Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt: Erst verdrängt, dann abgezockt

Rom*nja-Familien in einem Haus in Niederschöneweide droht der Rausschmiss. Einige waren zuvor schon aus ihrem Zuhause verdrängt worden.

Ehemalige Bewohner*innen der Straße der Pariser Kommune 20.

Die ehemaligen Be­woh­ne­r*innen der Straße der Pariser Kommune 20 halten zusammen Foto: Alexander Rönisch

BERLIN taz | Adrian Stoica ist verzweifelt. Von einem Tag auf den anderen sollen er, seine Frau und ihre sieben Kinder ihre Wohnung in Niederschöneweide verlassen. „Meine Kinder gehen hier zur Schule, haben hier Freunde, wir können nirgendwo anders hin“, sagt der Mann aus Rumänien, der in Wirklichkeit anders heißt, aus Angst vor negativen Konsequenzen aber nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen will.

Stoica ist Rom und wohnt seit fünf Monaten in dem Haus, in dem auch viele andere Rom*nja-Familien wohnen. „Die meisten zahlen ihre Miete in bar“, sagt er. Manche hätten nicht mal Mietverträge, weil sie immer wieder vertröstet würden. Einmal im Monat komme eine Frau und sammle die Miete ein, dafür bekämen die Be­woh­ne­r*in­nen eine Quittung in die Hand gedrückt.

Adrian Stoica, Bewohner

„Sie wollten uns Angst einjagen“

Ende April standen dann auf einmal mehrere Männer vor seiner Tür und sagten, sie müssten sofort ausziehen, ihr Mietvertrag sei abgelaufen. Stoica selbst war zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause, erzählt er, seine Frau habe ihn angerufen, völlig eingeschüchtert von den fremden Männern mit Hunden, die sie rausschmeißen wollten. „Sie wollten uns Angst einjagen“, ist sich Stoica sicher.

Große Haushalte haben es in Berlin besonders schwer, eine Wohnung zu finden. Die 9-köpfige Familie war also froh, überhaupt eine Wohnung gefunden zu haben – auch wenn diese mit zwei Zimmern viel zu klein ist. Sogar 6.000 Euro „Vermittlungsgebühr“ habe er bezahlt, sagt Stoica – eine illegale Praxis, mit der dubiose Mak­le­r*in­nen die Not von Geflüchteten und anderen diskriminierten Menschen auf dem Berliner Wohnungsmarkt ausnutzen.

Um nach achtmonatiger Wohnungslosigkeit endlich wieder ein eigenes Dach über dem Kopf zu haben zahlte die Familie – obwohl sie dafür nur einen auf vier Monate befristeten Mietvertrag erhielt, der nun abgelaufen ist. „Uns wurde eine Verlängerung versprochen, doch wir wurden belogen“, sagt Stoica enttäuscht.

Der Eigentümer sieht sich als Opfer

Der Eigentümer bestreitet gegenüber der taz die Vorwürfe. Matteo Colusso ist Geschäftsführer der IPG V GmbH, die das Haus mit den 50 Wohnungen vor zwei Jahren gekauft hat. Hauptmieter war seinerzeit die „Wohnen auf Zeit GbR“, die auf taz-Anfrage nicht zu erreichen war. „Der Hauptmieter hat uns jahrelang nicht bezahlt, aber die Miete kassiert“, sagt Colusso. „Das ist für uns ein Millionenschaden.“

Also habe die IPG V das Unternehmen verklagt – und gewonnen. Weil derzeit noch mehrere Verfahren laufen würden, will sich Colusso nicht näher dazu äußern. „Ich habe den Bewohnern immer gesagt, dass das nur eine kurzfristige Lösung ist, bis wir einen neuen Hauptmieter haben“, sagt Colusso.

Darüber, wie viele Menschen und wer genau derzeit in dem Haus wohnt, habe er keine Kenntnis. Nur, dass auf das Firmenkonto nur von einer Handvoll Mietparteien Geld eingezahlt würde. Wo das ganze Bargeld hingeht und wer die Frau ist, die die Miete einsammelt, wisse er auch nicht.

Neuer Hauptmieter mit dubiosen Methoden

Seit November gibt es nun einen neuen Hauptmieter: Kai Berger, Geschäftführer der HKI Consulting GmbH. Im Gespräch mit der taz bestätigt er, dass er mit mehreren Security-Leuten und Hund von Haustür zu Haustür gelaufen ist, um den Be­woh­ne­r*in­nen zu sagen, dass sie sofort ausziehen müssten. Dass der Schäferhund bedrohlich gewirkt haben soll, mag er aber nicht glauben. „Das war eher eine Kuschelattacke.“

Als er das Haus übernommen habe, um es zu sanieren und weiterzuvermieten, habe er von den vielen Mie­te­r*in­nen auch gar nichts gewusst, sagt Berger. Die müssten jedoch so bald wie möglich raus. „Da ist keiner legal drin“, meint der Unternehmer. Das Haus sei nämlich gar kein Wohnhaus, sondern ein Gewerbeobjekt, das zudem in „katastrophalem Zustand“ sei.

