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Bundeskongress Grüne JugendZwischen Klassenkampf und Klimapolitik

Jette Nietzard und Jakob Blasel sind das neue Bundesprecher-Duo. Es gibt viel Kritik an den Ehemaligen und einen großen Wunsch nach mehr Klimapolitik.

Jakob Blasel und Jette Nietzard sind die neugewählten Bundesvorsitzenden der Grünen Jugend Foto: Sebastian Willnow/dpa

Berlin taz | „Hoch die internationale Solidarität!“ grölen am Samstagvormittag eine Hand voll junge Grüne in einer Turnhalle im Leipziger Osten. Dort findet vom 18. bis 20. Oktober der Bundeskongress des grünen Jugendverbands statt. Die Parole, die ursprünglich auf die Ar­bei­te­r*in­nen­be­we­gung zurückgeht, wurde von einem der Redner auf dem Podium im Vorlauf zum Beschluss des Leitantrags, angestimmt. Nicht alle im Saal grölen mit. Denn mit dem Leitantrag, der die künftige politische Linie der Grünen Jugend festlegen soll, sind nicht alle zufrieden. Das zeigten die vorgebrachten Änderungsanträge, die einen fehlenden klimapolitischen Fokus bemängelten.

Daran lässt sich der Zustand des grünen Jugendverbandes illustrieren: Dieser ist gespalten, nachdem der bisherige Bundesvorstand Ende September seinen Rücktritt und Austritt bei den Grünen bekannt gegeben hatte. Die Ehemaligen, unter ihnen auch einige Mitglieder der jeweiligen Landesvorstände, wollen nun unter dem Motto „Zeit für was Neues“ eine neue linke Jugendorganisation gründen. Der ausschlaggebende Grund war das ständige Hadern mit den vielen Kompromissen, die die Grünen in der Bundesregierung eingegangen sind. Zudem kritisierten sie einen fehlenden Fokus auf sozialpolitische Themen.

Beim Bundeskongress wollen sich die Verbliebenen am Wochenende neu aufstellen. Die meisten Red­ne­r*in­nen betonen mehr als nur einmal, dass sie im Gegensatz geblieben sind. Bereits beim Auftakt am Freitag zeigte sich, dass großer Unmut über die abtrünnigen Ver­bands­ge­nos­s*in­nen herrscht. Dort sprachen sich die Mitglieder gegen eine Entlastung des bisherigen Vorstands aus und kritisierten diesen für die Vernachlässigung des grünen Hauptthemas Klimaschutz und warfen ihm vor, sich an „linker Zersplitterung“ beteiligt zu haben.

Am Samstag, dem zweiten Tag des Kongresses, ist die Stimmung noch immer angespannt. Nachdem über den Leitantrag debattiert wurde, folgte die Wahl der neuen Bundesvorsitzenden. Künftig werden Jette Nietzard und Jakob Blasel als Bundesprecher-Duo an der Spitze der Grünen Jugend stehen.

Kein Bock auf Kohledeals

„Andere sagten die letzten Wochen, wir seien verloren. Doch diese volle Halle sagt das Gegenteil“, eröffnet der aus Kiel stammende Jakob Blasel seine Rede. Blasel ist ein bekanntes Gesicht aus der Klimabewegung rund um Fridays for Future. Die Kritik des ehemaligen Bundesvorstands an der Ampel und den Grünen teilt er zwar, doch „politische Utopien erreicht man nicht durch Kapitulation“, sagte er auf dem Podium.

Das Klimathema steht in Blasels Rede im Vordergrund. „Während das Wasser in die Keller unserer Großeltern steigt, baggert RWE mit dem Segen der Grünen Lützerath ab“, so der 24-Jährige. Dass die Grünen daraufhin Kohledeals zusagten und Abstriche beim Klimaschutzgesetz als Erfolg verkauft hätten, bezeichnet er als „peinlich.“ Auf Ausreden habe er keinen Bock mehr. Neben dem Klimaschutz will Blasel für eine humane Asylpolitik und soziale Gerechtigkeit eintreten.

Blasel zufolge sei zu viel Vertrauen verspielt worden, das wolle er nun zurückgewinnen. Als er nach seiner Rede gefragt wird, wie er das Image der jungen Grünen nach den Austritten wieder ändern wolle, reagiert er optimistisch. Veränderungen würden leichter werden, wenn sich die jungen Grünen gesprächsbereit zeigen, ohne dabei ihre Positionen in Richtung Mutterpartei zu verrücken.

Menschenwürde statt Obergrenzen

Die Kritik an der Mutterpartei machen die jungen Grünen vor allem beim Thema Asyl konkret. „Wenn Menschen in der Bundesregierung mir erzählen, wir bräuchten Obergrenzen, wir müssen schneller abschieben, dann möchte ich sie anschreien!“, sagt die zweite neue Sprecherin, Jette Nietzard, auf dem Podium. Statt Obergrenzen, brauche es Menschenwürde.

Nietzard betont den strukturellen Charakter von politischen Problemen wie Armut, hohen Mieten und sozialer Ungleichheit. Eine Politik, in der „die Löhne steigen, statt die Zahl der Milliardäre“ ist laut der 25-Jährigen möglich. Das unterscheidet sie von den abtrünnigen jungen Grünen, die auch soziale Gerechtigkeit fordern, aber nicht mehr daran glauben, dass die Grünen sie verwirklichen kann.

Der gemeinsame Feind stehe zwar immer rechts der Mitte und nie links, aber, wenn jemand eine neue Mitgliedschaft haben wolle, dann solle man in die Gewerkschaft eintreten – ein Seitenhieb auf die Ausgetretenen. An der Spitze des neuen Bundesvorstands scheint Jette Nietzard für die sozialpolitische Komponente sorgen zu wollen. Auf ihrem TikTok Kanal wirbt sie zudem für feministische Themen.

Wieder mehr Klimapolitik

Im taz-Gespräch vertiefen Mitglieder der grünen Jugend ihre Kritik am vorigen Bundesvorstand. Patrick Vexler vom Kreisverband Stuttgart nahm den letzten Bundesvorstand als „weniger offen“ als seine Vorgänger wahr. Diesem wirft er vor, innerhalb seiner Amtszeit versucht zu haben, eine Parallelorganisation aufzubauen. Dafür seien die Verantwortlichen jedoch nicht gewählt worden. Auch Mario Dietel vom Kreisverband Hohenlohe übt Kritik. Als Grüne Jugend solle man sich nicht in Marx Lesekreisen und abstrakten Debatten verlieren. Das würde bei den Menschen nicht ankommen.

Auf dem Bundeskongress wurden längst nicht alle Fragen geklärt, die Zukunft des Jugendverbands ist noch ungewiss. Sie steht irgendwo zwischen Klassenkampf und Klimapolitik. Aber es wird klar, dass sich viele der grünen Jugend wieder einen größeren Fokus auf Klimapolitik wünschen.

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19 Kommentare

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  • Zwischen Klassenkampf und Klimapolitik?



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    Klimapolitik IST Klassenkampf. Nur in INTERNATIONALEN Dimensionen!



    Ähnlich wie vor Jahrhunderten im Lohn, Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Urlaub, Wohnen uvam. gekämpft werden musste, ist es HEUTE nötig "fürs Klima zu kämpfen"!



    Maßlose Gewinn-Gier & maßloser Konsum "WENIGER"ruinieren unsere Erde sicht- & spürbar, für jede/n die/der hinschauen will & noch Fakten wahrnehmen kann!



    Und deswegen wäre "internationale Zusammenarbeit" heute wirklich "angesagt"!



    "Ein Gespenst geht um in Europa & der Welt! Das Gespenst des Klimawandels, Arbeiter alles Länder, vereinigt EUCH!..."



    Gerade WEIL uns die nationalen & internationalen Profiteure heute lautstark "das Gegenteil" erklären wollen, wissend, dass DAS Fake-News sind, um IHRE Gewinne zu sichern.



    Frei nach dem Motto: Einen trockenen, warmen, friedlichen Platz werden WIR mit unserem Geld schon finden!



    "Danach, wir sind dann mal weg, für den Rest, die Sintflut!" :-((



    Ist schon traurig, wie viele Leute bewusst wegsehen wollen & für ein paar kurzfristige Vorteile, langfristige Ziele verkaufen! :-(



    Na ja. Diesmal wir niemand zum Schluss sagen können. "Das wollten wir nicht, Wir haben nix gewusst!"

