die Richter die Fünf-Prozent-Hürde in Kombination mit der geplanten Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel als verfassungswidrig.

Die ebenfalls geplante Streichung der Regelung zu Überhang- und Ausgleichsmandaten, die den aktuellen Bundestag auf 733 Sitze aufgebläht haben, beanstandete das Gericht nicht. Offiziell soll das Urteil um 10.00 Uhr verkündet werden. Beim Bundesverfassungsgericht war niemand für eine Stellungnahme zu erreichen. Mit dem Urteil waren die Klagen von CDU/CSU, der Linken sowie der bayerischen Staatsregierung teilweise erfolgreich.

Die Ampel-Koalition hatte 2023 eine Wahlrechtsreform beschlossen, die eine Verkleinerung des Parlaments auf 630 Abgeordnete vorsah. Die sogenannte Grundmandatsklausel, wonach mindestens drei Direktmandate einer Partei den Weg in den Bundestag ebnen, fiel im neuen Gesetz weg.

Die Fünf-Prozent-Hürde, wonach nur Parteien, die bundesweit diese Schwelle erreichen, in den Bundestag einziehen, wurde dagegen beibehalten. Schon in der Verhandlung war die Abschaffung der Grundmandatsklausel bei gleichzeitiger Beibehaltung der Fünf-Prozent-Hürde von den Richtern kritisch hinterfragt worden.

Grundmandatsklausel bleibt vorerst

Die Fünf-Prozent-Sperrklausel sei „in ihrer geltenden Form mit dem Grundgesetz nicht vereinbar“, hieß es nun in dem Urteil. Sie beeinträchtige den Grundsatz der Wahlgleichheit. Bis zu einer Neuregelung gelte die Grundmandatsklausel fort, ordnete das Gericht an. Das ist vor allem für die im September 2025 geplante Bundestagswahl relevant: Wenn es dem Gesetzgeber nicht gelingt, bis dahin die Sperrklausel etwa auf drei Prozent zu senken und die Fünf-Prozent-Hürde weiter besteht, gilt für diese Wahl immer noch die Grundmandatsklausel.

Zuletzt hatte die Partei Die Linke von der Grundmandatsklausel profitiert. Aber auch die CSU sah sich gefährdet. Da die Partei nur in Bayern kandidiert, liegt sie bundesweit gerechnet nur knapp über fünf Prozent der Stimmen. Sie gewinnt zwar regelmäßig nahezu alle Direktmandate in Bayern, aber das wäre bei einem Wegfall der Grundmandatsklausel unerheblich gewesen. Bliebe sie unter der Fünf-Prozent-Hürde, wäre sie trotz aller Direktmandate nicht mehr im Bundestag vertreten.

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50 Kommentare

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  • Käptn Blaubär , Moderator*in

    Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion nun geschlossen.

  • Was wäre eigentlich, wenn Hubsi und noch ein paar Niederbauern für die Freien Wähler Direktmandate erhielten ...?



    So glücklich wäre ich als CSU gerade nicht.

  • Welche Überraschung...

    Ich befürchte, da hat die Ampel die Nummer selbst nicht durchbekommen wollen und deshalb in letzter Minute den Quark mit den Grundmandaten verzapft um sich selbst zu sabotieren.

    • @Samvim:

      Durch Interviews und Artikel hier bekannt, dass dem wohl _nicht so war.

      Das war, um ein konsequenteres und damit schwerer anfechtbares Verhältniswahlrechts-System drinzuhaben. Der Vorschlag kam von einem unionsnahen Sachverständigen, heißt es.

      Ich finde zweierlei gut: dass das Ziel eines gedeckelten Bundestags endlich angegangen und erreicht wurde & dass Karlsruhe die aus seiner Punkt noch kritischen Punkte benannte.

      In einer idelaen Welt muss Karlsruhe das gar nicht erst anmerken. Siehe Klimaschutz, wo mich die sogar offene Unions/FDP-Ignoranz gegenüber der Rechtslage ärgert.



      Beim Wahlrecht würde ich nicht mal Vorsatz unterstellen, doch wie gesagt: gut, dass es jetzt halbwegs geklärt und verbessert ist.

