Angriff mutmaßlicher Nazis in Gifhorn: Männer treten auf Frau am Boden ein
Ein brutaler Angriff von vier Männern zwischen 17 und 24 an einer Bushaltestelle sorgt für Entsetzen. Die Täter sollen Neonazis sein.
Ein Video des Vorfalls wurde vielfach in den sozialen Medien geteilt und sorgt dort für Empörung und Entsetzen. Eine viel verbreitete Einschätzung: „So sieht Rechtsruck aus“, oder: „AfD wirkt“. Die Szene soll eine Gruppe von mutmaßlichen Neonazis letzten Samstag zeigen, wie sie am frühen Samstagabend im niedersächsischen Gifhorn eine Frau attackiert hat. Zuvor war die Gruppe offenbar Teil eines extrem rechten Gegenprotests beim CSD in Wolfsburg, wie aus Meldungen der Polizei hervorgeht.
Die Polizei Wolfsburg gab an, dass sie beim Einsatz beim queeren Straßenfest eine 19-köpfige Gruppe festgestellt habe, die den CSD stören wollte und daran von der Polizei gehindert worden sei. Anschließend seien die „Teilnehmer“ auf verschiedenen Wegen nach Gifhorn gereist. In einer weiteren Pressemitteilung der Polizei Gifhorn hieß es dazu, dass sich dort noch eine 15-köpfige Gruppe zunächst in einem Waldgebiet am Rande eines Industriegebiets aufgehalten habe. Um 19:30 Uhr hätte die Gruppe sich aufgelöst und sei individuell abgereist, eine Kleingruppe sei in einen Linienbus gestiegen.
Im Bus schließlich sei es um 19:40 Uhr „zur wechselseitigen verbalen und schließlich körperlichen Auseinandersetzung gekommen“ mit zwei Schwestern, wie es dazu in der Polizeimeldung heißt. Die Polizei habe schnell eingreifen können, weil sie mit einem Streifenwagen dem Bus hinterhergefahren sei. Die Beamten hätten die Personalien sämtlicher beteiligter Personen festgestellt. Trotz zweier Tritte gegen Kopf und Rumpf sei es zu nur leichten Verletzungen gekommen.
Kritik am Polizeieinsatz
Die Vorkommnisse im Bus und an der Haltestelle seien nun zentraler Bestandteil mehrerer Ermittlungsverfahren, der Polizei Gifhorn. Die Verfahren richteten sich gegen vier Männer im Alter von 17 bis 24 Jahren sowie eine Frau im Alter von 38 Jahren, womöglich die Person aus dem Video, auf die die Männer eintraten.
Die Linke Gifhorn kritisierte in einem Statement unter anderem das Verhalten der Polizei: „Es kann nicht sein, dass die Polizei eine Gruppe Nazis begleitet und es dennoch zu einem schweren gewalttätigen Übergriff kommt“, sagte Sandra Zecchino, die für die Linke im dortigen Stadtrat sitzt. Mehrere der mutmaßlichen Täter stammten aus Gifhorn, heißt es in der Mitteilung. Auf Rückfrage hätten Beamte demnach noch am Samstag zugesagt, dass sie keinesfalls Nazis allein durch Gifhorn ziehen lassen würden.
Zecchino könne nicht nachvollziehen, dass die Polizei „mit dem Auto hinter dem Bus herfahren“ als eine ausreichende Begleitung der Gruppe angesehen habe und forderte Konsequenzen: „Nachdem in den letzten Monaten vermehrt Nazischmierereien und -aufkleber in Gifhorn auftauchten, wurde eine neue Eskalationsstufe erreicht. Es muss endlich gehandelt werden.“ Zum genauen Tatablauf und dem Polizeieinsatz wolle sie eine Anfrage im Rat der Stadt einbringen.
Häufig bleibt es bei rechter Gewalt nicht bei leichten Verletzungen, wie etwa Taten im letzten Jahr belegen: Während das Bundeskriminalamt seit 1990 insgesamt 109 Todesopfer rechter Gewalt zählt, gehen zivilgesellschaftliche Organisationen allein bis 2021 von 219 Fällen aus.
800 offene Haftbefehle gegen Neonazis
Politische Straftaten waren zuletzt auf einem Allzeithoch, die Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren auf 60.028 verdoppelt. Die meisten davon, 28.945 Delikte, waren im Jahr 2023 rechtsextrem motiviert. Im Jahr 2023 haben sie um 23 Prozent zugenommen – zeitgleich zum Umfragen-Höhenflug der AfD und nach rechts verrutschenden Diskursen. Zugleich gibt es fast 800 offene Haftbefehle gegen Neonazis.
Viele Jugendliche radikalisieren sich derzeit in den sozialen Medien und schlagen womöglich auch irgendwann auf der Straße zu. Für viel Aufmerksamkeit hatte zuletzt der Angriff auf den EU-Abgeordneten Matthias Ecke gesorgt, den unter anderem ein offenbar extrem rechter 17-Jähriger in Dresden beim Aufhängen von SPD-Plakaten krankenhausreif geschlagen hatte.
Ein weiterer Großteil politisch motivierter Kriminalität, 16.678 Straftaten, zählten die Behörden dem Reichsbürgerspektrum und Coronaprotestierenden zu. Auch linke Straftaten nahmen 2023 um 11 Prozent auf 7.777 Taten zu, wobei ein großer Teil (3.303) davon hier Taten im Zusammenhang mit Klimaprotesten ausmachten. Unter „ausländische Ideologie“ verzeichneten die Sicherheitsbehörden 5.170 Straftaten. Religiös motivierte Straftaten, darunter islamistische Straftaten, schlugen mit 1.458 Straftaten zu Buche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies