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Psychologe über das Vertraute„Heimat wird gar nicht geschätzt“

Der Begriff „Heimat“ wirkt in der Krise wie ein Kuschelbär fürs Kind. Diesen stabilisierenden Effekt nutzen Politik und Werbung gleichermaßen.

Mit Kuscheltier wird alles gut. Mit „Heimatliebe“ angeblich auch Foto: Mona Wenisch/dpa
Interview von Petra Schellen

taz: Herr Maul, bezeichnet Heimat einen Ort oder eine Zeit?

Torsten Maul: Sowohl als auch – und noch viel mehr: Heimat ist ein Gefühl, es sind Geräusche und Gerüche, es ist das Vertraute. Andererseits, wie es der Autor Bernhard Schlink formuliert, ist Heimat eine Illusion. Denn die Heimat, wie wir sie kennengelernt haben, gibt es nicht mehr. Die Eltern sind alt geworden, Freunde weggezogen, die Landschaft hat sich vielleicht verändert. Auch ich wurde älter, meine körperliche Heimat hat sich verändert. Heimatgefühl ist ein komplexes Phänomen, das eine seelische und eine gesellschaftliche Funktion erfüllt. Es ist ja kein Zufall, dass Politik und Werbung so erfolgreich mit Begriffen wie „Heimat“ und „Region“ arbeiten.

Wie entsteht Heimatgefühl überhaupt?

Maul: Die Urheimat ist der Körper der Mutter. Mit der Geburt geht dieses Paradies verloren: Wir müssen selbst essen, ausscheiden, atmen. Dann entdecken wir die Umwelt, lernen Gerüche, Geschmack, Rituale der Familie kennen. Je nach Herkunftsfamilie fühlen sich Menschen später mehr oder weniger beheimatet, zugehörig. Die seelische Funktion des Heimatgefühls ist vergleichbar mit den Kuscheltieren der Kinder. Wenn die Mutter nicht da ist, schützt stellvertretend das Kuscheltier. Ähnlich ist es mit der Heimat. Sie ist eine seelische Konstruktion, ein Ort, dem ich identitätsmäßig verbunden bin. Andererseits ist Heimat außen: ein Landstrich, eine Gruppe, eine Nation. Der Heimatbegriff symbolisiert die Ambivalenz, sich einerseits zugehörig fühlen zu wollen und sich andererseits loszureißen.

Privat
Im Interview: Torsten Maul

Jg. 1961, Psychotherapeut und Maler, gründete 2015 den Psychoanalytischen Salon Hamburg.

taz: Warum verfängt der Heimat-Begriff auch bei Menschen ohne „schöne“ Kindheit?

Maul: Weil sie ein idealisiertes Bild von Heimat und Geborgenheit entwickeln, als Gegengewicht zu den Überforderungen des Alltags. So wie das Kind in der Krise sein Kuscheltier holt, greifen Erwachsene nach einem Heimat-Ideal. Die gefährlichste Vorstellung ist, dass es nur eine „gute“ Heimat gibt, die mit einer definierten Gruppe gleichgesetzt wird und von allem Fremden befreit werden muss, wie es etwa rechtspopulistische Parteien suggerieren.

taz: Dabei könnte man ja auch die Heimat pflegen, statt sich in Illusionen zu verlieren.

Maul: Allerdings. Aber die Heimat wird gar nicht so geschätzt oder liebevoll behandelt, wie es die „Heimatliebe“ vermuten ließe. Wenn man sich öffentliche Toiletten, Bushaltestellen, die Landschaft, das Miteinander ansieht, zeigen sich ganz andere Impulse: die Lust an Verschmutzung, Zerstörung, Rücksichtslosigkeit, Ausgrenzung.

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7 Kommentare

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  • als kind wurde ich von meiner mutter mit der überwertigen heimatliebe zu schlesien konfrontiert. ich hatte den eindruck, die pfalz bedeute ihr gar nichts (die 2.heimat).



    sie war in irgendsonem vertriebenen-verein, bezog lebenslang deren zeitung, besuchte mehrmals die alte heimat, + damit war sie nicht allein. auch die schwestern hingen abgöttisch an schlesien + ihrer heimatstadt + allem, was mit den vorfahren dort zu tun hatte, bis zur baude im riesengebirge, wo die uroma eine penion führte, die natürlich einzigartig war.



    das kann einem schwer auf die nerven gehen. z.B. wenn dann bis ins hohe alter klassenkameradInnen ausgegraben werden uvam.



    irgendwann fiel mal der satz: die pfalz war ja auch schön - aber nicht so schön wie schlesien.



    das kann nachdenklich stimmen, was den eigenen begriff vonn heimat angeht.



    das ganze war von einer marlitt-+ courts-mahler-stimmung durchzogen, der "fürscht" spielte ne rolle, es wurde akribische ahnenforschung betrieben.



    vorfahren arbeiteten bis nach kiew.



    z.t. interessant - aber meist ziemlich unkritisch, was die reale geschichte angeht.

  • Gute Erläuterung, dass hat mir geholfen zu verstehen, wie z.B. der Uropa die zwei Weltkriege gut verkraftet hat, weil er den nationalistischen Quark außen vorgelassen hat und in der Familie "Heimat" gegeben und gefunden hat. Ähnliche Muster habe ich auch bei Bekannten und ArbeitskollegInnen gefunden, die ihre Heimat verlassen mussten und hier heimisch wurden.



