Berliner Sonderweg bei Corona-Regeln: Das leistet man sich
Berlin erlaubt weiter Zuschauer bei Großveranstaltungen, im Gegensatz zum Bund. Angesichts von Omikron darf das staunen lassen.
E s darf einen ruhig ein wenig erstaunen, was der Berliner Senat da auf einer Sondersitzung vor Heiligabend zur Umsetzung der Corona-Beschlüsse aus der Bund-Länder-Runde beschloss: Großveranstaltungen, ob Kultur oder Sport, bleiben erlaubt – und ZuschauerInnen sind nach wie vor gerne gesehen. Die MinisterpräsidentInnen hatte eigentlich ein Zuschauerverbot beschlossen – doch Berlin geht mit Ausnahmegenehmigungen einen eigenen Weg.
Dabei kann man eigentlich nur eins verstehen, wenn man die eindringlichen Warnungen der ExpertInnen vor der hoch ansteckenden Virusvariante Omikron hört: Es wird schlimm. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) rechnet mit einer großen, schnellen Welle bereits um den Jahreswechsel – dabei ist man in den Kliniken noch gut mit der Delta-Variante beschäftigt. Die Corona-Warnampel für die Berliner Intensivstationen steht noch immer auf „rot“. In einer Woche ist Silvester.
Nun stimmt es, was die Regierende Franziska Giffey (SPD) nach der Senatssitzung am Donnerstag sagte: Wie immer bei den Corona-Regeln gilt es, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Das Maß und die Mitte zu finden zwischen dem, was die Wissenschaft für geboten hält, und die Politik meint, einer Gesellschaft deshalb zumuten zu müssen an Einschränkungen.
Dennoch: Varieté im Friedrichstadtpalast mit bis zu 2.000 ZuschauerInnen zum Beispiel oder Spiele der BR Volleys in der Max-Schmeling-Halle – das muss man sich echt erstmal leisten wollen angesichts der Omikron-Welle.
Tatsächlich kann man es sich nicht leisten. Sollten im Januar die Krankenhäuser an ihre Grenzen kommen oder Personalmangel in Supermärkten und bei der Müllabfuhr die kritische Infrastruktur gefährden, wird der rot-grün-rote Senat erklären müssen, warum man zu Silvester noch im Friedrichstadtpalast feiern durfte. Klar, es gilt 2Gplus – aber man weiß inzwischen auch, dass Omikron auch vor Geimpften und Geboosterten nicht halt macht.
30 Prozent Puffer
30 Prozent der Beschäftigten in der kritischen Infrastruktur könnten ausfallen. Das könne Berlin kompensieren, hatte Giffey am Donnerstag gesagt. Danach – nun ja, mal sehen, müsse man sich etwas Neues überlegen. 30 Prozent Puffer – wie viel das tatsächlich ist, wird man hoffentlich nicht erleben. Aber alleine, weil es dafür bisher keine Blaupause gibt, sollte man jetzt vorsichtig sein – und nicht, wenn es zu spät ist.
Und noch etwas wird ein relevanter Teil der BerlinerInnen nur schwer verstehen: Sollten im Januar tatsächlich die Schulen wieder zurück in den Wechselunterricht müssen, auch weil man noch ein bisschen Spaß haben wollte um den Jahreswechsel herum, dürften die Eltern (zurecht) auf die Barrikaden gehen. Vor allem bei den Kindern dürfen die Erwachsenen sich dann entschuldigen. Sie haben einen neuen Homeschooling-Winter am allerwenigsten verdient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“