  • Jugendorganisationen, die zur subversiven Kraft in der eigenen Partei werden kann man nicht brauchen. Aus diesem Grund bin ich froh, dass der neue Vorstand sich den gleichen, trivialen Schlagwörtern & Themenschwerpunkten widmet und damit nicht vom Konfrontationskurs mit der Mutterpartei abweicht, auch wenn man natürlich anderslautende Lippenbekenntnisse verlautbaren lässt.

    Gemeinsam werden Blasel & Nietzard einen Beitrag dazu leisten die Grünen wieder in den einstelligen Prozentbereich zu bringen, meine Unterstützung haben sie. Das nächste Ziel ist der 5%-Limbo.

  • "Dort sprachen sich die Mitglieder gegen eine Entlastung des bisherigen Vorstands aus und kritisierten diesen für die Vernachlässigung des grünen Hauptthemas Klimaschutz und warfen ihm vor, sich an „linker Zersplitterung“ beteiligt zu haben."



    Linke Zersplitterung und falsch verstandene oder übertriebene Identitätspolitik sind ein Thema, das anderswo schon viel weiter fortgeschritten ist und zu tieferen Gräben und unüberbrückbaren Zerwürfnissen geführt hat:



    Yascha Mounk hat darüber geforscht und publiziert, das ist mühsam im "sich durch Lesen Erarbeiten", lohnt aber, auch wenn es Reibungspunkte gibt. Die Grünen sollten nicht in die Fallen der Rechten tapsen.



    taz.de/Buch-ueber-...spolitik/!5995957/



    Alles auf eine Karte zu setzen ist eher etwas für Hasardeur:innen.



    Das Buch heißt übrigens: "Zwischen Woke und Wahnsinn"...

  • „ kritisierten diesen für die Vernachlässigung des grünen Hauptthemas Klimaschutz …“

    Und dann, zumindest laut Berichterstattung, wird in den Reden alles mögliche andere thematisiert. Das muss der grüne Humor sein.

  • Es stünde der Redaktion gut zu Gesicht, die Autorin im Rahmen der Netiquette darauf hinzuweisen, dass man die Vokabel "grölen" durch "skandieren" ersetzen kann. Weniger abwertend, einfach sachlicher.

    • @Trabantus:

      Waren Sie dabei? Vielleicht haben die jungen Leute tatsächich gegrölt. Bei Fußballfans kommt ja auch niemand auf die Idee, deren gegröle als skandierend zu bezeichnen.

    • @Trabantus:

      Danke. Der Ausdruck hatte mich auch gestört.

  • Die moralische Selbstüberhöhung ist die Achillesferse aller Organisationen links der Mitte. Sie macht sie äußerlich für einen grossen Teil der Bevölkerung unsympathisch und unwählbar, sie weckt die teils aggressive Ablehnung und innerlich führt sie zu erbitterten Grabenkämpfen und Selbstzerfleischungen, was regelmäßig in Zersplitterungsaktionen endet. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Moralischste im ganzen Land?



    Rechts der Mitte lehnt man sich entspannt zurück und schaut dem munteren Treiben belustigt zu.

  • Ich bin 62 und ich *feiere* die neuen Vorsitzenden der Grünen Jugend. Sie machen mir Hoffnung dass sich die Grünen vielleicht doch noch daran erinnern, wofür sie einst angetreten sind.

    • @Wolfgang Pest:

      Feiere mal schön. Ich bin 64 und sehe es ganz anders. Diese Grüne Jugend stampft mit dem Fuß auf und schreit: Ich will! Dass die Grünen in einer Koalition sind, in der man damit nicht das alles erreichen kann blenden sie aus. Sie greifen die eigene! Partei an, anstatt auf die anderen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen einzugehen, die Veränderung erschweren.

  • "Eine Politik, in der „die Löhne steigen, statt die Zahl der Milliardäre“ ist laut der 25-Jährigen möglich."



    Viel mehr als die letzten zehn Jahre können die Löhne nicht mehr steigen, es hilft nur nix wenn gleichzeitig die Inflation und die sozialen Abgaben galoppieren...🤷‍♂️



    Sparer sind da auch die Idioten.



    'Mehr mehr mehr' ist keine Politik sondern Gießkanne - mehr Bürgergeld, mehr Mindestlohn, mehr Sozialstaat hat uns dahin gebracht wo wir jetzt sind...