    In der eigenen Familie helfen da auch Rituale wie traditionelle Feste gemeinsam zu feiern und natürlich ein Familienleben zu führen ohne einzuengen und zu gängeln.

    Diesen Teil hier finde ich allerdings etwas widersprüchlich:



    ".... Denn die Heimat, wie wir sie kennengelernt haben, gibt es nicht mehr. Die Eltern sind alt geworden, Freunde weggezogen, die Landschaft hat sich vielleicht verändert. Auch ich wurde älter, meine körperliche Heimat hat sich verändert. ...."



    Man ändert sich doch auch, genau wie die Heimat, das sollte doch eine Art Anpassungsprozess sein, ich werde ja nicht pötzlich "heimatlos" wenn z.b. die Eltern sterben, dann wird vielleicht ein Ort der Trauer zu einem neuen Teil der Heimat und ich besinne mich darauf, dass meine Rolle als Kind der Eltern jetzt endet und ich fortan nunmehr Elternteil vom Kind bin.

  • Heimat geht auch mit einem gewissen Sicherheitsgefühl einher.

    Man kennt die Menschen und Umgebung und weiß, hier man sich geborgen und entspannt bewegen.

    Lässt sich also sehr gut mit einer definierten Gruppe gleichsetzen.

    Und das ist völlig in Ordnung so. Die Menschen haben ein Recht darauf.

    Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, wie schnell und oft dieses zerstört werden kann.

    • @shantivanille:

      Es gibt die Idee, dass Heimat sich auch in der Sprache wiederfindet. Heimat ist, wo man die Menschen einfach so versteht und selbst verstanden wird.

      Die anderen verstehen einfach genau, wie man etwas meint

      Das könnte bedeuten, dass die aktuellen Entfremdungsgefühle, die Spaltung der Gesellschaft auch daher kommen, dass Gruppen mit Deutungshoheit aus ethisch-politischen Gründen die Sprache massiv verändern wollten.

      Dadurch wurde manchen die Heimat genommen.

      Damit lassen sich die harschen Reaktionen auf diverse Formen sensibler Sprache erklären.

      • @rero:

        Das Gendern als „massiv“ zu empfinden, mag ja noch angehen, objektiv ist es das nicht. Der Verlust der Sprache, damit ist wohl eher die Ersetzung der Regionalsprache oder -mundart durch Fernseh-Hochdeutsch gemeint. Viele der lieben Menschen, mit denen ich als Kind Platt sprechen durfte, sind inzwischen verstorben, und natürlich macht mich das betroffen und versetzt mir jedes Mal einen Stich, wenn ich Platt höre.



        Sicherheit ist ein wichtiges Thema, aber der entscheidende Unterschied ist, ob man die Sicherheit als Freiheit zu etwas nutzt, oder ob man Sicherheit empfindet, indem man nach oben buckelt und nach unten tritt, weil man die Regeln kennt und sich auf das Einhalten dieses Vertrages verlässt.



        Der letzte Punkt ist wirklich das große Problem unserer Tage, weil viel zu viele von „Vater“ Staat Privilegien fordern, nur weil sie gefühlt immer „richtig“ gebuckelt haben. Das ist der patriarchale Obrigkeits-/Untertanenstaat, nicht der liberal-humanistische Bürger:innenstaat. Für zu viele bedeutet Heimat Ungleichheit und sogar Ungleichwertigkeit.

        • @Zangler:

          Gendern ist nicht per se massiv.

          Doppelnennungen à la "Bürgerinnen und Bürger" sind im lokalen Politikbereich ja eigentlich seit den 90ern oder sogar 80ern Standard, auch bei konservativen Parteien.

          Da ich aus Berlin bin, ein Berliner Beispiel:



          Bereits in den 80ern hat Eberhard Diepgen, ein CDU-Bürgermeister zu den " Berlinerinnen und Berliner" gesprochen.

          Das hat nie Abwehr hervorgerufen.

          Das könnte man sogar eher als Konstruktion von Heimat ansehen.

          Mit "massivem" Gendern meine ich z. B. "Bundeskanzler*innenkanditat*innen". Einschließlich Logikfehler.

          Da erkennen sichviele nichtmehr wieder, erst recht gesprochen.

          Die Wahrnehmung dessen ist natürlich subjektiv.

          Objektiv sind aber die hohen Zahlen in den Umfragen, die solches ablehnen.

          Mit den Dialekten bin ich voll bei Ihnen.

          Da ging viel Zelebrierung von regionaler Zugehörigkeit verloren.

          In der verstärkten Abwertung von Dialekten drückt aus meiner Sicht die Heuchelei um den angeblichen Wert von Diversität aus.

          • @rero:

            Doppelnennungen gab es schon viel früher, und das nicht nur bei konservativen Parteien, sondern sogar bei der NSDAP, s. zum Beispiel diesen Bericht des WDR:



            "Berlin, 1. Mai 1933: "Deutsche Volksgenossen und Volksgenossinnen, der Mai ist gekommen", begrüßt Reichskanzler Adolf Hitler in seiner Rede zum "Tag der nationalen Arbeit" seine tausenden Zuhörer auf dem Tempelhofer Feld."



            Link: www1.wdr.de/sticht...ofer-feld-100.html

            Auch bei den Zuhörern Hitlers rief das keine Abwehr hervor.