  • Bayern ausführlich dargestellt, aber die Regularien der Grundmandatsklausel fehlen. Gegenüber früher gibt es jetzt mindestens 6 Parteien, teilweise sogar 7: Union, SPD, Grüne, Linke, AfD, BSW und FDP. Das heißt - oder auch nicht?? - ein Wahlkreis ist mit weniger als 20% der Stimmen zu erobern. Die anderen Parteien haben dann im Schnitt 14%: 6x14=84; 84+16=100. Ich halte einen Gewinn eines Wahlkreises mit 16% aller abgegebenen Stimmen für verfassungswidrig!!

    • @Sarg Kuss Möder:

      Das alte System ist früher akzeptabel gewesen: Die SPD hat mal im Norden etwas mehr Wahlkreise geholt, die Union auf dem katholischen Land, aber das war keine grobe Verzerrung. Die beiden Großen waren nahe genug an den 50 %, dass es vernachlässigbar war.

      Nun wird etwa Bayern skurril und disfunktional, weil die CSU unter PR-Spezialist Markus Söder auch nie mehr an die 50 % herankommt (was es ja auch gelöst hätte).

  • Das war doch zu erwarten. Wenn in einem ganzen Bundestag alle Direktmandate von einer Partei gewonnen werden, diese aber wegen der 5% Klausel dann nicht in den Bundestag einziehen können, dann ist das offensichtlicher Unfug.

    Mit solchen Aktionen zeigt die Koalition ihr polithandwerkliches Unvermögen und schadet - was schliimer ist - mit solchen machtpolitischen Entscheidungen dem Ansehen des Bundestages und der Bundesregierung als demokratische Institution.

    • @Rudolf Fissner:

      Nehmen wir - jetzt auch ganz ohne taktisches verzerrendes Stimmensplitting - ein sehr zersplittertes Ergebnis an: eine Partei ist relativ mit ihren 4,8 % vorne, schafft aber keine 5 %.



      (NB: Was wäre dann gerade mit den anderen Parteien passiert? Das Beispiel geht fast nur bei taktischen Spielchen der Wähler oder extrem sympathischen Menschen im Wahlkreis)

      Dann hat die Partei, siehe Annahmen, die 5 % _nicht_ hinbekommen. Das ist dann konsequentes Verhältniswahlrecht.



      Selbst in diesem arg konstruierten Beispiel.

      Ein perfektes Wahlsystem gibt es nicht.



      Das alte funktionierte halbwegs bei wenigen und zwei großen Parteien. Es bevorzugte ein wenig die Union, weil die FDPler so brav taktisch stimmten, doch damit konnte man wohl noch leben.



      Die Lage kommt absehbar nicht wieder, Merkel/Hintze/Pofalla haben die SPD damals demobilisiert und ihre Union gleich mit. Überhangmandate, wo man hinsieht.

      Beim neuen ist manches konsequenteres Verhältniswahlrecht wohl aus Sorge vor Karlsruhes Ablehnung.

      Einigen können wir uns vielleicht, dass es wie im Sport parteiübergreifend fair sein soll.

    • @Rudolf Fissner:

      Ah. Schon fast glatt vermisst! Newahr



      Der Weise vonne Weser - 😤 -



      Immer fürn flotten Schlaubergerspruch negligable gut! Woll



      Kost ja nix & als Mehrzweckwaffe allzeitts bereits einsetzbar!



      Mann - gönnt sich ja sonst nix!



      Normal

      • @Lowandorder:

        Dafür dass solch ein Ergebnis zu erwarten war muss man nicht studierter Rechtspfleger gewesen. Haben sie etwa den Gorilla nicht durch den Raum laufen sehen?

    • @Rudolf Fissner:

      Gilt das auch für Bremen? Dann wird es bei drei Direktmandaten bleiben müssen. Alternativ könnte man CSU und CDU aber auch verdonnern, sich vor der Wahl auf die Bildung einer gemeinsamen Fraktion zu einigen und solche Konstruktionen ausnehmen. Das wäre wohl grundgesetzkonform.



      Im Übrigen sind alle anderen Änderungen ja problemlos möglich, insbesondere auch, dass nicht alle Wahlkreise mit Abgeordneten vertreten sind. So viel zu den Kassandrarufen, Karlsruhe werde die Wahlrechtsreform in der Luft zerreißen.