    Es braucht nicht mehr Ausgaben sondern eine deutliche Diät: Bürokratieabbau, klare Strukturen, kurze Hierarchieketten.



    Es wurde noch nie so viel Geld sinnlos verpufft wie jetzt (teuerstes Parlament, immer mehr Beamte, etc...) - denn es standen noch nie in der Geschichte der BRD so viele Steuereinnahmen wie in der letzten Dekade zur Verfügung und trotzdem wachsen die Lücken und offensichtlichen Mängel in der tatsächlichen Versorgungsleistung des Staates kontinuierlich an.



    'Mehr mehr mehr' ist nicht innovativ, das ist klassische 'einfach weiter so' Politik - die brauchen wir nun wirklich nicht 🙄

  • "Blasel zufolge sei zu viel Vertrauen verspielt worden"

    Mir gefällt die Konsequenz des ehemaligen Bundesvorstandes eher. Manchmal ist ein Neustart besser als der Versuch abgenutztes wiederzubeleben.

  • Woran erinnert mich diese Geschichte mit der Grünen Jugend bloß?



    Ach ja, 1982, der Koalitionsbruch der FDP mit der SPD, das Abrücken der Jungdemokraten als politische Jugendorganisation von der FDP.



    Ingrid Matthäus-Maier, Günther Verheugen, es waren nicht die schlechtesten Sozialliberalen, die die politische Schule der Judos durchlaufen hatten.



    de.m.wikipedia.org...che_Jungdemokraten



    Und dann: der Rauswurf des Sozialistischen Hochschulbundes (SHB) 1972 aus der SPD, nachdem dieser erst einige Jahre zuvor den SDS als sozialdemokratische Hochschul-Organisation beerbt hatte.



    de.m.wikipedia.org...cher_Hochschulbund



    Das waren noch Zeiten! Wer erinnert sich noch daran?

    • @Abdurchdiemitte:

      Das waren noch Zeiten! Wer erinnert sich noch daran?



      ---



      Das ist doch alles selbst erlebte Zeitgeschichte! Aus der "Geschichte lernen heißt SIEGEN lernen!" :-)



      Und die GESCHICHTE lehrt das z.B. die SPD seit ihrer Gründung, immer wieder den "Linken Flügel" verloren hat!



      Bis Sie von den Konservativen nicht mehr zu unterscheiden war!



      In Merkels Zeit, haben die "Herz-Jesu-Sozialisten" weite Teile der SPD oft weit links überholt!



      Siehe dazu Geschichte der SPD!



      Doch nicht die, die die Partei so schrieb, die ist parteiisch. Nimm die von verschiedenen Historikern, die haben auch Tendenz, aber wenn d/W/m einige vergleicht, gleicht sich das aus! ;-)

  • Ein größerer Fokus auf die Klimapolitik? Das passt zu den „alten“ Grünen: Umwelt, Landwirtschaft, Artenschutz, Asyl, Soziales fallen hinten runter. Landwirtschaftspolitik wird auf weniger Tierhaltung verengt, Migration könne durch besseren Klimaschutz verhindert werden, sozial ist was Arbeit schafft, solange es irgendwie als „grünes Wachstum“ verkauft werden kann. Greenwashing können andere auch, das hat keine Zukunft.

  • Ich wünsche Ihnen viel Erfolg (auch wenn ich davon bei den aktuellen Mehrheiten der Bevölkerung eher nicht ausgehe)



    Am Ende bekommen sie die Wähler die ihre Politik Ihnen möglich macht

  • Wenn das Wasser im Keller seiner Oma steigt heisst das 1. der Grundwasserstand normalisiert sich und 2. Ihr Keller wurde schlecht gebaut.

  • Was für ein Geschwafel: "Veränderungen würden leichter werden, wenn sich die jungen Grünen gesprächsbereit zeigen, ohne dabei ihre Positionen in Richtung Mutterpartei zu verrücken"

    Wie kann man in einen einzelnen Satz einen solch krassen Widerspruch packen?

    • @Andere Meinung:

      Wo ist der Widerspruch? Die Veränderungen müssen halt in andere Richtungen gehen. Der Mutterpartei soll auf dem Weg ins Schwarze nicht gefolgt werden.