Bundestagswahl für Deutsche im Ausland: Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden
Viele Stimmzettel aus dem Ausland kommen wohl nicht rechzeitig an. Doch das Bundesverfassungsgericht wird die Wahl vermutlich nicht annulieren.
Die vorgezogenen Neuwahlen setzen alle unter massiven Zeitdruck. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den Bundestag am 27. Dezember aufgelöst, nachdem die Ampel-Koalition auseinanderbrach und Kanzler Olaf Scholz eine Vertrauensfrage verlor. Laut Grundgesetz muss die Neuwahl des Bundestags spätestens 60 Tage nach der Auflösung stattfinden.
In dieser Zeit mussten die Parteien Wahlkreiskandidaten und Landeslisten aufstellen, Kleinparteien mussten sogar noch Unterschriften sammeln. Die Wahlausschüsse mussten über die Zulassung der Parteien und Kandidaten entscheiden. Erst nachdem feststand, wer kandiert, konnten die Stimmzettel gedruckt werden. Die Stimmzettel konnten so vielfach erst ab dem 10. Februar an Briefwähler:innen verschickt werden, also erst dreizehn Tage vor der Wahl.
Bei vielen Briefwähler:innen im Ausland verhinderten dann aber die Postlaufzeiten ins Ausland und wieder zurück eine Teilnahme per Briefwahl. Auch die eingeräumte Nutzung des Kurierdienstes der jeweiligen deutschen Botschaft beschleunigte den Ablauf nicht unbedingt.
Bis zu vier Millionen Deutsche im Ausland
Nach Schätzungen leben drei bis vier Millionen deutsche Staatsbürger:innen dauerhaft im Ausland. Davon haben rund 210.000 Interesse an einer Teilnahme an der Wahl bekundet, indem sie sich in das Wählerverzeichnis ihrer letzten deutschen Heimatgemeinde eintragen ließen.
Sollte ein erheblicher Teil dieser 210.000 Personen wegen der Postlaufzeiten nicht an der Wahl teilnehmen können, wäre der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl betroffen. Dieser besagt, dass alle Wahlberechtigten an der Wahl teilnehmen können müssen. Ausnahmen sind nur mit wirklich gewichtigen Gründen möglich.
Die Verhinderung von Tausenden oder gar Zehntausenden Auslandsdeutschen kann durchaus auch die Mandatsverteilung berühren. Gerade bei der aktuellen Wahl, bei der FDP und BSW knapp über oder unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen, kann es auf ein paar Tausend Stimmen ankommen – die nicht nur über einzelne Mandate, sondern sogar über die Möglichkeiten der Regierungsbildung entscheiden.
Klagen können die betroffenen Auslandsdeutschen allerdings erst nach der Wahl. Um Chaos während der Wahlvorbereitung und des Wahlkampfes zu vermeiden, ist vor einer Parlamentswahl grundsätzlich kein Rechtsschutz möglich. Deshalb lehnte im Januar auch das Verwaltungsgericht Berlin den Eilantrag eines Auslandsdeutschen ab, der Staat solle „durch geeignete Maßnahmen“ seine Teilnahme an der Wahl sicherstellen. Beim Bundesverfassungsgericht sind bis jetzt noch keine entsprechenden Eilanträge eingegangen. Auch sie wären wohl unzulässig.
60-Tage-Frist steht im Grundgesetz
Nach einer Bundestagswahl gibt es ein zweistufiges Wahlprüfungsverfahren. Zunächst kann jeder Wahlberechtigte binnen zwei Monaten nach der Wahl beim Bundestag einen Einspruch einlegen. Meist dauert es rund ein Jahr, bis der Bundestag darüber entscheidet. Erst anschließend kann das Bundesverfassungsgericht mit der Wahlprüfungsbeschwerde angerufen werden. Theoretisch kann das Karlsruher Gericht dann die ganze Bundestagswahl für ungültig erklären. In der Zwischenzeit hat sich aber längst eine neue Regierung gebildet und der Bundestag hat wichtige Gesetze beschlossen. Das zweistufige Wahlprüfungsverfahren gilt daher als reformbedürftig.
Empfohlener externer Inhalt
Im Fall der wahlverhinderten Auslandsdeutschen dürfte dies allerdings nicht tragisch sein. Denn ihre Wahlbeschwerden dürften ohnehin keinen Erfolg haben.
Letztlich hat nicht der Gesetzgeber oder die Bundeswahlleiterin den massiven Zeitdruck verursacht, der die Briefwahl für viele Auslandsdeutsche verunmöglicht. Der Zeitdruck geht vielmehr direkt auf das Grundgesetz selbst zurück. Die 60-Tages-Frist zwischen Auflösung und Neuwahl des Bundestags ist in Artikel 39 festgeschrieben. Und das Grundgesetz ist der Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts.
Es besteht zwar ein Spannungsverhältnis zur Allgemeinheit der Wahl, doch die 60-Tages-Frist verfolgt durchaus verfassungsrechtlich wichtige Zwecke. Sie soll fördern, dass Deutschland nach dem Auseinanderbrechen einer Regierung schnellstmöglich eine neue handlungsfähige Regierung erhält. Gerade in weltpolitisch turbulenten Zeiten wie nach dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump zeigt sich die Notwendigkeit einer beschleunigten Wahl. Dass die 60-Tages-Frist ursprünglich aus dem Kaiserreich stammt und dort eine andere Funktion hatte, ist heute irrelevant.
Keine Diskriminierung
Die mit der 60-Tages-Frist verbundene Härte für Auslandsdeutsche relativiert sich auch, wenn man sich erinnert, dass Auslandsdeutsche früher in der Regel gar nicht wählen durften. Ursprünglich durften nur deutsche Soldaten, Botschaftspersonal und ähnliche offizielle Auslandsdeutsche an Wahlen teilnehmen. Bei allen übrigen im Ausland lebenden Deutschen wurde unterstellt, dass ihre Bindung an Deutschland und ihre Kenntnis von deutscher Politik nicht ausreichend ist. Dieser Ausschluss wurde in den letzten Jahrzehnten Schritt für Schritt gelockert, insbesondere weil via Internet das deutsche politische Leben durchaus weltweit mitverfolgt werden kann.
Zwar besteht nun eine Ungleichbehandlung der Auslandsdeutschen, weil manche wählen können und andere nicht. Das ist aber keine Diskriminierung des Staates, sondern ist Folge der persönlichen Wahl des Wohnorts.
Das Bundesverfassungsgericht könnte im Rahmen seiner Wahlprüfung immerhin rechtspolitische Änderungen anregen. So könnte es vorschlagen, dass künftig auch in deutschen Botschaften im Ausland gewählt werden kann oder dass bei einer Auflösung des Bundestags und den dann verkürzten Fristen auch eine Online-Stimmabgabe ermöglicht wird. Und natürlich könnte der Bundestag auch ohne Anregung aus Karlsruhe entsprechende Änderungen im Bundeswahlgesetz beschließen.
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