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Das Problem mit PlastikmüllWas lässt sich gut recyceln?

Exxon Mobil wird verklagt, weil die Firma lange fälschlicherweise behauptet hat, man könne alles Plastik recyclen. Was heißt das für den Klimaschutz?

Plastikmüll in gelben Säcken: das Recycling funktioniert auch in Deutschland nicht gut Foto: Thomas Trutschel/photothek/imago

W as für eine Nachricht: Der Ölgigant Exxon Mobil wird angeklagt – vom Staat Kalifornien. Noch ist nicht klar, um wie viele Milliarden es gehen soll, aber der Streitwert dürfte gigantisch sein. Denn Exxon wird vorgeworfen, „ein halbes Jahrhundert“ gelogen zu haben. Wider besseres Wissen habe der Konzern seit den 1970er Jahren behauptet, dass sich alles Plastik recyceln lasse. Stattdessen wurde es meist verbrannt oder aber in Flüsse und Ozeane geschwemmt.

Es klingt wie späte Gerechtigkeit, wenn endlich einmal ein Ölgigant zur Rechenschaft gezogen wird. Aber der Fall Exxon ist weit mehr als nur ein Disput zwischen Staat und Multi. Denn die kalifornische Staatsanwaltschaft hat zwei Jahre lang wissenschaftlich recherchiert, bevor sie nun ihre Anklage in San Francisco eingereicht hat.

Diese Akribie dürfte für die gesamte Chemiebranche unangenehm werden, weil sich zeigte, dass selbst das modernste Recycling nicht gut funktioniert. Auf dieses „chemische Recycling“ setzt aber auch die deutsche Chemieindustrie, um irgendwie klimaneutral zu werden. Denn bisher landen auch in Deutschland die meisten Kunststoffe in der Müllverbrennungsanlage, wo sie zwar Wärme und Strom erzeugen – aber auch ganz viel CO2.

wochentaz

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Doch von vorn: Exxon Mobil ist der weltgrößte Hersteller von Polymeren, aus denen dann Plastik entsteht. Auf seinen Produkten hat Exxon immer munter das universale Recyclingsymbol angebracht, obwohl bisher nur etwa fünf Prozent der Kunststoffe wiederverwendet werden. Zudem hat Exxon behauptet, es würde „fortschrittliches“ Recycling nutzen. Dahinter verbirgt sich die sogenannte Pyrolyse, die die Polymere in kleine chemische Einheiten aufbricht, sodass diese wieder zu neuen Kunststoffen zusammengesetzt werden können.

Pyrolyse klingt wie der perfekte Kreislauf, benötigt jedoch enorme Mengen an Energie. Es war daher immer ein Rätsel, wie Exxon eigentlich wirtschaftlich arbeiten will, wenn der Konzern gleichzeitig auf chemisches Recycling setzt. Die Lösung hat jetzt die kalifornische Staatsanwaltschaft geliefert: Exxon betreibt fast gar keine Pyrolyse – sondern redet nur davon.

Klimaschutz und Chemieindustrie gehen nicht zusammen

Die Klage gegen Exxon ist richtig, Lügen müssen bestraft werden. Trotzdem wäre Häme falsch. Denn Exxon hat nicht nur geschummelt, um billig große Gewinne einzufahren. Der Konzern war auch ratlos, wie er ehrlich Klimaschutz betreiben soll, weil das umfassende Recycling von Kunststoffen technisch an Grenzen stößt und ökonomisch nicht rentabel sein kann.

Die Konsequenz ist eindeutig: Klimaschutz wird nur funktionieren, wenn wir uns von großen Teilen der Chemieindustrie verabschieden. Für Deutschland ist das keine frohe Botschaft, denn hierzulande arbeiten etwa 480.000 Menschen in der Chemie- und Pharmabranche. Standorte wie Ludwigshafen oder Leverkusen lassen grüßen.

Immerhin: Die Klage gegen Exxon könnte dazu führen, dass mehr Ehrlichkeit in die Debatte kommt – auch in Deutschland. Schließlich klebt auch hier auf jedem Kunststoff das Recycling-Symbol und stehen überall gelbe Tonnen, deren Inhalt allzu oft auf dem Weg in die Müllverbrennung ist.

Wiederverwertung ist schwierig, aber es gibt eine Ausnahme: diese Kolumne. Sie muss leider eine längere Pause machen, weil bei mir andere Projekte drängen und nicht mehr ignoriert werden können. Aber „Cash & Crash“ ist ein so schöner Titel, dass er bestimmt recycelt wird. Nur der Zeitpunkt ist noch offen.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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20 Kommentare

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  • Dem Dank und den vielen guten Wünschen hier möchte ich mich anschließen.



    Projekte, die besonders drängen,



    Neigen oft zu Überlängen.



    Doch wichtig bleibt vor allen Dingen:



    Es möge alles gut gelingen.

  • Ein gutes Beispiel dafür, dass grüner Kapitalismus niemals funktionieren wird - es wird lieber gelogen, als auf Profite zu verzichten. Um die Lüge von der Recycelbarkeit zu decken wurde zum Beispiel der Grüne Punkt erfunden (ein Vorbote des grünen Kapitalismus). Funktioniert super seit über 30 Jahren und sicherlich noch die nächsten 30 Jahre. Der Glaube stirbt zuletzt!

  • Danke!



    Frau Herrmann konnt' stets animieren:



    In Heimarbeit zu recherchieren,



    Ergebnis dann hier präsentieren.



    Foristen doppelt profitieren,



    Kommune kann dann reüssieren.



    Wir werden sie ja nicht verlieren,



    Beim "Politik scharf kommentieren",



    Via "taz" uns zu informieren.



    /



    taz.de/Ulrike-Herrmann/!a69/

  • @MARTIN REES

    Ja, technisch halte ich es für machbar (immerhin ist der Umweg von Rohöl über Ethylen und andere Vorprodukte auch nicht gerade kurz).

    An anderer Stelle habe ich hier aber aufgezeigt, warum gerade Exxon ein starkes Interesse daran hat, dass es auf gar keinen Fall passiert.

  • Weil internationale Forschung mit Renommee aus KIT Karlsruhe auf Englisch:



    "In the past, the amount of plastic waste steadily increased in Germany. Plastic waste from automotive applications challenges existing mechanical recycling processes due to its material heterogeneity and complexity. However, chemical recycling via pyrolysis has the potential to recycle these plastics, obtain a high value recycled plastic with the quality of virgin material, and reduce the use of primary material. To date, no mass and energy balances are available to assess the performance of the pyrolysis process itself nor the process chain it is embedded in. This study conducted experiments with automotive plastic waste from garages in a pyrolysis screw reactor."



    Quelle



    "Chemisches Recycling von Automobilkunststoffen mittels Pyrolyse



    Hennig, Malte ORCID iD icon 1; Stallkamp, Christoph ORCID iD icon 2; Volk, Rebekka ORCID iD icon 2; Stapf, Dieter 1



    1 Institut für Technische Chemie (ITC), Karlsruher Institut für Technologie (KIT)



    2 Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion (IIP), Karlsruher Institut für Technologie (KIT)"



    B. d. Recherche z. Thema energieeffiziente Mikrowellenpyrolyse❗

  • Cash &Crash recycling ist eine ehrenvolle Aufgabe und ne schöne Perspektive 🎩💐🥂!



    Schönen Sonntag Frau Herrmann

  • In meinem Sprachgebrauch verwende ich statt "fälschlich behaupten" den treffenden und unmissverständlichen, nicht verschleiernden Begriff "lügen".

  • Also: erstens, ich werde diese Kolumne vermissen.

    Zweitens: der Weg vom Erdöl zum Kusnststoff ist ja auch nicht gerade kurz. Ich denke, dass erheblich höhere Recyclingquoten möglich sind. Sie sind allerdings der Horror für Unternehmen, die vornehmlich davon leben, Erdöl aus der Erde zu holen.

    Mickaël Correia beschreibt eindrücklich in seinem Buch "Criminels Climatiques" [1], wie die Erdölindustrie versucht, sich einen zweiten Ausgang für ihr Öl zu schaffen, sollte es mit dem Verbrennen (CO2-Preis, alternative Energien) schwieriger werden [2]. Damit das als "Zweitausgang" klappt, muss mensch auch viel Plastik wegschmeissen.

    [1] Mickaël Correia, Criminels climatiques.



    Enquête sur les multinationales qui brûlent notre planète



    Paris 2022 (ISBN : 9782348046773)



    (Danke, Forist*in @FAVIER, für den Lesetipp [1a])

    [1a] taz.de/Investition...bb_message_4581534

    [2] Im Moment scheinen sie es aber durch massive Propaganda und Disruption demokratischer Prozesse "in den Griff" zu kriegen.

  • In Nordkorfu sind wir Recyclingmeister von Griechenland. Ich versuche zudem weniger zu recyclen und mehr zu vermeiden. Das ist aber sehr schwierig, auch wenn ich möglichst wenig verpackt einkaufe. Mich wundert immer die Menge der Stoffe, die ich zum Recycling bringe. Und das meiste ist wirklich Plastik. Ich erinnere mich noch gern an das Brutterbrotpapier, welches wir mehrfach nutzen in meiner Kindheit. Da frage ich mich: Werde ich nostalgisch nach dem Motto, früher war alles besser oder ist es heute wirklich ein viel zu viel?

