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Bildung und PandemieIllusion Präsenzunterricht

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

Die Schulen werden mehr digital unterrichten, als ihnen lieb ist. Auch wenn das vielerorts nicht gut klappt: Bund und Länder bessern endlich nach.

Bis Ende Januar bleiben – trotz aller Unterschiede in den Ländern – die meisten Schulen im Land zu Foto: Christophe Gateau/dpa

F ür die Schulen beginnt das neue Jahr: im Chaos. Dafür reicht ein Blick auf die Regeln, die nach den Weihnachtsferien in Deutschland gelten. Kinder müssen weiter zu Hause lernen, zu Klassenarbeiten aber in die Schule kommen. Je nach Wohnort gibt es eine Notbetreuung für alle – oder nur für Eltern mit bestimmten Berufen. Manche Länder verschieben die Halbjahreszeugnisse – andere die Faschingsferien. Baden-Württemberg und Niedersachsen öffnen die Grundschulen schon kommende Woche. Woanders hält man das für verfrüht. In Hamburg und Bremen entscheiden die Eltern, ob die Kinder in die Schule dürfen. Und in Sachsen und Thüringen versprechen Landespolitiker:innen Regelunterricht im Februar, obwohl die aktuellen Infektionszahlen das kaum hergeben.

Die Kultusminister:innen fahren auf Sicht. Sie wägen ab zwischen Gesundheitsschutz, der Chancengerechtigkeit, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bis Ende Januar bleiben deshalb – trotz aller Unterschiede zwischen den Ländern – die meisten Schulen im Land zu. Das ist gut so. Damit gestehen die Kultusminister:innen auch stillschweigend ein, was sie bis vor Weihnachten noch rundheraus bestritten haben: dass Schulen sehr wohl eine Rolle für das Infektionsgeschehen spielen können. Das bedeutet aber auch: Geschlossene Schulen und Distanzunterricht könnten uns 2021 noch lange, lange begleiten. Nicht zuletzt wegen der besonders ansteckenden Virusmutation B.1.1.7, die schon in mehreren Bundesländern entdeckt wurde. Die baldige Rückkehr zum Präsenzunterricht, auf die die Kultusminister:innen wie selbstverständlich bauen, könnte sich als Illusion herausstellen. Umso ärgerlicher sind die Versäumnisse, die den Fernunterricht heute erschweren.

Zur Erinnerung: Vor fünf Jahren haben die Kul­tus­minister:innen versprochen, dass im Jahr 2021 jede und jeder Schüler:in im Land auf eine „digitale Lernumgebung“ zurückgreifen kann – mit eigenem Smartphone, Breitband an allen Schulen und entsprechend fortgebildeten Lehrkräften. Wie weit die Schulen von diesem Versprechen entfernt sind, zeigt eine Umfrage der Lehrergewerkschaft VBE unter 785 Schulleiter:in­nen von Ende November: Nur an 6 Prozent der Schulen gibt es demnach Tablets für alle Kinder, lediglich an 15 Prozent ist das Kollegium hinreichend für digitales Arbeiten fortgebildet. Anschluss ans Breitband? Hat nur jede zweite Schule. Und das volle acht Monate nach den schmerzlichen Homeschooling-Erfahrungen im ersten Lockdown. Wie kann das sein?

Am Geld jedenfalls liegt es nicht. Seit Mai 2019 stehen die 5 Milliarden Euro des Bundes für den Digitalpakt Schule zur Verfügung. Doch selbst während der Pandemie schien es damit niemandem sonderlich eilig zu sein. Bis Juli 2020 haben die Länder gerade mal 15,7 Millionen Euro abgerufen. Seither hat der Bund noch drei Sofortprogramme über je 500 Millionen Euro draufgepackt: zunächst für Leihgeräte für bedürftige Schüler:innen, später noch eins für IT-Personal an Schulen sowie für Dienstlaptops für Leh­rer:in­nen. Und: Bund und Länder haben das Antragsverfahren für Digitalpakt-Gelder vereinfacht. Seither kommt etwas Tempo in die Sache. Trotzdem waren Ende 2020 gerade mal 18 Prozent der Mittel bewilligt. Im Saarland oder in Schleswig-Holstein sogar nur rund 3 Prozent. Schnelles Nachrüsten in der Pandemie sieht anders aus.

