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Berliner Sonderweg bei Corona-RegelnDas leistet man sich

Anna Klöpper
Kommentar von Anna Klöpper

Berlin erlaubt weiter Zuschauer bei Großveranstaltungen, im Gegensatz zum Bund. Angesichts von Omikron darf das staunen lassen.

Fußball gucken bleibt (vorerst) erlaubt Foto: picture alliance/dpa | Andreas Gora

E s darf einen ruhig ein wenig erstaunen, was der Berliner Senat da auf einer Sondersitzung vor Heiligabend zur Umsetzung der Corona-Beschlüsse aus der Bund-Länder-Runde beschloss: Großveranstaltungen, ob Kultur oder Sport, bleiben erlaubt – und ZuschauerInnen sind nach wie vor gerne gesehen. Die MinisterpräsidentInnen hatte eigentlich ein Zuschauerverbot beschlossen – doch Berlin geht mit Ausnahmegenehmigungen einen eigenen Weg.

Dabei kann man eigentlich nur eins verstehen, wenn man die eindringlichen Warnungen der ExpertInnen vor der hoch ansteckenden Virusvariante Omikron hört: Es wird schlimm. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) rechnet mit einer großen, schnellen Welle bereits um den Jahreswechsel – dabei ist man in den Kliniken noch gut mit der Delta-Variante beschäftigt. Die Corona-Warnampel für die Berliner Intensivstationen steht noch immer auf „rot“. In einer Woche ist Silvester.

Nun stimmt es, was die Regierende Franziska Giffey (SPD) nach der Senatssitzung am Donnerstag sagte: Wie immer bei den Corona-Regeln gilt es, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Das Maß und die Mitte zu finden zwischen dem, was die Wissenschaft für geboten hält, und die Politik meint, einer Gesellschaft deshalb zumuten zu müssen an Einschränkungen.

Dennoch: Varieté im Friedrichstadtpalast mit bis zu 2.000 ZuschauerInnen zum Beispiel oder Spiele der BR Volleys in der Max-Schmeling-Halle – das muss man sich echt erstmal leisten wollen angesichts der Omikron-Welle.

Tatsächlich kann man es sich nicht leisten. Sollten im Januar die Krankenhäuser an ihre Grenzen kommen oder Personalmangel in Supermärkten und bei der Müllabfuhr die kritische Infrastruktur gefährden, wird der rot-grün-rote Senat erklären müssen, warum man zu Silvester noch im Friedrichstadtpalast feiern durfte. Klar, es gilt 2Gplus – aber man weiß inzwischen auch, dass Omikron auch vor Geimpften und Geboosterten nicht halt macht.

30 Prozent Puffer

30 Prozent der Beschäftigten in der kritischen Infrastruktur könnten ausfallen. Das könne Berlin kompensieren, hatte Giffey am Donnerstag gesagt. Danach – nun ja, mal sehen, müsse man sich etwas Neues überlegen. 30 Prozent Puffer – wie viel das tatsächlich ist, wird man hoffentlich nicht erleben. Aber alleine, weil es dafür bisher keine Blaupause gibt, sollte man jetzt vorsichtig sein – und nicht, wenn es zu spät ist.

Und noch etwas wird ein relevanter Teil der BerlinerInnen nur schwer verstehen: Sollten im Januar tatsächlich die Schulen wieder zurück in den Wechselunterricht müssen, auch weil man noch ein bisschen Spaß haben wollte um den Jahreswechsel herum, dürften die Eltern (zurecht) auf die Barrikaden gehen. Vor allem bei den Kindern dürfen die Erwachsenen sich dann entschuldigen. Sie haben einen neuen Homeschooling-Winter am allerwenigsten verdient.

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Anna Klöpper
Leiterin taz.eins
Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.
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19 Kommentare

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  • Na ist doch toll, dann feiern die einen oder anderen in großen Runden praktischerweise Weihnachten und Leichenschmaus zusammen. ;-(



    Für ihr Wahrnehmungs"spiel" müssen die Berliner Senator*innen sich nichtmal die Mühe machen, die Augen vor dem Virus zu verschließen. Sie können sie offenlassen und könnten sogar wahrheitsgetreu sagen, dass sie es nicht sehen. Leider sind dafür aber zu viele Fakten und Berechnungen bekannt, die aufzeigen, dass da eine große Welle kommt, so dass ihr "Spiel" wohl früher oder später auffliegen wird und das samt ihrer Mithilfe am Aufbauen der Welle.

    • @Uranus:

      "Vor allem bei den Kindern dürfen die Erwachsenen sich dann entschuldigen."



      Ach, die meisten Erwachsenen dürften sich so vieles für bei den Kindern entschuldigen - allein das Befeuern der Klimakatastrophe, das viele Erwachsene sehenden Auges durch politische (wer hat ökologisch radikale Parteien gewählt, unterstützte Demos & Zivilen Ungehorsam, setzt sich in Betrieb und Gewerkschaft für Klimapolitik u.ä. ein?) und private (wer hat auf Autonutzung/kauf, Urlaubsflüge, Kreuzfahrten, Tierprodukte u.ä. verzichtet?) Verschleppung von notwendigen Veränderungen mitzuverantworten haben und damit eine düstere Zukunft für die Kinder geschafft haben, dürfte ein schwerer Brocken sein ...

