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Aufrüstung und MilitärZwischen Nicht-schießen-Patriotismus und Militär-Holdrio

In Zeiten der Aufrüstung braucht es eine Militärdebatte. Wenn schon mehr Waffen, dann welche? Und sind Truppe und Politik für solche Fragen gerüstet?

Unehrlich und unfair: der Umgang der Bundespolitik mit der Bundeswehr Foto: Henning Kaiser/dpa

A ls ich einmal bei der taz für die Bundeswehr zuständig war, habe ich viel mit Bundeswehr-Angehörigen gesprochen, und eines hat mich dabei besonders überrascht: Der Respekt von SoldatInnen für PazifistInnen – in diesem Fall verstanden als Leute, die schlicht nicht schießen wollen. (Es gibt auch andere Definitionen, wie mein Kollege Pascal Beucker erläutert.)

„Dass man Militär und Töten ablehnt, kann ich gut verstehen“, hieß es dann sinngemäß. „Aber so was dazwischen – so halb die Notwendigkeit anerkennen, aber dann doch blöd finden –, das ist unehrlich und unfair.“ Gemeint, aber nicht offen benannt war damit unter anderem der Umgang der Bundespolitik mit der Bundeswehr: regelmäßig über den Scheitel streicheln, aber ansonsten so wenig wie möglich erwähnen und eher nicht mit funktionstüchtigen Waffen ausstatten.

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Inzwischen hatten wir eine Zeitenwende. Putin mal Trump ergibt eine maximale Unberechenbarkeit der Dinge, in jedem Fall aber eine Sicherheitslage, die sich multiplizierend auf Rüstungsausgaben auswirkt. Die Waffen, die da jetzt bestellt werden, so hat es jüngst die Chefin der zuständigen Behörde dem Spiegel in einem bemerkenswerten Interview erklärt, sollen schnell kommen und dann auch einsatzbereit sein. Alles daran wäre wirklich neu.

Es lässt mich außerdem an die BundeswehrsoldatInnen denken, die sich im Nachhinein bestätigt fühlen dürfen: Genau, die komplette Gerätebeschaffung war ein gigantischer Verzögerungstrick. Was ja übrigens der Löwenanteil der Unions- wie der SPD-Politik immer schon war und mit Blick in den aktuellen Koalitionsvertrag auch bleiben wird, außer bei der Rüstung halt.

Wilhelminisch anmutende Gesprächskultur

Und doch tut sich zwischen dem Nicht-schießen-Pazifismus, den es legitimerweise weiter gibt, und hundertprozentigem Militär-Holdrio ein neues Dazwischen auf, das der Bundeswehr nicht gefallen wird: der Bereich des „O. k., aber so nicht“. Wenn mehr Waffen – warum diese und nicht jene? Was soll hieran Putin abschrecken – und nicht daran? Und so weiter.

Auch für all diese Fragen sollte sich die Truppe rüsten, und im Idealfall hat sie sogar Antworten parat beziehungsweise dürfen ihre Angehörigen sie auch ohne Segnung der Pressestelle des Verteidigungsministeriums geben. Denn das wird in der notwendigen Militärdebatte ja noch so ein Problem: eine wilhelminisch anmutende Gesprächskultur, in der ausgewählte WehrvertreterInnen nur ausgewählt verdruckste Vokabeln feilbieten, die aber leider nicht viel erklären.

Dies kann man dem offenkundig im Amt bleibenden Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) schon einmal zugutehalten: eine zwar angreifbare (Stichwort „kriegstüchtig“), aber auch offenere Kommunikationsweise.

So richtig aufregend dürfte die Rüstungsdebatte allerdings werden, wenn sie nun tatsächlich europäisiert werden sollte

So richtig aufregend dürfte die Rüstungsdebatte allerdings werden, wenn sie nun tatsächlich europäisiert werden sollte. Der Chef der Europäischen Volkspartei Manfred Weber (CSU) hat da einen Punkt: Eine europäische Verteidigung – finanziert durch gemeinsame europäische Schulden – wäre womöglich schon deshalb wünschenswert, weil die rein nationalen Verteidigungspolitiken demnächst etwa bei Marine Le Pens Leuten und der AfD landen könnten. Die Idee dabei: Europa wird im Schnitt immer weniger rechts sein als die Rechtsextremen in Frankreich und Deutschland.

