Arzt über Zugriff auf Gesundheitsdaten: „Bei mir liegen sensible Daten“

Arztpraxen werden zur Digitalisierung gezwungen, kritisiert Psychotherapeut Andreas Meißner. Im kommenden Jahr will er Klage einreichen.

Zwei Personen sitzen im Wartezimmer eines Arztes. Es sind nur die Füße zu sehen, eine Person hat Krücken und einen eingegipstes Bein

Patientendaten sind für Unternehmen interessant – umso besser müssen sie geschützt werden Foto: imago/imagebroker/begsteiger

taz: Herr Meißner, Gesundheitsminister Jens Spahn will „Geschwindigkeit, um unser Gesundheitswesen fit zu machen für die digitale Zukunft“. Warum wollen Sie als Arzt nicht dabei sein?

Andreas Meißner: Weil ich Zweifel daran habe, dass sich damit die Gesundheit der Patienten und Patientinnen tatsächlich verbessern wird. Gesundheit lässt sich nicht technisch lösen und schon gar nicht durch zentral gespeicherte Daten.

Sie weigern sich, Ihre Praxis an die für die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorgeschriebene IT-Infrastruktur anzuschließen. Was befürchten Sie?

Einerseits befürchte ich, dass die Daten der Patienten nicht gut geschützt werden. Informatiker sagen, dass es hundertprozentige Sicherheit gar nicht geben kann. Und das ist umso problematischer, weil die Patientendaten zentral gespeichert werden sollen. Andererseits geht es um die Kosten: Die Milliarden, die die Entwicklung der elektronischen Gesundheitskarte und der ganzen IT-Infrastruktur dahinter schon gekostet haben, die hätten wir gut in anderen Bereichen brauchen können. Zum Beispiel in der Pflege oder in der ländlichen Versorgung mit Ärzten.

Die elektronische Gesundheitskarte kennen gesetzlich Versicherte schon jetzt. Ab 2021 kommt, für die Patienten vorerst auf freiwilliger Basis, die elektronische Patientenakte dazu, wo die Gesundheitsdaten zentral gespeichert werden sollen. Dafür müssten Sie als Arzt eigentlich schon jetzt die Infrastruktur installieren. Warum haben Sie sich dafür entschieden, das nicht zu tun?

Ich habe das für mich vor zwei Jahren beschlossen, als bei uns in Bayern das entsprechende Rundschreiben der Kassenärztlichen Vereinigung kam. Das wimmelte von technischen Begriffen, die ich nicht verstanden habe. Und was mir vor allem nicht klar war und bis heute nicht klar ist: Was soll das eigentlich bringen? Und muss ich jetzt noch zum Informatiker werden? Und gleichzeitig zum Juristen? Denn wenn irgendetwas schief geht, dann hafte ich als Praxis.

Geht es Ihnen also vor allem um Geld und Zeit?

Ich glaube, auch wenn wir Ärzte das System einfach installiert bekämen und die Haftung und die Kosten woanders lägen, etwa beim Gesundheitsministerium –, selbst dann würde ich es nicht machen. Denn ich kann nicht garantieren, dass die Daten sicher sind. Und wie soll ich meinen Patienten ein System erklären, dass ich selbst nicht einmal verstehe?

Würden Sie auch so handeln, wenn Sie nicht Psychotherapeut, sondern zum Beispiel Hausarzt wären?

Es stimmt, die Daten, die bei mir liegen, sind besonders sensibel. Diagnosen wie Schizophrenie sind schon etwas anders als Blutwerte. Aber es gibt auch andere Fachgruppen wie Kinderärzte, Augenärzte oder Zahnärzte, die sich weigern. Ich glaube, der zentrale Punkt ist der Zwang. Es gibt den Zwang für uns Ärzte, sich dieser Infrastruktur anzuschließen. Es gibt den Zwang für Patienten, die elektronische Gesundheitskarte zu nutzen. Und den neuesten Zwang hat der Bundestag gerade erst beschlossen: dass nämlich die Abrechnungsdaten aller gesetzlich Versicherten an ein Forschungszentrum am Gesundheitsministerium weitergeleitet werden. Ohne Möglichkeit, dem zu widersprechen. So etwas sorgt für ein grundtiefes Misstrauen.

Derzeit nehmen Sie für Ihre Entscheidung bereits Abzüge vom Honorar in Kauf. Ein Prozent aktuell, ab März werden es zweieinhalb Prozent sein. Tut das weh?

Ich habe eine kleine Praxis mit wenig Personal, daher geht das noch. Aber es tut mental weh. Denn es zeigt: Du bist mit deiner Arbeit nicht wertgeschätzt. Wenn hier der Stuhl nach Urin riecht von chronisch schizophrenen Patienten, dann wünsche ich mir schon mal den Gesundheitsminister an meine Seite.

54, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in München. Er initiierte eine Petition gegen die Pflicht für Arztpraxen, sich der Telematik­infrastruktur anzuschließen. Die Petition ist bis Mitte Januar zur Unterzeichnung offen.

Sie wollen im kommenden Jahr Klage einreichen. Was erhoffen Sie sich davon?

Ich werde einen Widerspruch gegen den Honorarabzug einreichen. Der wird abgelehnt werden, und dann klage ich. Gemeinsam mit anderen, es wird auch Branchenverbände geben, die Musterklagen machen. Ich hoffe vor allem, dass in der Konsequenz der Datenschutz einen höheren Stellenwert bekommt.

Warum gibt es die Klagen erst jetzt gegen die Honorarabzüge und nicht schon früher direkt gegen die Verpflichtung, sich der IT-Infrastruktur in die Praxis zu holen?

Vielleicht haben wir uns als Ärzte da zu lange zurückgelehnt. Und uns auf die Berufsverbände und die Kassenärztliche Vereinigung verlassen.

Sie sind ja nicht nur Arzt, sondern vermutlich ab und an auch Patient. Wie machen Sie das da?

Ja, ich habe auch eine elektronische Gesundheitskarte. Vor kurzem hatte ich einen kleineren Fahrradunfall und musste mit einer Unterarmfraktur erst einmal in eine Bereitschaftspraxis zum Röntgen. Und die Frage war: Wie kommen diese Bilder jetzt auf einem sicheren Weg zu meinem Orthopäden? Ich bin dann noch mal in die Bereitschaftspraxis gefahren und habe mir dort die Bilder auf CD brennen lassen. Das ist natürlich einiges an Aufwand. Und ich habe das Glück, sonst ein sehr gesunder Mensch zu sein. Aber umso wichtiger ist es doch, auch für die Menschen, die das nicht leisten können, ein sicheres System einzurichten.

Ab 2021 müssen gesetzliche Krankenkassen ihren Versicherten die elektronische Patientenakte anbieten. Darin werden beispielsweise verordnete Medikamente, Impfungen und Diagnosen festgehalten. Die Daten sollen auf Servern zentral gespeichert werden. Ärzte, Apotheken und Krankenhäuser müssen sich an die dafür notwendige Telematik-Infrastruktur anschließen. Ärzte, die sich verweigern, bekommen aktuell 1 Prozent ihres Honorars abgezogen, ab März 2020 werden es 2,5 Prozent sein. Patienten sollen nach dem aktuellen Stand selbst entscheiden können, ob sie eine elektronische Patientenakte wollen oder nicht.

Wie könnte das denn beispielsweise aussehen?

Zum Beispiel mit dezentraler Speicherung. Wenn Unterlagen gut verschlüsselt und gesichert – und freiwillig natürlich – auf der Gesundheitskarte gespeichert werden könnten, dann hätten die Patienten jederzeit die Kontrolle darüber. Das muss natürlich so gelöst sein, dass jeder Patient bei jedem Arzt selbst entscheiden kann, was er freigeben will. Jetzt ist es umgekehrt: Wenn jemand beispielsweise in einem Programm für chronisch Kranke ist, dann bekomme ich das beim Einlesen der Karte automatisch mit. Ich weiß also: Aha, die Patientin hat Diabetes. Obwohl ich das als Psychiater überhaupt nicht wissen muss. Wenn Ärztin und Patient aber beide gerne videochatten oder sicher mailen wollen, dann muss das möglich sein. Wir brauchen also etwas Flexibles. Und keinen Zwang mit zweifelhafter Datensicherheit.

In letzter Zeit gab es zahlreiche Fälle, in denen gezeigt wurde, wie leicht angreifbar die IT-Infrastruktur von Arztpraxen ist. Es scheint, dass nicht alle Ärzte das Thema Datensicherheit so ernst nehmen.

Das ist ein Hinweis darauf, dass uns das alles über den Kopf wächst. Für mich ist das ein Argument, zu sagen: Leute, macht mal ein bisschen langsamer!

Aber sind nicht auch die Praxen in der Pflicht?

Ja, auf alle Fälle. Und es gibt sicher Kollegen, die sich für die besten IT-Techniker halten, es aber nicht sind. Aber für alle anderen gilt: Momentan gibt es ja nicht einmal ein Zertifikat, was uns sagen würde: Das hier ist ein fähiger IT-Dienstleister, den kannst du ruhigen Gewissens nehmen, um deine Praxis-IT einzurichten. Jeder Fall einer gehackten Praxis kratzt am Vertrauen, das die Patienten in das Gesundheitssystem haben. Wichtiger ist, nicht noch mehr schwer verständliche Technik da reinzustellen.

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