      Da die CSU vermutlich auch insgesamt wieder über 5% erhalten und die Linke keine drei Direktmandate erzielen wird, dürfte die Reform in der Praxis voll wirksam werden, und den Bundestag wirksam verkleinern sowie die Union ihre Überhangmandate, und hier besonders die nicht voll ausgeglichenen Überhangmandate kosten.



      Aber: Das war zu erwarten, dass Karlsruhe entscheidet, dass die Union kein verfassungsmäßiges Anrecht auf Rechentricks hat, die das Ergebnis der Verhältniswahl verzerren.

  • Wenn die CSU nur regional antritt ist das deren Problem und nicht das des Wahlrechts, oder?

    • @So oder so oder anders:

      So dachten sich das die SPD sicher auch, um unliebsame Konkurrenz loszuwerden.

    • @So oder so oder anders:

      Nicht die 5%-Hürde hat Verfassungserang sondern der Grundsatz der Chancengleichheit bei Wahlen. Und da nirgends in der Verfassung steht, dass Regionalparteien weniger mitbestimmungsberechtigt seien als bundesweit antretende, die 5%-Hürde ohne Grundmandate aber genau diesen Negativeffekt erzeugt, geht die Chancengleichheit vor. Das Resultat ist dann übrigens nicht, dass das Wahlrecht "ein Problem" hat, sondern dass seine verfassungswidrigen Vorschriften schlicht nicht mehr existieren.

      Stellen Sie sich einfach vor, es ginge nicht um die pöse CSU. Vielleicht wird's dann einleuchtender... ;-)

      • @Normalo:

        anschließe mich -

        Mit Jürgen Habermas gesprochen:



        Schon erstaunlich wie nah oft -



        Erkenntnis und Interesse beieinander liegen! Newahr (klar - paraphrasiert!;)



        Normal

      • @Normalo:

        Pardon, aber es ist doch genau umgekehrt: Heute hat in Fällen die Stimme regional gehäufter Parteien noch mehr Gewicht als die einer bundesweit verteilten Partei.



        Die eine ist auch mit 4,8% drin, die andere nicht. Wieso?

        Ich fände es persönlich schade um die Linken (einzige konsequent halbwegs linke Partei im Bundestag). Auch die CSU ist zumindest schmerzhaft unterhaltsam.



        Doch die 5%-Hürde wäre leichter verständlich und klarer, wenn Ausnahmen wegfallen. Es sollte dabei nie gegen eine spezielle Partei X gehen, dafür ist die schrittweise Änderung nun wohl ein guter Weg. Die CSU darf einfach ihre Bundeslistenverbindung aushandeln (das Jammern dort ist mal wieder unangemessen). Die Linken haben es nicht so einfach, doch vielleicht lesen wir alle mal deren Steuerkonzepte, dann sollte sie deutlich mehr Stimmen erhalten.

        • @Janix:

          Das bisherige System der Kombination von Direktmandaten und Verhältniswahlrecht ist in der Tat darauf angelegt, lokale Mehrheitsfähigkeit besonders zu honorieren - natürlich nur im Rahmen der Zweitstimmenverhältnisse. Aus meiner Sicht ist das auch sachgerecht - und sachgerecher, als eine harte 5%-Klausel, bei der mehr und mehr Stimmen unter den Tisch fallen. Bisheriger Rekord bei BT-Wahlen waren meiner Erinerung nach ca. 15% - was für eine Regierungsbeteilung gereicht hätte. Die Tendenz könnte gut zukünftig nochj nach oben gehen.

          (Um die CSU geht es sowieso nicht. Die hat in den Urteil einen überraschend pragmatischen 5%-Dispens bekommen, solange sie weiter - wie immer schon - mit der CDU in einer Fraktionsgemeinschaft sitzt, beide zusammen die 5%-Hürde nehmen, und sie auch weiter nicht gegeneinander antreten.)

          • @Normalo:

            Vielleicht aber auch historische Gründe damals, um die niedersächsische DP, das nordrhein-westfälische Zentrum, ... nicht so abrupt herauszukegeln.



            Ich würde, wenn überhaupt, eine _allgemeine, breite Verteilung im Bundesgebiet honorieren. Sonst haben wir am Ende noch mehr solcher rücksichtslosen Regionalegoisten im Dt. Bundestag, vgl. auch die Rolle von Regionalparteien in Indien

            • @Janix:

              Wäre Ihnen ein zackiger Zentralstaat mit ebenfalls schön in ihrer Berliner Blase abgekapselter Polit-Elite lieber?

