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Gerechte Sprache im Landkreis RotenburgMarco Prietz ist jetzt Landrätin

In einer Dienstanweisung des Landkreises Rotenburg (Wümme) wird jetzt durchgehend die weibliche Form benutzt. Beschlossen hat das ein CDU-Mann.

Hat jetzt die allgemeine Amtsbezeichnung „Landrätin“: Marco Prietz Foto: tokography/Tobias Koch

Hamburg taz | Mit einer Dienstanweisung, in der er weibliche statt männliche Amtsbezeichnungen verwendet, hat der Landrat des niedersächsischen Kreises Rotenburg (Wümme), Marco Prietz, Aufsehen erregt. Denn Prietz ist Mitglied der CDU und sein Landkreis konservativ geprägt. Entsprechend gemischt fielen die Reaktionen aus. Er erntete haufenweise Likes, aber auch verärgerte bis bestürzte Reaktionen.

Über den Social-Media-Kanal Instagram erläuterte Prietz, dass in der neuen Allgemeinen Dienst- und Geschäftsanweisung für den Landkreis „aus Gründen der besseren Lesbarkeit“ bei Personenbezeichnungen die weibliche Form verwendet werde. „Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für alle Geschlechter.“ Es ist dementsprechend also auch von Landrätin die Rede, obwohl der aktuelle Landrat ein Mann ist.

„Natürlich klingt das auch für mich zunächst komisch“, räumt Prietz ein. „Aber ganz ehrlich: Warum müssen immer nur Frauen mit der ­Erklärung zurechtkommen, dass mit männlichen Bezeichnungen auch sie umfasst sind?“ Männer könnten das auch mal über sich ergehen lassen, ohne dass es sie in irgendeiner Art und Weise herabsetzen würde.

Prietz, 36, verheiratet, zwei Kinder, ist in Bremervörde geboren und blickt auf ein langjähriges kommunalpolitisches Engagement zurück, zuletzt als Fraktionsvorsitzender der CDU im Kreistag. Der Verwaltungsbetriebswirt hat beim Landkreis Osterholz gearbeitet und ist 2021 mit 60,4 Prozent für fünf Jahre zum Landrat des Kreises Rotenburg gewählt worden.

Warum müssen immer nur Frauen mit der Erklärung zurechtkommen, dass mit männlichen Bezeichnungen auch sie umfasst sind? Marco Prietz, Landrat Kreis Rotenburg (Wümme)

Seine Kontakte in die Gesellschaft pflegt er wie üblich durch eine Reihe an Mitgliedschaften: unterstützt den „TSV Hönau-Lindorf“ als Pressewart, gehört dem „Schützenverein Hönau-Lindorf“ sowie der „Schützengesellschaft zu ­Bremervörde“ an, ebenso wie dem „Club der Urgemütlichkeit Hönau-Lindorf“ und dem „Schifferverein Frohsinn“. Er ist förderndes Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Hönau-Lindorf, zudem in Bremervörde förderndes Mitglied der „Reservistenkameradschaft RK-7“, und des „Hospizes zwischen Elbe und Weser“.

Sein ehemaliger Kollege im Kreistag, SPD-Fraktionschef Bernd Wölbern, bezeichnet Prietz als sehr professionell und strukturiert. „Ich erlebe ihn als sehr pragmatisch“, sagt Wölbern. Auch, dass in der Allgemeinen Dienstanweisung nach deren Überarbeitung jetzt die weibliche Form verwendet wird, hält er für eine Abwägungssache, bei der es in erster Linie um Praktikabiltität gegangen sei.

Der Mehrheit angepasst

Der Landrat selbst verweist darauf, dass „die Mehrzahl unserer Beschäftigten weiblich“ ist. Mit der durchgängig weiblichen Bezeichnung vermeide der Landkreis in dem Dokument, das die internen Abläufe regelt, sprachliche Schwierigkeiten. „Die ‚Amtsleitung‘ mag es ja noch geben, aber die ‚Sachbearbeitung‘ bezeichnet dann ja wohl doch eher die Tätigkeit und nicht die Person.“

Am wichtigsten sei, dass der Text lesbar bleibe. „Wir verzichten auf unzählige Doppelpunkte, Schrägstriche oder Wiederholungen“, schreibt Prietz. Wer nun in die Dienstanweisung schaue, könne sich auf den Inhalt konzentrieren.

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23 Kommentare

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  • Die Überschrift ist schlicht falsch: Denn auch bei der neuen Dienstanweisung bleibt es dabei, dass die Amtsbezeichnung von allen realen Personen im Amt nach dem Geschlecht der Person gebildet wird. In der Dienstanweisung kann also allgemein davon geredet werden, dass (unabhängig von der Amtsinhaberin) die Landrätin diese oder jene Aufgaben zu erfüllen hat, Herr Prietz ist und bleibt aber Landrat. Schade, dass gerade die Taz solch plakativen aber falschen Überschriften benutzt, die genau die Sorgen der Gender-Gegner (bewusst nciht gegendert) füttern.

  • So hübsch die Idee auch ist - das nun als "gerechte Sprache" zu titulieren ist natürlich offensichtlich unzulässiges Framing.

  • Finde ich richtig gut. Schließlich wird im Deutschen die weibliche Bezeichnung - mit wenigen Ausnahmen- aus der männlichen gebildet. Die männliche Form ist in der weiblichen also enthalten: Arzt/ Ärztin, Schüler/ Schülerin. Umgekehrt ist das nicht so. Bisher wurden Frauen durch das Verwenden der männlichen Form im Grunde negiert, sollten sich aber mit gemeint fühlen. Selbst wenn in einer Gruppe z.B. von 12 Schülerinnen und 2 Schülern die Schülerinnen in der Mehrzahl waren, wird in der Berichterstattung ausschließlich von Schülern gesprochen. Nach was weiß ich vielen Jahrhunderten patriarchaler Sprache: ab jetzt nur noch die weibliche Form! Sollte man bundesweit einführen.

  • Warum nicht? Besser als Sternchen und "Innen" ist es schon.

  • Was lernen wir aus dem Artikel? Mißgendern ist erlaubt oder sogar geboten - solange es nur "richtigherum falsch" ist.



    Das bringt sicher Sachlichkeit in das Thema - erst recht, wenn man sich jenseits der beiden "biologischen Geschlechter" bewegt...

  • @RAKADER

    Dafür begegnet sie den Bürgerinnen jetzt auf Augenhöhe.

    Find' ich gut (und hey, ich bin ein alter, weisser, cis, hetero, blabla Typ)

  • Ich finde, das ist ein wirklich demokratischer Ansatz, in dem ich mich auch als feministisch fühlender Mann voll wiederfinde. Geradezu geschlechtsumwandeln geil! Weiter so! Von links können noch so viele Gesellschaftsreformvierende Impulse kommen, erst wenn die Mitterechtsmenschen verstanden haben, das SÄMTLICHE Menschen gleichgültig welcher geschlechtlicher Spielart und Haut- und Haarfarbe etc. der selben Spezies angehören, bewegt sich wirklich was; was leider oft sehr lange währt..

  • Gar nicht so dumm die Landrätin,während Merz und Söder eher in der braunen Ecke auf Wählerfang gehen,macht sie es eben in der "queeren (Ecke) Community... Da soll nochmal einer sagen die CDU wäre nur konservativ...

  • Sehr geehrter Herr Landrätin Prietz,…..

    Ob dieser Sprachgebrauch wirklich gerecht und inklusiv ist? Oder doch mehr Verwirrung stiftet, anstelle dass man sich nun in Ruhe auf das Anliegen konzentrieren kann?

    Nun, die Zukunft wird es zeigen.

  • Persönliche Dientsbezeichnungen (z.B. Königin von England, Polizeipräsidentin von Berlin, Bürgermeisterin von Kreuzberg) tragen von jeher die jeweilige geschlechtliche Bezeichnung der jeweiligen Person.

    Insoweit zeigen sich hier die comedialen Auswüchse unserer Zeit in der schlimmsten Ausprägung. Voll über das Ziel hinaus geschossen.

  • Liebe ich. Genau meine Argumentation. Weiter so!

  • Wenn man Bürgern klarmacht, dass ein Behörde ihren Bürgern nicht auf Augenhöhe begegnet, sondern von oben herab, dann macht man es so.

    • @rakader:

      Ist ne Dienstanweisung, keine Bürgeranweisung. Steht so auch im Artikel.

  • Sehr gut. Und a Ruah is.

  • Finde ich eine absolut korrekte Entscheidung. Ist meine Rede schon seit langem: wieso nicht die weiblichen grammatikalischen Formen benutzen? Das ist mir tausendmal lieber als dieses :In Formen, die einen Text vollkommen unlesbar machen, und wo ich jedesmal denke, was für ein Jammer für unsere Muttersprache.

  • 👍

  • Eine wunderbare Entscheidung, zumal ja tatsächlich überwiegend weibliche Mitarbeiterinnen betroffen sind. Und die Männer, die jetzt laut jammern und sich nicht mitgemeint fühlen, können dann vielleicht einmal nachvollziehen, wie Frauen sich fühlen. Und der Herr kann sicher sein, dass sein Bekanntheitsgrad zunimmt. Für einen Politiker, der noch ein bisschen was vor hat, ein cleverer Schachzug.

  • Bereits 2013 hatte die Uni Leipzig ihre Grundordnung durchgehend in weiblicher Sprache abgefasst und ist auch dabei geblieben. Dass nun ein CDU-Landrat ebenfalls das generische Femininum verwendet, finde ich großartig!

    • @Sabine Hofmann-Stadtländer:

      Beim oberflächlichen Durchsehen der Homepage der Uni Lpz. ist mir mehrmals die Verwendung des generischen Maskulinums aufgefallen. Ganz so konsequent scheint man/frau es dann doch nicht durchzuhalten.

      • @Vigoleis:

        Die Grundordnung ist im Fenininum geschrieben. Auf die anderen Veröffentlichungen habe ich nicht abgehoben :-)

  • meine mutter (wäre 2024 100 geworden) freut sich sicher im himmel darüber.



    was meint denn eigentlich dazu:



    "Pusch engagiert sich seit 1979 für eine geschlechtergerechte Sprache, zum Beispiel in Aufsätzen, Glossen, Streitgesprächen, Vorträgen und Workshops."



    de.wikipedia.org/wiki/Luise_F._Pusch

  • Innovativ. Gute Idee. Von mir aus dauerhaft oder jährlich wechselnd.



    Die erste vernünftige Idee zum Thema Gendern die ich je gelesen habe - Hut ab 👍

  • Ich bin beeindruckt. Chapeau!