Außenministerin Baerbock in Israel: Deutliche Kritik an der Regierung
Bundesaußenministerin Baerbock wirbt in Tel Aviv für eine Waffenruhe in Gaza. Auch ein rigides Vorgehen gegen Gewalt von radikalen Siedlern sei nötig.
Es ist bereits Baerbocks elfter Nahost-Besuch seit dem Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober. Im Zentrum stehen die Bemühungen um eine Waffenruhe und die Freilassung der Hamas-Geiseln im Gazastreifen sowie die Furcht vor einer weiteren Eskalation des Konflikts.
„Wer Menschen angreift, aus ihren Häusern vertreibt oder sogar tötet, muss zur Rechenschaft gezogen und hart bestraft werden“, sagte Baerbock nach ihrem Treffen mit Katz mit Blick auf die Übergriffe radikaler Siedler auf Palästinenser im Westjordanland. Israel müsse zudem seine Siedlungsprojekte im Westjordanland aufgeben, diese seien „illegal“, betonte Baerbock.
Es irritiere sie auch, „wenn Mitglieder der israelischen Regierung selbst fordern, im Westjordanland genauso vorzugehen wie in Gaza“, sagte Baerbock mit Blick auf Äußerungen von Katz zum israelischen Militäreinsatz im Westjordanland. „Genau das gefährdet akut die Sicherheit Israels.“ Der israelische Außenminister hatte Ende August gefordert, Israel müsse die „Terrorinfrastruktur“ im Westjordanland mit der selben Entschlossenheit zerschlagen wie im Gazastreifen.
Gewaltspirale durchbrechen
Das Vorgehen der israelischen Armee im Westjordanland richte sich „gegen Terror“, sagte Baerbock. „Zugleich darf es nicht neue Unsicherheit und Gewalt befördern.“ Das Kalkül der Hamas, die Gewalt aus dem Gazastreifen ins Westjordanland zu tragen, dürfe nicht aufgehen. „Das Kalkül der Terroristen, eine ewige Gewaltspirale zu befeuern, genau das muss durchbrochen werden“, betonte die Grünen-Politikerin.
Israel hatte am 28. August einen großangelegten Militäreinsatz im Westjordanland gestartet. Wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP berichteten, hat sich die israelische Armee mittlerweile offenbar aus der Stadt Dschenin zurückgezogen. Wegen des Einsatzes geflüchtete Bewohner kehrten am Freitag in ihre Häuser in der Stadt und der dortigen Flüchtlingssiedlung zurück, die als Hochburg militanter Islamisten gilt.
In einer Erklärung der israelischen Armee vom Freitag hieß es, im Laufe des Einsatzes seien in Dschenin 14 bewaffnete Angreifer getötet und 30 weitere Verdächtige festgenommen worden.
Baerbock mahnte gegenüber Katz überdies, Israel müsse „verlorenes Vertrauen“ bei den internationalen Partnern zurückgewinnen. Dafür müsse die Regierung auch den Siedlungsbau im Westjordanland einstellen, denn dieser verstoße „ganz eindeutig gegen das Völkerrecht. Er ist illegal.“
Treffen mit dem Verteidigungsminister
Baerbock traf in Tel Aviv auch den israelischen Verteidigungsminister Joav Gallant, der als regierungsinterner Kritiker von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gilt. Gallant dringt auf den Abschluss eines Waffenruhe-Abkommens mit der Hamas, um die Freilassung der Geiseln zu ermöglichen. Er forderte das Kabinett kürzlich auf, eine Entscheidung zur anhaltenden israelischen Militärpräsenz im Philadelphi-Korridor zurückzunehmen und ging damit auf Distanz zu Netanjahu.
Das Gebiet entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten ist einer der zentralen Streitpunkte in den Verhandlungen über eine Feuerpause. In den seit Monaten andauernden Gesprächen unter Vermittlung der USA, Ägyptens und Katars zeichnet sich weiterhin keine Einigung ab.
Baerbock äußerte Verständnis für „das Sicherheitsdilemma“ Israels bezüglich der Kontrolle des Philadelphi-Korridors. „Aber dafür können Lösungen gefunden werden“, sagte sie. Die EU sei bereit, ihren Beitrag zu leisten.
Sie habe im Gespräch mit Katz deutlich gemacht, dass nun dringend ein Waffenruhe-Abkommen geschlossen werden müsse, sagte Baerbock. Sie betonte, „dass nichts so drängend ist wie das Schicksal der verbleibenden Geiseln“. Alle anderen Erwägungen seien „nachrangig“, sagte die Außenministerin. „Allen ist klar, dass ein Deal mit der Hamas mit einschließt, einen hohen Preis zu bezahlen. Aber das Leben der Geiseln ist es wert.“ Nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt befinden sich auch noch eine „sehr niedrige zweistellige Zahl“ deutscher Staatsangehöriger oder Menschen mit deutscher Familie in Gefangenschaft.
Nach den Gesprächen in Tel Aviv reiste Baerbock in das besetzte Westjordanland. In Ramallah traf sie den palästinensischen Regierungschef Mohammed Mustafa. Vor dem Treffen bekräftigte Baerbock ihre Forderung nach einer Stärkung und Reform der Palästinensischen Autonomiebehörde. „Sie braucht Strukturen, die sich gegen Terrorismus stellen“, sagte die Ministerin. Sie sei davon überzeugt, dass nur mit glaubhaften Schritten zu einer Zweistaatenlösung und „mit einer Stärkung und einer Reform der Palästinenserbehörde sich der Terrorismus auf Dauer bekämpfen lässt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen