Geschlechterparität in der EU: Männlich, konservativ, machtbewusst
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will Geschlechterparität fördern. Doch die EU-Staaten nominieren zu viele Männer für die Behörde.
Der Grund: Die meisten EU-Staaten ignorieren von der Leyens Wunsch, je eine Frau und einen Mann für die nächste EU-Kommission zu nominieren und so für Geschlechterparität zu sorgen. Viele schlagen nur einen einzigen Bewerber vor: einen Mann.
Die Folge: akuter Frauenmangel in Brüssel. Sechzehn Männer und nur fünf Frauen – so fällt die Geschlechter-Bilanz kurz vor Ablauf der Bewerberfrist am 1. September aus. Wenn es mit den Nominierungen so weiter geht, könnten die Männer am Ende über eine Zweidrittelmehrheit verfügen.
„Das sind wirklich schlechte Nachrichten“, kritisiert die spanische Europaabgeordnete Lina Gálvez (S&D), die im EU-Parlament für Frauenrechte und Gleichstellung zuständig ist. „Die neue Kommission darf kein Männerclub werden“, warnt die deutsche Europa-Staatssekretärin Anna Lührmann von den Grünen.
Außer der Reihe
Doch die Liste der bisher bekannten Namen spricht eine andere Sprache. Österreich hat Finanzminister Magnus Brunner nominiert – ein Mann. Frankreich hält an Thierry Breton fest – ebenfalls ein Mann. Ungarn möchte eine zweite Amtszeit für Olivér Várhelyi, Lettland schickt erneut Valdis Dombrovskis nach Brüssel.
Die prominenteste weibliche Kandidatin – neben von der Leyen – ist Kaja Kallas aus Estland. Sie war allerdings bereits im Juni nominiert worden – von den 27 Staats- und Regierungschefs, die sie zur neuen EU-Außenbeauftragten ernennen möchten. Sie läuft sozusagen außer der Reihe.
Weitere Frauen kommen aus Kroatien, Finnland und Schweden. Auch Spanien dürfte mit Teresa Ribera, der bisherigen Vizeregierungschefin, eine prominente Politikerin nach Brüssel schicken. Das war’s aber auch schon. Die Frauen sind deutlich unterrepräsentiert. Selbst wenn die noch fehlenden fünf Staaten ihre Wahl treffen, dürfte sich die Lücke nicht mehr schließen.
Dies ist nicht das einzige Problem, mit dem von der Leyen fertig werden muss. Hinzu kommt, dass die meisten Männer auch noch der konservativen Europäischen Volkspartei angehören – und dass sie einen wichtigen Posten für sich reklamieren. Männlich, konservativ und machtbewusst – so sieht das typische Profil der neuen EU-Kommission aus.
Wichtigster Hebel
Um allen Wünschen gerecht zu werden, hat von der Leyen in der letzten Legislaturperiode die Kategorie der „Executive Vice Presidents“ geschaffen, die noch über der „einfachen“ Vizepräsidentin stehen. Doch selbst das dürfte diesmal nicht reichen. Es gibt einfach nicht genug Posten, um den Machthunger zu stillen.
Was tun? Von der Leyen und ihre Berater halten sich bedeckt. Man wolle erst einmal die vollständige Liste der Kandidaten abwarten, heißt es in Brüssel, danach werde man weitersehen. Einzelne Kandidaten kann von der Leyen nach deren Anhörung im Europaparlament zurückweisen – doch weibliche Bewerber erzwingen kann sie nicht.
Ihr wichtigster Hebel ist die Verteilung der Aufgabengebiete. Neben den traditionell wichtigen Dossiers wie Wirtschaft, Finanzen, Binnenmarkt und Handel ist diesmal auch die Erweiterung heiß begehrt – Stichwort Ukraine-Beitritt. Neue Portfolios wie Verteidigung und Mittelmeerpolitik stoßen ebenfalls auf großes Interesse.
Bei wichtigen Dossiers werde sie Frauen bevorzugen, lässt von der Leyen durchblicken. Doch selbst wenn es ihr gelingen sollte, Kommissarinnen auf mächtige Posten zu hieven: Die Geschlechterparität bleibt ein Problem. Von der Leyen droht ein Fehlstart – und das ausgerechnet in der Genderpolitik, auf die sie so viel Wert legt.
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