              Egoismen sind wie Unkraut - sticht man den einen aus, wächst am nächsten Tag ein anderer in der freigewordenen Stelle nach. Eine Staatsordnung tut daher gut daran, Egoismen nicht ausmerzen zu wollen sondern sie zu erkennen und auszutarieren.

              • @Normalo:

                Nö, dafür gibt es aber ja den Bundesrat und die Länderhoheiten.

                Es ist wohl nicht Aufgabe des Bundes, sich von einer Rein-regional-Partei erpressen zu lassen, dass sinnlose wie teure Ortsumgehungen in Niederbayern auf Kosten der Bahngrundversorgung errichtet werden.



                Müsste die CSU bundesweit um Stimmen fechten, würde sie das vermutlich nicht so fahren können.

                Minderheitenparteien wie SSW ausgenommen, natürlich.

                • @Janix:

                  Wie sollte für die (gefühlten) nationalen Minderheiten der Bajuwaren und Franken was anderes gelten als für die Südschleswiger? ;-)

                  Und nein, eine formale Ländervertretung reicht nicht - zumal wenn sie nur eingeschränkte Mitspracherechte hat. Föderalismus muss man auch im legislativen Hauptplenum leben.

  • Verfassungskonform sind nach dem Urteil die Abschaffung der Überhang- und Ausgleichsmandate.

    Beide Arten von zusätzlichen Mandaten wird es nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr geben.

    Wer also von einer Niederlage der Regierung spricht sollte die Geduld aufbringen das Urteil des Verfassungs-Gerichtes auch insgesamt zur Kenntnis nehmen.

    Die CXU hat jahrelang einen gemeinsamen Beschluss gegen ein weiteres Aufblähen des Bundestages verweigert - und hat sich deshalb den Tritt in den Hintern durch das Verfassungsgericht redlich verdient.

    • @zartbitter:

      Welcher Tritt? Die Ampel hat ein teilweise verfassungswidriges Gesetz gemacht, dass zudem das Geschmäckle hatte, die Konkurrenz zu behindern. Ich erwarte von der Regierung verfassungskomformes Handeln. Zugegeben, das ist schwer, wenn es keine Urteile gibt. Aber das ist der Anspruch den ich stelle. Egal welche Partei an der Regierung ist.

    • @zartbitter:

      Ich denke aber nicht, dass das Aufblähen das Ziel war. Es ging darum, die Direktmandate zu schützen. Da werden beide Unionsparteien sicher auch nach diesem Urteil Federn lassen. Es ändert aber nichts daran, dass die sie BEIDE weiter soviele Bundestagsabgeordnete entsenden können werden, wir es ihr Zweistimmenanteil hergibt. Etwaige Hoffungen, sie und die Linke mit der Streichung der Grundmandatsklausel aus dem BT zu kegeln, dürften sich also erledigt haben.

      ...im Fall der Linken erfolgt diese Erledigung freilich absehbar auch so im Wege der Selbstentleibung. Soll ihr mal ja niemand vorwerfen, sie bräuchte die Hilfe der Ampel dazu. ;-)

  • Viel wichtiger ist, dass der Wegfall von Überhangmandaten bestehen bleibt. Das ist meiner Meinung nach die bedeutsamere Änderung da die Anzahl der Sitze damit fixiert ist und es ist gut dass das neue Wahlrecht so in seinem wesenskern bestehen bleibt.

    • @silicananopartikel:

      Stimme ich zu. Die Überhang und Audgleichsmandate waren viel zu viel.

      • @Strolch:

        Aber so richtig aus einem Guss ist die Regelung immer noch nicht. Nehmen wir mal an, eine regional sehr stark in den Wahlkreisen verankerte Partei mit dafür nicht so großem bundesweiten Zweitstimmenpotenzial tritt in einem Großteil ihrer Heimspielwahlkreise gar nicht erst mit einem Direktkandidaten an. Dafür empfiehlt sie die Wahl eines plötzlich aufgetauchten (aber schon irgendwie von Wahlplakaten der Vergangenheit wohlbekannten), parteilos antretenden Kandidaten.

