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Privilegien reflektierenIhr seid doch alle nur Selbstdarsteller!

Unseren Kolumnisten nervt es, wenn Leute in unangebrachten Situationen ihre Privilegiertheit reflektieren. Denn dabei geht es nicht um Gerechtigkeit.

Check deine Privilegien: Aber gerne doch! Foto: Hanno Bode/imago

L etztens musste ich an eine Situation in meiner ersten Uniwoche denken. Wir liefen in einer kleinen Gruppe von Erstis zur Vorlesung, und weil sich keiner kannte, kam mal wieder die klassischste aller Small-Talk-Fragen auf: Woher kommt ihr?

Niedersachsen, Schwaben, Hamburg – viele Orte waren vertreten, und alle antworteten brav. Eine Kommilitonin konnte es dabei aber nicht belassen. Sie, offenbar eine Berlinerin, sagte: „Ich komme aus Dahlem, bin also total privilegiert.“ Dahlem ist ein reicher Stadtteil, aber sie sagte es nicht hochnäsig, eher wie eine vorauseilende Entschuldigung. Ich war irritiert. Wieso musste dieser zweite Halbsatz sein, fragte ich mich. Hätte es nicht gereicht, einfach den Wohnort zu nennen, so wie es alle anderen auch taten?

Schon vorher war mir der in einem Nebensatz daherkommende Hinweis auf die eigenen Privilegien oft begegnet. Er grassiert nicht nur im akademischen Kontext, sondern liegt auch in linken Kreisen voll im Trend. In jedem politisch angehauchten Seminar fühlt sich irgendwann irgendwer dazu berufen, die eigene Privilegiertheit zu bekunden. Warum nur?

Sicherlich sind viele, die über Privilegien sprechen, um Gerechtigkeit bemüht. Sie weisen auch andere gerne – manchmal recht brüsk – auf deren Privilegien hin: „Du bist weiß!“, „Du bist reich!“, „Du bist hetero!“. und so weiter. Damit verbunden ist die Forderung, dass jeder hinterfragen sollte, aus welcher Perspektive er spricht und ob sich von diesem Standpunkt aus die Lebensrealität von weniger Privilegierten nachvollziehen lässt. Sinnbildlich dafür steht der Ausdruck „check your privileges“.

Die Strategie ist offensichtlich

Darum geht es mir aber gar nicht. Ich ärgere mich über diejenigen, die ungefragt und in völlig unpassenden Situationen ihre eigenen Privilegien benennen – wie die erwähnte Kommilitonin. Wir steckten schließlich nicht mitten in einer Diskussion über Ungleichheit, wo ein solcher Hinweis vielleicht angebracht wäre, um die eigene Sprecherposition zu verdeutlichen. Wir führten belanglosen Small Talk. Und je länger ich über den Sinn und Zweck dieser nervigen Bekenntnisse nachdenke, desto durchschaubarer erscheinen sie mir: Den bekennenden Privilegierten geht es um schnöde Selbstdarstellung!

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ein harter Vorwurf, ich weiß. Aber die Strategie ist offensichtlich. In einem Nebensatz darauf hinzuweisen, dass man ja privilegiert sei, soll offenbar von erhabener Reflektiertheit zeugen. Die privilegierte Person will demonstrieren, dass sie ihre gesellschaftliche Stellung selbstverständlich bedacht hat – ganz so, wie es der Zeitgeist verlangt. Ihm oder ihr geht es darum, das eigene Reflektionsvermögen und Gerechtigkeitsbewusstsein zur Schau zu stellen.

„Virtue signaling“ nennt man das, wenn Menschen versuchen, anderen ihre moralische Reinheit aufzuzeigen. Wer so reflektiert ist, so vor gedanklicher Reife strotzt – und das auch öffentlich zur Schau stellt –, dem kann man eigentlich nur gratulieren. Und genau das scheinen sich die bekennenden Privilegierten auch zu erhoffen. Sie würden am liebsten hören: „Wow, bist du reflektiert!“ Kurzum: Sie wollen nichts als prahlen.