Die Türen seien aufgebrochen worden, es gebe einen Wasserschaden, im Hof sammle sich der Müll und locke die Ratten an. Nach der Sanierung könnten die aktuellen Be­woh­ne­r*in­nen aber natürlich wieder zurückkommen, sagt Berger – wenn der neue Mieter sie lässt.

Bezirk stellt sich auf Seite der Be­woh­ne­r*in­nen

Auch der Bezirk Treptow-Köpenick hat sich mittlerweile eingeschaltet. Aber nicht, um, wie von Berger gewünscht, eine Brandschutzbegehung vorzunehmen, sondern um den Be­woh­ne­r*in­nen zu helfen. „Die Bau- und Wohnungsaufsicht sieht keinen Bedarf, tätig zu werden“, sagt die zuständige Bezirksstadträtin Claudia Leistner (Grüne) zur taz. „Es geht jetzt erst einmal darum, die Menschen zu schützen.“ Also hat Leistner die Mie­te­r*in­nen­be­ra­tung Asum beauftragt, sich der Sache anzunehmen.

Die bietet jetzt eine Sprechstunde für die Be­woh­ne­r*in­nen an. Für Geschäftsführer Knut Beyer ist die Lage eindeutig: „Das sind Mieter, und sie sind vom Wohnungsmietrecht geschützt – unabhängig vom Status des Hauses.“ Ob es sich bei dem Wohnhaus wirklich um ein Gewerbeobjekt handle, müsse nun erst einmal geprüft werden, sagt Beyer zur taz. Im Grundbuch sei eine GmbH eingetragen, die es längst nicht mehr gäbe. So oder so könnten die Mie­te­r*in­nen nicht einfach so rausgeschmissen werden, erst recht nicht mit so dubiosen Methoden.

Denn um einen Mietvertrag zu befristen, brauche es eine qualifizierte Begründung. Die fehle jedoch in den Verträgen der Bewohner*innen. „Damit sind das zivilrechtlich unbefristete Verträge“, so Beyer. Solange kein Räumungstitel vorliege, hätten die Be­woh­ne­r*in­nen also nichts zu befürchten. Zumindest solange sie weiter ihre Miete zahlen – und zwar besser nicht bar an die unbekannte Frau.

Nicht der erste Fall von Verdrängung von Rom*­nja

Beyer sieht hier ein strukturelles Problem. „Die Unwissenheit der Roma-Familien wird gnadenlos ausgenutzt“, sagt er. Ähnlich sei es auch in der Straße der Pariser Kommune 20 gelaufen. Seit 2015 wohnten dort über 40 Rom*nja-Familien aus einem Dorf in Rumänien. Bis der Plattenbau nahe des Ostbahnhofs 2018 von einer russischen Investorin aufgekauft wurde, die die Be­woh­ne­r*in­nen mit fadenscheinigen Begründungen kündigte. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg beauftragte daraufhin Asum, die für 25 Familien neue Wohnungen finden konnte.

Knut Beyer, Mieterberatung Asum

„Die Unwissenheit der Roma-Familien wird gnadenlos ausgenutzt“

Bei einer Veranstaltung von Bare, dem Bündnis gegen Antiziganismus und Roma*-Empowerment, am Mittwochabend sind viele der ehemaligen Be­woh­ne­r*in­nen gekommen. Denn auch ein halbes Jahr, nachdem die letzte Familie das Haus verlassen hat, sind noch viele Fragen offen. So ist unklar, was mit den Familien passiert, die eine Rückkehroption und damit in ihrer neuen Wohnung nur befristete Verträge haben, wenn der Neubau nicht wie geplant in drei Jahren steht. Bislang ist das alte Gebäude nicht einmal abgerissen.

Drei der Familien aus der Straße der Pariser Kommune sind mittlerweile in dem Haus in Niederschöneweide gelandet. Zu ihnen gehört auch Adrian Stoica. Er hatte sich seinerzeit für die Abfindung entschieden, zu der ihm die Eigentümerin zusätzlich eine neue Wohnung versprochen hatte. Nachdem er mit seiner Familie dort einzog, stellte sich jedoch heraus, dass er betrogen worden war, sein Vertrag war ungültig und sie mussten wieder ausziehen.

Stoica hofft, mit seiner Familie in Niederschöneweide bleiben zu können. Am liebsten wäre er jedoch wieder mit seiner Community aus der Straße der Pariser Kommune vereint: „Ich wünsche mir, dass die Stadt uns ein Gebäude zur Verfügung stellt, wo wir alle wieder zusammen leben und unsere Kinder zusammen spielen können.“

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