      • @Uranus:

        Vor allem die Eltern sollten sich bei ihren Kinder entschuldigen,für ihre Existenz in dieser Welt überhaupt verantwortlich zu sein!Wer wirklich umweltbewußt ist, hat nämlich keine Kinder! Kinder und Jugendliche sind einer der größten Faktoren der zusätzlichen Ressourcenverschwendung und Eltern generell "erweiterte"Egoisten.



        Das Allerschlimmste : Aus Kindern werden Erwachsene! Hätte man in den (ehemaligen) Industriestaaten des Westens bzw. des Nordens konsequent auf Nachwuchs verzichtet ,würden sich eine Menge der derzeitigen globalen Probleme längst von selber erledigt haben!



        Die bewußte Jugend ist aufgerufen aus diesen Fakten die logischen Konsequenzen zu ziehen11!!!

        PS:



        Der pauschalisierte Vorwurf an "die Erwachsenen"generell ist mir einfach zu undifferenziert!



        Mit dieser Argumentationsrichtung kann man nämlich auch gut seine eigene Mitverantwortung leugnen. Auch Jugendliche sind für ihr eigenes Konsumverhalten verantwortlich.

        • @Mustardmaster:

          Antinatalismus [1] wäre auch eine Option, ja. ;-)



          Sicher sind die Menschen, je mehr Einsichten sie in ihre Handlungen und deren Folgen erlangen/haben, für diese auch mehr verantwortlich (zu machen). Ein Zusammenhang sollte allerdings dabei nicht vergessen werden werden: Wer Jugendliche für ihr Fehlverhalten stark kritisiert, sollte dabei bedenken, von wem diese erzogen bzw. allgemeiner gesprochen beeinflusst (soziale Verhältnisse, Medien, Politik, Kunst usw. die ja allermeist von Erwachsenen gestaltet werden) worden sind. ;-)



          [1] de.wikipedia.org/wiki/Antinatalismus

          • @Uranus:

            Danke für den Link. Ich kannte den Fachbegriff für diese Haltung noch nicht. :-)

  • Ist das ab 28.12. geltende Tanzverbot im Freien eine Vorgabe der Ministerpräsidentenkonferenz, an die sich Berlin hält?

  • Da kann man ja froh sein, kein Berliner zu sein.

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Die Ärzte und Pleger auf den Intensivstationen werden es euch danken.



    Der erste richtig fette Patzer der "guten" Bürgermeisterin.



    Kaum zu glauben, so ein Irrsinn.

    Was kommt noch?

    • @47202 (Profil gelöscht):

      Da ist Kontinuität zu erkennen.

      Bereits die alte rot-rot-grüne Regierung war sehr großzügig.

      Und das ist nicht nur der neuen Bürgermeisterin zuzuschreiben.

      Der alte Kultursenator ist der neue, und der hatte schon angekündigt, dasses sich im kulturellen Bereich ausgelockdownt haben soll.

      • @rero:

        "Bereits die alte rot-rot-grüne Regierung war sehr großzügig."

        Das ist nichts als Realismus. Die Berliner Behörden wären doch schlichtweg überfordert damit, weitere Regelungen auch wirklich durchzusetzen -- nachdem sie es ja bereits nicht schaffen, die bestehenden Regeln durchzusetzen.

        Die schaffen es ja nicht mal, die Leute vom Parken auf Radwegen abzuhalten.

        Es ist suboptimal; aber wenn eine Behörde etwas nicht kann, dann halte ich es nicht für falsch, dass sie dann auch nicht so tut, als hätte sie es vor.

        • @Carcano:

          Gebe ich Ihnen recht.

          Die Regierung schafft es nicht mal, dass man einen Termin für einen neuen Personalausweis bekommt.

          Was soll man da erwarten.

          Im Hinblick auf Corona und Wohnungen sind wir bei der Neuauflage der alten Regierung offenbar allein in Gottes Hand.

  • Keine der SARS'Cov2-Mutationen/Varianten macht vor Geimpften und Geboosterten halt.

  • Vielleicht ist Fr. Giffey dem drängen von Herrn Lederer nachgekommen, der ja unbedingt alles was "ansatzweise" mit Kunst zu tun hatte offen halten möchte.



    Zwangsläufig müssen dann auch adäquat Sportveranstaltungen behandelt werden.



    ...und wenn das schief geht, dürfen alle "die Suppe" auslöffeln - ggf. mit schwerer Corona-Erkrankung.

  • Wohlgemerkt sind die 2000 Zuschauer* ohne Maske im Friedrichstadtpalast. Immerhin reden sie nicht und der Saal hat vermutlich eine recht gute Lüftung, war allerdings letztens kaum zu spüren.

    Die Inkonsistenzen - woanders sind 11 Personen nicht erlaubt, und wenn einer tanzt, auch 10 nicht - sind damit noch nicht behoben.

    • 4G
      47202 (Profil gelöscht)
      @meerwind7:

      Ich mag den Friedrichstadtpalast, allerdings nicht bei Hoch-das-Bein Veranstaltungen. Berlinale ist super.



      Allerdings solle man ein Therma-Care Pflaster bereit halten bei den uralten, harten Stühlen.

  • Ich kann nur staunen, wie zahm der Artikel ist...

    In Wirklichkeit hätte man das Leben sofort runterfahren müssen und die Schulferien um mindestens eine Woche verlängern sollen.

    Hier wird wider besseren Wissens der Karren wieder völlig an die Wand gefahren, und im Bund ist es nicht viel besser.

    Das hätte m.E einen deutlich schärferen Artikel gerechtfertigt.

    • @Mann aus Berlin:

      Genau!