        Erstes Problem: Wenn sie das durchkriegen und es Schule macht, haben wir effektiv die Überhangmandate wieder, aber ohne Ausgleich. Zweites Problem: Mein fiktives Beispiel muss nicht einmal in Bayern spielen. Es könnte genauso gut z B. in Sachsen oder Thüringen passieren.

        • @Normalo:

          Ja, das ist richtig. Man hätte die Direktkandidatenwahl auch aufgeben können. Die Zweitstimme war Jahre lang entscheidend. Erst mit dem erstarken weiterer Parteien, gewann die Erststimme Bedeutung.

          Allerdings würde ich es auch befremdlich finden, wenn z.B. in Bayern die Abgeordneten alle aus München kommen, da es dort Parteizentren gibt und das ganze Allgäu niemanden im BT mehr hat.

          Wie so oft: Kritik ist leicht. Es besser zu machen nicht. Mich hatte damals nur der offensichtliche Versuch CSU und Linke zu schaden, gestört und dann auch noch die Heuchelei dazu. Umgekehrt (CDU/CSU + SPD hätten das Wahlrecht geändert) wäre es nicht besser gewesen, da wären die Kleinparteien unter die Räder gekommen.

        • @Normalo:

          Das hat Alt-OB Daniels sen. (Jurist) Anfang der 1970er in Bonn versucht, das Manöver. Keiner hat es kapiert.

          Nach dem neuen System, so wie ich es verstehe, hätten die Direktkandidaten ja keine 5 % hinter sich. Sie ziehen _nicht ein. Wir haben schon den Systemwechsel zu einem Quasi-Verhältniswahlrecht.



          Was Vorteile wie Nachteile hat.

          • @Janix:

            Nein, das System hat eine absichtliche Lücke: Siegreiche Wahlkreiskandidaten, die NICHT formell von einer Partei vorgeschlagen waren, bekommen ihren Sitz direkt (§§ 6 Abs. 2 iVm 20 Abs. 3 BWahlG). Die so vergebenen Sitze werden vorab von der Gesamtzahl abgezogen, die für die Verteilung nach Verhältniswahlrecht zur Verfügung steht. Wenn ich nichts überlesen habe, muss so ein unabhängiger Bewerber noch nicht einmal aus seiner bisherigen Partei austreten (oder von deren Landesliste verschwinden?), um sich für den Sonderweg zu qualifizieren.

            Im Extremfall haben wir also die Gesamtzahl der Direktmandate im BT sitzen, die die Bewerber einer derart abenteuerlustigen Partei holen können, PLUS deren über die Landesliste(n) vergebenen Anteil am Rest. Ich sehe es auch so, dass die Parteien nicht alle darauf setzen können, dass ihre Wähler das Spielchen mitspielen. Aber z. B. bestimmte Stammes- - Stichwort "Mia san mia" - und Kadermentalitäten - Stichwort "Alles für ..." - sowie die Tatsache, dass das Wahlrecht von den verhassten Großkopferten in Berlin zusammengezimmert wurde, können da schon Einiges reißen, fürchte ich.

            • @Normalo:

              Das wäre ja dann Grabensystem durch die Hintertüre.



              Oder die CSU tritt gar nicht an und deren Bewerber kommen _dadurch doch rein. Das wäre eine grobe Lücke.

              • @Janix:

                "Das wäre ja dann Grabensystem durch die Hintertüre."

                So sieht's aus, und darauf wollte ich hinaus. Man muss die Direktmandate zwar gegen tradtionell mit dem "Markenbonus" einer offiziellen Parteinominierung antretende Kandidaten erst einmal holen. Aber richtig "instruiert" weiß die Klientel schon, wen sie wählen sollte, wenn sie ihre lokal dominante Kraft stützen will. Und dann klappt das auch.

                "Oder die CSU..."

                Nochmal: Die CSU ist ohnehin nach diesem Urteil sicher im BT, solange sie ihr Geschwisterverhältnis mit der CDU wie gehabt aufrechterhält und nicht beide zusammen unter 5% Prozent rutschen. DAS ist nicht das Problem.

