Berliner Koalition aus CDU und SPD: Giffey macht sich klein
Berlin wird künftig wohl von einer schwarz-roten Koalition regiert. Die SPD meint, mehr Gemeinsamkeiten mit der CDU als mit Linken und Grünen zu haben.
Dort stimmte eine Zweidrittelmehrheit für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU. Die Union selbst – das ist bereits durchgedrungen – präferiert auch die SPD. Offiziell wollte sich CDU-Spitzenkandidat und Landeschef Kai Wegner am Donnerstagabend dazu äußern. Sind die Verhandlungen erfolgreich, wird Wegner auch Nachfolger von Giffey als Regierende Bürgermeisterin.
Bisher regiert Giffey als Chefin einer rot-grün-roten Koalition in Berlin. Eine Fortsetzung dieses Bündnisses mit ihr an der Spitze wäre auch nach der Wiederholungswahl am 12. Februar möglich gewesen. Doch die Regierende verzichtet offenbar lieber auf ihr Amt, als weiter mit Grünen und Linken zu regieren. „Wir gehen einen Weg, der dem Wahlergebnis mehr Rechnung tragen kann“, so Giffey am Mittwoch.
Die CDU hatte die Wahl mit 28,2 Prozent überraschend deutlich gewonnen; SPD und Grüne folgten nur um 53 Stimmen getrennt auf Platz zwei und drei. Giffey selbst steht aber für einen Senatorinnenposten zur Verfügung, wie sie betonte. Das letzte Wort über ein schwarz-rotes Bündnis haben die Mitglieder: In einem Entscheid dürfen sie über den Koalitionsvertrag abstimmen – auch dies wurde am Mittwochabend beschlossen.
Zerstrittene Koalition
Seit zwei Wochen hatten CDU, SPD, Grüne und Linke in unterschiedlichen Konstellationen miteinander sondiert. Zuletzt hatte es danach ausgesehen, dass SPD, Grüne und Linke die größten inhaltlichen Hürden für eine weitere Zusammenarbeit ausgeräumt hatten, etwa den weiteren Umgang mit dem erfolgreichen Enteignen-Volksentscheid.
Doch offenbar waren die Gespräche weiterhin von gegenseitiger Skepsis geprägt. In ihrer Vorlage für die Sitzung des Landesvorstands warf die SPD den Grünen vor, dass diese „erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Verabredungsfähigkeit“ hatten aufkommen lassen. Sprich: Die Grünen seien kein vertrauenswürdiger Partner mehr, das Tischtuch war zerrissen.
Bei der CDU erhofft die SPD sich vor allem in den Bereichen Wohnungspolitik, Innere Sicherheit und Verkehr mehr Gemeinsamkeiten. Wie umfassend der Politikwechsel unter Schwarz-Rot ausfallen wird, ist noch unklar: In den Sondierungen konnte die SPD der CDU zahlreiche Zugeständnisse abringen, die so auch im rot-grün-roten Koalitionsvertrag zu finden waren.
Insbesondere bei der Verkehrspolitik dürften Änderungen aber deutlich sichtbar werden. Diese soll stärker als bislang auf den „Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen der Verkehrsteilnehmern“ ausgerichtet sein. Auch der umstrittene Weiterbau der Stadtautobahn 100 mitten durch die Innenstadt dürfte unter Schwarz-Rot auf weniger Widerstand stoßen.
Grüne: „Vertrauen verspielt“
Für die Berliner Grünen dürfte der Schritt in die Opposition mit Debatten über die künftige Ausrichtung verbunden sein. Ihrer Spitzenkandidatin Bettina Jarasch war es auch im zweiten Anlauf nicht gelungen, stärkste Kraft im linken Lager zu werden. Thema wird auch der künftige Umgang mit dem einstigen Koalitionspartner. „Die SPD hat in den vergangenen 24 Stunden sehr viel Vertrauen verspielt, das ist bedauerlich“, sagte die grüne Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, Silke Gebel, der taz. „Wir Grüne müssen bewerten, was das heißt.“
Auch bei den Grünen im Bund ist der Frust auf die Berliner SPD groß – weil sie sich für die Union entschieden hat und weil sie die Schuld daran dem grünen Sondierungsteam zuschiebt. So schrieb die Bundestagsabgeordnete Renate Künast, die auch schon mal Berliner Bürgermeisterin werden wollte, auf Twitter: „Schämt euch“.
Eigentlich hatte sich die Partei für dieses Jahr vorgenommen, auf dem Weg zur Vorherrschaft im Mitte-Links-Lager weitere Pflöcke einzuschlagen. Nachdem es letztes Jahr gelang, in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen als Juniorpartner neu in die Landesregierungen einzutreten, sollten sich jetzt endlich weitere grüne Regierungschefs und -chefinnen zu Baden-Württembergs Winfried Kretschmann gesellen. Die Chance bietet sich jetzt nur noch bei der Hessen-Wahl, für Berlin ist sie mehr als vertan. Die Erfahrung, aus einer Regierung zu fliegen, haben die Grünen in den vergangenen Jahren deutschlandweit nur selten gemacht.
Während Erfolg zusammengeschweißt hat, könnte Misserfolg nun langsam wieder die Frage aufwerfen, ob die Partei strategisch richtig aufgestellt ist. Dass der Berliner Wahlkampf nicht glücklich gelaufen ist und der starke Fokus auf die autofreie Friedrichstraße in der Innenstadt wenig gezogen hat, sehen außerhalb des Landesverbands mittlerweile viele so. Aber auch bundesweit liegen die Grünen in Umfragen mittlerweile stabil unter den 20 Prozent und mehr vom letzten Sommer.
Bundesrat-Blockade droht weiter
Für die Ampelkoalition im Bund hat die Berliner Entscheidung jedoch keine unmittelbaren Auswirkungen. Mittelfristig ist aber die Aussicht weg, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ändern. Probleme hat die Bundesregierung aktuell bei Gesetzesvorhaben, für die das Grundgesetz die aktive Zustimmung der Länderkammer vorsieht. Im letzten Jahr war das zum Beispiel bei der Einführung des Bürgergelds der Fall, bei der CDU und CSU bekanntlich Kompromisse erzwingen konnten.
Insgesamt gibt es im Bundesrat 69 Stimmen. Die absolute Mehrheit liegt entsprechend bei 35 Stimmen. Die Länder, in denen die Union bislang mitregiert, haben zusammen aber 39 Stimmen. Sie können zustimmungspflichtige Gesetze somit schon jetzt blockieren.
Insgeheim gab es in der Ampel die Hoffnung, dass sich das im Herbst ändert – weil dann in Hessen gewählt wird, die CDU dort aus der Regierung fliegen könnte und somit die entscheidenden 5 Stimmen weg gewesen wären. Kommt jetzt aber in Berlin mit seinen 4 Stimmen tatsächlich Schwarz-Rot, wäre die Blockademehrheit der Union so oder so gesichert. Die Ampel kann sich also schon mal darauf einstellen, auch künftig mit CDU und CSU verhandeln zu müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour