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Armut in DeutschlandWohnen wird zum Luxus

Jasmin Kalarickal
Kommentar von Jasmin Kalarickal

Schaut man auch auf die Wohnkosten, sind in Deutschland viel mehr Menschen von Armut bedroht, als bisher angenommen. Dagegen hilft nur gute Politik.

Bezahlbarer Wohnraum ist rar Foto: Frank Sorge/imago

W er eine neue Wohnung suchen muss – sei es wegen eines neuen Jobs, einer Zwangsräumung oder weil man einen barrierefreien Zugang braucht –, dem kann man nur wünschen: Viel Glück. Jeder weiß, es macht einen Unterschied im Portemonnaie, ob man einen zwanzig Jahre alten Mietvertrag hat, oder ob man im Jahr 2024 unterschreibt.

Dass Wohnkosten bei üblichen Statistiken zur Armut keine Berücksichtigung finden, ist eigentlich kaum zu begreifen. Gut, dass der Bericht „Wohnen macht arm“ der Paritätischen Forschungsstelle das endlich aufgreift. Mit einer neuen Berechnungsmethode wurden erstmals die verfügbaren Einkommen nach Abzug der Wohnkosten berücksichtigt.

Das Ergebnis: Damit sind 5,4 Millionen mehr Menschen armutsgefährdet. Besonders trifft es junge Erwachsene, Rent­ne­r*in­nen, Alleinerziehende. Das ist zutiefst entsetzlich und wenig überraschend zugleich. Viele Haushalte sind mit Wohnkosten überbelastet, es fehlen bezahlbare Wohnungen, Menschen rutschen in Altersarmut.

Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken

All das sind keine neuen Erkenntnisse. Der Bericht bestätigt im Grunde, was viele in ihrem Alltag seit Jahren spüren: Das Grundbedürfnis Wohnen ist zum Luxus geworden.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der es normal ist, Menschen in die Obdachlosigkeit zu räumen. Selbst die Zukunft der Mietpreisbremse ist ungewiss. Dabei ist klar, es braucht viel mehr: Armutsbekämpfung muss gute Löhne und eine Wohnungspolitik umfassen, die das Allgemeinwohl wieder in den Fokus rückt.

Dafür braucht es neben konkreten Einzelmaßnahmen auch ein gesellschaftliches Umdenken: Lieber führt man die x-te Bürgergelddebatte, anstatt über Steuerschlupflöcher von Immobilienkonzernen zu sprechen. In einer Zeit, in der der Wohnungsbau stockt, die Zahl der Sozialwohnungen weiter sinkt und die Mieten weiter steigen, wird die Idee eines zeitlich befristeten bundesweiten Mietendeckels immer noch als kommunistisches Schreckgespenst bemüht. Die Immobilienlobby scheint gute Arbeit geleistet zu haben.

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Jasmin Kalarickal
Redakteurin
Jahrgang 1984, ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.
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13 Kommentare

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  • Größtes Problem: zu wenig Wohnungen.



    Das kann man nur lösen, wenn man die Bauwirtschaft bauen, die Wohnungswirtschaft wirtschaften und die privaten Vermieter auch vermieten lässt.



    Aktuell werden die Bauwirtschaft mit Vorschriften erdrosselt, die Wohnungswirtschaft vom deutschen Markt vertrieben und private Vermieter als Kapitalgeber für neuen Wohnungsbau verscheucht.



    Und Überraschung: es werden ganz wenige Wohnungen gebaut.

  • Immer mehr erinnert mich unser Wirtschaftssystem an das der DDR. Immer öfter muss man feststellen, dass der real existierende Kapitalismus nicht in der Lage ist, Grundbedürfnisse zu befriedigen. So z.B. das Wohnen. Aus vielfältigen Gründen ist es augenscheinlich nicht möglich, Wohnungen zu bauen. Wie seinerzeit in der DDR.

  • Die Diagnose ist richtig, die Heilmethode jedoch saugefährlich.

    Für bezahlbaren Wohnraum muss in erster Linie das Hausbauen wieder bezahlbar werden. Und da hakt es, sogar noch mehr als in den sonstigen Bereichen der Bundesrepublik Deutschland, extrem an den Vorschriften.

    Ähnlich absurd: Es wird von den Vermietern mittelfristig verlangt, die Dämmungen zu erhöhen, die Heizung umzustellen und die Miete gern zu senken.

    Neue Vorschriften oder die Verlängerung der alten, helfen mittel- und langfristig garantiert nicht.

  • Wohnen wird nicht zum Luxus.

    Wohnen ist für fast jeden Luxus, jedenfalls in Deutschland. Hier hat man weltweit mit die meiste Wohnfläche pro Person und im Vergleich zu vor 50 Jahren hat sich diese auch noch verdoppelt. Bei doppelt so großen Wohnungen ist es auch nicht verwunderlich, wenn diese einen größeren Teil an den Ausgaben ausmache.

    Vor diesem allgemeinen Luxus-Hintergrund sind die Zustände für Wohnungslose und Menschen in Armut, die kein Wohngeld beziehen noch mal wesentlich heftiger zu beurteilen. Die Wohnungspolitik muss dort ansetzen.