                Das Problem ist, dass JEDE Partei, auch eine, die locker die 5% schafft, mit diesem Trick ihr Stimmgewicht über das Zweitstmmenverhältnis hinaus mit Direktmandaten "dopen" kann. Und dieses neue Wahrecht begreift sich halt als funktionierendes Verhältniswahlsystem und sieht deshalb für diesen Fall keine Gegenmaßnahmen vor.

                • @Normalo:

                  PS: Ich halte es für eine eher theoretische Konstruktion, siehe Fall Daniels; das würde Planung und Vorbereitung und Verständnis bei ausreichend vielen erfordern. Doch ich las das Gesetz da genau wie Sie, als ich das jetzt nachsah.



                  Gut gemeint, sicher, um dem Einzelbewerber am Ort eine Chance zu lassen, doch von skrupellosen Optimierern potenziell ausnutzbar.

                  • @Janix:

                    Nur weil die Bonner das mal versemmelt haben, heißt das nicht, dass es nicht funktionieren kann. 20 km nördlich regiert Henriette Reker in zweiter Legislaturperiode eine Millionenstadt ohne Parteibuch, aber seit jeher mit "Unterstützung" gleich mehrer Parteien und stets gut gefüllter Wahlkampfkasse (die auch nicht aus der leeren Luft kommt...).

                    Wie gesagt halte ich es für realistisch, dass bestimmte Parteien, bei deren Positionierung genügend Motive zusammenkommen, ihre Wähler durchaus auch in der Breite für so einen Gambit mobilisiert kriegen. Die Union und zunehmend auch die AfD sitzen in ihren Hochburgen so fest im Sattel, dass sie ein paar Reibungsverluste verschmerzen können, ohne die Direktwahl zu verlieren. Ob sich ihre Abgeordneten das auch trauen, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

                    @Strolch merkt oben SEHR richtig an, dass es immer leichter ist, Fehler zu finden, als etwas zu präsentieren, das funktioniert. Das gilt wohl auch hier. Denn ja, einen Tod muss man sterben: Ein komplettes Oligopol der Parteien auf die Repräsentation im Bundestag wäre AUCH Gift für die Demokratie. Also MUSS es niedrigschwellige Zugänge für Parteilose zum Mandat über die Erststimme geben.

                    • @Normalo:

                      Ja, das Perfekte gibt es auch da nicht.

                      Frau Reker war das Ergebnis eines Grün-Schwenks von einer als unzuverlässig empfundenen SPD zur CDU, einer Kritik am SPD-OB davor, der eher zufällig das Amt angetreten hatte (Schramma-Skandale) und Ratsbeschlüsse nicht umsetzen ließ, weil sein Büroleiter von der SPD dirigiert wurde. Reker gab sich als Aufräumerin der Verwaltung, was Köln als nötig ansah, war für Grüne wie CDU anschlussfähig, die FDP dackelte mit.



                      Da dürfte die CDU vor allem dank ihrer Spendenkasse den Wahlkampf bezahlt und dürften die Grünen ihn geführt haben.

                      Die Wiederwahl war dann wohl dem Anschlags-Nimbus und der fehlenden Alternative zuzuschreiben. Rekers Diagnose mag nämlich richtig gewesen sein, doch die politische und geschmeidige Ader gehe ihr immer noch ab, liest man.

                      Vom Nebenthema zurück: OB ist kein Ratsmensch, sondern eine eigene Wahl, die Parallele zöge ich daher nicht. Und der Regelfall ist in größeren Gemeinden der Parteienkandidat. Es bringt ja auch keinen Vorteil, es anders zu machen.

                      Und ja, in eingeschworenen Ecken Niederbayerns könnten tatsächlich zeitig CSU-Austritte stattfinden, doch wahrscheinlich wird man die Konfusion bei Oma Dimpfl scheuen.

  • Gut, dass die Reform im grossen und ganzen bleibt. Und gut, dass die Ampel Dinge anpackt, die so lange liegen geblieben sind.

  • Gibt es eigentlich keine Möglichkeit für die Ampelregierung Gesetze vor dem Beschluß durch den Bundestag auf Verfassungskonformität überprüfen zu lassen?



    Wieso steht die Ampelregierung so auf Niederlagen in Karlsruhe?

    • @Dirk Osygus:

      Gab es immer.

      Hier wurde ja schon stark auf Karlsruhe geschielt, daher auch die recht konsequente Verhältniswahl im letzten Entwurf, laut Interviews genau deshalb.