Den Privilegienprotzern würde ich gerne ein beherztes „Nervt nicht!“ zurufen. Es ist peinlich, wie sie sich in ihrer ach so reflektierten Haltung suhlen. Nach meiner Erfahrung verkommt der Hinweis auf die eigenen Privilegien zudem häufig zu einer Art bourgeoisen Selbstbestätigung: Fängt einer damit an, folgen bald die nächsten, und am Ende hat sich der ganze Raum seiner Privilegiertheit versichert. Was das bringen soll, ist mir schleierhaft. Ignorieren scheint mir – wie bei allen Angebern – die beste Strategie zu sein.

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Nico Preikschat
Nico Preikschat studiert Politikwissenschaft in Berlin.
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15 Kommentare

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  • Ehrlich? „Du bist weiß!“, „Du bist reich!“, „Du bist hetero!“. und so weiter. Damit verbunden sei die Forderung, dass jeder hinterfragen sollte, aus welcher Perspektive er spricht ?? Ich denke: Nein!



    Die eigene Perspektive zu kennen, ist wohl für jeden sinnvoll, der ernthaft um Erkenntnisgewinn, möchte nicht sagen um "Wahrheit", ringt - auch für Nicht-Weiße, Arme oder nicht-Hetero-Menschen. An die richtet sich die Forderung aber rexplizit nicht.

  • Die Bemerkung der Kommilitonin hätte ich ja nie so einsortiert.

    Zumal der Autor schreibt, es habe wie eine vorauseilende Entschuldigung geklungen.

    Die junge Frau wird an bestimmte Reaktionen gewöhnt sein.

    Gibt es auch bei anderen Ortsteilen in Berlin.

    Der Kommilitonin werden diese Reaktionen unangenehm sein, sodass sie sie antizipiert.

    Daraus Virtue Signaling zu machen, ist mir nicht so richtig nachvollziehbar.

    Vielleicht hätte der Autor seine Erfahrungen mal beiseite schieben sollen und lieber die Kommilitonin nach ihren fragen sollen und warum sie das angefügt hat.

    • @rero:

      Vielleicht wollte er Sie in ihrem Geltungsdrang nicht auch noch unterstützen ;).



      Spaß beiseite. Natürlich ist das eine Vermutung des Autors, so wie Sie grade Ihre Vermutung kund getan haben.



      Da dieses Priviligienaufzählen aber doch sehr verbreitet ist, tendiere ich Erstem recht zu geben. Die Kommilitonin war aber vielleicht nicht das allerbeste Beispiel für das angsprochene (nervige) Gebahren, zugegeben.

  • Ohne eine mehrjährige Psychoanalyse oder Selbsterfahrung ist jeder Versuch die eigene Perspektive zu durchbrechen eh nur Koketterie zumindest aus meiner beschränkten Perspektive heraus betrachtet.

  • Aus meiner Sicht trifft der Text den Nagel auf den Kopf. Was da teilweise mit einer selbstverliebten Monstranz vor sich hergetragen wird, geht mir seit Jahren auf den Zeiger. Ich erlebe in politischen und alternativen Projekten -vor Allem sehr junge- Menschen, die außer ziemlich viel Meinung und penetrante Selbstprofilierung sehr wenig für die Sache tun.



    Für mich ist dieses Verhalten so etwas wie das moralische Äquivalent zum materialistischen Stylegehabe von Hipstern und Yuppies. Seinen Gegenüber offen als souveränen, individuellen Menschen zu behandeln, seinen Standpunkt zu respektieren, ihm und sich selbst Fehler zugestehen und auf Augenhöhe zu diskutieren, ist ehrlicher und gewinnbringender als dieses notorische Polieren des vermeintlich aufgeweckten Egos.

    • @Deep South:

      Sehr junge Menschen haben nun mal sehr viel Meinung. Sie haben damit hoffentlich sehr viel Geduld, denn älter und erfahrener werden die sehr jungen Menschen von selber. Dann wäre es manchmal schön, noch das jugendliche Feuer zu spüren, geboren aus der Gewissheit, die eigene Meinung sei die einzig richtige.