    Der Rest, sollte er auch Wohnfläche über den Durchschnitt haben, wird mit dem Luxus, den er hat, schon klar kommen

  • Das Wohnraummietrecht gibt dem Mieter weitgehenden Schutz, allerdings nicht vor den Mechanismen des Marktes. Derart grundlegende, existentiell wichtige Güter wie das Dach über dem Kopf, dürfen nicht alleine über den Markt verteilt werden, der Staat muss Beschränkungen einbauen und auch selbst stärker als Player auftreten. Hierbei muss unterscheiden werden ziwschen Luxusimmobilien und einfachen Mietwohnungen. Absurderweise spielen staatliche Gesellschaften ja auch im Luxussegment mit, das ist aber eine völlige Mißinterpretation der Rolle des Staates hier. Dieser soll eine ausreichende Grundversorgung mit bezahlbarem Wohnraum gewährleisten und nicht selbst zum Immobilienhai werden.

  • Ich oute mich mal als Vermieter. Leider muss ich als (natürlich absolut toller Vermieter) festhalten, dass es sicher auf Vermieterseite aber vor allem eben auch auf Mieterseite einfach ganz üble Typen gibt. Dass manche Vermieter schlicht keine Lust mehr haben zu vermieten ist Teil des Problems. Ursächlich, weil der Respekt vor dem Besitz eines Anderen manchmal sehr wenig ausgeprägt ist. In viel zu vielen Bereichen auch außerhalb des Wohnungsmarktes zu beobachten. Respektlosigkeit.

  • Wärst Du nicht reich, wär ich nicht arm.



    Wir haben sehr viel Fläche pro Nase.



    Wir müssen an der Effizienz arbeiten.

    Straßenfläche von Parkplatz wieder zu Spielplatz. Das Kinderzimmer ist dann wieder genau fürs Schlafen und die Hausaufgaben da.

    Häuser im Lebenszyklus wechseln (in anderen Ländern normal) oder Einliegerwohnungen, Studizimmer, Montagezimmer, echtes Airbnb, um die riesengroße Fläche auch zu nutzen. Oma Traudel wird ausziehen, wenn in der Nähe kompakte barrierefreie Räume bezahlbar vorhanden sind und freut sich über weniger Arbeit.

    Weniger Ressourcen und Platz in Asphaltstraßen und -parkplätzen versenken, Baulücken schließen, ungenutztes Eigentum (Erbenstreit oder Hai) rascher vermieten.



    Wohnformen mit gemeinsam genutzten Räumen und Dingen.

    Und wie bei vielem: wieder von oben nach unten verteilen statt andersherum. Dann können sich auch mehr ihre Zimmer leisten. Der Großbonze mit den privaten Swimmingpools in feinster Lage wird angemessene Steuern auch ertragen können.

  • Sehr guter Kommentar, aber es fehlt der Hinweis, dass SPD Grüne, CDU und FDP sich das Problem mehr oder weniger schönreden. Allein die Idee eines Vermieterführerscheins bei den Grünen, man könnte vor Wut auf die Füsse stampfen.

    Denn es braucht ein riesiges soziales Bauprogramm des Staates wie in den siebziger Jahren in der DDR und BRD. Bezahlt mit einem riesigen Sondervermögen. Alles andere ist Augenwischerei. Zudem neue Gesetze, die Spekulation mit Immobilien und Wohnungen massiv bekämpfen, riesige Gewinne bei Immobilienkonzernen abschöpfen oder sie verstaatlichen.



    Vor allem gilt es, dass die Medien den Parteien bei dem Thema richtig auf den Zahn fühlen, damit z. B. die SPD mit ihrer desolaten Wohnungsbaupolitik nicht durchkommt.



    In Hamburger reicht z. B. der riesige Hamburger Baukonzern Saga Millionengewinn aus den staatlichen Wohnungen nicht an Mieter zurück. Die Wohnungsnot und die enorm gestiegenen Mieten schreien zum Himmel!

  • Was Wahlverhalten gerade der jungen Leute belegt, dass sie keine Regulierungen im Immobilienmarkt wollen. Die AfD ist bekanntlich gegen jegliche Regulierung in diesem Kontext (die "Großartigkeit" dieser Position belegt ein Blick auf den liberalsten Immobilienmarkt des Kontinents in London), und die Union bekämpft solche Regulierungen ebenfalls nach Kräften.



    Und ich sag mal so: Die vornehmste Aufgabe der Demokratie ist es, den Wählern das zu geben, was sie wollen.

    • @Kaboom:

      die vornehmste aufgabe der demokratie ist es, ihre schwächsten mitglieder zu schützen und auch weitgehend mittellosen menschen teilhabe zu ermöglichen.

    • @Kaboom:

      welche der angedachten Regulierungen schafft denn Wohnraum?

    • @Kaboom:

      "Die vornehmste Aufgabe der Demokratie ist es, den Wählern das zu geben, was sie wollen."

      Bald ist ja Weihnachten, ähm sind Wahlen.