Demografie in Russland: Frauen als Gebärmaschinen

Russlands Bevölkerung schrumpft. Manche Abgeordnete fordern deshalb eine „demografische Spezialoperation“. Jetzt will der Staat durchgreifen.

Auf einer Bühne stehen fünf Personen. Der Mann in der Mitte hält ein großes Herz in die Höhe

Spezial-Operation: Eine russische Hochzeitszeremonie auf der Bühne am 24.02.2024 Foto: Ekaterina Chesnokova/imago

Moskau taz | Da sitzt er, „unser Junge“. Aus den USA nach Russland zurückgekehrt, sich als Freiwilliger für die Front in der Ukraine gemeldet, klare Vorstellungen von seiner Angebeteten: „eine Patriotin mit traditionellen Werten, bloß keine Feministin, keine Liberale“, sagt der Mann, blauer Anzug, erstarrtes Lächeln, im hell erleuchteten Fernsehstudio.

Sergei, 43, wird am Ende mit Alina von dannen ziehen, das Publikum dem „Prachtkerl“ und seiner „langbeinigen Blondine“ applaudieren. „Vergesst nicht, den Domostroi“ zu lesen, wird ihnen die Moderatorin der Show, eine gealterte sowjetische Film-Diva, zurufen. Der Domostroi ist ein Gesetzeskodex aus der Zeit Iwan des Schrecklichen, der Prügelstrafen für die Ehefrau empfiehlt und vor allem in russischen Kirchenkreisen bis heute als vorbildlich gilt.

Die Unterhaltungsshow „Lass uns heiraten!“ läuft täglich im russischen Staats-TV. Seit Jahren lässt sich dabei ablesen, wie die Geschlechterrollen im Land immer noch gesehen werden: die Frau als Heimchen am Herd, die ihre „natürliche Aufgabe“ der Kinderaufzucht erfüllt, der Mann als Versorger, der bitte stets eine saubere Wohnung und den Borschtsch auf dem Essenstisch vorfinden soll.

Seit einiger Zeit sitzen immer mehr „SWO-Teilnehmer“, wie Russland seine Kämpfer im Feldzug gegen die Ukraine bezeichnet, im Studio und zeigen, welche Geschlechterrollen der Staat vorsieht: Frau als Mutter, Mann als Soldat. Dafür kommen immer mehr staatliche Maßnahmen zum Tragen, zumal sich das Land am „Rand zur Demografiegrube“ sieht.

Geringere Lebenserwartung

Russland schrumpft, nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine. Eine ähnlich niedrige Geburtenrate wie in westeuropäischen Ländern trifft hier auf eine viel geringere Lebenserwartung. Mittlerweile wird die „demografische Senke“ in den geburtenschwachen 1990er Jahren deutlich, die der Krieg noch verschärft.

Die ohnehin wenigen 25- bis 30-Jährigen, die Kinder bekommen könnten, sind entweder im Krieg, ausgewandert oder haben schlicht keine Lust aufs Kinderkriegen, weil ihnen die Zukunft als viel zu ungewiss erscheint und die finanzielle Lage als unsicher.

„Die Jungen haben viel zu sehr auch das schöne, freie Leben gerochen und wollen sich selbst verwirklichen“, sagen mehrere Abgeordnete, allesamt Frauen. Das will der Staat ändern. Nina Ostanina, die 68-jährige Vorsitzende des Familienschutz-Ausschusses in der Staatsduma, fordert eine „demografische Spezialoperation“, nach der jede zweite Familie in Russland eine kinderreiche Familie mit vier bis fünf Kindern werden soll.

Ihre Kollegin Tatjana Buzkaja sagt: „Wir müssen die jungen Frauen zwingen zu gebären.“ Dabei sollen Ar­beit­ge­be­r*in­nen in die Pflicht genommen werden und einen „Koeffizienten der Geburtenrate von Angestellten“ zusammenstellen. Das erinnert stark an die Menstruationspolizei zu Zeiten des Diktators Nicolae Ceausescu in Rumänien, als Frauen an ihrem Arbeitsplatz gynäkologisch untersucht wurden. Das beste Alter zum Kinderkriegen, so Buzkaja, sei 18, 19 Jahre, quasi direkt nach dem Schulabschluss. So könnten die Frauen im Lauf ihres Lebens mehr Kinder bekommen.

Ganz klares Übel

Die Biologieprofessorin Maria Wedunowa aus Nischni Nowgorod identifiziert ein ganz klares Übel: „Die Menschheit hat einen großen Fehler gemacht, indem sie die Ausbildung von Frauen zuließ. Wenn Frauen Karriere machen, wer soll denn dann Kinder auf die Welt bringen?“, fragte sie in einem Interview 2023 und sah sich, vor allem in den sozialen Netzwerken, einem Shitstorm ausgesetzt.

Doch auch Senator*innen, Abgeordnete oder Menschen auf der Straße finden nicht selten, dass „die Mädchen zu viel Freiheit“ hätten und „Hochschulbildung zu nichts“ führe. Die Funktion junger Frauen, so sagt es auch Margarita Pawlowa, Senatorin aus Tscheljabinsk, liege im „Kinderkriegen, nicht in der Ausbildung“.

Russlands Präsident Wladimir Putin will „Kinderreichtum“ zum „neuen Lebensstil“ machen, wie er im vergangenen Jahr sagte, bevor er 2024 zum „Jahr der Familie“ erklärte. Ihm schweben sieben, acht oder gar mehr KInder“ vor, wie er immer wieder gern sagt. Das seien „ausgezeichnete Traditionen unserer Großmütter und Großväter“. Abtreibungen sollen in staatlichen Kliniken nach und nach untersagt werden.

Frauen in Russland wird immer mehr die Rolle als Gebärmaschine aufgebürdet. Die Kirche mahnt sie zur Mutterschaft, das Fernsehen zeigt sie als Anhängsel des Ehemanns, der Staat will mit ihnen das demografische Problem lösen. Schon in den Schulen lernen Jugendliche im neuen Fach „Familienführung“, dass eine kinderreiche Familie Pflicht sei. Der Erzpriester Andrei Tkatschow erzählt bei seinen Predigten, dass eine Frau, die ihre Brust nicht zum Stillen benutze, gar nicht erst hätte geboren werden sollen.

Einzimmerwohnungen stören

Die Staatsduma hat eine „russlandfremde Child-free-Bewegung“ ausgemacht und will alle, die die „Kinderlosigkeit propagieren“, mit hohen Bußgeldern bestrafen. Vor einer Scheidung sollen die Noch-Eheleute verpflichtend psychologisch beraten werden.

Selbst Einzimmerwohnungen stören. Würden sie verboten, so meint der Senator Anatoli Schirokow, entstünde sofort eine „demografische Revolution“. Kaum einer, der laut nach Kinderreichtum schreit, hat selbst – offiziell – mehr als zwei Kinder.

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