Berliner Linke nach der Europawahl: Hochburg kommt vor dem Fall
Die Linke sucht nach Erklärungen für ihren Absturz und den Aufstieg des BSW vor allem im Osten Berlins. Der Landeschef spricht von einem Desaster.
Was seine künftige politische Heimat anbetrifft, habe er sich noch nicht hundertprozentig entschieden, sagt Taş, der von 2011 bis 2021 im Abgeordnetenhaus saß. „Aber ich werde sicher das Bündnis Sahra Wagenknecht begleiten.“ Das passe für ihn. Auch er sei gegen Waffenlieferungen. Und: „Islamisten sind abzuschieben.“ Beides werde von Teilen der, so Taş, „Kaderelite“ der Hauptstadt-Linken abgelehnt. Nicht so bei der Wagenknecht-Partei.
Dort nimmt man die Avancen des einstigen integrationspolitischen Sprechers der Linksfraktion verhalten zur Kenntnis. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) habe aktuell rund 80 Mitglieder und wolle wie bisher auch vorerst weiter nur langsam wachsen, sagt Alexander King zur taz.
Der Ex-Linke ist der einzige BSW-Abgeordnete im Landesparlament und koordiniert den Parteiaufbau in Berlin. Im Sommer soll ein Landesverband gegründet werden. King sagt: „Es wird bei allen Interessierten geschaut, weshalb sie zu uns kommen wollen und ob sie zu uns passen. Wir wollen keine Rechten, keine Streithähne, keine Karrieristen.“
„Kommt Sahra noch?“
Der oberste Berliner BSW-Aufbauhelfer ist auch zwei Tage nach der Europawahl noch „baff“ über das Ergebnis. Mit 8,7 Prozent hatte sich das BSW berlinweit aus dem Stand vor die Linke geschoben, die im Vergleich zur Wahl 2019 um fast 5 Punkte auf 7,3 Prozent abrutschte. Insbesondere die Erfolge in den ehemaligen Hochburgen der Linken, den Bezirken Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf, wo das BSW 17,5 und 17,1 Prozent erreichte, fallen ins Auge. Überraschend sind die Ergebnisse gleichwohl nicht.
„Kommt Sahra noch?“: Schon vor der Abgeordnetenhauswahl 2021 gehörte diese Frage an den Bratwurstständen der Linken in den Großwohnsiedlungen in Lichtenberg zum Standardrepertoire insbesondere älterer Genoss:innen. Deren Sorgen kreisten um hässliche Glascontainer und Zugezogene, ihre Erinnerungen galten der DDR, als es sauber und ordentlich zugegangen sei. Vor Jahren hatte die Linke hier das Image der Kümmererpartei. Das trat sie bei den folgenden Wahlen an die örtliche CDU ab.
Und „Sahra“ ist seither zwar nur ein Mal nach Lichtenberg gekommen. Dafür macht das BSW seit Anfang des Jahres mobil. Ihre neue dreiköpfige Fraktion im Bezirksparlament kämpft gegen Kiezblocks und Poller und Geflüchtetenunterkünfte.
Für den in Lichtenberg direkt gewählten Linken-Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg steht das BSW damit „nachweislich rechts der Sozialdemokratie“. Der „Kulturkampf gegen die Verkehrswende“ sei „billiger Populismus“, die Migrationspolitik nichts anderes als rassistisch, sagt Schlüsselburg zur taz.
Stimmt alles nicht, heißt es von Alexander King. „Uns geht es nicht darum, dass keine Flüchtlinge nach Berlin kommen“, sagt er. Dem BSW gehe es um eine gerechte Verteilung der Geflüchteten, „darum, dass nicht immer diejenigen Kieze belastet werden, die ohnehin schon viele Flüchtlinge aufgenommen haben und die infrastrukturell und sozioökonomisch eh nicht gerade begünstigt sind“.
Linke verspricht „schonungslose“ Aufarbeitung
Mitverantwortlich dafür gemacht wird auch die Linke, die Lichtenberg bis vor wenigen Jahren uneingeschränkt dominierte. Wobei der Absturz der Partei nicht zuletzt in den Plattenbausiedlungen brutal ist. In zwei Stimmbezirken im Ortsteil Fennpfuhl etwa rauscht die Linke von Platz 1 mit über 28 Prozent um rund 16 Punkte auf Platz 4 mit unter 12 Prozent ab – das BSW hingegen fährt über 21 Prozent ein, Platz 1. Die Wahlbeteiligung war hier mit etwas über 50 Prozent freilich auch niedrig.
Der Linke-Landesvorsitzende Maximilian Schirmer will trotzdem nichts schönreden: „Das ist ein Desaster.“ Innerhalb der Partei gelte es, das Wahlergebnis „schonungslos“ aufzuarbeiten. „Wir werden uns hier ehrliche Fragen stellen müssen“, sagt Schirmer zur taz. Dazu gehöre, „ob wir als Linke unserer Verantwortung nachgekommen sind, ob wir auf die Fragen der Menschen die richtigen Antworten gegeben haben“.
Das BSW sei „eine Projektionsfläche für großen Frust“, so der Linke-Landeschef. „Wir als Linke wollen aber mehr als nur den Frust aufgreifen, sondern für die Menschen wirklich etwas verbessern. Da müssen wir besser werden.“
Warnung vor vorschnellen Schlüssen
Zugleich warnt Maximilian Schirmer mit Blick auf das Abschmieren seiner Partei vor vorschnellen Interpretationen. „Das ist schon etwas komplizierter, zumal wir leider auch an das Lager der Nichtwähler verloren haben.“
Auch der Politikwissenschaftler Werner Krause mahnt zur Vorsicht. „Wir haben zu wenig belastbare Daten, um sicher zu sagen, was die Wähler:innen des BSW antreibt“, sagt der Experte für Parteienpolitik von der Universität Potsdam zur taz.
Eine Rolle in den Ostberliner Plattenbausiedlungen dürfte natürlich gespielt haben, dass die Wähler:innen mit der Arbeit der Linken immer weniger zufrieden sind, wohingegen Sahra Wagenknecht wahlmotivierend wirkte, schon weil sie „authentisch Protest verkörpert“. Gesichert sei das aber eben nicht. „Wir müssen hier einfach noch weitere Wahlen abwarten“, so Krause.
Die Berliner Linke macht sich unterdessen Mut. So verweist Landeschef Schirmer auch auf die weiter steigenden Mitgliederzahlen. Austritten wie dem von Hakan Taş am Dienstag zum Trotz: Allein seit dem Wahlsonntag zählt die Partei Schirmers Angaben zufolge mehr als 50 Neueintritte, insgesamt hat die Linke in Berlin damit fast 7.500 Mitglieder. Eine Entwicklung, die sich nur nicht in der Zahl der Wähler:innen niederschlägt.
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