    • @Reiner Schwope:

      Meine Antwort:



      Weiter so und dann noch etwas mehr.



      Der Konsumwahn ist nicht mehr zu bremsen, Wirtschaft und Politik fördern ihn nach Kräften.

  • Ohne technische und biologische Innovation wird's nicht gehen: Nur eine Vision?



    /



    "Mikroorganismen zersetzen Plastik



    Können Bakterien unser Müllproblem lösen?



    Stand: 18.05.2023 08:35 Uhr



    Forscher haben in der Arktis und den Alpen neue Mikroorganismen entdeckt, die Plastik zersetzen können - und das auch bei niedrigen Temperaturen."



    Bei tagesschau.de

    • @Martin Rees:

      Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen! Darauf zu hoffen, dass sich das Problem von selbst bzw. durch Mikroorganismen lösen lässt, halte ich in Anbetracht der Dramatik der Lage für naiv bzw. sogar für fahrlässig. Aber Fahrlässigkeit ist ja ein Kennzeichen des Kapitalismus und da hilft es auch nicht diesen grün anzupinseln!

      • @PauKr:

        Meine Frage nach der Vision hatte schon auch einen realistischen wissenschaftlichen Hintergrund, nämlich:



        "Außerdem birgt die Konzentration auf eine einzelne Bakterienart ein Risiko für die spätere Anwendung des Bakteriums und seines Enzyms, zum Beispiel in Bioreaktoren. „Aus der Ökosystembiologie wissen wir, dass Monokulturen nicht sehr widerstandsfähig sind. Tatsächlich haben Bioreaktoren mit nur einer Bakterienart eine hohe Ausfallrate“, berichtet der Kieler Mikrobiologe.



        Bei dem von ihm und seinen Kolleg*innen favorisierten Ansatz werden deshalb an Orten, an denen Bakterien sehr wahrscheinlich mit Plastik in Berührung kommen, ganze Bakterienökosysteme beprobt."



        www.geomar.de/news...osysteme%20beprobt.



        Bioreaktoren sind schon anderweitig im Einsatz❗



        "Lebensmittel aus dem Fermenter



        Mit der Kraft der Pampe



        Start-ups wollen Burger, Fischstäbchen und Frischkäse ohne Tiere herstellen – mithilfe von Zellkulturen. Produkte aus dem Bioreaktor könnten die Lebensmittelbranche revolutionieren."



        spiegel.de 2024

      • @PauKr:

        Da bin ich täglich beruflich😂

  • "Für Deutschland ist das keine frohe Botschaft, denn hierzulande arbeiten etwa 480.000 Menschen in der Chemie- und Pharmabranche."

    Das ist noch nicht mal die Katastrophe. Bei einem vernünftigen ökologischen Umbau, den freilich keine regierende Partei ernsthaft betreibt, könnte man schon eine halbe Million Menschen auch anders in Arbeit bringen. Das größere Problem ist, dass wir auf die Produkte angewiesen sind. Große Teile unserer Technik funktionieren nicht ohne Chemie. Und was passiert, wenn Medikamente knapp werden, haben wir alle schon erlebt.

  • Hatten die real-existierenden Planwirtschaften denn eine bessere Ökobilanz?

    • @Kommen Tier:

      Klar: Rhetorische Frage.



      Antwort: Nein, natürlich nicht. Die hatten trotz mieser Ökobilanz auch tiefe "schwarze Löcher", in denen vieles verschwand, in den Haushalten und schrieben daher bei roten Parteibüchern am Ende vor dem Abgrund tiefrote Zahlen.



      Deshalb gab es schon früh eine Umweltbewegung in der DDR, denn hinterm Mond war man hinter der Mauer beileibe nicht.



      taz.de/Bemuehungen...zu-spaet/!1819883/

  • Dann bis hierher vielen Dank für die vielen kompetenten Kommentare!



    Am Besten ist wohl Kunststoffverbrauch zu reduzieren, das fängt beim Einkauf an.



    Schließlich empfehle ich die Ribeck Methode:



    mittels einer Birne dürfte sich unser individuelles Ableben und umformen in einen Baum, aus Umweltsicht, als Upcycling erweisen.

  • Haben die denn gelogen?



    www.wdrmaus.de/fil...ichten/erdoel.php5



    Gelogen eher nicht, nur maßlos übertrieben.