      Für eine erste Prüfung ist das Bundespräsidialamt auch bereits zuständig. In Einzelfällen gab es Zurückweisungen oder öffentlich gestreute Zweifel an Gesetzen.

      Hätte die CSU nicht so geblockt, hätte man vor 8 Jahren eine halbwegs akzeptierte, halbwegs "neutrale" Lösung finden können, wie von Karlsruhe bereits eingefordert. Selbst Schäuble drang da nicht durch.



      Ich bin froh, dass es angepackt wurde, denn mit der Oppositionsschwäche der Union, insbesondere der CSU, hätten wir sonst einen Bundestag mit Stehplätzen erhalten.

    • @Dirk Osygus:

      Sie ist nicht die erste Bundesregierung, der sowas passiert. Man versucht halt mal die Maximallösung und schaut, was Karlsruhe davon übriglässt. Das kann man "Hasardeurtum" nennen, aber das Gegenteil auch "übervorsichtig" - das liegt im Zweifel im Auge des Betrachters. Richtig ist jedenfalls, dass das alte "It's easier to ask forgiveness than it is to get permission" (Admiralin Grace Hopper, USN), im Verhältnis zum Bundesverfassungericht dreimal gilt, weil das Gericht sich zu noch nicht verabschiedeten Gesetzen schlicht nicht äußert.

      Davon abgesehen war die nun gekippte Streichung der Grundmandateklausel wohl ein Schnellschuss im parlamentarischen Prozess, nicht das Werk der Bundesregierung. Unehre, wem Unehre gebührt...! ;-)

    • @Dirk Osygus:

      Machense doch - vorab.



      Sie wissen aber schon?



      Vier Juristen - sieben Meinungen!



      &



      Karlsruhe & sein Dritter Senat*?



      Als längere Zeit Flurfunkhörer - da geht’s teilweise auch zu wie bei Hempls unterm Sofa! Gell



      &



      Der ansonsten nicht sonderlich geschätzte Präsi des BVerwG Sendler hat sojet angemerkt: “Was heißt denn hier die einzige juristisch allein richtige Lösung? Was glauben Sie wie in meinem Senat manchmal die Fetzen fliegen!



      Können wir uns nicht einigen.



      Wird abgestimmt!“

      So geht das ©️ Kurt Vonnegut



      Is schonn so - wie Volkers 👄 sagt:



      “Vor Gericht und auf hoher See! - 🌊🌊 -



      Biste in Gottes Hand!“

      unterm——*



      “Der Dritte Senat“ der Maschinenraum.



      Die dürfen das Ganze dann versuchen wasserdicht zusammenzuklempnern!



      Näherdazu =>



      Friedrich Gottlob Nagelmann ist ein fiktiver deutscher Verfassungsjurist, der in rechtswissenschaftlichen Publikationen Erwähnung findet und Gegenstand satirischer Abhandlungen ist.



      de.wikipedia.org/w..._Gottlob_Nagelmann



      Die umfassendste Quelle über Nagelmanns Leben ist die von einem Kollegium wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht erstellte Gedächtnisschrift für Nagelmann mit dem Titel Das wahre Verfassungsrecht…

      • @Lowandorder:

        "Sie wissen aber schon? Vier Juristen - sieben Meinungen!"

        Sie wissen aber schon? "Die Entscheidung zur Zweitstimmendeckung ist einstimmig und zur Sperrklausel mit 7 : 1 Stimmen ergangen."



        www.bundesverfassu...024/bvg24-064.html

        Bei einer so heiklen Entscheidung, die grundlegende demokratische Prozesse betrifft pockert man nicht un schießt mal eben absichtlich über das höchstmögliche Ziel hinaus, wo man dann im bereich des Undemokratischen landet.

        • @Rudolf Fissner:

          Will ehna nicht zu nahe treten!



          Aber Ihre Ausflüge ins Juristische - erinnern mich mit Verlaub ans Studium & die Refi-Zeit - da gab es - immer dieselben - die verläßlich sofort losbolzten & alles verdrehte die Augen!



          Ein Paradebeispiel war Bubi Bohl - später unfaßbar Kanzleramtsminister!