Keine virtuellen Unterrichtsstunden

Nichts symbolisiert die Halbherzigkeit besser als die staatlichen Lernplattformen. Eigentlich sollen Mebis, LernSax oder Lernraum Berlin aus dem „häuslichen Lernen“ mehr machen als einen Stapel ausgedruckter Arbeitsblätter. Leider schmieren Mebis & Co zuverlässig ab, wenn sich zu viele Klassen gleichzeitig einloggen wollen. Im März hatten die Eltern für die technischen Pannen noch Verständnis. Heute sieht es so aus, als hätten die Ministerien ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Doch selbst wenn die Lernplattformen optimal liefen: Virtuelle Unterrichtsstunden ermöglichen sie nicht. Dafür braucht es Videotools wie Zoom oder Microsoft Teams, denen die Kultusministerien aber zurückhaltend begegnen – aus Datenschutz- und vielleicht auch aus Kostengründen.

Zur Wahrheit gehört, dass nicht alle Lehrkräfte Liveunterricht vor dem PC geben möchten (oder für notwendig halten). Sie würden es aber vielleicht ausprobieren, wenn sie ein entsprechend ausgestattetes Dienstgerät hätten, sich nicht um Datenschutzfragen scheren müssten und mit dem technischen Support an der Schule zufrieden wären. Zumindest zeigt eine Umfrage der Bildungsgewerkschaft GEW, dass die große Mehrheit der befragten Lehrkräfte beim Thema digitaler Unterricht unzufrieden ist. Und auch mit den Fortbildungsangeboten.

Doch es tut sich was. In Niedersachsen beispielsweise wurden seit dem ersten Lockdown 53.550 Lehrkräfte digital fortgebildet, fast 80 Prozent der gesamten Lehrerschaft. Ähnlich imposant klingt die Zahl der Laptops, die die Ministerien mittlerweile gekauft und bereits an Schulen verteilt haben: 23.412 Stück in Schleswig-Holstein, 38.813 in Sachsen, 41.610 in Berlin etc. Viele Länder packen noch Tausende Geräte obendrauf, um möglichst vielen Schüler:innen ein Gerät leihen zu können. Wenn nun ebenso rasch Schuladministratoren angeheuert und Dienstlaptops für Lehrkräfte verteilt würden, dürfte der Fernunterricht im zweiten Schulhalbjahr schon gleich etwas besser und gerechter laufen. Und digitaler.

Das löst freilich nicht alle Probleme, die bei längerem Fernunterricht auftreten. Aber immerhin bessern die Länder nun beherzter nach. Passend dazu liegt der diesjährige Schwerpunkt in der Kultusministerkonferenz bei: digitalem Lernen. Wobei das nichts am obersten Ziel der Minister:innen ändert: der schnellstmöglichen Rückkehr zum Präsen­zunterricht. Wann und wie jedoch welche Schulen wieder öffnen, entscheidet jedes Bundesland selbst. Für die Schulen dürfte das Jahr 2021 so chao­tisch weitergehen, wie es angefangen hat.

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Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
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9 Kommentare

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  • "Dafür braucht es Videotools wie Zoom oder Microsoft Teams, denen die Kultusministerien aber zurückhaltend begegnen – aus Datenschutz- und vielleicht auch aus Kostengründen."



    Da sind die Ministerien schon weiter als die taz, wo ich hier erneut "Zoom" quasi als Synonym für Videokonferenz schlechthin lese ...



    z.B. empfehlen Ba-Wü und Berlin die übrigens kostenlosen open source Tools BigBlueButton und Jit.si meet für Videokonferenzen die auf dann auf eigenen Serverplätzen in Deutschland auch Datenschutzkonform eingerichtet werden können. Kosten entstehen nur für die Servermiete. Außerdem empfohlen werden z.B. Etherpad (geteilte Dokumente) und Nextcloud sichere Austausch größerer Daten) sowie dudle (Uni Dresden) oder nuudle für Terminabsprachen als Datenschutzkomplatible Alternativen zu google.docs, doodle und google clouds.



    Kann ich alles auch für die sonstige berufliche oder private Kommunikation nicht nur im Lockdown empfehlen und nutze es schon lange.



    Empfehlungen von Ba-Wü und Berlin z.B. hier zu finden:



    www.baden-wuerttem...r-schulen-im-land/



    bildungsserver.ber...nline-lernen-tools

  • Seit wann kümmern sich denn die



    Kultusministerien um das IT-Equipment für ihre angestellten Lehrer?

    M.W. sind dafür doch die Schulträger, also die Kommunen, zuständig und nicht die Kultusministerien.

