Bemühungen für DDR-Umweltschutz um Jahre zu spät

■ Nachschlagewerk zu Umweltzerstörung und -verschmutzung in der DDR / Politik entspricht nicht der Schadstoffbelastung / Ökonomie hat Vorrang vor Ökologie

Eine erste umfassende Bestandsaufnahme zu den Umweltproblemen der DDR hat Peter Wensierski in seinem Buch „Ökologische Probleme und Kritik an der Industriegesellschaft in der DDR heute“ vorgelegt. Schadstoffe in der Luft die Belastung des Wassers wird genauso beleuchtet wie Braunkohletagebau, Atomenergie, Giftmüll oder die Umweltbelastung am Arbeitsplatz. Im Anhang des Buches befindet sich eine ausführliche Quellenangabe der ausgewertetren Fachzeitschriften, Periodika, Tageszeitungen etc. der DDR und der BRD. Im folgenden veröffentlichen wir die leicht gekürzte Schlußbemerkung.

Die Umweltpolitik der DDR entspricht nicht der weit fortgeschrittenen Schadstoffbelastung von Luft, Wasser und Boden, der Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen. Durch Braunkohletagebau und -verwertung, intensiver Landwirtschaft, Giftmüllpolitik und Industrieemissionen gehört die DDR zu den größten Umweltzerstörern in Europa.

Die bisherige Reaktion der regierenden Partei SED auf diese neue politische Herausforderung ist der Dimension und der raschen Entwicklung des Problems nicht angemessen. Sie ist lediglich orientiert auf eine Art Krisenmanagement, das versucht „Extremsituationen“ zu vermeiden: durch eine Verdünnung der Schadstoffe, durch Verlagerung von Problemen, durch punktuelle lokale Maßnahmen zu Lasten weiträumiger überregionaler Schäden.

Gemessen an der sichtbaren und weit fortgeschrittenen Umweltzerstörung in der DDR wirkt sich der Zentralismus ökonomischer Investitions- und politischer Handlungsentscheidungen wiederum verschlimmernd aus. Dies hat in der Vergangenheit zu einer Verniedlichung, teilweise einer langjährigen Verleugnung der Problematik überhaupt geführt. Der damit entstandene Rückstand ist in jeder Hinsicht selbst verschuldet und hat zu einer Verschlimmerung der Umweltbelastungen geführt. Hinzu kommen die nach wie vor geltenden Geheimhaltungsmaßnahmen, die ein umweltbewußtes Verhalten der Bevölkerung erschweren und - wie im Falle der Geheimhaltung von Grenzwertüberschreitungen in besonders belasteten Regionen (Halle/Leipzig, Freiberg, Erzgebirge u.a.m.) - sogar bewußt Körperverletzung von Betroffenen duldet, da sie über ihre Situation im unklaren gelassen werden.

Die Kehrseite der im Rahmen des RGW als erfolgreich geltenden Wirtschafts- und Sozialpolitik Honeckers, der Preis für den erzielten Wohlstand, ist innerhalb weniger Jahre eine Landschafts- und Naturzerstörung, wie sie in kaum einer anderen europäischen Region stattfindet. (...)

Problematisch dabei ist vor allem mit den kaum oder nicht mehr wiedergutzumachenden Schäden an Wald, Gewässer, Landschaft und Gesundheit der Menschen, Tiere und Pflanzen. So wie das Krisenmanagement von Extremsituationen die eine Seite der DDR-Umweltpolitik ist, so ist die Hoffnung auf die zukünftige Steuerbarkeit, die Integration und Anpassung der Natur an die industriellen Bedürfnisse und die Reparaturfähigkeit der zerstörten Ökosysteme die andere Seite. Ich konnte weder die Diskussion des Problems der Irreversibilität der Schäden noch ein Aufwerfen des Zusammenhangs von Schadensfortschritt und Gegenmaßnahmen (z.B. beim Waldsterben) erkennen.

Selbst wenn es der DDR gelänge, wie sie es international zugesagt hat, bis 1993 den Schwefeldioxid-Ausstoß um 30 Prozent des Standes von 1980 zu verringern, würde sie Mitte der 90er Jahre immer noch wesentlich höhere Emissionen haben, als sie heute in der Bundesrepublik sind. Doch bis jetzt hat die SED nicht einmal für dieses Minimalprogramm ein Konzept zur Realisierung vorgelegt.

Die Bemühungen und Absichtserklärungen in Politik und Wirtschaft der DDR, etwas für den Umweltschutz zu tun, kommen um Jahre zu spät, zu zögernd, zu halbherzig und vor allem zu sehr vorrangig an ökonomischen Interessen ausgerichtet. Umweltschutz kostet Geld und bringt zunächst nichts ein - die DDR bevorzugt Lösungswege, die nichts kosten sollen, sondern womöglich einen Gewinn abwerfen. Nur solche Vorhaben werden realisiert. (...)

Durch die grundlegenden Entscheidungen in der Energiepolitik zugunsten der „sicheren“ heimischen Braunkohle ist für die 90er Jahre ein Belastungsanstieg vorprogrammiert. Das notwendige Umdenken von Investitionsströmen für umweltpolitische Aufgaben ist nicht abzusehen. Kurz- und mittelfristig muß für das Ende der 80er Jahre und mindestens bis Mitte der 90er Jahre sogar mit einem erheblichen Anstieg der Belastungen und ihrer schädlichen Auswirkungen gerechnet werden. (...) Ohne wesentliche innenpolitische Veränderungen können die subjektiven Bedingungen, die zur Verschleppung der DDR -Umweltproblematik beigetragen haben, ebenfalls nicht gelöst werden. Dazu gehören m.E.:

-eine Abkehr, zumindest in Teilbereichen, vom politischen und wirtschaftlichen Zentralismus;

-ein Fallenlassen des - im übrigen auch unwirtschaftlichen

-Autarkiedenkens (z.B. Aufgabe des Kupferbergbaus, Reduzierung des Braunkohleeinsatzes);

-eine kritische Medienöffentlichkeit über Umweltprobleme;

-Zulassung von staatsunabhängigen Umweltinitiativen;

-Reform zugunsten des Umweltministeriums, Trennung der Kontroll- und Überwachungskompetenzen aus den Händen der Industriebetriebe, Zusammenlegung der Kompetenzen aus anderen Ministerien u.a.m.

Diese - in einigen Ostblockländern (z.B. Ungarn) bereits praktizierten und selbstverständlichen Schritte - scheinen so lange in der DDR blockiert zu sein, wie die derzeitige Führung der SED unter Erich Honecker jeden - auch den kleinsten - notwendigen Reformschritt als unmittelbar mit der Machtfrage verknüpft ansieht. So erscheint die Lösung der Umweltprobleme in der DDR vor allem abhängig von einer Demokratisierung der zentralen gesellschaftlichen Bereiche.

Aus: Peter Wensierski: „Ökologische Probleme der DDR“, Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1988, 32 DM