          Mein Freund & Weggefährte Jo Lau - Firenze - schloß seine entsprechende Einschätzung mit “…ich kann das beurteilen. Ich habe die Refi-Zeit mit ihm verbracht!“ - 🙀🥳 -



          (btw mir ist er in Erinnerung im 🍅🍅🍅



          Geschoßhagel den ☔️ über FJS haltend



          “Alles Chaoten! Alles Chaoten!“🍅🍅🍅



          tazelwurm.de/offen...ia-delle-farine-2/



          always at your servíce

  • Direktmandate als Einzugsgrund sind innerhalb eines reinen Verhältniswahlrechts ein Fremdkörper. Warum sollen Regionalparteien bevorzugt werden, gegenüber Parteien, die gleichmäßiger verteilt Stimmen einsammeln?



    Bei alledem jedoch auch gut, dass Wahlrechtsänderungen geprüft und durchdacht werden, denn opportunistisch maßgeschneiderte Wahlgesetze soll es hier nicht geben.



    Und durch die Dauerblockade der CSU wurde da nun schon auch der Hammer angesetzt.

    • @Janix:

      Welche Bevorzugung meinen Sie?

      Für den Anteil der Sitze im Bundestag ist am Ende nur der entsprechende Anteil an den Zweitstimmen maßgeblich.

    • @Janix:

      "Warum sollen Regionalparteien bevorzugt werden, gegenüber Parteien, die gleichmäßiger verteilt Stimmen einsammeln?" Weil wir ein föderaler Staat sind und regionale Anliegen ernst nehmen.

    • @Janix:

      Warum sollen Regionalparteien bevorzugt werden, gegenüber Parteien, die gleichmäßiger verteilt Stimmen einsammeln?

      Wegen der Akzeptanz des Wahlrechts? 50 % in Bayetn für die CSU, durch hohe Wahlbeteiligung nur 4,9 % im Bund und dann Vertretung Bayerns im Bund durch AfD, SPD und Grüne?

      • @Michas World:

        Das können Sie auch mit den Linken im Osten durchspielen. Da verstehe ich es sogar eher.



        Die CSU kann ihre Selbstständigkeitsscharade stoppen und mit der CDU eine Liste bauen. Die Option haben die Linken nicht.

        Wollen Sie noch mal versuchen, meine Frage zu beantworten? Warum sollten geballte Stimmen höher gewichtet werden als verteilte?

        • @Janix:

          Ob die Stimmen geballt sind oder nicht, dass spielt doch keine Rolle?



          Die Linke hatte die 3 Wahlkreise in Leipzig und 2x in Berlin? Wo ist da eine Ballung?

          Ja die CSU holt die Wahlkreise nur in Bayern, aber würde sie Deutschlandweit antreten würde selbiges gelten, wenn genug Wahlkreise gewonnen werden.



          Die CSU hat 45 Wahlkreise gewonnen 2021. Mehr als Grüne und SPD zusammen.

          Die CSU rauskehrende zu wollen ist einfach undemokratisch. Bayern hat 13 Mio Einwohner (1/6 der Gesamtbevölkerung) und 45 von 46 Wahlkreisen gehen an die CSU. Sie schafft ja sogar aus eigener Kraft 5,2% aller Stimmen.



          Die Grundmandatsklausel Streichung war Undemokratisch!

          • @Walterismus:

            Vorab: ich bin gegen unfaire Systeme, auch wenn es kein perfektes gibt, und das unabhängig von meiner eigenen Parteiensympathie. Wie bei Sport: man muss fair gewinnen und verlieren können.

            Wer so verstreut ist, dass er keinen Wahlkreis relativ mehrheitlich holt, wird gegenwärtig bestraft. Wer sie aber an Orten zusammen hat, bekommt nicht nur die dortigen Mandate, sondern gleich prozentual entsprechend. Stimmen sind dann also ungleich gewertet.

            Schreibt jemand, der auch die Linken dringend im Bundestag gerne sieht. Die haben auch nicht die Chance der CSU, sich bei der CDU einzureihen.

            Diese Widersprüchlichkeit musste ich schon benennen. Die einen Stimmen gelangen ins Parlament, die anderen nicht, und das hat nicht mit den 5 % zu tun, sondern mit Häufungsverteilung.



            Und bei der CSU, die bei den Zweitstimmen seit Söder noch mal ärger schwächelt, blähte dies den Bundestag massiv auf.