Ausnahme vom EU-Emissionshandel: Koalition plant weiteres Steuergeschenk für Landwirte
Union und SPD wollen Bauern den CO2-Preis erlassen, andere Branchen müssen für klimaschädliche Abgase weiter bezahlen. Umweltschützer üben Kritik.

Bisher gilt der Emissionshandel (englisch Emissions Trading System, kurz ETS) der Europäischen Union nur für Betreiber von Kraftwerken und großen Industrieanlagen sowie für Teile des Luft- und Seeverkehrs. Wer also zum Beispiel ein Kohlekraftwerk betreibt, muss pro Tonne CO2 ein Emissionszertifikat kaufen. Ein zusätzlicher Emissionshandel, der ETS2, soll künftig den Ausstoß von Heizungen und Straßenverkehr bepreisen. Dann müssen auch Unternehmen, die Heizöl, Heizgas, Benzin oder Diesel in Verkehr bringen, Emissionszertifikate kaufen.
Den Ländern ist freigestellt, ob sie auch Spezialfälle wie Diesel für die Landwirtschaft oder Eisenbahnen einbeziehen. Aber: Bisher erhebt Deutschland im Rahmen des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) selbst einen CO2-Preis für Heizen und Verkehr, den auch die Bauern bezahlen müssen.
„Mit Einführung des ETS2 muss das BEHG beendet werden“, ergänzte CSU-Politikerin Weisgerber nun. Wegen des Gesetzes hätten die Landwirte 2024 knapp 250 Millionen Euro CO2-Preis etwa für Kraftstoffe aus Erdöl und für Erdgas gezahlt. Diese Entlastung komme zu den rund 440 Millionen Euro für die ebenfalls von der Koalition geplante Erstattung der Energiesteuer auf Diesel für Traktoren oder andere Maschinen in der Landwirtschaft hinzu.
Bund verzichtet auf Einnahmen und Klimaschutz
Nina Scheer, energiepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, bestätigte der taz, dass der nationale Emissionshandel für die vom ETS2 erfassten Bereiche durch entsprechende europäische Regelungen ersetzt werde. Die Agrarbranche werde aber nicht einbezogen, so dass die „Landwirtschaft dahingehend vom ETS2 und damit auch von der Bepreisung ausgenommen wird.“
Das entspricht auch dem Koalitionsvertrag, der „einen fließenden Übergang des deutschen BEHG in das ab 2027 europäisch wirkende Emissionshandelssystem (ETS2)“ ohne ein „Opt-in für den Sektor Landwirtschaft“ vorsieht.
Damit würde der Bund nicht nur auf jährliche Einnahmen von zuletzt rund 250 Millionen Euro, sondern auch auf eine Klimaschutzwirkung verzichten. Das Umweltministerium beziffert die Emissionen für den landwirtschaftlichen Verkehr und die Wärmeerzeugung auf 7,8 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Das entspricht rund 1 Prozent der deutschen Treibhausgase.
Wenn die Bauern bald für ihre Emissionen keinen Preis mehr zahlen müssen, sinken die ökonomischen Anreize, den Ausstoß zu reduzieren. Um die Emissionen zu verringern, könnten sie zum Beispiel stärker auf Traktoren mit geringerem Dieselverbrauch oder Treibhäuser mit erneuerbaren Energien setzen.
Umweltministerium widerspricht CSU-Begründung
CSU-Politikerin Weisgerber begründet die Entscheidung damit, dass „Landwirte in anderen EU-Staaten ganz oder teilweise von der CO2-Bepreisung entlastet werden“. Die Koalition wolle „faire Wettbewerbsbedingungen“ sichern.
Das Umweltministerium teilte jedoch der taz mit, dass bis Mitte Mai erst vier Mitgliedstaaten entschieden hätten, welche optionalen Sektoren sie am ETS2 beteiligen wollen: Finnland, Niederlande, Österreich und Schweden. „Dabei haben die vier Mitgliedstaaten die Brennstoffemissionen der Landwirtschaft in unterschiedlichem Umfang einbezogen.“ Zum Beispiel Schweden habe allerdings den Straßentransport von Agrargütern ausgenommen, die Niederlande die Emissionen von Gärtnereien und Fischereifahrzeugen.
Der Naturschutzbund (Nabu) kritisierte die geplanten Entlastungen, weil sie den Staat immer mehr kosteten, ohne dass sie einen „gesellschaftlichen Gegenwert in Form von Klima- oder Naturschutzleistungen“ bringen würden. „Während die EU-Agrarsubventionen von ökologischen Standards befreit werden, plant die Bundesregierung zusätzliche Cash-Geschenke für die Landwirtschaft“, sagte Pierre Johannes, Koordinator Agrarpolitik von Deutschlands größter Umweltorganisation, der taz.
„Der neue CSU-Landwirtschaftsminister Alois Rainer möchte auf Anreize setzen, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. So allerdings setzt man Anreize, die die Umstellung beispielsweise auf elektrische Antriebe, die bereits heute eine größere Rolle auf den Höfen spielen könnten, weiter zu verzögern.“ Der Nabu fordere, Klimaschutz auch ökonomisch attraktiver zu machen.
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