Geschlechtsidentität im Gesetz: Esoterische Vorstellung
Das Selbstbestimmungsgesetz führt einen Geschlechtsbegriff ein, der dazu beiträgt, dass sexistische Stereotype nicht mehr hinterfragt werden.
D urch den Text des Selbstbestimmungsgesetzes werden die Begriffe „nichtbinär“ und „Geschlechtsidentität“ aus dem queeren Szenejargon in den bundesrepublikanischen Common Sense gehoben. Damit wird Geschlecht offiziell zu einer Sache der Innerlichkeit – eben der Identität – und von der Körperlichkeit vollständig losgelöst. Geschlecht als Geschlechtsidentität gibt keine Auskunft darüber, was Geschlecht ist, sondern lediglich darüber, wie und wo es sich ausdrückt.
Unterstellt wird damit, dass Geschlechtsidentität ein allgemeines, auf alle Menschen zutreffendes Phänomen ist; jeder Mensch besäße eine Geschlechtsidentität, die existenzieller Teil seines Lebens und deren Anerkennung damit ein Menschenrecht ist. Bei den transgeschlechtlichen und nichtbinären Menschen stimme der Geschlechtseintrag lediglich nicht mit der Geschlechtsidentität überein. Implizit wird unterstellt, dass sogenannte „cis“-Menschen ihre „Identität“ ausdrücken könnten, ohne diskriminiert zu werden.
Das führt eine Vorstellung von Geschlecht ein, die auf der totalen Vergeschlechtlichung des Subjekts basiert. Die Geschlechtlichkeit wird ins tiefste Innere verlagert, aber auch alles Innerliche – jede Regung – kann Anlass der Geschlechtsidentität sein. Die These von der Verschmelzung des Subjekts mit seinem Geschlecht ist nun in Gesetz gegossen.
Keine körperlichen, sondern geistige Pole?
Das trägt dazu bei, dass die geschlechtliche Konnotierung von Verhaltensweisen und damit sexistische Stereotype nicht mehr hinterfragt werden. Das wird am Beispiel der Nichtbinarität deutlich: Um dazwischen zu sein, braucht es zwei Pole. Diese Pole werden jedoch nicht als körperliche angesehen, sondern als Pole des Geistes, eben der männlichen und weiblichen „Identität“.
Die Einordnung im geschlechtlichen Dazwischen basiert auf der Vorstellung idealer Männlichkeit auf der einen und idealer Weiblichkeit auf der anderen Seite. Es gäbe tatsächlich konkrete Menschen, die ideal männliche Männer und ideal weibliche Frauen seien: Die Nichtbinarität basiert auf dem Glauben an konkret gelebte Binarität. All jenen, die also keine Änderung ihres Geschlechtseintrags oder ihres Namens vornehmen, wird damit zwangsläufig unterstellt, sich mit den sexistischen Stereotypen harmonisiert zu haben. In der Welt der Geschlechtsidentität gibt es keinen Sexismus und seine Kritiker, sondern nur unvereinbare Identitäten.
Das SBGG betrifft damit, anders als behauptet, tatsächlich jeden Menschen: Es tätigt implizit eine Aussage darüber, wie sich Geschlecht allgemein ausgestaltet, nämlich als Identität, und erweist sich damit als in Übereinstimmung mit esoterisch-sexistischen Geschlechtervorstellungen. Esoterisch sind jene Lehren, die behaupten, nur von „innen“ her verstehbar zu sein. Anders als die Exoterik, mit der man allgemein zugängliches Wissen beschreibt. Zugang zu einer von der Körperlichkeit völlig abgelösten Geschlechtlichkeit zu behaupten, die man nur selbst so erfahren könne, entspricht der esoterischen Denkweise. So ist die Forderung, alle müssten der Selbstaussage Glauben schenken und dies müsse sich auch gesetzlich manifestieren, die Manifestierung der „Geschlechtserkenntnis von innen“.
Sexualität schwebt nicht als Entität über den Menschen
Bisher drückte Geschlechtlichkeit ein Verhältnis zwischen einem Individuum und der Gesellschaft aus – als Frau bezeichnet man jene Menschen, die im Verhältnis der Produktion des Lebens zum Austragen eines Kindes potenziell in der Lage sind. Das nun eingeführte Geschlechtsverständnis impliziert, dass die Geschlechtlichkeit eines Menschen bar jeden Verhältnisses zwischen diesem, dessen Körperlichkeit und der Gesellschaft ist: Geschlechtlichkeit ist also nicht ein Verhältnis zwischen ihm und seiner Umwelt, sondern in ihm.
So wenig wie Sexualität eine Identität ist, ist es Geschlecht, was nicht bedeutet, dass beides bei einzelnen Individuen nicht identitär aufgeladen werden kann. Lesbisch ist man, weil man als Frau in ein sexuelles Verhältnis mit anderen Frauen tritt. Die esoterisch-identitäre Variante besagt jedoch: Die Sexualität wie die Geschlechtlichkeit schwebt als Entität über den Menschen, und jeder kann Zugang dazu erhalten, jeder kann sich dem Lesbischen oder Weiblichen verbunden fühlen und dementsprechend lesbisch als auch weiblich sein, egal wie er selbst anatomisch ausgestattet ist. Das Entscheidende ist die weibliche bzw. lesbische Gefühlswelt. Der Zugang, den ein Mensch zu der weiblichen/lesbischen Entität hat, könne klassisch esoterisch von anderen nicht nachvollzogen werden, weswegen diese darüber zu schweigen hätten.
Ausschluss und Feindlichkeit sind nicht bedeutungsgleich
Die Behauptung von „Geschlechtsidentität“ ist hier das trotzige Beharren auf Teilhabe und das Nichtanerkennen der Begrenztheit eigener Möglichkeiten: Auch als Mann möchte man Teil lesbischer Zusammenschlüsse sein. Es ist zum Common Sense geworden, es als Transfeindlichkeit zu bezeichnen, wollen andere diesem Beharren nicht nachkommen. Hier muss man auf ein weiteres Verhältnis eingehen. Das zwischen Ausschluss und Feindlichkeit. Beide Phänomene sind nämlich nicht bedeutungsgleich. Transmenschen auszuschließen bedeutet nicht, der Existenz dieser Individuen feindlich gegenüberzustehen, sondern schlicht, gewisse Räume nicht mit ihnen teilen zu wollen.
Das Hausrecht soll zwar formell Handlungsfähigkeit gewährleisten, doch das kann faktisch durch Klagen und hohe Entschädigungszahlungen zermürbt werden. Die Umsetzung des Gesetzes in Australien könnte hier Präzedenzfälle geschaffen haben. Eine Transfrau durfte hier nicht abgewiesen werden, weil sie vor dem Gesetz als Frau gilt, ihr Ausschluss sei eine Diskriminierung.
Sollte sich diese Einschätzung in Deutschland durchsetzen, leben wir in einer Welt, in der der Staat darüber entscheidet, ob und wie sich Frauen miteinander treffen. Das ist unzulässig und Widerstand daher geboten.
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