      • @Patricia Winter:

        Ja wenn außer viel Meinung genau so viel jugendliches Feuer beim Anpacken und Organisieren herumkommen würde, hätte ich damit auch kein problem. Ich rede aber von Leuten, die zwar in jedem Plenum große Reden schwingen, permanent andere zurechtweisen und sich genauso artikulieren, wie im Artikel beschrieben. Gehts aber drum, Sonntags nach der Veranstaltung mal mit aufzuräumen, die Bühne abzubauen, mal ohne vorheriges Plenum sich freiwillig an Aktionen oder anderen notwendigen Arbeiten zu beteiligen, dann kommt da nicht viel. Und Jugend hin, Jugend her, so alt bin ich nun auch noch nicht, das ich altersmilde lächelnd auf 20jährige blicken würde. Aber den Glauben, die eigene Meinung sei die einzig richtige und man könne die nicht für die Sache auch mal hinten anstellen, hab ich schon immer falsch gefunden.

  • Interessanter Beitrag. Ich habe nie verstanden, warum man sich quasi vorab entschuldigen muss, wenn man aus einer von anderen als reich bezeichneten Stadt7Stadtteil kommt. Als Erstsemester hat man in der Regel bisher zu Hause bei den Eltern gewohnt. Hatte also auf den konkreten Wohnort eher wenig Einfluss. Von daher kein Grund, eine vermeintliche Reflektiertheit vor sich her zu tragen.

  • "Sinnbildlich dafür steht der Ausdruck „check your privileges“."

    -->Das halte ich für eine der größten Lügen der Identitätspolitik. Der Ausdruck soll nämlich nicht eine andere Person an ihren privilegierten Startpunkt erinnern, sondern die hauptsächlich dazu, sämtliche Argumente dieser Person zu delegitimieren. Im Kern geht es darum die Person abzuwerten ("Wer privilegiert ist, darf keine Meinung dazu haben."), um dadurch die Sachargumente dieser Person auszuschalten.

    Es handelt sich hierbei um eine besonders perfide Spielart eines ad hominem Angriffs ("Du bist privilegiert aufgewachsen, du kannst da gar nicht mitreden."). Das ist weder als Selbstbeweihräucherung, noch im post-kolonialistischen Proseminar eine akzeptable Verhaltensweise, sondern nichts anderes als ein unzulässiger Versuch die Diskurshoheit zu erringen.

  • Wäre es nicht eventuell möglich, dass die Dahlemerin ihre Priviligiertheit nicht auf ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Position bezog, sondern damit meinte, dass sie eben Berlinerin sei und sich in Berlin auskennt - im Gegensatz zu allen anderen?

  • Vielleicht auch subtiles Distinktionsbedürfnis.

  • Nervt nicht und check mal deine Privilegien Nico!

  • Interessanter Kommentar, hatte damit auch immer ein Problem. Jedoch eher intuitiv, konnte es nicht in Worte fassen.



    Sich seiner gesellschafftlichen Stellung (und den damit verbundenen Vorteilen) bewusst zu sein ist ja total vernünftig. Habe mich aber auch gefragt, wieso das immer noch mal so penetrant, quasi als Einleitung zum Gespräch, runterdoziert werden muss. Man kann schließlich reflektiert handeln ohne jedem erst mal die eignen sozioökonomischen Vorteile aufzuzählen. Ego ist natürlich immer eine schlüssige Erklärung ;)

  • Das wirklich Bittere an dieser Privilegienprotzerei bzw. der Pseudo-Reflektiertheit ist auch, dass sich durch dieses Zurschaustellen erstmal gar nichts ändert. Ich habe den Eindruck, dass das häufig auch aus einer Haltung heraus passiert - reflexhaft - damit man sich gerade wegen seiner:ihrer Privilegiertheit, nicht angreifbar macht, denn ich habe meine Privilegien ja benannt. Dass das strukturell zwar noch gar nichts ändert, steht auf einem anderen Blatt. Check your Priviliges ist dann im Grunde nichts weiter, als ein Statusanzeiger und eine Distinktionsstrategie und das kommt in dem Artikel mMn. gut heraus.

  • Das wichtigste an dem ganzen Artikel ist „Nervt nicht!“

    Leider kommt der Autor dieser - seiner eigenen - Forderung nicht nach. Leider nervt der ganze Artikel und wenn der darin geschilderte Inhalt ein Problem sein sollte, dann haben wir in der Gesellschaft wohl keine anderen Probleme mehr.