    Kann es sein, dass der Kommentator falsch liegt mit der Behauptung, dass die Ministerien Laptops für die Lehrer beschafft hätten?

  • Ich würde meher sagen: Illusion Digitalunterricht.

    Es gibt eine Holländische Studie, die den Lernfortschritt in der Zeit des Lockdowns bewertet hat. Holland hat das beste Voraussetzungen: Gutes Internet, Laptops für alle usw.

    Das Ergebnis war trotzdem, dass die die Schüler auf digitalem Wege nichts gelernt haben.

    Lernen setzt gemeinscahft, Interaktion, körperliche Präsenz und emotionale Beziehungen voraus. "Begreifen" kommt von "greifen". Wenn es eine Lehre aus dieser ganzen Corona-Zeit gibt, dann die, dass das Digitale maßlos überschätzt worden ist.

    • @Breitmaulfrosch:

      " dass das Digitale maßlos überschätzt worden ist."

      Was ist DAS DIGITALE?

      Und nein es macht Sinn schwere Bücher durch E-Books zu ersetzen statt schon die Wirbelsäulen der jüngsten zu schädigen.

      Nein es macht keinen Sinn von Hand zu schreiben auf Papier zu ersetzen.

      Insofern muss man sagen digitales kann helfen, aber nicht so breit wie manche denken - und manchmal ist es einfach nur schädlich.

      PS: die die Computer erfunden haben wurden noch mit Logarithmustabellen und Rechenschieber unterrichtet. Heute produzieren Schulen - muss man leider sagen - im Vergleich zu damals viel Ausschuß. Also sollte auch DRINGEND dieser ganze Pädagogenquatsch mal dringend auf den Prüfstand. Kuschelunterricht, Gruppenarbeiten,... alles Mist! Das einzige was man bei Gruppenarbeiten lernt: wenn es richtig gemacht werden soll, mach es selbst

    • @Breitmaulfrosch:

      Gemeinschaft? Die sollte ja wohl auch in der Familie gegeben sein...und körperliche Präsenz sowieso. Schließlich ist Homeschooling in Ländern wie z.B. Österreich seit Jahren erlaubt, da ist das eine völlig akzeptierte Alternative, nur Deutschland meint seine Kinder unbedingt in irgendwelche hässlichen Zweckbauten pferchen zu müssen...

  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    Natürlich müssen als erstes ausreichend Stellen für Systemadmins plus Assistenten geschaffen werden - also Vollzeitstellen im Angestelltenverhältnis. Dafür gäbe es schon ausreichend Fachkräfte auf dem freien Markt...auch welche denen der Einsatzort Schule gefallen würde.

    ....Und, wo sind die Stellenauschreibungen?

    • @02881 (Profil gelöscht):

      Da bin ich mal gespannt in welche Gehaltsgruppe diese Leute sollen.

  • Gibt's nen Grund, einzig das Wort "Schuladministratoren" nicht zu gendern?

  • "Leider schmieren Mebis & Co zuverlässig ab"



    Was nicht wirklich verwundert wenn man weiß, dass die verschiedenen Lernplattformen idR Prestigeprojekte der jeweiligen Kultusministerien waren die man in Eigenentwicklung, teils durch Lehrkräfte [1] und nicht durch professionelle Entwickler vorantrieb. Dass so entstandene Systeme den Anforderungen an Verfügbarkeit und Skalierbarkeit im derzeitigen Nutzungsszenario nicht genügen können war absehbar.



    "Wenn nun ebenso rasch Schuladministratoren angeheuert [...] würden"



    Nur wo will man sie heuern? Zumal wenn sie in der freien Wirtschaft sehr viel besser verdienen können?



    Die 'Digitalisierung' der Schulen scheint mir vor Allem dem Wunschdenken geschuldet, dass das Lernen damit ja ganz modern und ganz einfach sein könnte, scheitert aber nicht nur an fehlender Hardware, sondern auch an fehlender Infrastruktur, Wartung der Technik, wirklich guter Software und auch und vor Allem dem Können und Wollen vieler Lehrkräfte. Letztlich wird man nun wohl Unsummen investieren um Notebooks und Tablets an die Schüler*innen zu verteilen die spätestens wenn Präsenzunterricht wieder möglich ist weitgehend unterhalb ihrer Möglichkeiten genutzt und in ein paar Jahren wegen Überalterung ebenso eingemottet werden wie die einstmals für viel Geld angeschafften Sprachlabore.



    [1] www.tagesspiegel.d...lfen/26766014.html