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Bürgermeister zweifelt Corona anGlühwein statt Rücksicht

In Stollberg im Erzgebirge will der Bürgermeister am Weihnachtsmarkt festhalten. Er nimmt Corona nicht ernst und hetzt gegen Minderheiten.

Der Stollberger Bürgermeister will im Coronawinter nicht auf den Weihnachtsmarkt verzichten Foto: Uwe Meinhold/imago-images

Berlin taz | Auf Glühwein, Bratwurst und gebrannte Mandeln auf dem Weihnachtsmarkt will Marcel Schmidt im Coronawinter 2020 nicht verzichten. Denn Weihnachtsmärkte gehörten schließlich zum „Fest des ganzen Volkes“ dazu, so Schmidt, Bürgermeister der Kleinstadt Stollberg, die zwischen Chemnitz und Zwickau liegt. Überall werde „nach schützenswerter Umwelt, schützenswerten Minderheiten“ gesucht, aber die Mehrheit vergessen, behauptet er.

In einem Schreiben, das der Lokalpolitiker der Freien Wähler Union an die Bürger:innen des 12.000 Einwohner:innen zählenden Orts im Erzgebirgskreis richtete, stellte er die Sinnhaftigkeit der aktuellen Coronaschutzmaßnahmen in Frage. Auslöser der Kritik waren die coronabedingten Absagen von Weihnachtsmarkt und Bergparade, ein traditioneller Umzug, der immer zur Weihnachtszeit stattfindet.

Der Inzidenzwert, also die Anzahl der Neuinfektionen der vergangenen sieben Tage pro 100.000 Einwohner:innen, im Erzgebirgskreis ist hoch: Am Freitag lag der Wert bei 416,8 – die vierthöchste Zahl in Deutschland. Zwickau in der unmittelbaren Nachbarschaft lag am Freitag mit einem Wert von 441,9 auf Platz drei.

Das hielt Schmidt nicht davon ab, für sein Weihnachtsmarktkonzept zu werben: unter freiem Himmel, beschränkt auf 1.000 Personen, zugänglich ausschließlich für die Bürger:innen Stollbergs. So sei das vorweihnachtliche Beisammensein mit Familie und Freund:innen auch bei hohen Coronazahlen möglich, so die Argumentation.

Extrem hohe Infektionszahlen

Die Begründung: In Stollberg würden die Menschen auch im Alltag in den kleinen Geschäften der Stadt doch sowieso ständig aufeinander treffen. In seinem Brief an die Bürger:innen schrieb Schmidt: „Untereinander lässt sich die Ansteckung so auch nicht vermeiden.“ Er schrieb weiter, dass Menschen aus Risikogruppen, einfach zu Hause bleiben sollten. Und: „Wenn wir keine Menschen von außerhalb dazuholen, dann ist das Risiko praktisch nicht da.“

In dem Schreiben zweifelte der Bürgermeister außerdem die Wirksamkeit der Coronaverordnungen an. Schmidt kritisierte unter anderem, dass die derzeitigen Maßnahmen auf der „Unfehlbarkeit einiger weniger“ Wissenschaftler:innen und einer „fraglichen Datengrundlage“ basierten. Außerdem schrieb er, dass die Verordnungen lediglich „einen sehr kleinen Teil unserer Bevölkerung vor einer Krankheit“ schützten, „die selbst bei Infektion für die Allermeisten nach derzeitigem Wissensstand nicht einmal Symptome hervorbringt“.

Die Veröffentlichung löste heftige Kritik aus. Karoline Loth, Kreisrätin der Linken, ist geschockt: „Das geht gar nicht“, sagte sie auf Anfrage der taz. „Dieser Brief ist an so vielen Stellen falsch, was drin steht, stimmt einfach nicht.“ Schmidt sabotiere und demoralisiere die Bürger:innen. Loth bezeichnete die Äußerungen als „politisch gefährlich und menschlich zutiefst enttäuschend“.

Schmidt veröffentlichte das Schreiben über das offizielle Facebookprofil der Stadt Stollberg. Innerhalb weniger Stunden wurde es mehr als 500 Mal geteilt und kommentiert. Dieses Vorgehen findet Loth verantwortungslos. „Man kann diese Falschaussagen nicht über einen offiziellen Kanal der Stadt teilen. Das geht einfach nicht“, sagte sie.