Sollte die Verteidigungspolitik sich dann in den 24 Amtssprachen der Europäischen Union abspielen, ist es allerdings nicht nur mit der Message Control der Bundesministerien vorbei. Auch die demokratische Kontrolle der Entscheidungen selbst wird dann schwieriger. Um für das gewappnet zu sein, was dann in Brüssel besprochen wird, müssten wir jetzt ziemlich schnell lernen, über die sinnvolle Verwendung eines vervielfachten Militäretats zu streiten.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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15 Kommentare

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  • „Zeitenwende“ und „Zeiten der Aufrüstung“ sind Begrifflichkeiten, die eine historische Notwendigkeit suggerieren sollen. Erwünschter Effekt davon ist, dass sich keiner mehr hinterfragen muss, was er denn zuvor getan hat, um die scheinbare Notwendigkeit zu verhindern? Das gilt nicht zuletzt für die Grünen, deren Wurzen u.a. in der Friedensbewegung liegen, aber auch die andere Parteien der sogenannten Mitte.

    Dass man nun das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen kann und verpasste Gelegenheiten nicht einfach wiederkommen, sollte nicht dazu führen, dass man den immer gleichen Fehler auf ewig wiederholt: Man kann anderen nicht seine Vorstellungen einer Friedensordnung aufzwingen wollen und meinen, der andere hätte schon ein Einsehen. Das funktioniert erst recht nicht, wenn das Friedensangebot, aus dem Selbstbewusstsein heraus der Stärkere zu sein, mit dem Geist des (fairen) Wettbewerbs vergiftet ist.

    Ohne USA stehen EU und Deutschland nicht mehr so stark da, die BRICS- und viele andere Staaten haben wenig Anlass Vertrauen in eine Partnerschaft mit „dem Westen“ zu setzen. Entweder es gibt einen Kompromiss mit der Russischen Föderation oder der Krieg wird eskalieren.

  • Nur um einmal ein Beispiel zu zeigen. Was sich gezeigt hat ist das man in einem konventionellen Krieg massiv Flugabwehr braucht. Bisher ist das bei der Bundeswehr eine seltene strategische Waffe. Es wird aber auf allen Ebenen gebraucht runter bis auf den individuellen Zug. 4 LKWs die Nachschub an die Front fahren brauchen mindestens 1 weiteres Fahrzeug zur Dronen Abwehr. Ansonsten sehen die Nachschubwege aus wie der Highway des Todes im Iraq. Daneben braucht es massiv erhöhte strategische Flugabwehr um Krankenhäuser, Rüstungsbetriebe und Energieversorgung zu schützen.

    Diese Soldaten gibt es aber gerade nicht, diese Ausrüstung gibt es nicht. D.h. die Bundeswehr braucht allein schon 20.000 Soldaten mehr die diese Aufgabe übernehmen, mind. 100 Milliarden für die entsprechende Ausrüstung.

    Dann haben wir den Dronenkrieg etwas worin Deutschland auch dank SPD null Erfahrung hat, mehr Artillerie, viel mehr Panzer, APCs, IFVs, Bomben, Mittelstreckenraketen etc. etc. Aber vorallem Menschen. Die Bundeswehr braucht mind.1 Millionen Reservisten und da sind wir bei einem Mentalitätswechsel das selbst Reservisten wegen Kleinigkeiten aussortiert werden. Kann sich Deutschland nicht leisten.

  • Die Entscheidungsstrukturen in der EU sind extrem ineffizient und daher für Reaktionen im Kriegsfall (darum geht es) nicht brauchbar. Die meisten Länder wären nicht bereit, die Souveränität über ihre Streitkräfte wegzugeben.



    Die Bundeswehr ist in Geschichte und Auftrag einmalig innerhalb der Nato. Sie ist gegründet als Wehr eines damals nicht voll souveränen Staates und "Parlamentsarmee".



    Der Unterschied zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg ist theoretisch relativ klar (selbst in "Spezialfällen" wie dem Sechs-Tage-Krieg). Über dieses politisch-juristische Problem lässt sich auch ganz ohne konkrete Armee philosophieren.



    Wenn es aber um die strategische Frage geht, welche Waffentechnologie ich anschaffe und wie ich die Soldaten fachlich zurichte, wird das Problem schon vieldeutiger. Was ist dann "defensiv", was "offensiv"? Die meisten Waffen sind vermutlich multifunktional.



    Ganz offen ist die Situation im "heißen" Krieg. Strategie zerfällt in taktisch-operative Züge auf dem Schlachtfeld. Wenn der Feind 500 Kilometer auf dem eigenen Territorium steht, heißt Verteidigung: Angriff. Der Soldat muss wissen, wie das geht (und was dann noch geht), und über die Waffen dafür verfügen.

  • Und Fall nur weiter so und wir schaffen das 🙈

    Das Thema braucht „neue“ Lösungen - sprich Rüstung, egal ob es gefällt oder nicht (mir nicht!).

  • Dass durch europäische Rüstung diese von den jeweiligen Nationalismen weggeführt wird, scheint mir ein wichtiger Gedanke.

    • @Birdman:

      Dann müsste es auch EU-Soldaten geben.

      Verschiedene Länder werden befürchten, dass sie auch gegen Mitglieder eingesetzt werden könnten.

      Ein Bundestaat EU ist vor allem eine sehr deutsche Vision.

  • Die Zeitenwende in der Bundeswehr läuft seit drei Jahren.



    Strukturen wurden verändert.



    Bedarfe wurden eroiert und Bestellungen getätigt.



    Es wurde auch nachjustiert, nachdem die Bedeutung der Drohnen angesichts des Ukrainekriegs offensichtlich wurde.



    Was bisher massiv in die Ukraine floß, ist Luftabwehr. Einen Plan zur einem europäischen Schutzschirm gibt es. Nun sind auch die finanziellen Mittel da, von deutscher Seite aus die Pläne umzusetzen.



    "Verzögerungstaktik" kann ich da nicht erkennen .

  • Dazu müsste es allerdings entsprechende Militärische Bildung in der breiten Bevölkerung geben um überhaupt fundiert darüber reden zu können. Das wird aber eben von einer Seite als "Militarisierung der Gesellschaft" verschrien.

    • @metalhead86:

      Genau. Und das ist es ja auch.

      • @Jalella:

        Bildung ist für Sie Militarisierung?

        Wie soll sich in einer Demokratie der Souverän die Meinung bilden, wenn Wissen bereits moralisch verwerflich ist?

        • @rero:

          Ich nehme an, dass Jallela darauf abzielt, dass Bildung, die allein aufs Militärische fokussiert, Militarisierung bedeutet.



          Und angesichts des Zustandes unseres Bildungswesens hätte er damit nicht ganz unrecht. Oder sehen Sie irgendwo nennenswerte Anstrengungen, das Bildungssystem insgesamt zu verbessern?

          • @Nansen:

            Aber danke für die Erklärung.

          • @Nansen:

            Das Bildungssystem ist ein Trauerspiel, kein Zweifel.

            Die Idee, Menschen würden schon richtig abstimmen, wenn sie nur besser gebildet wären, halte ich für nicht realistisch.

            Erklären Sie das Militärische einfach und betten Sie es in einen allgemeineren politischen Kontext ein. (Natürlich nicht Sie persönlich. )

            Dann wird's auch was mit dem Souverän.

            Spätestens seitdem sich die Rechten als Friedenspartei darstellen, sollten wir mal darüber reden.

            Die Zeiten sind anders geworden.

            In anderen Ländern klappt der Diskurs auch, ohne dass die breite Masse in chauvinistischen Eroberungstaumel verfällt.

      • @Jalella:

        Wer ein mehr an Bildung in einer Debatte ablehnt hat einen sehr totalitären diskursansatz. Wissen kann niemals Militarismus sein. Ich glaube hier geht es eher um die Befürchtung das die eigenen Argumente schwach sind und bei einer ge bildeten Bevölkerung die sich mit militärischen auskennt nicht mehr verfangen würden.

  • Pazifismus ist dumm, aber sympathisch. Widerwärtig sind nur die Varianten "Waffen für El Salvador" und "Ich überlasse das gern den Profis".