Artenschutz und Klimakrise: Die Natur der Grünen
Die Grünen wollen Nachhaltigkeit und Macht. Dabei übersehen sie die natürlich gewachsenen Netzwerke des Lebens.
D ie Natur der Grünen ist nicht ökologisch. Sie ist technisch, und das verheißt für den notwendigen Systemwechsel zum Erhalt der biologischen Vielfalt nichts Gutes. Die Forderung nach einem Systemwechsel stammt übrigens von dem Klima- und Umweltwissenschaftler Robert T. Watson, Vorsitzender des Weltbiodiversitätsrats IPBES. Die Weltgemeinschaft brauche einen Neustart, um zu retten, was zu retten ist, fordern Watson und seine Wissenschaftskolleg:innen aus 50 Ländern.
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Die Grünen wollen jedoch keine systemweite Veränderung, die die Lebensbedürfnisse von Tieren, Pflanzen und anderen Lebensformen berücksichtigt. Sie wollen Nachhaltigkeit, also weitermachen wie bisher, nur mit Elektroauto statt Benziner. Ab und zu wallt der Wunsch nach dem Systemwechsel für die biologische Vielfalt auf, wie bei dem Biologen Anton Hofreiter. Doch wenn er vorschlägt, aus ökologischen Gründen keine weiteren Einfamilienhäuser in dichtbesiedelten Regionen und Städten zu bauen, kontert Grünen-Parteichef Robert Habeck: die Grunderwerbssteuer für Privatleute senken, damit sich die grüne Wählerklientel leichter „den Lebenstraum vom eigenen Haus“ erfüllen kann.
Die komplexen Verflechtungen der Natur überfordern die Grünen. Die Parteifunktionäre sind nicht in der Lage, eine politisch-planvolle Strategie für den Erhalt der biologischen Vielfalt zu denken. Denn würden sie den Erhalt der biologischen Vielfalt politisch verfolgen, müssten sie ihr Narrativ von der Energiewende verändern, vermutlich sogar aufgeben. Retter in der Klimakrise zu sein ist aber ihr Alleinstellungsmerkmal.
Die Aura des Retters strahlt, der Schein vom nachhaltigen Leben beruhigt einen erklecklichen Teil der bürgerlichen Mitte, die deshalb die Grünen wählen. Mit Natur- und Artenschutz hat das alles nichts zu tun, auch wenn die Grünen beharrlich behaupten, mit der Energiewende den Klimawandel aufzuhalten und damit auch das Artensterben zu stoppen.
Diese Wirkungskette ist wissenschaftlich nicht belegt. Ausgestorbene Arten und zerstörte Ökosysteme leben auch nach einer hypothetischen Begrenzung der Erderwärmung um 1,5 oder 2 Grad Celsius nicht wieder auf. UN-Generalsekretär António Guterres hat gerade wieder die Weltgemeinschaft aufgefordert, Klimaschutz und den Artenschutz zusammenzudenken. Zusammendenken bedeutet, bei den notwendigen Industrievorhaben wie dem Bau erneuerbarer Energieanlagen die Natur mitzudenken.
Primat der Windkraft
Die Grünen machen das Gegenteil und bereiten auf Bundesebene bereits die Gesetzesänderungen im Natur- und Artenschutz vor, die sie dann bei einer Regierungsbeteiligung ab Herbst umsetzen wollen. Wie sie sich das vorstellen, zeigen die Grünen in Hessen. In einem Erlass haben Umweltministerin Priska Hinz und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir Anfang des Jahres festgelegt, dass Windkraftanlagen grundsätzlich wichtiger seien als der Schutz von Vögeln, die durch die Anlagen sterben könnten. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat diesen Erlass gekippt und festgestellt, dass Gerichte sich nicht an die Vorschrift halten müssen.
Hinz und Al-Wazir haben vorsorglich im Januar 2021 auch die Abstandsregelung von Windrädern zu den Horsten von Rotmilanen um 500 Meter auf 1.000 Meter gesenkt. Bundesweit gilt noch die 1.500-Meter-Abstandsregel, die erst 2015 nach jahrelangen Verhandlungen der staatlichen Vogelschutzwarten untereinander im „Helgoländer Papier“ als Kompromiss gefunden wurden. Die Grünen in Hessen zeigen auch bei ihren Bebauungsplänen für den Reinhardswald, dass sie lieber einen industriellen Windpark kontrollieren als ein natürliches Ökosystem erhalten, das von Natur aus Tausende Tonnen CO2 speichert.
Auf Bundesebene haben die Bundestags-Grünen mithilfe der Windkraftlobbyisten der Verbände in Berlin-Mitte ein Strategiepapier zum Ausbau der Windenergie erarbeitet. Bedrohte Arten wie Schreiadler oder Rotmilan werden darin zu „windenergiesensiblen Tierarten“, den Tod geschützter Vogelarten nennen die Grünen „negative Auswirkungen auf windenergiesensible Tierarten“. „Windenergiesensibel“ passt gut in die grüne Wohlfühlrhetorik, die im Grundsatzprogramm von „unserer Natur“ und „unseren Lebensgrundlagen“ spricht.
Bedrohte Schutzgebiete
Das Ziel des Grünen-Strategiepapiers ist es, das gesetzliche Tötungsverbot bedrohter Tierarten im Bundesnaturschutzgesetz zu umgehen. Außerdem wollen sie die deutschen und europäischen Naturschutzgesetze aussetzen. Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, die Vogelschutz-Richtlinie oder auch die internationale Ramsar-Konvention zum Schutz von Feuchtgebieten hemmen noch den Bau von Windenergieanlagen in Wäldern und Mittelgebirgen und an Seeufern. Für die Grünen existieren diese Meilensteine des internationalen Artenschutzes nicht mehr, sondern sie erfinden in ihrem Strategiepapier „Dichtezentren besonders konfliktträchtiger Vogelarten“.
Nur zum Verständnis: Ein „Dichtezentrum“ wäre zum Beispiel das Rastgebiet von wandernden Vogelarten an der Ostsee. Noch sind solche Gebiete nach international gültigen Richtlinien und deutschen Gesetzen geschützt. Die Grünen im Aufwärmlauf für die nächste Bundesregierung sprechen den gesetzlich geschützten Tierarten schon mal die über Jahrzehnte von Naturschützern erkämpften Rechte ab.
Die Grünen wollen „gestalten“, wie Robert Habeck beständig wiederholt. Und sie wollen 2 Prozent der Landesfläche Deutschlands mit Windkraftanlagen bebauen. In ihrem Willen nach Umbau, nach Kontrolle und Macht ist kein Platz für die natürlich gewachsenen ökologischen Netzwerke des Lebens. Doch die Fixierung der Grünen auf den Klimawandel ist unterkomplex und gestrig angesichts der Erkenntnisse zum Artensterben. Das ist umso tragischer, als die noch amtierende Bundesregierung bislang nicht einmal versucht hat, die Klimaschutzziele umzusetzen.
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