Im Fahrwasser von Coronaleugner:innen

„In den letzten sieben Tagen sind 29 Menschen im Erzgebirgskreis gestorben. Viele Leute hier halten sich außerdem nicht an die Maßnahmen. Sie setzen zum Beispiel keinen Mund-Nasen-Schutz auf, wenn sie einkaufen gehen“, so die Linke Kreisrätin. Schmidts Schreiben befeuere ein solches Verhalten zusätzlich. Damit begebe sich der Bürgermeister in das Fahrwasser von Coronaleugner:innen.

Doch das sehen nicht alle Menschen in der Linken so. Ihr Parteikollege Siegfried Opitz, Stadtrat in Stollberg, sagte in einem Statement gegenüber der taz: „Generell begrüße ich die Ansprache“. Zwar sei das Coronavirus „da und schlimm“, doch „so hat der Bürgermeister es bestimmt nicht gemeint“. Was genau er damit meint, machte Opitz nicht klar.

Schmidt war schon in der Vergangenheit durch umstrittene Äußerungen aufgefallen. Nach einigen Vandalismus-Vorfällen in der Stadt forderte er, die Randalierer:innen in ein Arbeitslager zu stecken. Für eine Stellungnahme zu seinem Schreiben war er auf Anfrage der taz bei der Stadt Stollberg nicht erreichbar. Der Grund: Der Bürgermeister befindet sich in Quarantäne.

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15 Kommentare

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  • Papa was ist Vakuum ?



    Ich hab's im Kopf ,aber mir Fällt es nicht ein !

  • der bürgermeister des städtchens ...

    stollberg scheint versucht zu sein, in die fußstapfen des just abgewählten amerikanischen präsidenten treten zu wollen.

    wie klein die welt doch ist ...

  • Gratulation, Herr Schmidt! Sie haben einen Royal Flush im Corona Bullshit Bingo!

    • @tomás zerolo:

      Bullshit Bingo? Er hat doch das gesagt was ist. Er wurde darin sogar von den Leuten bestätigt, die behaupten ihn zu kritisieren. "Die Bürger tragen eh keine Maske, gehen auf dem Wochenmarkt und in Geschäften zusammen einkaufen" sagt Herr Schmidt. Das selbe sagen seiner vorgeblichen Kritiker.



      "Es gibt keine belastbaren Daten" sagt Herr Schmidt. Wissenschaft, Regierung und Gesundheitsämter sagen: "Bei achtzig Prozent der Infektionen wissen wir nicht wo die Menschen sich angesteckt haben"

      In Mittel und Südamerika trägt man seit Monaten konsequent Maske. Überall. Es gibt krasse Ausgangsbeschränkungen. Und es gibt unglaublich hohe Infektionsraten.

      Der Fakt das in Deutschland über 400 Menschen jeden Tag an Corona sterben ist so erstmal nicht bestreitbar. Trotzdem bleibt Fakt: Die Infektionszahlen in Deutschland sanken vor dem aktuellen Lockdown. Nun sind sie trotz aller Maßnahmen auf stabil hohem Niveau.

      Den Royal flush im Bullshit Bingo räumt ganz sicher ab, wer glaubt auch nur irgendetwas zu wissen im Bezug auf Corona. Also auch Herr Schmidt. Keiner weis was. Deswegen gibt es tausende Meinungen. Und die Meinung von Herrn Schmidt ist in der offensichtlichen 'Findungsphase' in der wir uns weltweit befinden genauso relevant wie jede andere. Obwohl sie höchstwahrscheinlich Bullshit ist.

      • @Götz-Michael Freimann:

        Schön, dass Sie sich ihre Realität selektiv aus Falschheiten, Halbwahrheiten und logischen Fehlschlüssen zusammenklauben. Das ist dann wohl für Ihre psychische Stabilität vonnöten. Aber verschonen Sie doch Ihre Umwelt bitte mit Ihrer Privatwahrheit und machen erstmal einen Grundkurs in Hermeneutik.

      • @Götz-Michael Freimann:

        Falsch.



        Es sind weltweit tausende Wissenschaftler mit Corona beschäftigt und jeden Tag lernen sie mehr - und tauschen das nicht nur untereinander aus, sondern auch mit der Öffentlichkeit, wenn man sie läßt.



        Dann brauchen Sie nur noch zuzuhören oder zu lesen, und schon wissen Sie das auch. Vorausgesetzt, Ihre Bildung erlaubt Ihnen, diese Nachrichten zu verstehen.



        Diese Bürgermeister ist da mindestens an einer dieser Anforderungen gescheitert - oder verdreht die Erkenntnisse mit Absicht.



        Daher sein gutes Abschneiden im Bullshit-Bingo.

  • Nun hat es sich doch geändert und Weihnachtsmarkt sowie Umzug wurden abgesagt. Aber die erwähnten Gedankenansätze hat der Bürgermeister trotzdem in seinen Brief verpackt.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @snowgoose:

      Schade, man hätte dieses Experiment wissenschaftlich betreuen sollen. Naja, man hat ja den AfD Parteitag als Alternative, wenn die AfD mitmacht und die Sitzordnung rausrückt. These: tiefsitzende Masken schützen nicht.

  • Oft hört man dieser Tage Worte wie Diktatur, Polizeigewalt und ähnliches. Schwierig für mich da dies inflationär und sinnentfremdet benutzt wird.



    Nun lese ich "hetzt" in diesem Artikel und finde zwar Vergleiche über die man den Kopf schütteln kann aber Hetze oder Belege darüber finde ich in dem Artikel nicht!

  • Es liegt mir fern, einem Spinner das Wort zu reden, der sicherlich ganz andere Probleme hat, als den Weihnachtsmarkt. Bei einem derart hohen Inzidenzwert sollte man lieber konstruktive Vorschläge machen, statt herumzujammern.

    Dennoch kommt man nicht herum, auch die offiziellen Maßnahmen zu kritisieren. Auch in meiner Heimatstadt wurde der Weihnachtsmarkt abgesagt, trotz Hygienekonzept und zahlenmäßiger Begrenzung auf 1200 Besucher sowie Alkoholverbot. Zu gefährlich! Auf dem Wochenmarkt aber musste die Stadt kleinlaut zugeben, haben sich bis zu 600 Menschen gleichzeitig aufgehalten, auf einer Fläche rund 1/10 so groß, wie die Weihnachtsmarktfläche - und das ist ok?

    • @Cerberus:

      Herrjeh: Weihnachten ist jedes Jahr.



      Die Karnevalisten haben den Verzicht auf die närrische Zeit relativ souverän akzeptiert. Ihr Weihnachtshansel packt das auch - macht Euch nicht zu klein!

      • @Linksman:

        Saudi-Arabien hat den Hadj für alle außer Landsleuten verboten. Komplett, ohne Wenn und Aber. Eins der religiös verstrahltesten Länder überhaupt. Im Hochsommer, als die Infektionszahlen weltweit auf Tiefststand waren. Das muss man sich mal vor Augen halten.

        Die deutsche Kadavertreue zum Fest des Konsums und Kommerzes hat geradezu iranische oder US-evangelikale Ausmaße. Dabei ist Weihnachten noch nicht mal der höchste christliche Feiertag...

  • Unfassbar wer in diesem Land so Bürgermeister werden kann.



    Sehr schön auch: „Wenn wir keine Menschen von außerhalb dazuholen, dann ist das Risiko praktisch nicht da.“...



    Ich gehe mal davon aus, dass das nicht als Einbahnstraße gedacht ist, oder doch?



    Wenn Stollberg denn so abgeschottet abfeiern will, sollte klar sein, dass dort auch niemand die Stadt verlässt um dort zu spreaden, wo sich die Menschen verantwortungsvoll verhalten.



    Und den Impfstoff lassen sie denn auch erstmal außerhalb, bis alle die Corona ernst nehmen geimpft sind.



    Selbstverständlich sollten diejenigen, die diesen Schwachsinn nicht mitmachen wollen, die Möglichkeit haben, die Stadt jetzt zu verlassen.

  • „Fest des ganzen Volkes“... währe mal interessant wie dieser "Demokrat" "Volk" definiert...

    • @danny schneider:

      Hat er doch schon gesagt: "keine Menschen von außerhalb"