Ausstellung über „Empowerment“: Alle Feminismen im Blick
Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt feministische Kunst der vergangenen 20 Jahre. Deutlich wird dabei auch, wie heterogen die Problemlagen sind.
Auch das Kunstmuseum Wolfsburg beschritt für sein großes Vorhaben „Empowerment“ über globale „Feminismen“ – soll heißen: feministisch orientierte Kunst aus der „Vierten Welle“ ab etwa der Jahrtausendwende – den Weg, auf die Recherchen und Zuträgerdienste von weltweiten Netzwerken und künstlerischen Kollektiven zu vertrauen. So wurden 700 künstlerischen Positionen ermittelt, schwerpunktmäßig wohl aus dem sogenannten Globalen Süden.
Diese gingen dann durch die Auswahlmühlen des eigenen Hauses, einer Gastkuratorin und eines wissenschaftlichen Beirats, um ein Konzentrat zu identifizieren, das in einer Ausstellung noch zu bewältigen ist. Dabei waren stets die künstlerische Qualität und die Relevanz das entscheidende Kriterium, beteuern es die Vertreter:innen des Projektes. Als lokale Vernetzung sind noch die Städtische Galerie und der Kunstverein Wolfsburg mit flankierenden Ausstellungen dabei.
Und auch der umfangreichen Begleitpublikation, die weit über einen Ausstellungskatalog hinausgeht, standen rund 50 internationale Autor:innen zur Seite. Das fertige, knapp 500-seitige Druckwerk, ein „Bildungsbuch“ laut Museumsdirektor Andreas Beitin, wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert und kann deshalb zum Kampfpreis von lediglich 7 Euro angeboten werden.
Empowerment: bis 8. Januar 2023 im Kunstmuseum Wolfsburg
We are, Feminismus gehört uns allen und My Choice by Eileen Pollex: bis 8. Januar 2023, Städtische Galerie WolfsburgTamiko Thiel: Diverse Realities: bis 6. November, Kunstverein Wolfsburg
Was zeigt nun die Ausstellung anhand ihrer rund 115 Positionen auf über 2.000 Quadratmetern Fläche? Sieben als „dynamisch und zugleich fluide“ aufgefasste Themenfelder werden abgesteckt, die sich mit stereotypen Erwartungen an den weiblichen Körper, seinen Schändungen und seinem gewaltvollen Tod beschäftigen, und dabei von weiblichen Narrativen über planetarische Herausforderungen bis hin zu einem Ökofeminismus als globaler Zukunftsperspektive reichen. Zudem steuern fünf internationale Künstlerinnen-Kollektive weitere Beiträge in eigenen kleinen Gasträumen bei.
Direkt am Eingang beginnt es mit dem titelgebenden Empowerment, also der Selbstermächtigung besonders in der körperlichen Präsenz. Dass dabei männlich geprägte ästhetische Vorstellungen genauso über den Haufen geworfen werden wie Normen aus dem weißen Globalen Norden versteht sich von selbst. Die Techniken differieren.
Die ivorische Künstlerin Laetitia Ky nutzt ihr langes, schwarzes krauses Haar, um temporäre, lebende Skulpturen zu formen. Sie erhalten dann die Umrisse zweier kräftiger Oberarme, eines weiblichen Torsos oder eines Uterus, dieser wiederum mit zwei muskulösen Armen versehen. Aus dem rassifizierenden Merkmal einer afrikanischen Frau werden so visuelle Statements gegen Unterdrückung, individuell durchlittene und strukturelle Gewalt.
Die Chinesin Lin Tianmiao greift zu einem anderen Requisit traditioneller Weiblichkeit, dem Stickrahmen. Dessen übergroße Versionen versieht sie mit englischen und chinesischen Begriffen, gestickt auf edler Seite, die in der Regel abwertend für Frauen gebraucht werden.
Punk-Gebet gegen Putin
Eine spektakuläre und für die Akteurinnen mit hohen Strafen bezahlte Form weiblicher und vor allem politischer Selbstermächtigung war 2012 das Punk-Gebet gegen Putin und die orthodoxe Kirche, aufgeführt durch die Performerinnen von Pussy Riot. Mitglied und Polit-Aktivistin Marija Aljochina sieht aktuell den Westen in einer Mitschuld an der Ukraine-Invasion des russischen Regimes: zu heuchlerisch und naiv war seine Politik.
In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung benennt sie zudem die fundamentalen Unterschiede zwischen der Kunstszene Russlands und der des Westens: „In Putins Russland kann man der Macht entweder zudienen, indem man ihre Institutionen künstlerisch dekoriert. Oder man nutzt die Kunst als Mittel des Protests. Dazwischen gibt es nichts.“
Diese Polarisierung scheint auch systemisch für Beiträge aus dem eingangs erwähnten Globalen Süden. Denn hier müssen in der Regel zahllose Formen der Zensur unterlaufen aber auch Rückständigkeiten gegenüber selbst minimalen kulturellen Konsensen des Westens angegangen werden.
In China etwa gibt es nach der Ein-Kind-Politik der 1980er-Jahre nun propagandistische Versuche, die Vollzeitmutter mit mehreren Kindern wieder schmackhaft zu machen: eine neue Form der Domestizierung der Frau also anstelle der alten revolutionären Maxime, sie von übermäßigen Reproduktionspflichten zu befreien. Beides aber sind Eingriffe eines totalitären Staates in die Selbstbestimmungsrechte einer Frau.
Anderes Beispiel: Weite Teile Südamerikas versinken in Femiziden, also Tötungsdelikten allein aufgrund des Geschlechts des Opfers. Die Mexikanerin Teresa Margolles, die in ihren Installationen auch schon mal mit dem Wasser operiert, das in Leichenschauhäusern zur Reinigung toter Gewaltopfer vor deren Obduktion diente, zeigt eine Bildserie vermisster Frauen aus Ciudad Juárez. Bis heute bedecken solch erschreckende Suchmeldungen dortige Häuserwände.
Und Regina José Galindo schlüpft für ihre Fotoperformance in die Kleider ermordeter Frauen aus ihrer Heimat Guatemala. Auch hierzulande gibt es diese Kategorie der Tötungsdelikte, dann gerne als „Beziehungstat“ verharmlost. Aber wir verfügen über Ermittlungsbehörden und Strafgesetzbücher, die hoffentlich ein sich schärfendes gesellschaftliches Bewusstsein für diese Straftatbestände in ihrer Praxis zu reflektieren beginnen.
So bleibt die Ausstellung ein wichtiger Überblick über die weltweite Kunstproduktion im Dienste der Frauenrechte. Vor allem aber zeigt sie, wie heterogen die Problemlagen sind. Am besten also, wir beginnen vor der eigenen Haustür. Und verteidigen dabei die Autonomie der Kunst als eine Form radikalen Selbstdenkens, das sich nicht für oder gegen eine Sache selbst instrumentalisiert. Denn vielleicht besteht darin ja momentan die höchste Errungenschaft in dem so viel gescholtenen globalen Norden und Westen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!