Bügelflicken als Mangelware: Hosen sind politisch
Bei unserer Kolumnistin stapeln sich die Kinderhosen mit Löchern, zum Flicken ist kaum Zeit. Und wieso kann man eigentlich nirgends mehr Flicken kaufen?
I ch habe eine Geschäftsidee. Also eigentlich habe ich ständig Geschäftsideen, aber diese hier lässt mich nicht los: Bügelflicken. Nicht fancy, mit Klimbim und Stickereien. Stinknormale, aufbügelbare runde Stoffflicken, um Löcher in Kinderkleidung zu verdecken. Vielleicht nicht der hässlichste Stoff, irgendwas Mittelgutes reicht aber. Ich würde sie stapelweise kaufen.
Denn ein Kind kommt seit etwa einem Jahr jede Woche mit einem neuen Loch in seiner Hose an. Immer an den Knien. Ob Sommer oder Winter. Wenn die Hose lang ist, hat sie – zack – ein Loch. Und ich lege die Hose dann auf den Stapel zerstörter Hosen, bis er hoch genug ist, um neue Hosen zu kaufen. Eigentlich will ich sie flicken.
Nur war das Jahr mit Umzug so chaotisch, dass Hosen zu flicken nie unter den Top 20 meiner To-do-Liste war. In einer der letzten sechs Umzugskisten ist mein Nähzeug. Doch ich habe weder Zeit, es zu suchen, noch Zeit, es zu benutzen – immerhin muss ich hier eine Kolumne schreiben. Also will ich Bügelflicken kaufen. Und zwar nicht die, die nach Chemie stinken oder beim Waschen abfallen. Gibt es aber nicht.
Letztens habe ich bei einer Bekleidungskette Flicken gesehen, bestickte Dinosaurier, zwei Stück. Ich kann die Viecher ja nicht mehr sehen. Ich finde, dafür, dass sie ausgestorben sind, nehmen sie einen zu großen Platz in meinem Leben ein. Aber sei’s drum. Ich hatte sie schon in der Hand, als ich bemerkt habe, dass sie knapp zehn Euro kosten. Zehn! Für zwei! Mein Kind hat zwei Knie. Und drölfzig kaputte Hosen. Bei der Kette ist eine neue Kinderhose für weniger zu haben.
Niemand weiß, woher die Löcher kommen
Ich habe auch versucht zu recherchieren, wie es zu all den Löchern kommt. Weder konnte mir der Erzieher weiterhelfen bei der Frage, was sie wochentags zwischen 9 und 15 Uhr Kniebelastendes veranstalten. Noch konnte mir das Kind Auskunft geben. Wenn ich frage, zieht es ein überraschtes Gesicht und sagt: „Ein Loch – wo ist ein Loch?“
Für das Kind müssen Hosen nur bequem sein, alles andere ist egal. Aber ich weiß, was Leute denken, wenn meine Kinder Löcher in den Hosen haben. Sie sehen mich und sehen nicht die Kolumnistin mit verhinderter Nähmaschine und vielen Terminen, sondern eine Mutter „mit Migrationshintergrund“, die sich nicht um ihre Kinder kümmert.
Ja, Hosen sind politisch. Gerade hat die rechtsradikale Wiener FPÖ ein Jogginghosenverbot in Schulen gefordert. Die Kinder sollten so Respekt lernen, noch besser durch Schuluniformen. Oft wird argumentiert, man könne ja auch nicht mit Jogginghose zum Bewerbungsgespräch gehen. Allerdings schnallen wir Kindern ja auch Schulranzen mit zähnefletschenden Dinos um, ohne Angst zu haben, dass sie 15 Jahre später so bei einem Vorstellungsgespräch auftauchen. Schuluniformen sehe ich eher skeptisch. Wenn sie genderneutral sind und jemand anders die Knie flickt, könnte ich mich aber dafür erwärmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht