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Auch Hannover spricht nicht HochdeutschJedes Deutsch ist gepanscht

Die Hannoveraner sprechen gar kein so reines Hochdeutsch, wie sie bisher dachten. Das haben SprachwissenschaftlerInnen nachgewiesen.

Hannoveraner sprechen, wie sie saufen: Ohne einen guten Schuss Dialekt ist das Lokalgetränk Lüttje Lage völlig unerklärlich Foto: Fritz Thörnerg 1904/Wikimedia Commons

Osnabrück taz | Wo ein Mythos ist, ist ein aufklärerischer Realitätscheck nicht weit. Manche Legenden halten ihm stand, andere erweisen sich als Märchen. So wie der Mythos, in der Region Hannover werde das reinste Hochdeutsch gesprochen. Jahre linguistischer Empirik haben ihn zu den Akten gelegt.

In einer repräsentativen, bundes­weiten Forsa-Umfrage des Projekts „Die Stadtsprache Hannovers“ des Deutschen Seminars der Leibniz Universität Hannover und der Gesellschaft für deutsche Sprache hatten 39 Prozent der Befragten, die dazu eine Meinung hatten, Hannover als den Ort genannt, an dem das beste Hochdeutsch zu hören sei.

Das Projekt „Die Stadtsprache Hannovers“, von Anfang 2020 bis Frühjahr 2024 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, ist der Sache auf den Grund gegangen. Sprachliche Realität ist: Auch in Hannover wird kein reines Hochdeutsch gesprochen.

Sprache ist individuell, ist hochkomplex, je nach der Sprechsituation, dem Alter und dem Geschlecht der Sprechenden, dem Bildungsgrad, der Sozialisation, dem Stadtviertel, der sozialen Stellung. Ehrenrettung für Hannover: Reines Hochdeutsch erklingt nirgendwo in Deutschland.

Im Mittelpunkt: die Aussprache

Pech also für die Stadt Hannover, die auf ihrer Homepage als einen der 66 Gründe, die für Hannover sprechen, anführt: „Wussten Sie, dass Hannover das reinste Hochdeutsch spricht?“ Auch eine Alternative haben Lokalpatrioten nicht: In Hannover wird kein Dialekt gesprochen.

Leiter des Projekts „Die Stadtsprache Hannovers“ war der Linguist François Conrad von der Leibniz Universität. Der Kern war ein Sprachexperiment: 100 Personen, im Stadtgebiet lebend, aufgewachsen und zur Schule gegangen, ausgewählt aus knapp 600 Freiwilligen, wurden mehrere Stunden lang befragt und getestet.

„Auffällig war, dass sich viele Lehrerinnen mittleren Alters bei uns gemeldet haben“, sagt Conrad. „Aber wir wollten natürlich einen möglichst breiten Horizont, vom Beruf bis zur Herkunft der Eltern.“ Das Ziel war, Standard-Konformes und Standard-Divergentes zu identifizieren, Kenntnisse und Meinungen über Sprache zu erfassen.

Die ProbandInnen mussten Texte vorlesen, Satzglieder zusammenfügen, Bilder beschreiben, Städten der Region zuordnen, Fehler finden und korrigieren. Sie mussten Lückentexte ergänzen wie: „Wenn man in Deutschland aus dem (Bild: Mensch in Sträflingskleidung hinter einem Gitter) ausbricht, ist das nicht strafbar.“ Im Mittelpunkt bei alldem: die Aussprache.

Für manche Menschen bricht dadurch offenbar ein Teil ihrer Identität weg

François Conrad, Linguist an der Leibniz-Uni

Das jahrhundertealte, heute sterbende „Hannöversche“ hat Conrads Team untersucht, eine städtische Umgangssprache zwischen Hoch- und Niederdeutsch. In anderen norddeutschen Städten wurden Vergleichsstudien angestellt, von Wunstorf bis Minden, von Celle bis Braunschweig. Das Ergebnis: Mythos erledigt. Reine Fiktion.

Aber der Mythos ist hartnäckig. Conrad erzählt von empörten Briefen, in denen ihm „Hannover-Bashing“ vorgeworfen wird: „Jetzt machen Sie uns auch noch unsere schöne Sprache kaputt!“ Andere Hannover-Verteidiger zeigten sich „schockiert“, dass „für ein solch nichtiges Thema“ Forschungsgelder zur Verfügung standen.

„Das berührt mich durchaus auch emotional“, sagt Conrad zu dieser Wissenschaftsfeindlichkeit. „Das verletzt auch ein bisschen. Aber für manche Menschen bricht dadurch offenbar ein Teil ihrer Identität weg.“

Manche der 100 Befragten antworteten auf die Frage, was Hochdeutsch sei, schlicht mit: „Was ich spreche!“ Die Begründung: „Ich komme ja aus Hannover!“ Einer ihrer Lerneffekte: In vielen Städten der Region Hannover wird fast genauso gesprochen wie in Hannover. „Das ähnelt einander sehr stark“, sagt Conrad.

„Keese“ statt „Käse“

Conrad ist kein Normierer; er analysiert. Da geht es dann um „Keese“ statt „Käse“, um „Füsch“ statt „Fisch“. In seinem Science-Slam „Bestes Hochdeutsch und wenn ja, wo?“ hat Conrad im Herbst 2022 in Köln SprachwissenschaftlerInnen die „Chirurginnen und Chirurgen der Geisteswissenschaft“ genannt.

Sein Slam hat den Widerspruch zwischen objektiver „Sprache im Mund“ und subjektiver „Sprache im Kopf“ skizziert: Zwischen dem, was Hannoveraner über ihr Sprechen denken und dem, was Hannoveraner sprechen, klafft eine Lücke. Sie klafft auch zwischen den Generationen: Während die Sprache Älterer noch stärker regionalbehaftet ist, sprechen Jüngere hochdeutscher. Hannover ist also auf dem Weg zu seinem Ideal – wobei Conrads 17-köpfiges Team weiß, dass dieses Ideal nie erreicht wird.

2025 werden alle Endergebnisse vorliegen. Aber den Kern kennen wir schon heute. Zu ihm gehört: Nur 35 Prozent der befragten Hannoveraner haben an Tonbeispielen Personen aus Hannover erkannt.

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23 Kommentare

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  • Dass Hannover das reinste Hochdeutsch spricht, bleibt zutreffend, wenn nirgends sonst die Umgangssprache näher am Hochdeutschen ist.



    Im Artikel steht: "Reines Hochdeutsch erklingt nirgendwo in Deutschland."



    Also bleibt die Frage unbeantwortet:



    Gibt es einen Ort, in dem die Umgangssprache näher am Hochdeutschen ist?

    • @e2h:

      Hier im Forum wurden ja schon Kandidaten genannt.

  • „ viele Lehrerinnen mittleren Alters …[ ]….. wir wollten natürlich einen möglichst breiten Horizont, vom Beruf bis zur Herkunft der Eltern.“

    Kurz, die Auswahl war das Entscheidende. Es geht nicht um die Hannoveraner in 7. Generation, sondern um das was heute da gesprochen wird. Dafür sind 100 Personen in einem vier jährigen Forschungsprojekt, nu ja, übersichtlich. So ganz wollte man die Diversität wohl doch nicht abbilden.



    Wenns hilft.

    • @fly:

      Tatsächlich sind 100 Personen für eine solche Studie eine ausreichend große Zahl.

  • Dafür musste man sich nur vor vielen Jahren als Ortsgast ins Café Kröpcke setzen und die Ohren aufsperren, wenn die Tanten lautstahk redeten.

    Hochdeutsch ist wohl eher da, wo viele Neue zusammenkamen (Wolfsburg) oder es mal als Fremdsprache mit Nachdruck gelernt wurde (Braunschweig, Wolfenbüttel, ...).



    Deutschland ist da insofern eine angenehme Ausnahme, dass nicht ein Hauptstadtdialekt zur Standardsprache deklariert wurde wie etwa in Russland/Moskau mit dann aberwitzigen Vokalverschiebungen je nach Betonung.

    Niemand spricht wirklich Hochdeutsch, aber es hilft zur Verständigung einfach ungemein, gell, woast, jau, ävver jo.

  • A Preuß hod no nir gscheid Deutsch kinna

  • Als Südwestdeutscher ist mir Hochdeutsch sowieso zu arrogant.



    Das wird doch nur von Verkäufern gesprochen, die mich mit ihrem Hoch(geschwindigkeits)deutsch über den Tisch ziehen wollen ;-)

    • @noctuaNigra:

      Sie müssen jetzt ganz stark sein: Hochdeutsch IST süddeutschen Ursprungs!

    • @noctuaNigra:

      Oettinger sprach jetzt in welcher Geschwindigkeit? Räusper.

      Sie sind aber wohl eher Alemanne am Oberrhein, der die Schweizer Variante kennt, nehme ich an.

      • @Janix:

        Am Oberrhein wird überwiegend Niederalemannisch gesprochen. Hochalemannisch wie in der Schweiz ist in Deutschland in einem Dreieck zwischen zwischen Tuniberg, Lörrach und Bodensee anzutreffen.



        Siehe:



        de.wikipedia.org/w...cts-Map-German.svg

  • Ja wie? Wat issen nu wieder ditte - wa!



    Wat ihr allet so braucht! Braucht doch kein 🐽 •

    Hat doch sooon Bart! Tucho fragen & gut is!



    “… Onkel Erich kam neulich zu uns nach Berlin zu Besuch. Er ist aus Hannover, wo sie das reinste Deutsch sprechen – das allerreinste. Bis auf die Vokale, die sind im Hannoverschen eine Wissenschaft für sich. Man muß lange dran rumstudieren, bis dass man sie raus hat – und das getrübte a, das sie da sprechen, hat mir immer eine ungetrübte Freude bereitet. Unter anderem klingt dort »ei« wie »a«. ( – »Haben Sie Aale?« – »Näö, ich habe getzt Zaat!« – »Nicht doch. Ob Sie Aale haben?« – »Ich säöge doch: ich habe getzt Zaat!« – »Aaale! Den Fisch! Aale« – »Aach, Sie meinen Aeöle! Der Herr sind wohl von auswärts?«)



    www.textlog.de/tuc...sa/der-buchstabe-g



    Das Ende: “…Und da sprach Theochen und wechselte dabei vierzehnmal die Stimme:

    »Ick ha jesacht: Aus det Jeklöhne von den Olln mach ick mia jahnischt – det is ja nich jefehrlich! Jestern jabs Jans, und den Onkel nehm ick noch alle Tahre uff de Jabel! Det will 'n jebillter Mann sein? Un wenn ick auch jefeffat den Hintern vollkrieje: der Mann spricht ja Dialekt!«



    Wohl wahr •

    • @Lowandorder:

      Diese Tripelvokale sind so typisch für die Grenze zwischen West- und Ostfälisch und Südniedersächsisch. Müine lippsken Aoultvöddern ham auch so küert. Hochdeutsch ist nichts davon. "Missingsch" heißt die heutige Form. "Sonnahmt" statt "Samstag", und aus "Adé" mal eben "Tschüss" gemacht.

      Das "reinste" (d.h. originärste) Hochdeutsch findet sich vermutlich in den Käffern an der hessisch-thüringischen Grenze - in der Gegend, wo sich Bernd das Brötchen niedergelassen hat. Und das ist angesichts von Höckes seiner Sozialisierung durch die Schriften von Thies Christophersen ("Die Auschwitz-Lüge") auch kein Zufall.

  • Hochdeutsch ist eine Kunstsprache, die weder dem Volk vom Maul abgeschaut wurde, noch von Gelehrten am Schreibtisch entworfen wurde. Hochdeutsch ist die Essenz dessen, worauf sich die Sprachgelehrten als Standard (maßgeblich nach 1945 der Duden, seit 1984 der Rat für deutsche Rechtschreibung) einigen.

    Hochdeutsch 1725: 'Es wird verhoffentlich keinen Beweis erfordern / daß die Erlernung der Teutschen Briefverfassung / eine Sache sey / die wegen ihrer Nothwendigkeit / in dem gemeinen Wesen durchaus nicht in Vergessenheit zu stellen ist.'

  • In welcher Stadt/Region wird dann eine Sprache gesprochen, die dem Hochdeutschen möglichst nahe kommt ? In Süddeutschland nicht, in Sachsen/Thüringen nicht, Brandenburg/Berlin nicht, und im Norden auch nicht. Ich tippe irgendwo zwischen Münster, Bielefeld, Hannover und Magdeburg.



    Oder Regional: von Westfalen (ohne Ruhrgebiet) über Niedersachen (ohne Friesland und die Küste) bis zum nördlichen Sachsen-Anhalt (das wäre Harz und Elbe).

    • @Offebacher:

      "Ich tippe irgendwo zwischen Münster, Bielefeld, Hannover und Magdeburg."

      Alles im niederdeutschen Sprachraum. Der hochdeutsche Einfluss reichte historisch nur bis Paderborn.

      In der von Ihnen genannten Gegend sprach man noch vor gut 100 Jahren wie folgt:



      "De Kroiken und de Kesbern bloihet,



      schneuwitt sind de Stroten bestreujet,



      gellgroin un witt lätt Holt un Hagen,



      un wo was't nau vör veuer Dagen?"

      Verstehen Sie was? Nee? Ich auch nicht. (Gesprochen ist es etwas einfacher - das "oi" klingt wie "öhj".)

  • Ich bin in Hildesheim, etwa 30 Kilometer südlich von Hannover aufgewachsen. Alte Hildesheimer, "Lokal-Patrioten", glaubten, dass nur in Hildesheim echtes Hochdeutsch gesprochen werde. Das Hannoveraner Deutsch enthalte zwei "Fehler".

  • Ok erster Schritt ist gemacht, Hannover absprechen das sie das beste Deutsch sprechen.



    Zweiter Schritt, Osnabrück ins Gespräch bringen :-P

    • @Rikard Dobos:

      Osnabrück?



      „Wenn's rechnät gehn wir mitt'n Schiäm inne Kiäche.“

    • @Rikard Dobos:

      Ich finde den Osnabrücker Akzent wirklich sehr schön, bis in die Dörfer hinein. Aber Hochdeutsch wollen wir es doch wie beim angeblichen Bielefeld nicht nennen. Hildesheim & Co. haben da wirklich bessere Karten.

    • @Rikard Dobos:

      Oder halt Bielefeld ? 🤷🏻‍♂️

      • @EffeJoSiebenZwo:

        Alles nördlich der Benrather Linie, und daher per Definition never ever Hochdeutsch.

        Kassel-Göttingen-Eisenach, das ist die Gegend wo man das "echte" Hochdeutsch findet: dort, wo sich Benrather und Speyerer Linie maximal annähern, d.h. der "steilste" Dialektgradient in Mitteleuropa vorliegt.

        Das "moderne" Hochdeutsch wurde in Sachsen erfunden (konkret: Meißen) und hat einen sehr starken (nord)fränkischen Einfluss. Klingt erst mal total abwegig, aber dfas liegt dran, dass die heutigen Mundarten in dieser Region ein Produkt der Nachkriegszeit sind. Ursprünglich gab es zwischen Hessisch, Thüringisch, Fränkisch und Sächsisch einen fließenden Übergang.

      • @EffeJoSiebenZwo:

        Bielefeld gibbet nicht.

      • @EffeJoSiebenZwo:

        😉